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Gegen Ende 1874 erschien eine Reisebeschreibung des preußischen Professors Frohman, der sich botanischer Studien wegen der Expedition angeschlossen hatte, welche die deutsche Regierung behufs Abschlusses von internationalen Verträgen nach Japan entsendet hatte.
Das Buch enthält folgendes Detail: »In Dezima trafen wir einen Ansiedler, der sich daselbst inmitten der landesüblichen Holz- und Papierhäuser ein stattliches bequemes Steinhaus erbaut hat und einen gutgeleiteten Theehandel betreibt. Der Mann nennt sich Mynheer Ruysdale. Er ist ein Mann von europäischer Bildung, seines Alters in den Dreißigen; sein Gesicht zeigt holländische Ruhe und Aufmerksamkeit. Er spricht verschiedene europäische Sprachen und ist daher für die japanischen Behörden ein gradezu unentbehrlicher Mann. Als Mynheer hörte, daß ich zu botanisch-wissenschaftlichen Zwecken reise, lud er mich zu einem Besuche in seiner, hinter dem Dorfe Mogy gelegenen Villa ein, wo seine Familie wohnte. Es war gegen Ende März, in Japan die Jahreszeit der Blumen. Alle die Pflanzen, die wir in Europa in Gewächshäusern ziehen, bedecken hier in üppiger Wucherung die Berghänge und der würzige Duft wechselt von Wald zu Wald. Der Boden ist so ertragreich, das Klima ein so gesegnetes, daß man kein Mißjahr kennt; das Land hat niemals eine schlechte Ernte, niemals Nothstand. Die Villa meines gemächlichen Wirthes war ganz in dem Stile gehalten, wie er in Nangasaki heimisch ist. Das Haus hatte eine geräumige Veranda, wo wir das Mahl einnahmen. Der Hausherr stellte mich seiner Gattin vor; sie sprach nur japanisch; ihre auffallend schönen, blauen Augen schienen indessen ihre angebliche japanische Abkunft Lügen zu strafen; die edlen Gesichtszüge gemahnten entschieden an den europäischen Typus, obgleich er von den Eigenthümlichkeiten der germanischen sowohl, wie der romanischen und der slavischen Stämme abwich. Der Gatte machte den Dolmetsch, so daß ich mich mit der Frau doch irgendwie zu verständigen vermochte. Das Diner war durchweg in japanischem Geschmacke gehalten und während der Mahlzeit erfreute uns eine japanische Sängerin mit einem Conzerte auf dem Gotto, dem landesüblichen vielsaitigen Clavier; sie sang eine Art Legende dazu, welche der Hausfrau außerordentlich zu gefallen schien, so zwar, daß sie ihres Töchterchens kaum achtete, welches fortwährend an ihrem Halse hing, und sich auf ihrem Schooße tummelte. Es war ein liebliches Kind von etwa drei Jahren, das ganz die blauen Augen der Mutter hatte. Auch das Mädchen sprach nur japanisch. Als aber das Mahl zu Ende war und die Sängerin eine Pause machte, um in ihrem Legendenbuche ein neues Lied zu suchen, kniete das Kind plötzlich neben der Mutter nieder, faltete die Händchen und begann in einer Sprache zu beten, die mir bekannt war, in einem europäischen Idiom: ungarisch. Ich habe häufig botanische Excursionen nach Ungarn unternommen und habe diesen Tischsegen an so manchem gastfreundlichen ungarischen Tische von Kinderlippen gehört.
»
A ki ètelt, italt adott
Annak neve legyen áldett!
Amen!«
(»Der uns Speise und Trank gegeben, deß Name sei gesegnet! – Amen.«)
Ich blickte erstaunt meinen Gastfreund und seine Ehefrau an, und diese hinwieder mich nicht ohne sichtliche Verwirrung. Sie gaben indessen keine Erklärung und ich fühlte, daß eine Frage sie unangenehm berühren würde. Ich sprach also nicht über die Sache. Wohl aber erinnerte ich mich nunmehr, daß ich das Gesicht dieses Mannes bereits gesehen haben müsse – vor Jahren, in Berlin – bei Gelegenheit eines glänzenden Balles. Man hatte mir damals auch seinen Namen genannt; er ist mir aber wieder entfallen. Die Aehnlichkeit ist augenfällig.
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Wir stellen es den geehrten Lesern und Leserinnen anheim, von den zwei Variationen diejenige zu acceptiren, die ihrem Gemüthe am besten zusagt.
( Ende.)
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Berliner Buchdruckerei-Actien-Gesellschaft
Setzerinnenschule des Lette-Vereins.