Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Neuntes Capitel

Unsers Herrn Ministers Actien fallen merklich.
Wie man gegen ihn wirkt.

Die Leser würden der ganzen Dienerschaft meines gnädigsten Fürsten und Herrn sehr großes Unrecht thun, wenn sie glauben wollten, es sey auch darunter nicht ein einziger ehrlicher Mann gewesen, der zu edel gedacht hätte, sich in eine so schändliche Cabale gegen einen Unschuldigen einzulassen. Gewiß waren dergleichen dort, allein sie hielten sich ruhig und sahen das Ding von Weitem mit an. Einige von ihnen, durch langjährige Erfahrung mit den Ränken bekannt, welche an kleinen Höfen herrschen, wollten nicht thätig seyn, weil sie wohl wußten, daß, wenn einmal die Bosheit einen durchgedachten Plan gegen die unbefangne, sorgenlose Redlichkeit ersonnen hat, alles Bestreben der Bessern, den Verfolgten zu retten, vergebens ist. Sie wußten, daß, wenn man sich in solche Händel mischt, man entweder selbst das Schlachtopfer wird oder doch den Zustand Dessen, dem man helfen will, dadurch noch ärger und die Feinde erbitterter macht. Diese vorsichtigen Leute also thaten, als sähen und hörten sie nichts, aber ihre Aufführung gegen mich war immer gleich achtungsvoll und freundschaftlich, mein Ansehn mochte steigen oder fallen.

Andre, die den Zusammenhang dessen, was vorging, nicht wußten, nicht nahe, nicht hoch genug standen, um zu sehn, ob Cabale von Seiten meiner Feinde oder Unrecht von der meinigen gegen mich arbeitete, oder die nur mit sich selbst zu thun hatten, um festzustehn, oder die zu phlegmatisch waren, sich in verwickelte Händel einzulassen, ließen die Sache ihren Gang gehn und dachten: »Ein Jeder fege vor seiner Thür rein!«.

Noch Andre, die weder Glücksgüter noch entschiedne Verdienste hatten, hingen natürlicherweise mit ihrer ganzen Existenz von der herrschenden Parthey ab, mußten, um ihren Weg zu machen und nicht bey etwa erfolgendem Sturze mitzupoltern, bald clausisch, bald mehlfeldisch seyn, je nachdem Dieser oder Jener der Schutzpatron war, der am Staatsruder stand.

Eine vierte Parthey war vielleicht gegen mich eingenommen, weil ihr entweder mein Betragen unvorsichtig vorkam oder weil ich hie und da ihre Wünsche und Erwartungen nicht befriedigt hatte. Da nun die schwachen Menschen fast alle Dinge durch die Brille der Vorurtheile und Leidenschaften ansehen, so würde es höchst unbillig seyn, Diesen Vorwürfe darüber zu machen, daß sie sich Meiner nicht annahmen.

Endlich verdarb eine fünfte Parthey durch ihr unvernünftiges Schreyen zu meinem Lobe und durch Schmähen auf meine Feinde meinen Handel noch mehr; denn obgleich es diesen unruhigen Köpfen mehr um das Vergnügen zu thun war, ihr Mäulchen spazieren zu lassen, als um den Eifer, mir wahrhaftig zu dienen, setzte man doch voraus, ich, der ich nicht den geringsten Antheil an ihrem Geschrey hatte, habe sie aufgehetzt.

Nur ein paar Männer unter den Unterbedienten bey der Cammer gab es, die, als nachher das Gewitter gegen mich losbrach, obgleich sie mir nicht die geringste Verbindlichkeit hatten, bloß aus Wärme für die Rechtschaffenheit, auf Unkosten ihres eignen Glücks, großmüthig, öffentlich für mich auftreten wollten. Allein Diese bat ich, sich ruhig zu verhalten und nicht ihre eignen Aussichten mir, den sie doch nicht retten konnten, aufzuopfern.

Nachdem ich Ihnen nun gesagt habe, wie die Personen gestimmt waren, so will ich itzt zu der Erzählung des ganzen Vorgangs schreiten.

Ich habe vorhin erzählt, daß ich mir gar nicht die Mühe gab, darüber nachzusinnen, ob ich Feinde hätte oder nicht, weil ich mir bewußt war, muthwilligerweise mir keine gemacht zu haben. So unbekümmert war ich von der Reise zurückgekommen, und wenn auch Reyerbergs Gespräch mich ein wenig nachdenkend gemacht hatte, so schlug ich mir doch seine Prophezeyung bald aus dem Sinne, glaubte, er sähe die Sache nicht recht ein, und wurde täglich fester in meine Ruhe eingewiegt, da der Fürst itzt beynahe noch freundschaftlicher und vertraulicher wie zuvor gegen mich schien.

Unterdessen trat ein Umstand ein, welcher verursachte, daß ich nicht mehr so oft wie ehemals meinen Herrn in kleinern Circeln sehn und sprechen konnte. Madame Novanelle nämlich war schon kurz vor unsrer Reise zuweilen schwächlich gewesen, doch ging sie noch immer aus und sah auch Leute bey sich. Während unsrer Abwesenheit aber war ihre Unpäßlichkeit zu einer Art von Auszehrung hinangestiegen, so daß, als wir am 2ten Junius dieses Jahrs in die Residenz zurückkamen, die arme Person fast immer das Bette hüten mußte. Jetzt hörten freylich unsre Abendgesellschaften bey ihr auf; der Fürst schien aber in den ersten acht Tagen sehr besorgt um ihren Zustand, ging täglich hin und opferte ihr manche Stunde auf, fuhr nicht in das Schauspiel (besonders wenn Stücke gegeben wurden, die er nicht sehr liebte) und brachte dagegen die Zeit vor dem Bette seiner Freundin zu. In den folgenden acht Tagen ging er nur zweymal zu ihr, weil der Leibarzt, der zugleich des Herrn Präsidenten Hausmedicus war, ihm gerathen hatte, seine hohe Person nicht den gefährlichen Dünsten bey dem Krankenbette einer Schwindsüchtigen auszusetzen. Die Woche daraufkam er gar nicht mehr selbst, sondern schickte täglich einmal seinen Läufer hin, den er hernach aber um die kleinsten Umstände, welche die Kammerfrau zur Antwort gemeldet hatte, befragte, und wie dann so nach und nach die Menschen, besonders Fürsten, in der Lebhaftigkeit ihrer Theilnehmung an Gegenständen, die ihnen kein Vergnügen gewähren, nachlassen, so war es gegen Ende des Junius-Monats schon dahin gekommen, daß ein Generalbefehl in der Garderobe ertheilt war, täglich sich nach dem Befinden der Kranken zu erkundigen, ohne daß man jedoch weiter als etwa gelegentlich einmal nachfragte, wie es um sie stünde.

Diesen Augenblick nun wußte das Hofgesindel vortrefflich zu nützen. Man mußte etwas erfinden, um die leeren Stunden des gnädigsten Herrn auszufüllen, und das wurde auf folgende Art bewerkstelligt: Unter den Vergnügungen, welche der Fürst in dem Hause seiner Maitresse genoß, war auch die Music nicht vergessen. Novanelle sang recht schön. Unser Herr spielte eine fürstliche Flöte. Ich war, wie Sie wissen, ein Virtuoso auf der Violine, und ein paar Männer aus der Capelle wurden von Zeit zu Zeit zur Begleitung dazugenommen. Auf diese Art hatten wir oft kleine Privatconcerte, die unserm Sultane unbeschreiblich viel Freude machten, und außer diesen wurden noch zuweilen an Courtagen bey Hofe musicalische Academien gehalten, in welchen aber, wie sichs versteht, der Fürst nicht selbst mitspielte.

Seitdem nun die Maitresse so krank war, daß der Herr nicht mehr hinging, hörten jene kleineren Concerte auf und wurden dagegen die Academien mehrentheils zweymal in der Woche auf dem Schlosse gehalten, wobey der Stadtadel freyen Zutritt hatte und also auch das Fräulein von Mehlfeld erschien. Diese besaß selbst eine sehr reizende Stimme zum Singen und dabey ziemlich viel Geschicklichkeit im Clavierspielen, ja! sie gab sich sogar mit der Tonsetzung ab. Ich will nicht leugnen, daß es mit ihren Compositionen so ging, wie es gewöhnlich der Fall bey vornehmen Leuten ist, nämlich, daß sie irgendeinen aufgeschnappten Gedanken ihrem Lehrmeister, dem Herrn Capelldirector, dahertrillerte, er denselben dann zu Papier brachte, ausführte, und wenn das Ganze mit allen Stimmen aufgesetzt war, es für ihre Arbeit ausgeben, spielen und bewundern ließ. Genug! die Signora Mehlfeldina schrieb Arien, Concerte, Sinfonien, sei quartetti per Cembalo obligato, und schickte diese unehelichen Kinder frisch weg in die Welt. Der Herr Capelldirector war ein geschickter und artiger Mann, hatte dem Herrn Präsidenten viel zu danken, auch unter anderm eine ehemalige Haushälterin von ihm geheyrathet, speiste alle Donnerstage zu Mittage bey ihm und ließ sich dann aus Dankbarkeit also mißbrauchen.

Kürzlich hatte dies musicalische Paar eine schöne Bravourarie, nicht ohne Ursache, wie man nachher sehn wird, mit einer obligaten Flöte componiert. Der Text war aus Metastasios Demetrio (erster Aufzug, 14ter Auftritt) genommen und fängt sich an:

Dal suo gentil sembiante
Nacque il mio primo amore.

Sobald dies Stück fertig war, wurde es in der Academie bey Hofe aufgeführt; und wie jeden Tonkünstler die Sachen vorzüglich interessieren, in welchen das Instrument, das er spielt, am mehrsten zu thun hat, so wurde auch der Fürst durch die obligate Flöte sehr aufmerksam gemacht. Sie war mit Fleiß brillant und doch nicht sehr schwer gesetzt, und bey dem Worte sembia-a-a-a-ante machte sie tausend italienische Schnörkel. Serenissimus fanden ein großes Wohlgefallen an dieser Arie, lobten sie ungemein und hätten, wenn sie die Stimme exerciert gehabt und es für schicklich gehalten hätten, sich gern gleich an den Platz des Flötenspielers hingestellt und mitgetrillert. »Von wem ist dann diese Composition?« fragte der Fürst den Capellmeister. Hier trat der saubere junge Graf Löhfeld hervor, der überhaupt diesen ganzen Plan ersonnen hatte: »Wir haben«, sprach er, »diese herrliche Arie den Talenten des Fräuleins von Mehlfeld zu danken, von deren Erfindung schon so manche schöne Stücke hier aufgeführt worden sind.«

Der Fürst hatte im Grunde dieses schwarzäugige Mädchen nie recht leiden können, auch fast nie mit ihr geredet. Aber oft können kleine Umstände den Menschen umstimmen. Er erfuhr hier zum erstenmal, daß sie sehr musicalisch wäre. Ihr Oheim stand freylich nicht in Gnaden, aber doch wurde er noch immer mit einiger Schonung behandelt. Dazu kam, daß, da der Herr nun einmal gefragt hatte: von wem die Composition sey, es anständigerweise gar nicht zu andern war, der anwesenden Verfasserin ein Compliment darüber zu machen. Dies that er dann mit aller fürstlichen Artigkeit, und sie hatte eine so bescheidne Antwort auf diese zu erwartende Anrede auswendig gelernt (es fehlte ihr aber überhaupt nicht an Verstand), daß der Fürst zuerst den Gedanken faßte: »Ey! die Person ist doch wahrlich nicht so übel, wie mir Novanelle sie immer beschrieben hatte. Und was kann das arme Mädchen dafür, daß der alte Mehlfeld ihr Oheim ist?« Er sprach noch ein paar Augenblicke mit ihr über diese Arie, als sie hinzusetzte: »Möchte ich nur ein einzigmal so glücklich seyn, Ihro Durchlaucht die Flötenstimme spielen zu hören, und ich dürfte dann die Singestimme übernehmen! – Allein das ist freylich ein Wunsch, den ich nicht einmal so kühn seyn sollte, zu hegen; auch würde ich zu furchtsam seyn, mich vor den Ohren eines so hohen und feinen Kenners hören zu lassen.« – »Mein Gott! also singen Sie auch?« rief der Fürst erstaunt (Fürsten erstaunen dann leicht) – »et cela supérieurement bien, sur mon honneur«, setzte der Hofmarschall, welcher dabeystand, hinzu.

Es wurde noch allerley hin und her gesprochen, aber der Circel von verschwornen Hofleuten suchte immer wieder auf den Punct zurückzukommen, wie sehr es zu wünschen wäre, man möchte Ihro Durchlaucht nebst dem Fräulein diese Arie executieren hören. Dem Fürsten selbst war der Gedanke schon genug durch den Kopf gelaufen. Er wußte es nur nicht recht anzugreifen. Man wollte nicht öffentlich spielen; das Fräulein an einem andern Tage auf das Schloß holen zu lassen, ging doch auch nicht – Der Hofmarschall schnitt den Knoten mit der ihm eignen Unverschämtheit durch – »Wenn Sie, gnädigster Herr! es befehlen, so wird das Fräulein, wie ich glaube, mit tausendfachem, unendlichem Vergnügen un de ces jours in ihres Oheims Hause ein kleines Privatconcert veranstalten.« Das Fräulein, welches dabeystand, nahm die Sache, als wenn der Prinz schon ja gesagt hätte – Es ließ sich daher höhern Orts ohne Unhöflichkeit die Sache nicht abschlagen. Der nächste Sonntag wurde dazu festgesetzt, und auf den Gesichtern der ganzen Parthey war Freude und planreiche Hoffnung ausgedrückt.

Ich pflegte gewöhnlich spät an den Hof zu gehn, um zu Hause noch ein wenig arbeiten zu können. Als ich diesmal gegen Ende des Concerts erschien, schlich der Fürst wie ein Mann, der kein gutes Gewissen hat, auf mich zu, zog mich auf die Seite und sagte: »Sie werden Sich wundern, Clausbach! wenn Sie hören, daß ich auf künftigen Sonntag bey dem alten Präsidenten ein Concert veranstalten lasse. Es war nicht zu ändern, und man kann ja auch dem alten Manne einmal die kleine Freude gönnen. Nicht wahr? Was? Es scheint, als wenn die Leute das für etwas recht Großes rechnen. Nun! Sie werden doch auch erscheinen, Clausbach! und ihre Geige hinschicken?« – »Wenn ich eingeladen werde«, fiel ich ihm lächelnd in die Rede – Wir wurden aufmerksam beobachtet, und ich bin sehr überzeugt, daß die auf jede Miene so ausstudierten Hofleute getreulich übersetzt hatten, was unsre Gebärden sagten; denn kaum verließ mich der Fürst, als das Fräulein von Mehlfeld nach einem kurzen Gespräche mit ihrem jungen Grafen voll falscher Freundlichkeit auf mich zukam und mich auf den Sonntag zu sich einladete, da ich dann zu erscheinen versprach.

Sollten Sie es aber glauben? Der einzige kleine Umstand, daß der Fürst mit dem Fräulein gesprochen und eingewilligt hatte, in Mehlfelds Haus zu gehn, brachte auf einmal dem Hofgeschmeiße eine solche Steifigkeit in seine Reverenzknochen, daß es sich um drey bis vier Zoll weniger tief vor meiner Excellenz verneigte. Dies hatte ich nicht bemerkt, aber meinem Freunde Reyerberg, der auch zugegen war, entwischte dergleichen nicht, und nachdem er mich noch denselben Abend aufmerksam darauf gemacht hatte, wurde auch ich, mehr mit Verdruß als Unruhe, die folgenden Tage hindurch bis zum Sonntage gewahr, wie viel wirklich meine Feinde schon gewonnen zu haben glaubten – Sie kannten den Fürsten vielleicht besser wie ich, und der Hofmarschall betrachtete mich von diesem Augenblicke an schon wie einen verlornen Menschen.


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