Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Dreizehntes Capitel

Wie es in Hamburg mit der Ausgabe der ›Operum omnium‹ geht.

»Der Schlafrock ist doch nicht übel«, sagte ich zu mir selber und sah dabey auf die gelben Streifen hinunter, als ich des Abends in Hamburg ankam und mich auskleidete, um von den Ermüdungen der Reise auszuruhn. »Der Schlafrock ist doch wahrlich so übel nicht. Zwar ist der Stoff nicht nach der neuesten Mode, aber das Ding hält doch warm, und wenn ich auch erst werde meine opera omnia herausgegeben und des Geldes die Fülle haben, will ich doch diesen Schlafrock nicht verstoßen – Nein! ich will ihn zum Andenken an den herrlichen Spaß aufheben – Er hat auch Taschen«, sagte ich weiter und griff in eine derselben. Aber was für Augen machte ich, als – Doch ich muß erst, bevor ich diese höchst unerwartete Begebenheit erzähle, meine Leser wieder zurückführen und Sie bitten, einen Blick auf den Zustand meiner Finanzen zu werfen.

Die Gewohnheit, meine unreifen literarischen Arbeiten, wie warme Semmel, frisch weg verkaufen zu können, es sey auch um einen schimpflichen Preis oder nicht, hatte mich anfangs so sicher gemacht, daß ich nicht lange im Voraus sorgte, sondern, wenn ich den letzten Conventionsthaler wechseln ließ, gewöhnlich ein Heft Papier zusammennähete und einen Roman anfing, wovon ich das Titelblatt offenließ, bis mir während des Schreibens der Gedanke einkam, wovon das Buch eigentlich handeln sollte. Doch erinnere ich mich, meinen Lesern gesagt zu haben, daß ich zuletzt sorgsamer wurde, und als ich die Reise nach Hamburg antrat, einen ziemlich bespickten Beutel mitnahm. Reisen kosten aber Geld, und die feste Zuversicht, daß meine Verdienste in Hamburg besser geschätzt und meine opera omnia reichlich bezahlt werden würden, diese Zuversicht ließ mich eben nicht an Sparsamkeit denken. Es ist wahr, die hohe Meinung von der Gerechtigkeit, welche man hier meinen Talenten erweisen würde, minderte sich sehr, als ich, den Tag nach meiner Ankunft, incognito in einen Buchladen ging und nach den Werken des berühmten Dichters Claus fragte: »Sie meynen vielleicht«, erwiderte der Buchhändler, »den guten, liebenswürdigen Claudius, oder Asmus.« »Ey was! was geht mich Der an!« rief ich ungeduldig. »Ich rede von dem großen Manne, von Peter Claus, der den Roman Anne Marie und viel andre vortreffliche Werke dieser Art geschrieben hat.« »Ha! jetzt sehe ich«, sagte der Buchhändler lächelnd. »Ich sehe, Sie scherzen über den armen Peter Claus. Nun ja, mein Herr! freylich ist das ein elender Tropf, ein jämmerlicher Schriftsteller, ein hungriger Poet, ein schiefer Kopf. Aber, denken Sie nur an! so ein armer Schlucker will doch auch leben, hat vielleicht körperliche Gebrechen, so daß er nicht Holz hacken kann, und so schreibt er dann. Am Ende ist es doch besser, schlechte Bücher zu machen, als zu stehlen. Ich habe freylich noch viel Maculatur von seiner Arbeit liegen. Allein es findet sich doch hie und da noch ein Müßiggänger, der dies Zeug kauft und liest. Jetzt lasse ich eine Menge solcher Ware an die Meistbiethenden verhandeln. Es sind auch drey Jahrgänge vom teutschen Mercur dabey. Apropos! Haben Sie die . . . sche Blumenlese gesehn? Das ist auch so ein Werkchen! Doch, lieber Gott! was kann auch von daher Gutes hervortreten? Aber freylich aus Sachsen solche Clausische Producte zu bekommen! – Das ist zu arg.«

 

Hier konnte ich mich nicht länger halten. Voll Unwillen über diese Lästerung nahm ich meinen Hut und Stock und ging, ohne Abschied zu nehmen, zum Hause hinaus. Was mich indessen am empfindlichsten kränkte, war, daß ich, wohin ich auch in Hamburg kam, allgemein dasselbe Urtheil über meine Schriften hören mußte, folglich bald merkte, daß auch hier wenig wahrer Geschmack herrschte, und daß alle Hoffnung, meine opera omnia herauszugeben, so gut wie verschwunden war.

Freylich wußte ich dies Unglück noch nicht zum Voraus, als ich mich so herzlich meines neuen Schlafrocks freuete. Aber das Schicksal wußte es, und eben, da ich wirklich kaum noch drey Thaler in Barschaft hatte und nur auf den nahen Erwerb, den ich aus meinen Schriften ziehn würde, rechnete, führte mir die Vorsehung eine Hilfe zu – Denn, daß Sie es nur wissen, meine Herrn! als ich in die Tasche griff, fand ich einen Geldbeutel darin, den der gehörnte Ehemann in Braunschweig vermuthlich vergessen hatte, vielleicht auch eben deswegen zurückgekehrt war, um ihn wiederzuholen. – Kurz! ich fand einen Geldbeutel voll Gold und Silber – Als ich es zählte – o Du Welt! es waren vierundachtzig, schreibe 84 Reichsthaler, sieben gute Groschen, vier Pfennige darin – Wohl Dir, lieber Peter! Der Himmel verläßt die Seinen nicht. Jetzt laß die Schriftstellerey eine Zeitlang ruhn und sey lustig und guten Muths! Es lebe der Burgplatz in Braunschweig!

 

Als ich mich noch also der Freude über meinen gefundnen Schatz überließ, bekam ich einen Brief von meinem Freunde Reyerberg, darin er mir den Verfolg seiner Begebenheiten meldete. Er hatte in Mannheim eine Zeitlang mit der größten Geduld als Corrector und Übersetzer kümmerlich sein Brot verdient, war es aber am Ende auch müde geworden, so abhängig von Andern, nur ein Werkzeug zu Beförderung der Gewinnsucht eigennütziger Leute zu seyn. Zu stolz, um wie ein schlechter Schriftsteller das Publicum in Contribution zu setzen; zu wenig von seinem Berufe überzeugt, um mit Ehren in diese Laufbahn zu treten, faßte er endlich einen Entschluß, wozu ihm die Liebe den ersten Anschlag gegeben hatte. Er verliebte sich nämlich in eine Schauspielerin, und da er selbst eine sehr warme Einbildungskraft, Geschmack, viel Äußerliches, feines Gefühl, Lectüre, Sprachkenntnis und Wissenschaften besaß, dabey auch beynahe täglich mit den Schauspielern umging und ihm Derselben freye Lebensart gefiel, ließ er sich bey der Gesellschaft in Leipzig unter einem fremden Namen als Acteur annehmen und entschloß sich bald darauf, nebst seiner Geliebten nach Hamburg zu reisen, wohin ihn Herr Schröder berief, der ihn schon, dem Rufe nach, als einen Schauspieler voll Talente und guter Anlagen kannte. Also sollte ich dann das Vergnügen haben, meinen Jugendfreund auch hier wieder an meiner Seite zu sehn. Nun überließ ich mich ganz der Freude, ging aus einem Caffeehause in das andre, machte allerley lustige Bekanntschaften und legte es recht darauf an, mein bißchen Geld bald loszuwerden.

Wenn man aber auch den Autorgeist, wie, glaube ich, Horaz sagt, mit der Ofengabel austreiben wollte, so würde er doch zu gewissen Zeiten wieder in den Menschen fahren, in welchem er einmal gewohnt hat. Es konnte also nicht fehlen, daß ich hin und wieder in Gesellschaften ein Wort von meinen Schriften hätte fallen lassen, und das machte dann, daß die feinern, einsichtsvollern Leute und Kenner der Literatur, wie ich nachher wohl merkte, aus Spott, die Schwächern aber, die jeden Menschen, dessen Gedanken irgend einmal gedruckt worden, wie ein höheres Wesen ansehen, aus wahrer Devotion, mir gewaltig viel ausgezeichnete Höflichkeit bewiesen. Ich nahm inzwischen diesen Weyhrauch, der mir gar lieblich roch, mit einer anständigen, stolzen Bescheidenheit an und spielte indessen immer den wohlhabenden, von seinen Renten lebenden Mann, als einstmals des Abends, da ich mich in meinem Gasthofe zu Tisch setzen wollte, ein Mann mit einem getigerten Rocke, geglänzten Stiefeln und großem Hute auf mich zuging, mich auf die ehrerbiethigste Weise begrüßte und ausrief: »O Gott! So bin ich doch endlich so glücklich, dem seelenvollen Schriftsteller, dem Herrn Claus, hier persönlich zu huldigen, dessen unvergeßliche Schriften mir so manche wonnevolle Stunde gemacht haben! Gesegnet sey der Tag, der mich diese Zierde unsres Vaterlandes von Angesicht zu Angesicht sehn läßt.« In diesem Tone, bey welchem ich vor Freude einen Fieberfrost bekam, fuhr er noch ein Weilchen fort und fügte dann hinzu: »Aber wollen Sie denn so in dieser großen, unausgesuchten, Ihrer so wenig würdigen Gesellschaft speisen? Ich dächte, Sie ließen Sich lieber das Essen auf Ihr Zimmer bringen, und wenn Sie, vortrefflicher Mann! mir dann erlauben wollten, Sie zu begleiten und Sie wenigstens dies einzige Stündchen zu genießen – Welches Glück für mich!« – Es war natürlich, daß ich einen so artigen Herrn, einen so feinen Kenner der Literatur, und der so herrlich räucherte, mit Vergnügen auf mein Zimmer nahm, daß ich sogleich zwey besondre Portionen Essen bestellte, daß ich dem Wirth anbefohl, das Beste herzugeben, was er im Hause hätte, daß ich französische feine Weine bestellte, daß ich – daß ich vor Freuden kaum wußte, was ich that –

»Aber sollten Sie es denken«, fing ich während der Mahlzeit an, auszurufen, »sollten Sie es denken, daß es hier Leute gibt, die mich für einen platten Schriftsteller, für einen schiefen Kopf halten?« – »Schiefer Kopf?« rief hier mein Schmeichler aus. »Ha ha ha! ich muß lachen! Sie, ein schiefer Kopf! Nun wahrhaftig! das sind Kenner, die Leute! Sie ein platter Schriftsteller? ein schiefer Kopf? Wenn noch von mir die Rede wäre! – Meine kleinen Schriften« – »In aller Welt!« unterbrach ich ihn. »So sind Sie auch Schriftsteller? Verzeyhen Sie mir! ich sollte Sie darum nicht fragen. Ich sollte das schon wissen, sollte aus Ihren Reden wissen, welchen Mann ich vor mir habe. Auch war eine Ahnung dessen« – »Beunruhigen Sie Sich nicht!« sagte mein Gast. »Es hat nichts auf sich. Ich mache keinen Anspruch auf Ruhm. Ich habe nur bis jetzt noch unbedeutende Kleinigkeiten herausgegeben. Das Letzte, was ich geschrieben habe, war ein Plan zu einem protestantischen Inquisitionsgerichte. Ich habe es dem Hauptpastor Götze zugeeignet, und es ist von ihm gütig aufgenommen worden. Sonst habe ich nichts Erhebliches drucken lassen.«

Ich nahm nun Gelegenheit, meinem neuen Freunde die Idee wegen Herausgabe meiner sämtlichen Werke zu eröffnen. Er that mir den Vorschlag: ich sollte ihm nur das Manuscript anvertraun; es sey meiner Würde zuwider, meine Ware selbst auszubiethen. Er habe Bekanntschaft mit Buchhändlern, die sich darum reißen würden, einen solchen Schatz zu erkaufen. Voll Freude über dies Anerbiethen lief ich in die Cammer und holte meine Schriften hervor. Es waren dreyzehn gedruckte Bände, mit Papier durchschossen, worauf meine Verbesserungen geschrieben waren. Dabey befanden sich noch außerdem vier Bände Manuscript. Das alles lieferte ich mit großem Vergnügen in die Hände meines dienstfertigen Gastes. Er zeichnete mir seinen Namen auf, nannte mir seine Wohnung, bey dem Sattler Preller, am Mönke-Damm, und eilte darauf, unter tausend Danksagungen, beladen mit allen meinen Producten, davon.

Er war kaum fort, als ich meinen kleinern Geldbeutel suchte, der auf dem Tische gelegen hatte, denn ich wollte ausgehn, und es waren etwa fünfzehn Thaler darin gewesen. Aber wie erschrak ich, als dieser Geldbeutel und meine silberne Uhr, welche dabey gelegen, fort waren! Nun gingen mir die Augen auf. Ich dummer Mensch! Ja! wenn ich erst eben in die Welt geblickt hätte, dann wäre es kein Wunder gewesen; aber daß ein Mann, den man so vielfältig betrogen, der so viel Betrug gesehn und selbst betrogen hatte, daß sich Der noch durch die elende Schmeicheley eines solchen Taugenichts also bey der Nase herumführen ließ – das war nie, nie zu vergessen noch zu verzeyhn – O Peter Claus! Wo war da Deine Feinheit? – Unwürdiger Schüler des großen Haudritz, des größern Ventaulair und des noch größern Noldmanns! So mußt Du denn hier vor dem Leser in dem elendesten Lichte erscheinen!

»Wenn ich nur wenigstens meine opera omnia retten könnte!« rief ich aus, als der erste Taumel vorüber war – Und dann fort zu dem Sattler Preller auf den Mönke-Damm! Aber, o ihr Elemente! und Du ganzer verdammter Haufe von heidnischen Musen und Gottheiten! Wer von Euch wird mir die Ausdrücke eingeben, um den seelenkrampfartigen Schmerz zu beschreiben, der mich durchwühlte, als ich auf dem Mönke-Damme nach dem Sattler Preller fragte und erfuhr, daß ein solcher Mann gar nicht dort lebte noch webte, auch nirgends zu erfragen wäre? – Es war alles hin – o unglückliches Schicksal! Verflucht sey dann alle Schriftstellerey! – Ich hatte kaum noch drey alte Louisd'or im Vermögen – Und meine Werke – Was sollte ich nun anfangen?


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