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Auf der Höhe der Pyramide.

»Na lieber Leon, fängst Du nun nachgerade an, den Horizont Deines Glückes zu überschauen? Hast Du bereits eine Ahnung davon, was Du bist und was Du sein wirst? Hui, wie Du nun da die Stirn runzelst! Nicht wahr, der Gedanke verdrießt Dich, daß diese lächerliche Figur, dieser ruhelose Schemen, der zu jeder Thür hinausgeworfen wird, daß der Eisenkakadu darum weiß, welch ein glücklicher Mensch Du bist? Daß der eingeweiht ist in das Geheimniß Deiner Erhöhung, daß er Dich selbst als großen Herrn noch zu duzen wagt?«

»Nicht doch. Im Gegentheil: wenn ich jemals würde, was Du mich eben spottest: eine Notabilität, ein einflußreicher Herr – ich würde Dir die Rolle, die Du Dein ganzes Leben hindurch spielst, dadurch verderben, daß ich laut in alle Welt hinausriefe: da sehet einen wackern Mann, der mir ein werther Freund ist, den ich hochschätze; glaube doch Niemand seiner Maske!«

»Ich danke Dir. Ich danke Dir recht sehr, daß ich das unter vier Augen von Dir gehört habe. Es hat mir sehr wohlgethan. Nun will ich mich aber auch wohl hüten, mit Dir irgendwo öffentlich zusammenzutreffen. Um Deinetwillen. Denn wenn Du in die Welt hinausschreien wolltest, ich sei ein wackerer Mann und Dir ein warmer Freund, so würde das von mir Niemand glauben, wohl aber würde man Dich für einen Narren halten. Was soll nun aber die gerunzelte Stirn? Sage mir's. Wenn Du um unsern verstorbenen Fürsten trauerst, so ist das wohlgethan; immerhin aber magst Du in Deinem Angesichte gleichzeitig auch einigem Dämmerscheine des Dankgefühls Raum gönnen, wenn Du seiner gedenkest. Er hat Dir in der Stunde seines Todes eine Welt erschlossen.«

»Du weißt um den Brief, den er der Prinzessin Raphaela in die Feder dictirt hat, um jenen Brief – an mich?« »Ich weiß darum.«

»Und Du glaubst, ich werde den Vortheil, den mir ein Sterbender in die Hand gegeben, nunmehr ausbeuten?«

»Was für ein Gedankengang ist das?«

»Du weißt, was ich Alles zu ertragen vermag. Mein Magen verträgt Hunger, meine Nerven vertragen den Schrecken, meine Haut Hiebe und Feuer und Kälte, mein Stolz Entsagung. Ich kann einem Weibe vergeben, wenn sie mich geliebt und mich hinterher betrogen hat. Aber, daß ein Weib mich den Ihrigen nenne auf Grund eines andern Rechtstitels als dessen, daß sie mich liebt: mit dem Gedanken vermag ich mich nimmermehr zu befreunden!«

»Und Du fürchtest, daß es so kommen könnte?«

»Ich weiß, daß dem so ist. Der Fürst hat mich geliebt und seine Tochter meint, das lasse sich auch erben. Die Vergötterung, mit der sie ihren Vater umgab, macht sie fähig, seinem letzten Willen sich selber zum Opfer zu bringen. Ueberdies gesellt sich bei ihr auch noch eine Art von Rache dazu. Man sieht häufig ganz unbegreifliche Heirathen sich vollziehen, bei denen alle Welt fragt: wie hat diese Dame doch diesen Mann zu ihrem Gatten wählen können? Nur die Näherstehenden wissen, daß da der verletzte weibliche Stolz die Rolle der Neigung übernommen hat. Einer hatte diese Dame treulos verlassen, und sie wollte dem Ungetreuen zeigen, daß sie sich nicht gräme um ihn, daß sie ihn zu vergessen wisse, und heirathete den ersten besten Mann, der sich vor ihr neigen mochte. Bis das Trauerjahr herum ist, verraucht wohl auch der Zorn, die Erinnerung an den letzten Willen des verklärten Vaters verblaßt und mit ihr sinkt dann auch Leon Zarkany's Bild in Vergessenheit. Wir wollen in Ruhe den Ausgang abwarten.«

»Ich bitte Dich, schämst Du Dich denn nicht? Oder hältst Du mich für den einfältigsten Menschen der Welt, den man mit derlei psychologischen Vorlesungen regaliren kann? Braucht es dazu wirklich Rache und Verbitterung, um ein Mädchen zu bestimmen, statt einem Alienor Nornenstein einem Napoleon Zarkany ihre Hand zu schenken? Ja wenn die Geschichte umgekehrt gekommen wäre, da wäre dann die Schlußfolgerung richtig. Und ich weiß wahrhaftig nicht, ob es nicht Leon war, dessen tröstendes Erscheinen einst eine trauernde Dame am Sarge ihrer Mutter erwartete? Man hatte sogar ein Telegramm nach ihm abgeschickt – aber er erschien nicht. Sein Ausbleiben wurde mißverstanden. Statt seiner stellte sich der gemalte Strohmann ein. Er weinte wie ein schlechter Schauspieler und ward angenommen. So steht also Dein Beispiel umgekehrt. Du magst mir glauben, wenn ich Dir sage: Raphaela hat Dich längst geliebt.«

»Sie vermöchte zu lieben?«

»Es kommt darauf an, was für Liebe Du in einem Weibe suchst? Verlangt Dein Gemüth nach abenteuerlicher, launenhafter, ausschweifender Leidenschaft, dann lauf Du Pompeja nach; sie sitzt jetzt als Strohwittwe in Paris und ihr Mann kann nicht zu ihr; brauchst Du naive, empfindsame Zärtlichkeit, ein Mädchen, das in Dich vernarrt ist, mit dem Du Alles machen kannst, was Du willst, das Dir ein Spielzeug, das Dir Unterhaltung ist, das keinen andern Wunsch kennt, als Dich zum Seligen eines Paradieses auf Erden zu machen: dann bleibe bei Deiner kleinen Nähterin; – Raphaela versteht all das nicht, und wird es auch niemals lernen, weder um Deinetwillen, noch um ihrer selbst willen. Willst Du aber eine Frau gewinnen, die das Ideal einer Gattin, die nicht die Spielgenossin, wohl aber die eigene bessere Hälfte ihres Mannes ist, die ihr Theil fordert an Allem was Dich beschwert, die, wenn Du ferne weilst, all Deine köstlichen Kleinodien Dir bewahrt, die stolz ist auf Deine Ehre, die erröthet, wenn Du sie küssest und Dich küßt, wenn Du schläfst, die Dich so umarmt, als ob sie stets Deine Braut wäre, die dereinst Deine Kleinen den Begriff Mutter kennen lehrt und die, wenn sie zur Beichte geht, dem Priester die einzige Sünde zuzuflüstern weiß, daß sie ihren Mann noch mehr liebe als ihre Kinder, was er aber niemals erfahren werde, – wenn Du ein solches Weib gesucht hast, so hast Du es gefunden.«

Leon ließ sich zur Sentimentalität hinreißen.

»Ein Mann, der sich Rang und Vermögen erheirathet, der sich seine Liebe bezahlen läßt, war in meinen Augen immer ein Gegenstand des Spottes und diese Anschauung theilt alle Welt mit mir. Welchen Hohn haben wir nicht seinerzeit über einen Bürgerlichen ausgegossen, der eine Dame von Stand heirathete und sich, um den Abstand zu verringern, fortan Euer Hochgeboren tituliren ließ! Das war der Schemel, auf den er sich stellte, um seine Frau küssen zu können. Wenn ich schon einmal mit aller Gewalt eine weltgeschichtliche Celebrität werden muß, soll ich mir etwa Anchises zum Vorbild nehmen, der dadurch historisch geworden ist, daß er in seiner Jugend eine Göttin liebte und im Alter nicht auf den Beinen zu stehen vermochte?«

»Du wirst diesen Schemel nicht nöthig haben. Eigentlich sollte ich nicht ausplaudern, was Du erst nach Deiner Rückkehr erfahren wirst; – indessen – es ist ja Dein Geheimniß. Du wirst es zu bewahren wissen. Mein Lieber, wenn Du nach Budapest zurückkommst, wirst Du in Sachen des Ranges ebenso hoch stehen, als Prinzessin Raphaela von Etelvar selbst. Du wirst an Stelle des verstorbenen Fürsten Maximilian von Etelvar zum Obergespan ernannt werden.«

Leons Gesicht wurde plötzlich bleich. »Du scherzest!«

»Unter vier Augen mit Dir niemals. Deine Ernennung liegt ausgefertigt. Man will nur die Peripetien der Leichenfeier nicht stören. Und damit stehst Du dann mit einem Male auf derselben Höhe, von welcher Raphaela's Vater soeben ins Grab gesunken ist: Du bist Bannerherr des Reiches, Mitglied des Oberhauses, Gouverneur eines Komitats, ein anderer Magnat als Fürst Alienor Pracz von und zu und ohne Nornenstein.«

»Du machst mich im Ernst erschrecken. Ich Obergespan! In demselben Komitate, welches bisher Fürst Etelvary leitete, einer der ersten Dynasten Ungarns nicht nur, sondern auch der weiseste Kopf, das edelste Herz, dem jemals öffentliche Angelegenheiten anvertraut waren! Und nun soll ich auf ihn folgen, wie der ›Viertelzettel‹ auf das gute alte Silber! Ich, der in demselben Komitate Stuhlrichter gewesen bin und selbst als solcher nichts getaugt habe; der Spaßmacher der ganzen Umgegend, der Vortänzer auf allen Bällen – davon berühmt, weiter Nichts und Niemand. Ohne hervorragenden Geist, ohne Erfahrung, ohne Verdienste, ohne Vermögen, ohne Ansehen! So arm wäre das Land an großen Männern bereits geworden, daß an mich die Reihe käme?«

» Sunt, qui te nequiter humiliant. Andere Leute sind anderer Ansicht von Deinem Werthe.«

»Ich soll in dem Saale präsidiren, um dessen grünen Tisch durchweg erprobte, vollwichtige Patrioten sitzen, langjährige Abgeordnete der guten alten Zeit. Honved-Oberste und reichbegüterte kleine Könige, – in dem Saale, den selbst der wohlhabende Bauer mit dem Stolze eines Brahminen betritt! Ich soll mich ›Magnificenz‹ schimpfen lassen und dabei mir niemals zu befehlen getrauen, in der Besorgniß, daß sich ja doch Niemand daran kehren würde? Und wenn dann nach Schluß der Sitzung meine Untergebenen der Reihe nach mit lauter Stimme ihre vier- und fünfspännigen Equipagen vorfahren heißen, soll ich hinter meinem Rücken den malitiösen Ruf hören müssen: ›Janos! die Galoschen Sr. Magnificenz!‹ Während das Publikum bisher daran gewöhnt war, daß nach der Generalversammlung der Obergespan seine gesammte hochansehnliche Komitats-Universität zu einem Galadiner einlud, wo selbst der letzte Kortes derart in Champagner schwamm, daß er die Flasche, die er beim besten Willen anders nicht mehr unterzubringen wußte, im Stiefelschafte nach Hause trug, wo Toast auf Toast folgte, so daß ein Dutzend Zeitungen schwere Mühe hatte, sie alle zu reproduziren, – soll fortan ich vor meinen Gästen Reißaus nehmen?! Oder soll ich etwa das Gegentheil thun? Soll ich gespreizt einherstolziren und den großen Herrn spielen, als die Rolle, deren Kostüm ich angelegt habe, damit mir hinter meinem Rücken das zweifelhafte Lob werde: mein Champagner und meine Cigarren seien zwar gut – nur Schade, daß ich das Geld dafür gegen hundert Procent von Löw Hirsch entlehne! Dieses Fatum wäre mir beschieden?«

»Ich habe Dir nicht ins Wort fallen wollen, weil ich besorgte, Du würdest darauf erst recht aus Rand und Band gerathen. Die Zeiten, von denen Du da redest, sind tempi passati, mein theurer Freund. Das Komitat ist heutzutage nicht mehr jenes Komitat, welches es vor Zeiten gewesen, und auch die Kongregation ist nicht mehr die Kongregation von ehedem, der Obergespan nicht mehr der Obergespan, der er vormals war. Anstatt glänzender Diktionen wartet prosaische Arbeit auf Jedermann, und Jedermann wird nur darnach beurtheilt, wie er diese seine Arbeit thut und nicht nach dem Gespanne, mit dem er in die Versammlung gefahren kommt. Die Stellung des Obergespans von heute ist ein sehr schwieriges Amt, nicht glänzend, aber dafür desto wichtiger. Deshalb hat man es Dir ja auch anvertraut. Nimm Du nur immer mit vollkommener Seelenruhe an. Das Gehalt beträgt so viel, daß man anständig davon leben kann: es will aber auch redlich verdient sein. Uebrigens – Alles darf ich nicht ausplaudern – aber soviel kann ich Dir sagen, daß Du in Deiner hohen Stellung nicht als › Johannes sine terra‹ dastehen wirst.«

Leon wurde bei diesen Worten flammroth im Gesicht. »Du denkst am Ende gar daran, daß mich der Fürst in seinem Testamente durch ein Legat erniedrigt haben könnte? Ich liefe aus Europa hinaus!«

»Bleib' Du nur ruhig da. Der Fürst hat Dir nichts hinterlassen. Ich kenne das Testament; er hat es mir in die Feder dictirt und ich habe es als einer der fünf Zeugen mit unterfertigt. Dein Name kommt darin garnicht vor.«

»Also glaubst Du wohl, ich solle dadurch reich werden, daß ich mir zuvor den Trauring der Prinzessin Raphaela herausschwindle.«

»Nicht doch. In dem Augenblicke, wo Du Dich ihr näherst, um sie zu gewinnen, wirst Du bereits ein reicher Mann sein.«

»Das ist ein unglaubliches Feenmärchen.«

»Ein Feenmärchen ist es allerdings; aber glauben magst Du es getrost, weil ich es Dir sage.«

»Wenn Du befiehlst, so will ich es meinetwegen glauben.«

»Und willst die Obergespans-Würde annehmen?« »Ich will sehen.«

»Du wirst sehen! – Gelt das wolltest Du auch nicht glauben, daß ich der kleinen Nähterin Deine viertausend Francs übergebe, ohne daß sie mir dieselben ins Gesicht würfe?«

»Nun?« fragte Leon und wieder schoß ihm alles Blut ins Gesicht.

»Ist Alles bestens besorgt. Sie weiß, in welcher Mission Du verreist warst, und das Geld ist ihr in einer Form zugekommen, daß sie darauf noch stolz sein darf. Sie ist ein wackeres Mädchen sammt ihrer Tante. Sie ist werth, daß man sich ihrer annehme; ich werde sie nicht mehr aus den Augen verlieren. Du hast sie noch nicht aufgesucht?«

Leon nahm jenes Couvert aus seiner Brieftasche. Das Siegel war noch immer unverletzt.

»Recht so, Du bist ein vollkommen korrekter Mann. Der wahre Kavalier schenkt nur sein ganzes Herz an eine Dame; an die eine oder an die andere. Aber der Umstand, daß Du meinen Brief nicht geöffnet hast, bringt mich zu der Ueberzeugung, daß Du trotz Deiner Legion von Skrupeln gleichwohl ernstlich an die Prinzessin denkst. Geleite sie also nunmehr nur immer nach Etelvar und bestattet den Fürsten zur Ruhe; ich kann nur hier in der Kapelle von ihm Abschied nehmen, wo er einen Tag aufgebahrt liegen wird. Wenn Du dann nach Budapest zurückkehrst, wirst Du Deine Berufung bereits vorfinden. Was man Dir anträgt, nimm Du an.«

»Noch Eins. Ich bitte Dich, schicke eine Traueranzeige an Madame Corysande. Der Fürst ist auch ihr Wohlthäter gewesen. Vielleicht thut es ihr wohl, wenn sie sich an seinem Sarge ausweinen kann.«

»Das ist bereits besorgt.«

Leon drückte dem Spaßvogel, dem Eisenkakadu, der nur dazu auf der Welt zu sein schien, um seine Gedanken vorher zu errathen, gerührt die Hand. Leon hatte ja auch bei dieser Bitte nur an Livia gedacht.

*


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