Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Erstes Capitel

Peters Herkunft und erste Erziehung.

Mein Vater hieß Joachim Claus und war ein ehrlicher Schuster in Eldagsen, einem kleinen Städtchen unweit Hannover. Er war durch seine Heyrath mit meiner Mutter, Leonoren Dromeyer, den vornehmsten Familien in Eldagsen verwandt geworden; denn mein Oheim, der Herr Apotheker und Bürgermeister Johann Valentin Dromeyer, trug des Sonntags und wenn er nach Hannover reiste, eine große runde Perücke, einen braunen Rock mit gelben Knöpfen und eine rothe plüschene Weste. Auch würde dieser Magnat schwerlich seine Schwester je einem Schuster gegeben haben, wenn nicht gewisse Umstände vorhergegangen wären, die mir hernach das Vergnügen verschafften, meiner Eltern Hochzeit beyzuwohnen.

Kaum war dies Hochzeitfest vorbey, auf welchem die Ärmsten von meiner Mutter Verwandten Ehren halber erschienen, der Oncle Valentin aber sich mit einer leichten Unpäßlichkeit entschuldigte, als unsre vornehmen Verwandten sich fernerhin nicht mehr um uns bekümmerten, ihre Schuhe bey einem andern Meister machen ließen und dem lieben Gotte, der so manchen Taugenichts zu ernähren hat, anheimstellten, weiter für uns zu sorgen.

Ich war sechs Jahr alt, als meine Mutter im Kindbette, zugleich mit einem kleinen Mädchen, das sie zur Welt brachte, starb; und so war ich nun fernerhin der Obhut meines Vaters überlassen, der nicht wieder heyrathen wollte, weil er außer mir keine Kinder hatte, folglich seinem Hauswesen leicht ohne Weib vorstehn konnte, übrigens auch schon in den fünfzig Jahren, die er alt geworden, ziemlich von seiner Neigung zum schönen Geschlechte zurückgekommen war. Er theilte also seine Sorgen unter der Vertreibung seines Handwerks und der Abrichtung einiger Blutfinken, die er das Trompeterstückchen und Nun ruhen alle Wälder pfeifen lehrte, um sie sodann zu verkaufen. Den kleinen Haushalt führte seine alte Schwester, und ich wurde in die Schule geschickt, woselbst der Cantor Klingenheim sich beschäftigte, einem Haufen Knaben allerley nützliche Kenntnisse einzuprügeln. Ich bekam meinen Antheil an Unterricht und Schlägen täglich zugemessen, aber ich bekenne gern, daß es mir immer mehr von letztern als ersterm trug, und dies um so mehr, da meines Vaters Vermögensumstände ihn außer Stand setzten, dem Herrn Cantor durch seine Geschenke eine andre unschuldige Gemüthsergötzung auf unsre Kosten zu verschaffen.

Es wohnte in Eldagsen ein verabschiedeter Hauptmann, von Reyerberg, der zwei Söhne hatte, die er in eben dieselbe Schule schickte, weil er nicht reich genug war, einen Hauslehrer zu besolden, oder vielmehr, weil er lieber für das Geld, das er diesem hätte geben müssen, zwey Reitpferde hielt, die er auch zuweilen an einen kleinen offnen Wagen spannte, wenn er nach Hannover fuhr, um seine Pension selbst abzuholen und einen Theil davon in dem Wirthshause zu den drey Cronen, in der Beckerstraße, zu verzehren.

Der älteste Reyerberg hieß David, der jüngste Ludwig. David war sehr sittsam, führte sich immer still und anständig auf, schmeichelte dem Herrn Cantor, hielt sich gern zu alten Leuten, ermahnte oft seinen Bruder, wenn Dieser ungezogen war: doch seines Standes nicht zu vergessen, lernte alles wohl auswendig, was ihm aufgegeben wurde, und war also bey jedermann beliebt. Dabey wußte er sich durch Klatschereyen bey dem Herrn Vater in Gunst und den armen Ludwig herabzusetzen. Übrigens war er sehr reinlich in Kleidung; und da er gar kein Geschick zu Leibesübungen hatte, gab er sich auch damit nicht ab, fiel also nie und zerriß selten etwas.

Ludwig hingegen war voll Feuers, balgte sich immer mit andern Jungen herum, lachte über alles, was ihm lächerlich vorkam, sagte immer, was er dachte, spielte seinem Lehrer und allen ernsthaften Personen, die ihm unerträglich waren, unzählige böse Streiche, wollte nichts lernen, sprach über alles, was ihm vorkam, mit Witz und grader gesunder Vernunft. Nichts war ihm unangenehmer, als geputzt zu seyn. Seine Kleider waren mehrentheils übel zugerichtet, denn er wollte jeden Sprung, jede körperliche Übung, die er sah, nachmachen, war auch sehr leicht und geschwind, fiel aber doch oft jämmerlich und wurde vom Hauptmanne und allen seinen Freunden für einen Jungen gehalten, aus dem nichts werden würde als ein liederlicher Fähndrich.

Was mich betrifft, so liebte ich den jüngsten Bruder mehr wie den hochgepriesenen David. Indessen kann ich doch nicht sagen, daß ich ganz so wild gewesen wäre wie Ludwig. Mein geringrer Stand, die Armuth und Unterdrückung meines Vaters, welches alles auf mich bey der Begegnung, die ich von Andern erfuhr, wirkte, gab meinem Geiste nicht so viel Schwung und Unabhängigkeit.

 

Bis in mein vierzehntes Jahr widerfuhr mir eben nichts Außerordentliches. Mein Vater hatte sein mäßiges Auskommen, war aber, wie es oft geschieht, so unzufrieden mit seinem Stande, daß er darauf fluchte und schwur, ich solle ein ganz andrer Kerl werden als er. Zu diesem Endzwecke mußte ich Musik, Rechnen, Schreiben, Lateinisch und noch überdies ein wenig Geschichte und Erdbeschreibung lernen, wofür eine adelige Dame in der Nachbarschaft, für welche mein Vater arbeitete und die sich Meiner annahm, besonders bezahlte. Meines Vaters Pläne gingen auch so hoch mit mir hinaus, daß er einen braven Schulmeister aus mir zu ziehn dachte. Aber der gute Mann erlebte es nicht, mich in einer so glänzenden Laufbahn zu sehn, denn er starb, als ich eben das fünfzehnte Jahr erreicht hatte. Seine Schwester war ihm kurz vorher vorausgegangen.

Es war an einem schwülen Sommertage, als er aus Galenberg, wohin er Schuhe gebracht hatte, erhitzt nach Hause kam, zu voreilig kalt trank und augenblicklich krank wurde. Er lag nur neun Tage, während welcher Zeit ich einstmals Arbeit zu der gnädigen Frau, welche für mich einen Theil des Schulgeldes bezahlte, tragen mußte. Sie erkundigte sich nach meinem Vater, und als ich ihr die mißlichen Umstände meldete, in welchen er war, versprach sie mir, sich Meiner anzunehmen, im Fall mein Vater etwa sterben sollte.

Sobald dieser nun tot war, ließ mein Herr Vetter Valentin von Magistrats wegen alles im Hause versiegeln. Er kündigte mir dabey in harten Ausdrücken an, daß die Umstände so wären, daß die Schulden für geliefertes Leder und dergleichen den Werth der Verlassenschaft weit überschritten. »Nun Peter!« rief er trotzig aus. »Siehe zu, wie Du durch die Welt kommst! Der hochlöbliche Magistrat wird Dir einen Vormund setzen. Aber wo nichts ist, da hat gleichsam der Kaiser sein Recht verloren; und wenn die Büchsen leer sind, kann ich nichts herausnehmen. Hätte Dein Vater, Gott habe ihn selig! nicht einen dummen Hochmuth im Kopfe gehabt und hätte Dich ein ehrliches Handwerk lernen lassen, so wüßtest Du, wo aus oder ein, statt daß Du jetzt dem Stadt- Aerario zur Last fallen mußt.«

Ich stellte dem Herrn Bürgermeister vor, daß ich schon selbst für mich sorgen würde, indem die Frau von Lathausen sich Meiner anzunehmen versprochen hätte – darauf ließ ich meine Verlassenschaft im Stiche und ging gradeswegs zu meiner Gönnerin.


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