Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Neuntes Capitel

Die Welt weiß ihre Philosophen und Propheten nicht zu schätzen.

Ein halbes Jahr hindurch genoß ich noch diesen herrlichen Unterricht. Unterdessen war der Chevalier de Ventaulair weiter auf Werbung gegangen, nachdem ihm vorher mein Apotheker tausendfältig dafür dankte, daß er mich zu ihm geführt hatte. Mein Patron und ich, wir waren itzt ein Herz und eine Seele, und die Practik ging vortrefflich von Statten. Auch seine Terminologie hatte ich meisterhaft inne und konnte stundenlang mit der heiligsten Wärme von Dingen reden, wobey ich weder etwas dachte noch fühlte und die ich so untereinander zu werfen verstand, daß meine Zuhörer nicht das Leere und Widersprechende in meinem Systeme fassen, ja! nicht einmal, bey so viel Winde, wenn ich alle Segel spannte, mir in meinem Gedankenfluge folgen konnten. Auch schien ich nun bestimmt, das Handwerk bald ohne Führer treiben zu sollen; denn, als in Regensburg ein ansteckendes Fieber wüthete und wir manchen davon befallnen Kranken durch unsre chymischen Mittel von diesen und allen übrigen Leiden der Welt befreyet hatten, befiel es endlich auch meinen Herrn Apotheker, und ungeachtet wir sieben verschiedne Universalmittel bey ihm versuchten, starb doch der gute Mann den dreyzehnten Tag seiner Krankheit unter heftigen Zuckungen. Er schien noch viel auf dem schweren Herzen zu haben, das er mir gern gesagt hätte und das ihn sehr drücken mochte, aber er verlor die Sprache und hinterließ uns Alle neugierig, verwaiset und traurig.

Herr Noldmann (ich hätte schon längst den Namen dieses Propheten nennen sollen) hatte keine Kinder, aber doch eine kleine dicke Frau, von etwa vierzig Jahren, die sich nur insoweit um den heiligen Beruf ihres Mannes bekümmerte, wie ihr derselbe Geld einbrachte. Sie lebte gern gut und bequem, doch wendete sie wenig an Kleidung, und auf ihre Sitten war nichts zu sagen. Häßlich war sie eben nicht, nur hatte sie etwas Sommerflecke und kleine smaragdene Augen. Die arme Frau schien nun verlegen zu seyn, wie sie es künftighin mit der Apotheke halten sollte; da sie aber viel Zutrauen zu ihrem unwürdigen Provisor bezeugte, war sie auch nicht abgeneigt, das Werk unter meiner Anleitung fortzuführen, wozu ich gern die Hände both. Dies brachte eine Art von Vertraulichkeit unter uns, die sich damit endigte, daß nach und nach von beyden Theilen entfernterweise Heyrathsanträge auf die Bahn kamen, die dann auch nicht weit weggeworfen wurden. Endlich reifte dieser Plan zu einer förmlichen Erklärung, und wir versprachen uns in der Stille; die Hochzeit sollte, sobald das Trauerjahr zu Ende seyn würde, vor sich gehn.

Es fügte sich aber zum Unglücke, daß in Regensburg eine Gesellschaft menschenliebender, edler Männer war, die sich mit dem echten reinen Studium der Natur beschäftigten und sichs angelegen seyn ließen, jeden Betrug zu entlarven, den Quacksalbern das Handwerk zu legen und unter höherem Schutze einen sicherern, einfachen Weg der Erkenntnis zu eröffnen. Diese Männer waren seit langer Zeit aufmerksam auf die Schritte der Afterphilosophen gewesen und hatten nur die Gelegenheit abgewartet, uns unser bezügliches Handwerk zu legen. Solange mein Apotheker lebte, war dies nicht so leicht zu bewerkstelligen gewesen. Er hatte viel Anhang unter großen und kleinen Leuten, und die verschiednen Schriften, in welchen man das Publicum aufmerksam auf unsern Schleichhandel gemacht hatte, halfen nur dazu, den Verfassern Verfolgung zuzuziehn und die guten Menschen, die es redlich mit ihren Mitbürgern meinten, wie Verleumder zu brandmarken.

Aber jetzt war der Zeitpunct, wo man kräftiger wirken konnte, und leider! mußte die ganze Schande auf mich fallen. Ich fuhr fort, ad modum Noldmanni Kranke zu heilen, und das müßte ein schlechter Schüler seyn, der es nicht weiter wie sein Meister brächte. Mein Ruf fing an, groß zu werden, doch Eine unglückliche Cur, die ich an einem armen Tagelöhner vornahm, der von der rothen Ruhr befallen war und leicht hätte geheilt werden können, wenn er nicht in meine alchymischen Hände gerathen wäre, machte Allem ein Ende und gab meinen Feinden das Zeichen zum Angriffe. Man sprach laut davon, daß ich den Mann umgebracht hätte und daß es der Mühe werth sey, den Magistrat, ja! den ganzen Reichstag aufmerksam auf eine Rotte von Giftmischern und Beutelschneidern zu machen (Stellen Sie Sich vor! so wagte man es, uns zu nennen!), welche so lange ihr Handwerk ungestraft fortgeführt hätten. Ich versuchte nebst meinen treuen Gehilfen alle jesuitischen Mittel, dieses drohende Ungewitter zu zertheilen – Aber vergebens! Zum Glück erfuhr ich früh genug, daß man uns sämtlich in Verhaft nehmen und unsre Papiere untersuchen würde. Weil ich es nun nicht rathsam fand, eine solche Catastrophe abzuwarten, packte ich mein bares Geld, etwa fünfhundert Thaler, und meine besten Sachen in der Eil zusammen, schlich mich damit aus dem Thore, sah zuweilen hinter mich zurück und verließ Braut, Ehre, Officin, Philosophie und Praxis.

 

Nun war ich dann dem Staupbesen glücklich entwischt und kaum über die Grenze; so setzte ich mich auf die Post und fuhr, Tag und Nacht durch, nach Straßburg zu, woselbst ich meinen ehemaligen Herrn, den Ritter Ventaulair zu finden und ihm mein Schicksal klagen zu können hoffte. Allein ich verfehlte dieses Zwecks, und als ich, nach achttägigen verlornen Nachforschungen, schon entschlossen war, nach Paris, dem Tummelplatze aller Windbeutel Europens, zu reisen, ging ich noch den letzten Abend, nachdem ich den ganzen Tag umhergelaufen war, die herrlichen Seltenheiten von Straßburg in Augenschein zu nehmen, in das französische Schauspiel, um mit Leib und Seele zu ruhn und mich abzukühlen.

Es war kaum der erste Aufzug eines Trauerspiels voll schöner Sentiments überstanden, so daß ich nunmehro an den Fingern erzählen konnte, was folgen würde, als auf einmal ein Mann von meinen Jahren (Im Vorbeygehn gesagt! ich war deren jetzt einundreißig alt) sich durch den Haufen der Zuschauer drängte und mir mit allen Zeichen der lebhaftesten Freude um den Hals fiel. Ich erschrak – Aber, wie groß war meine Überraschung, als ich gewahr wurde, daß mein Jugendfreund, Ludwig von Reyerberg, mich in seinen Armen hielt!

Nun ließen wir die Comödie Comödie seyn, gingen hinaus und gradeswegs in den Raben, wo Reyerberg abgetreten war, da ich dann kaum erwarten konnte, daß wir uns allein befanden, um mir seine Geschichte, von der Zeit an, da er mit seinem Engländer Braunschweig verließ, erzählen zu lassen. Er war bereit dazu und befriedigte, bey einer Flasche Elsässer Wein und einem leichten, fröhlichen Abendessen, folgendermaßen meine Neugier:

»Du weißt, mein lieber Claus! daß die Absicht meines Engländers war, zuerst die teutschen Höfe in ihrem armseligen Glanze zu sehn, dann eine Curzeit in Spa hinzubringen und von da durch Holland und Frankreich nach Italien zu gehn. Der erste Theil dieses Plans wurde ins Werk gesetzt, und weil ich vermuthete, daß ich irgendwo meinen altern Bruder David oder einen andern Bekannten antreffen würde, so fand ich es nöthig, meinen Namen zu verändern und Reyerberg in Falkenthal umzutaufen. An den Gesichtszügen war ich gewiß, von meinem Bruder nicht erkannt werden zu können. Ich will Dich, mein lieber Peter! nicht mit der Beschreibung der Höfe, die wir besuchten, ermüden. Nur so viel davon! Wer einen gesehn hat, der kennt sie, im Größern oder Kleinern, alle. Betteley im Öconomischen und Intellectuellen, mit der Maske einer armseligen Pracht bedeckt, Neid, Bosheit, Unwissenheit, Selbstgenügsamkeit, bey der entschiedensten Dummheit, Langeweile, Schmeicheley, Ränke, Schlaffigkeit, Verderbnis der Sitten, Frivolität, Inconsequenz, Krankheit der Seele und des Leibes, Vorurtheile aller Art in dem Gewande der Aufklärung, empörender Despotismus – Kurz! hospitalsmäßige Herabwürdigung des Menschengeschlechts – weiter habe ich an ihnen nichts wahrgenommen (ich nehme ein paar Höfe aus). Auch waren wir so ermüdet von diesem allen, daß wir, da ohnehin die Brunnenzeit herannahete, uns auf den Weg nach Spa begaben. Was mich noch vorzüglich wünschen machte, bald aus diesen Hofverbindungen zu kommen, war, daß ich in ***, wo wir aber nur drey Tage verweilten, meinen ältern Bruder antraf. Du kannst es nicht glauben, welchen Eindruck diese unvermuthete Zusammenkunft auf mich machte. Er kannte mich nicht, und ich sah ihn also ganz in seiner eignen Brühe. Dort ist er Hofrath und Cammerjunker, und sein unglücklicher Hang, zur Schmeicheley, zur Verstellung und zu kleinen kriechenden Mitteln seine Zuflucht zu nehmen, hat sich leider! immer deutlicher entwickelt, und weil er damit die äußerste Vorsichtigkeit im Umgange verbindet, den Großen und deren Creaturen Weyrauch streuet, auch äußerst fleißig in seinem Dienste ist, so wird er es gewiß weit bringen. Dabey steht er in dem Gerüche von Heiligkeit, weil er mit verstellter Gottesfurcht fleißig die Kirche besucht, auf seinem Schreibtische Bibeln, Gesang- und Gebethbücher liegen hat, indes ich, ungeachtet ich mir wahrlich Mühe darum gegeben, doch auch nicht einen einzigen edeln Zug aus seinem Privatleben erfahren und nicht Einen Menschen gefunden habe, der sein warmer Freund oder Feind gewesen wäre. Wie gern hätte ich mich ihm entdeckt! Aber sein Character stieß mich zurück. Ich erfuhr von ungefähr durch ihn den Tod meines alten Vaters, der mich einige kindliche Thränen gekostet hat. Mein Bruder trauerte noch um ihn, und als er mir das erzählte, fügte er hinzu: Wir sind Alle in Gottes Händen; der alte Vater war ein guter, frommer Mann. Vermögen hat er nicht hinterlassen, aber mir, dem Himmel sey Dank! eine christliche Erziehung gegeben. Ich bin sein einziger Sohn und muß mir meinen Unterhalt durch das Wenige, was ich gelernt habe und woraus die Leute mehr Werks machen, wie ich verdiene, erwerben. – Der Schalk! Wir wollen nicht weiter an ihn denken. Auch war ich froh, daß wir nicht länger an dem Orte blieben. Gegen Anfang des Junius kamen wir nach Spa.

Es war eine ungeheure Menge von Fremden aus allen Nationen daselbst versammelt. Es schien eben nicht, als wenn sie hingereist wären, um Gesundheit zu holen, denn außer daß sie sich Nacht und Tag in Ausschweifungen und Wollüsten herumtummelten, war auch keine Leidenschaft zu erdenken, welche hier nicht gereizt wurde, wozu Trunk, Spiel und Weiber Gelegenheit gaben. Es befanden sich viel Engländer daselbst und so viel teutsche Prinzen, daß es erbärmlich anzusehn war. Diese Letztern affectierten dann den großen Ton der Pariser und Londoner Welt, der sie freylich sehr schlecht kleidete, welches sie aber, wie sichs versteht, nicht merkten, sondern immer fortwatschelten, den reichen und feinen Fremden zum Gespötte dienten und mehrentheils nach vier Wochen mit leeren Beuteln und noch mit Schulden obendrein abzogen. Es wurde stark gespielt, Southerland nahm sich aber sehr in Acht. Indessen gerieth er einst in eine Gesellschaft, in welcher ein Franzose, Monsieur de Saintouche, eine Quinze-Partie vorschlug, welche mein Freund annahm. Ich war eben damals unpäßlich und also zu Hause geblieben. Mein Engländer hatte den Franzosen gleich anfangs nicht leiden können, und da dies Spiel ohnehin leicht zu Streit Anlaß gibt und Saintouche ein paarmal fluchte, wenn Southerland ihn mit elf Augen gegen dreyzehn nach Hause jagte, wurde unser Freund hitzig und gerieth mit Jenem in so heftigen Wortwechsel, daß sie sich endlich auf Pistolen herausforderten. Die Sache wurde so ernstlich getrieben, daß man von beyden Seiten sich den Tod schwur und alle Vorkehrungen zur Sicherheit des übrigbleibenden Theils machte. Southerland vertrauete mir seine Börse, Wechsel und Schriften an, mit der Bitte, sein Secundant zu seyn und, wenn er umkommen sollte, nach seinem Tode das Geld zu behalten und zu seinem Bruder nach England zu reisen, der weiter für mich sorgen würde. Wir ritten am folgenden Morgen hinaus. Der Engländer war sehr hitzig, der Franzose hingegen sah heimtückisch und prahlerisch aus. Er hatte noch einen Aventurier, einen Italiener, bey sich. Der Kampf fing an; sie schossen beyde zweymal vorbey, außer daß mein Freund mit einer Kugel seines Gegners linken Arm streifte. Nunmehr griffen sie zu den Degen. Saintouche focht meisterhaft gut, obgleich mit allen seiner Nation eignen Windbeuteleyen, machte Gebärden, als wenn er Zuckungen bekäme, und schrie, als wenn er rasend wäre. Southerland aber stach blindlings auf ihn zu, sah im Affect nicht die Blößen, die er gab, und rannte sich selbst den Degen durch das Herz, wodurch mein Freund und Wohlthäter augenblicklich tot zur Erde gestreckt wurde. Nun blieb mir nichts übrig, als mich eilig über die Grenze zu machen und die traurige Nachricht nach England zu bringen. Ich reiste mit schwerem Herzen ab; das Bild des sterbenden Southerlands, der so manche edle, schätzbare Seite hatte, der mein Retter gewesen zu einer Zeit, wo ich arm, verlassen und auf sehr schlüpfrigen Wegen war – Dies Bild folgte mir überall.

Ich fand, als ich nach England kam, den Bruder meines Freundes auf seinem Landgute. Er war ein stolzer Mann, empfing mich äußerst kalt, hörte die Nachricht von dem unglücklichen Vorfalle ziemlich gleichgültig an, oder wenn er einige Empfindung dabey äußerte, so war es mehr Unwillen wie Betrübnis, und er schien selbst mir Vorwürfe darüber machen zu wollen, daß ich den Zweykampf nicht verhindert hätte. Unterdessen bat er mich doch, einige Zeit bey ihm zu bleiben, wurde nach und nach vertraulicher gegen mich, ich schien ihm zu gefallen, und endlich both er mir sogar an, mich als Gesellschafter bey sich zu behalten. Allein nicht nur mißfiel mir der stolze Mann sehr, so daß ich weder Wohlthaten von ihm annehmen noch in einem dauerhaften Bündnisse mit ihm stehn zu können glaubte, sondern ich erfuhr auch bald, daß er, wider die Gewohnheit seiner Nation, so eifersüchtig gegen seine Frau wäre, daß ich fürchten mußte, er möchte einst auch mir von dieser Seite nicht trauen. Also beschloß ich, wieder nach Teutschland zurückzukehren, und nahm Abschied. Dem Engländer war dies wirklich empfindlich, aber er wollte es nicht merken lassen, folglich empfahl er sich mir höflich, drang mir noch Geschenke auf, mit denen ich dann nach Calais und von da durch Frankreich hierher reiste. Jetzt, mein Bester! befriedige aber auch das Verlangen, das ich habe, Deine weitern Begebenheiten zu hören.«

Ich hatte meinem Freunde mit inniger Theilnehmung zugehört, und da jetzt die Reihe an mich kam, von meinen Schicksalen Rechenschaft zu geben, erzählte ich kurz alles, was die Leser schon wissen, und so brachten wir dann den Rest des Abends bis Mitternacht im Genusse der Freundschaft und in Fröhlichkeit hin.


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