Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Erstes Capitel

Woher die Irrung entstanden ist,
welche dem armen Peter das neue Abentheuer zugezogen hat.

Die Leser des ersten Theils meiner Geschichte (Ich hoffe, ihr Name heißt Legio) werden so gnädig seyn, Sich zu erinnern, daß ich Ihnen am Ende des fünfzehnten Capitels ein gräßliches Abentheuer erzählt habe, das mir begegnete, als ich den 27sten August 1776, morgens 3 Uhr, von dem Totenbette des Herrn Brick weg mit meinem versiegelten wichtigen Manuscripte in der Tasche zu Reyerberg eilte. Ich zweifle nicht, Ihr gutes Herz wird indes meinetwegen in Sorgen gewesen seyn; ja! Sie werden für mich gezittert haben und Sich nicht eher beruhigen können, bis Sie erfahren werden, was wohl die Männer, welche mich mit Gewalt in die Kutsche schleppten, mit mir angefangen haben. Wenigstens müßte ich ein elender Schriftsteller seyn, wenn ich mich nicht mit der Hoffnung schmeichelte, mein Buch habe bey Ihnen großes, warmes Interesse für meine Person erweckt. In dieser Zuversicht fange ich auch gleich wieder frisch die Fortsetzung meiner Geschichte an, ohne eine bescheidne Vorrede vorauszuschicken und darin um Verzeyhung zu bitten, daß der vorige Theil nicht besser gerathen ist. So etwas ist mir in den Tod zuwider, und ich pflege ein Buch, worin ich dergleichen finde, wegzuwerfen, ohne weiterzulesen. Denn ich denke, wenn der Verfasser mit solchen erzdummen Erklärungen sein Werk in die Welt schickt, so sieht man es, er hat nicht einmal die einzige Entschuldigung für sich, daß wenigstens Er es für gut hielt. Diesemnach erkläre ich feyerlich, daß ich die Geschichte Peter Clausens als ein sehr lehrreiches und angenehmes Buch, als ein classisches Werk empfehle, hoffe und wünsche, Sie sämtlich, meine werthesten Damen und Herrn! werden ebenso davon denken und einer Fortsetzung begierig entgegensehn, weswegen ich dann nunmehr zur Sache eilen will.

Zu besserer Entwickelung und Erläuterung der Begebenheit, welche mich so plötzlich traf, muß ich aber mit meiner Erzählung wieder um ein paar Schritte zurückgehn.

Als ich abends den 26sten August zu dem Herrn Brick gehn wollte, um die Nacht bey seinem Bette zuzubringen, trat ich vorher in einen nahegelegnen Gasthof und ließ mir daselbst ein Butterbrot und eine Flasche Wein geben, um mehr Kräfte zum Wachen zu haben. Es war außer mir niemand im Tafelzimmer als ein Mann, ungefähr von meinen Jahren, das heißt etwa 36 bis 37 Jahre alt. Wie ich nun immer sehr gesellig gewesen bin, so war ich dann auch hier gleich bereit, ein Gespräch anzufangen. Er sah ganz rechtlich aus, trug ein gelblich seidnes Kleid mit gestickten silbernen Knöpfen, eine Weste von Silberstoff, einen hübschen großen Castorhut, große Schnallen, die auch auf Kutschpferdegeschirren ihren Platz erfüllt haben würden – Mit Einem Worte, er war ein Mann, vor dem Jeder den Hut abgezogen haben würde, der nicht Chapeaux bas gegangen wäre. Ich fing vom Wetter, von Krieg und Frieden, vom Schauspiele, vom Hauptpastor Götz, von Toleranz und von manchen andern gemeinen Dingen ein Gespräch mit ihm an, aber seine Antworten waren kurz, zerstreuet, und er spazierte dabey mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, rang die Hände und schien von einer großen Gemüthsunruhe gequält, welche er vor mir zu verbergen suchte. Es mochte etwa eine halbe Stunde also vorübergegangen seyn, als der Hausknecht hereintrat, diesem Herrn ganz in der Stille ein Billet zusteckte und dann wieder fortging. Kaum hatte es der Fremde gelesen, als sich seine Unruhe sichtbar vermehrte. Er schlug sich mit der dicken Faust vor die Stirne, kehrte oft schnell auf seinem Wege um, näherte sich der Thür, kehrte wieder um, ging auf mich zu, entfernte sich wieder – Mir ging das durch die Seele –

Ich bin wirklich von jeher ein guter, mitleidiger Narr gewesen, und wenn ich besonders meine Neugier, eine sonderbare Begebenheit zu erfahren, zugleich mit dem Triebe, einem Leidenden zu dienen, vereinigen konnte, war ich gern bereit, mich dem Unglücklichen aufzudringen. Ich stand daher vom Stuhle auf, ging auf den Fremden zu, ergriff ihn bey der Hand und sagte: »Mein Herr! Sie scheinen in Verlegenheit zu seyn. Kann ich Ihnen helfen, so eröffnen Sie Sich mir, ohne Scheu! Ich bin nicht unempfindlich bey dem Elende Anderer und diene gern, wo ich kann.« Er blieb plötzlich stehn, sah mir starr in die Augen, vielleicht um in meinen Blicken zu lesen, ob ich es redlich meinte – Dann schwieg er eine Zeitlang – Endlich fing er an: »Ja wohl bin ich in Verlegenheit, und das in sehr großer. Helfen können Sie mir auch, aber ich wage es nicht, Sie um eine kleine Gefälligkeit zu bitten, da ich Ihnen ganz fremd bin, obgleich diese Gefälligkeit Sie weder Mühe noch Geld kosten würde.« – »Und wenn das auch!« fiel ich ihm in die Rede. »Nur heraus damit!« – Er fuhr fort: »Meine Geschichte ist zu weitläufig, zu verwickelt. Auch bin ich jetzt nicht in der Gemüthsverfassung, sie Ihnen zu erzählen. Nur so viel: Ich werde ohne meine Schuld verfolgt. Man lauert mir auf. Ich habe keinen Freund, keinen Bekannten hier und muß eilig Hamburg verlassen, wenn ich nicht meinen Feinden in die Hände fallen will, wovor mich eben dieser Brief ohne Namen warnet. Es ist noch hell auf der Gasse. Man wird mich an meiner Kleidung kennen – Wenn Sie aber mit mir die Kleider vertauschen wollten« – »Mein Herr!« sagte ich bedächtlich, indem mir der Conte di Tondini und das Wäldchen bey Wolfenbüttel einfielen. »Mein Herr! das ist eine verteufelt kitzlige Sache« – »Wieso? bester Mann!« rief er dringend. »Wenn jemand käme und Sie anredete – Man wird Ihrer Person kein Leid zufügen. Ich habe kein Verbrechen begangen – Dann wird sichs gleich ausweisen, daß Sie der rechte Mann nicht sind. Zudem können Sie ja, bis es dunkel wird, hier verweilen, und ich schleiche mich indes in Ihrem braunen Rocke und grauen Überrocke zum Hause hinaus, auf ein Schiff, dessen Besitzer mich schon verbergen wird, bis ich morgen ganz frühe die Stadt verlassen kann, um nach Holland zu reisen. An der Kleidung haben Sie keinen Verlust – Edler Menschenfreund! (denn dafür sehe ich Sie an) Helfen Sie einem Unglücklichen, der Ihnen ewig dankbar seyn wird!« – Was soll man machen? »Ey nun!« dachte ich, »was ist es dann auch weiter? Ich bleibe bis gegen zehn Uhr hier, gehe dann getrost die wenigen Schritte zu Brick und lasse mir dahin morgen andre Kleider bringen.«

Gedacht, gethan! Wir wechselten die Kleider. Er umarmte mich mit den Ausdrücken der wärmsten Dankbarkeit, hüllte sich ein, drückte meinen runden Hut tief in die Augen und schlich davon.

»Das war wieder ein dummer Streich, Peter Claus!« rief ich, als er fort war. »Wer weiß, wie das Ding zusammenhängt! – Doch was thut es? – Noch eine Flasche Wein, Friedrich! – Der Rock sitzt, hol mich der Henker! als wenn er mir an den Leib gemessen wäre.« – Das Abentheuer fing an, mir zu gefallen. Ich ging sorgenlos im Zimmer auf und ab, setzte den schönen Castorhut auf – Es traten zwey Fremde herein, sahen mich von der Seite an und entfernten sich wieder – Vermuthlich waren es dieselben, welche mich nachher spazierenfahren ließen (obgleich nicht acht Jahre lang, wie einst der Herzog von Curland seinen Feind durch das ganze russische Reich fahren ließ).

Nach zehn Uhr verfügte ich mich zu dem kranken Brick, und als Dieser seinen Geist aufgegeben hatte, war ich wirklich zu sehr mit andern Empfindungen erfüllt, als daß ich hatte an meinen Rock denken sollen. Man hatte mich wahrscheinlich die ganze Nacht durch bewacht, und als ich aus dem Hause trat, fiel ich auch gleich den Feinden des Mannes, dessen Kleider ich trug, in die Hände.


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