Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Zehntes Capitel

Des Fräuleins von Mehlfeld Concerte thun sonderbare Wirkung.

Der gewünschte Tag erschien, und alles in Mehlfelds Hause wurde zum Empfange des Fürsten zubereitet. Man richtete sich auf das Pünctlichste nach seinem Geschmacke; es wurde eine ausgesuchte Gesellschaft von Leuten gebeten, die er gern hatte, und alles sah heiter, geschmackvoll, einfach, zwangslos und doch ehrerbiethig aus.

Der alte Mehlfeld ersparte dem Fürsten jede kleine Verlegenheit, in welche er leicht durch diese erste Zusammenkunft hätte gesetzt werden können. Er ließ sich (so stark er auch war, wie sein gesunder Appetit bey Tische und sein ganzes Aussehn es deutlich genug zeigten) dennoch durch zwey Domestiken die Treppe hinunterführen, um seinen gnädigsten Herrn an der Hausthür zu empfangen, da er ihm dann, mit Thränen in den Augen, die Hand küßte und den Tag segnete, wo er noch einmal so glücklich seyn sollte, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehn. Sodann ließ der alte schwache Mann den Fürsten vorausgehn, folgte nebst mir, vor welchem er sich bis zur Erde bückte, hintennach und sprach, laut genug, um vom Fürsten gehört zu werden (der Schalk!), er habe gewiß mir die Verbindlichkeit wegen der Ehre, die ihm heute widerführe. Wenn es der Fürst gehört hatte, wie ich nicht daran zweifle, mußte es nothwendig sehr widrigen Eindruck für mich auf ihn machen, daß man gleichsam sagte: »Dir, Herr Claus! der Du Dir hier das Ansehn gibst, alles zu vermögen, muß man es wohl danken, wenn einmal der Fürst sich zu einem von uns Andern herabläßt oder etwas thut, das uns freuet.« Nun mögen bekanntlich auch die schwächsten Potentaten nicht, daß man einen von ihren Leuten für so allmächtig, für so unentbehrlich halte, und ich erfuhr bald nachher, daß dieser und andre Züge von der Art die gehoffte Wirkung gethan hatten.

 

Das Concert ging an. Mit des gnädigsten Herrn Leibsinfonie wurde es eröffnet. Sodann übertraf sich das Fräulein von Mehlfeld in einem Clavierconcerte, und darauf bat man Serenissimum demüthig, die Flöte zu ergreifen, mit welcher der Präsident auf ihn zugehinkt kam. Der Fürst ließ sich erbitten, und die Arie wurde angefangen. Ich stand bey der ersten Violine mit meinem blauen Heringsorden, und wenn der Fürst, wie es wohl so unter großen Herrn Weise ist, eben nicht sehr genau Tact hielt, gab jedermann im Tempo nach, nur ich konnte mich nicht immer zu dieser Schmeicheley herablassen, sondern gab zuweilen etwas hart den Tact mit dem Fuße an. Diese Freyheit war ich bey unsern kleinen Privatconcerten mir zu nehmen gewöhnt gewesen. Allein hier, wo sich der durchlauchtige Virtuose in seinem Glanze wollte hören lassen, runzelte Derselbe einigemal die Stirne, und die Hofleute sahen mich verstört an, als wenn ich ein entsetzliches Verbrechen begangen hätte.

Indessen ging alles seinen Gang fort, und es wurde bis um neun Uhr abends geleyert und gepfiffen, wobey in den kleinen Zwischenräumen das Fräulein Caroline mit unnachahmlicher Artigkeit den gnädigsten Herrn mit Erfrischungen bediente und ihn dabey angenehm unterhielt. Dieser war in der That so heiter und fröhlich, wie ich ihn in langer Zeit nicht gesehn hatte, und als er wegging, sagte er mir (vielleicht, um mich ein wenig für das Tacttreten zu bestrafen): »Das war ein angenehmer Abend, sehr angenehm, Herr von Clausbach! und dergleichen Parthien könnten wir ja oft haben. Nicht wahr? Was?« – »Warum nicht, gnädigster Herr?« antwortete ich in einem vielleicht spöttisch scheinenden Ton, und wir schieden auseinander.

Der Hofmarschall, der Graf Löhfeld und ihr Anhang ließen, wie sichs versteht, diese Stimmung unsers Herrn nicht ungenützt, und man fand wenige Tage nachher einen neuen Vorwand zu einer ähnlichen Parthie in dem Landhause des Erstern. Da den Leuten nun daran gelegen war, mich nach und nach zu entfernen, so brauchten sie einen Kunstgriff, von dessen Erfolge sie gewiß seyn konnten, weil sie meinen Ehrgeiz kannten. Man sagte nämlich dem Fürsten: er möchte so gnädig seyn, es denjenigen von seinen Leuten, welche Musicverständige wären und die er dort sehn wollte, zu befehlen, sich einzufinden, und sich also sein Accompagnement selbst wählen. Da nun der Minister von Clausbach zu stolz war, sich wie ein andrer Geiger bestellen zu lassen, dem Fürsten dies auch nicht einfiel, weil er glaubte, ich sey gewiß insbesondere eingeladen worden, welches aber nicht geschehn war, erschien ich nicht. Der Sultan aber, gewöhnt an meine musicalische Begleitung, nahm dies ein wenig übel auf, die Hofcabale goß Öl zum Feuer, und diese Kleinigkeit warf den ersten Funken von Kaltsinn zwischen meinen Herrn und mich.

Ich bin mit Vorsatz ein wenig weitläufig bey Auseinandersetzung dieser wichtigen Kleinigkeit gewesen, um zu zeigen, wie geringe oft die Veranlassung zu Zwist und Uneinigkeit ist, woraus nachher sehr große Folgen entspringen können. Wer nun erfahren hat, wie schwer es hält, wenn sich dergleichen unter Freunden gleiches Standes einschleicht, solche Mißhelligkeiten wieder ins Gleiche zu bringen, und wie mit jeder untergehenden Sonne die Wege zur Versöhnung neue Schwierigkeiten bekommen; wer ferner die unbilligen Forderungen und Einbildungen der mehrsten Prinzen kennt, die jeden ersten Schritt von ihrer Seite, auch wenn sie noch so sehr Unrecht haben, für entehrend halten; und wer endlich meinen Stolz, die Überzeugung, welche ich hatte, dem ganzen Lande ein nützlicher Mann zu seyn, die Zuversicht auf meine gute häusliche Lage, die mich außer der Nothwendigkeit setzte, dienen zu müssen; wer dies alles in Anschlag bringt, dem wird es nicht schwer seyn zu begreifen, warum von diesem zweyten Concerte an mein Ansehn am Hofe merklich von Tage zu Tage abnahm. Ich will daher nur kurz die Thatsachen erzählen, welche die Entwicklung der ganzen Catastrophe ziemlich schnell herbeyführten.

Die musicalischen Zusammenkünfte bey dem Herrn Präsidenten wurden fleißig fortgesetzt. Der Prinz gewöhnte sich an diese Art von Vergnügen, wie solche Gewohnheitsmenschen sich an alles gewöhnen. Ich aber erschien nicht ein einzigmal mehr dabey. Anfangs machte mir mein Herr verblümte Vorwürfe darüber; ich entschuldigte mich mit meinen Geschäften. Er war zu stolz, weiter in mich zu dringen, und zuletzt fiel es ihm nicht mehr ein, mich zu vermissen, und da fing diese Vergessenheit an, mich zu verdrießen. Ich hätte mich nun gern erbitten lassen, aber man bat mich nicht mehr.

Sobald diese Concerte eine Art von Bedürfnis für unsern Sultan geworden waren, wagten es die Hofleute, ihm begreiflich zu machen, daß der Aufwand dabey, so klein er auch scheinen möchte, doch für den armen alten, in Schulden steckenden, itzt durch den Herrn von Clausbach auf eine mäßige Pension herabgesetzten Präsidenten zu schwer zu tragen wäre – Er bekam dadurch Zulage –

Wenn von Madam Novanelle die Rede war, sprach man mit einer Art von Ekel über ihre auszehrende Krankheit, so daß der Herr, welcher nicht gern unangenehme Bilder vor Augen gestellt haben mochte, sehr selten diese Saite berührte. Zwischendurch hieß es auch: Die Person schont sich gar nicht. Wenn sie des Abends Gesellschaft zu Tische hat (Sehr selten kam außer meiner Frau jemand zu ihr), so ißt sie zu viel.

Man stellte Leute an, die, wenn ich einmal irgendeinen Secretair auf ein Stück Rindfleisch zum Gaste gehabt oder irgendeinen Strich auf der Violine gethan hatte, erzählen mußten: »Haben Sie gehört? In Clausbachs Hause war heute ein allerliebstes Concert.« oder: »Es ist heute wieder ein großes Diner bey Clausbach – Das ist wahr! Man speist vortrefflich bey ihm. Aber er kann es auch wohl thun.« Was für Eindrücke nun dergleichen Dinge machten, das kann man ohne Hexerey errathen.

Die Gesellschaft in des Präsidenten Hause wurde immer lebhafter und vertraulicher und der alte Mann von Tage zu Tage gesunder – Es schien, als wenn die Freude, seinen Herrn so oft bey sich zu sehn, ihm neue Kräfte, neues Leben gäbe.

Zuweilen, wenn man recht aufgeheitert und die Unterredung am zwanglosesten war, brachte der Fürst einige meiner lustigen Einfälle über die Geheimenräthe von Lämmersdorf und von Schwarzhelm und über andre Personen zu Markte, nannte dann auch, mit aller manchen Gesalbten des Herrn so eignen Indiscretion, den Namen des Verfassers eines solchen Epigramms, und da verfehlten dann meine Feinde nicht, den Personen, welche auf diese Art lächerlich gemacht waren, den Vorfall mit Zusätzen wiederzuerzählen, wodurch diese meine unversöhnlichen Widersacher wurden und sich an den Haufen der oben erwähnten zerstreueten Malcontenten schlossen.

Sooft es möglich war, ließ man ein Wort fallen, das Verdacht gegen einige meiner Schritte erregen sollte. Freylich mußte man es fein damit anfangen, denn man konnte keine Schelmereyen auf mich bringen. Indessen ist es nicht schwer, dergleichen Schein gegen einen Cammerpräsidenten zu finden, wenn es einmal darauf angesehn ist.

Es hatten ein paar Amtspächter mit der Bezahlung nicht Wort gehalten, und bey dem Cautionspuncte des Einen war ein kleiner Umstand übersehn worden. Eine angelegte Fabric war aus Mangel an Absatz eingegangen und eine neue Maschine bey einem Bergwerke mißlungen. Es ist wahr, daß die Vorfälle mit den Amtspächtern sich während meiner Reise nach Paris zugetragen hatten, daß die Fabric wider mein Anrathen, aus Eigensinn des Fürsten, der von aller Art etwas haben wollte, angelegt und daß die Maschine wie eine Probe mit geringen Kosten nach der Angabe eines berühmten Schriftstellers verfertigt worden war. Man nahm aber darauf keine Rücksicht, stichelte oft dahin und erlangte wenigstens so viel, daß mein Herr kälter und zurückhaltender gegen mich wurde.

Es sollte dann auch frisch auf das Bauen losgehn, um alle die Thorheiten nachzuahmen, die man in fremden Provinzen gesehn hatte. Ich wagte es, den Zustand der erschöpften Cassen zu schildern, und bekam einst die bittre Antwort: »Wenn man keine Schelme zu Amtspächtern nähme, so würde auch mehr Geld daseyn.«

Die öftern feinen Spöttereyen, die man, so daß es der Fürst mit halbem Ohre hören konnte, über des Herrn von Clausbach Allmacht hinwarf, erweckten den sultanischen Hochmuth meines kleinen Despoten. Er unternahm desfalls täglich unüberlegte Sachen ohne mein Wissen, ließ Befehle ausfertigen, wovon ich nichts vorher erfahren hatte und die meine sichern Pläne durchkreuzten, warf dennoch die Schuld auf mich, wenn das Ding nicht gutging, welches er selbst verdorben hatte, und sprach sehr oft an der Tafel von Ministern, die sich einbildeten, große Herrn zu seyn, und von Prinzen, die schwach genug wären, sich bey der Nase herumführen zu lassen.

Mein Verdruß und meine Indignation stiegen nun auf das Höchste, und als ich einst des Abends zu Hause kam und meinen Ludwig da fand, rief ich: »Es ist beschlossen. Ich will fort! Ich will meinen Abschied nehmen! Ich will meinen undankbaren Tyrannen verlassen! – O! wäre ich Dir gefolgt!« –

 

Reyerberg: »Davon ist itzt nicht Zeit zu reden. Aber das ist gewiß, daß, wenn Du unter den gegenwärtigen Umständen den Abschied nimmst, Du sehr närrisch handeln wirst. Dazu ist es nun zu spät. Das ganze Publicum würde sagen, daß Du keine reine Sache gehabt hättest. Erwartest Du aber ruhig und mit Würde die letzte Entwicklung, und man jagt Dich dann, wie es gewiß bald der Fall seyn wird, durch schändliche Cabale fort, so wirst Du außer dem Beyfalle Deines Gewissens das Urtheil aller Rechtschaffnen, die beschämende innere Überzeugung selbst Deiner Feinde, die bey aller Mühe dennoch nichts Pflichtswidriges gegen Dich werden zu finden wissen, mit Dir nehmen, und nach einiger Zeit wird durch Reue und Bestrafung Deiner Verleumder der gewiß im Grunde nur schwache, nicht böse Fürst Dich an ihnen öffentlich rächen« – »So sey es dann!« – sprach ich, »aber es ist hart zu ertragen; doch will ich den teufelischen Spaß abwarten.« Ich waffnete mich, soviel ich konnte, mit Geduld und arbeitete meinen Gang fort.


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