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Sei gegrüßt! ...

Leons Geburtstag nahte heran. Es war der dreißigste.

Ein Tag, der wundersame Empfindungen erweckt; der Tag des Abschieds von der Jugend.

Die drei Kreuze XXX bilden das dreifach gefügte Fallgatter, welches eine Zauberwelt abschließt.

Er stieg an diesem Tage zum Endziele eines Lebenslaufes hinan.

Derselbe begann mit der glänzendsten seiner Errungenschaften, der Uebergabe der Zeichen fürstlicher Huld und Gewogenheit. Und die Auszeichnungen kamen nicht einzelweise, sondern zu dreien zumal! Auf seinem Tische waren drei Ordensdecorationen zum Prunke ausgelegt.

Er vermochte es seinem Herzen nicht zu wehren, daß es stolz hochaufpochte. Er wußte den Unterschied herauszufinden zwischen Orden, die durch eigenes Verdienst erworben waren, und jenen, welche die Weltausstellungs-Commissäre aus Wien traubenweise mit heimgebracht hatten. In dem Momente, als ihm das Herz in Ruhmbegierde schwelgend laut aufschlug, brachte man ihm einen Brief, der eben eingegangen war. Als der stolze Mann die Handschrift der Adresse erblickte, ward sein Gesicht bleich; er eilte in sein Arbeitszimmer, um das Schreiben zu lesen.

Aus dem Couvert fiel ein kleiner, dünner Platinareifen. Der Brief enthielt in der bekannten Handschrift die wenigen Worte: »Sei gesegnet, sei glücklich in alle Ewigkeit!«

Es ist nicht wahr, – nicht wahr! Nicht diese Worte redet dieser Ring. Er sagt: »Fluch über Dich in alle Ewigkeit!«

Also auch sie hatte seiner gedacht an diesem Tage! Auch sie hatte ihm ihr Geschenk gesendet! Nur das hatte noch gefehlt, nur dieser kleine Platinaring noch, auf daß sein Triumph vollständig sei. O wie verblaßte alles Gefunkel der Ordenssterne neben dem Schimmer dieses Ringes! Wie erstarb all das Geschmetter der Ruhmesposaune neben dem Schweigen desselben! Wie war doch die ganze Welt mit ihrem unendlichen Gesichtskreise hineingezwängt in den engen Umfang dieses kleinen Reifens! »Also auch Du bist gekommen, mich zu begrüßen!« Leon beugte sich über den Tisch, auf welchem der Brief lag, und begann zu dem Ringe zu reden.

»Sprich, wie hast Du sie verlassen? Wie hat sie sich von Dir zu trennen vermocht?«

Und der Ring gab ihm zur Antwort: »In Thränen hab' ich sie verlassen. – Von ihrem Herzen hat sie mich gerissen.«

Hätte Leon die Nachricht von dem Tode Liviens empfangen, sie hätte ihn vielleicht nicht so erschüttert, als der Anblick des zurückgesendeten Verlobungsringes. Leon überhäufte den Reifen mit Küssen und auf den Brief liefen Thränen nieder. Er hätte den ganzen Tag über allein bleiben mögen mit dem Briefe und dem Ringe.

Doch im Nebenzimmer wurden zahlreiche Tritte hörbar, leises Gesumme und Räuspern und Stimmen der Kehlen.

Es war die Komitats-Deputation mit dem Prachtalbum. Vicegespan Kadartay, der Führer und Sprecher, zählte in einer aus gar herrlichen rhetorischen Sätzen aufgebauten Diction die bisherigen Verdienste des Gefeierten – eben so viele Unterpfänder in Zukunft annoch folgender großer Thaten – auf, beglückwünschte ihn zu den hohen Ehren und Auszeichnungen, die ihm geworden, und stellte denselben die ungetheilte Hochachtung der Mitbürger an die Seite.

Leon antwortete auf die wohlgesetzte Ansprache; er zwang seine Seele für einige Minuten gegenwärtig zu sein und nicht anderwärts zu schweifen. Er sprach von den schweren Zeiten und den noch schwereren Pflichten; da aber vermochte er dann nicht weiter zu reden; eine gewisse Bitterkeit versagte ihm die Stimme. Diese Beklommenheit war von größerer Wirkung als die meisterhafteste Rede, die Deputation war tief ergriffen. Den wackern Patrioten füllten sich die Augen mit Thränen, als Leon sie der Reihe nach umarmte, und sie sprachen zu einander: »Ein wahrhaftiger Mann! Das ist die wahre Größe!«

Als Leon sie verabschiedet hatte und die Männer wieder gegangen waren, eilte er in sein Arbeitszimmer zurück.

Der kleine Ring aber sagte ihm ins Gesicht: »Falsch, falsch, Du bist kein wahrhaftiger Mann! Du treibst Dein Spiel mit Allem was heilig ist! Mit der Krone des Königs, mit dem Altar der Vaterlandsliebe, mit dem Wappen des Landes, – Du konntest Dein Spiel treiben sogar mit mir! Niemand möge Dir fortan Glauben schenken, Du selber mögest Dir nimmermehr vertrauen, nimmer und nimmermehr! Dein eigner Verfolger sollst Du sein in alle Ewigkeit!«

Leon preßte in Verzweiflung das Briefchen an sein Herz, auf daß es ihm ein Schirm, ein Schutz sei gegen den furchtbaren Fluch. In dem Briefe stand ja geschrieben: »Sei gesegnet, sei glücklich!«

Dann abermals eine Deputation, die empfangen werden mußte. (Mit dieser Verzweiflung im Angesichte! Glätte diese verstörten Züge, zwinge ihnen den Ausdruck leuchtenden Triumphes auf. Man kommt ja, Dich zu beglückwünschen!)

Es waren seine ehemaligen Journalistencollegen, die Berufsgenossen, die kamen, ihn feierlich zu begrüßen. Sie freuten sich seiner Erhöhung, als ob jeder Einzelne von ihnen Theil daran hätte. Ihr Wortführer, Herr Kolompy, hob mit Stolz hervor, daß diese glorreiche Laufbahn aus seinem bescheidenen, dumpfen Büreau ausgegangen war; im großen Redactionszimmer hängt heute Leons Bildniß mit Lorbeer bekränzt, zur Aneiferung für jedes jugendliche Genie, zum Beweise, was aus einem Helden der Feder Alles werden könne. Sie überreichten Leon einen prachtvollen Lorbeerkranz.

Und Leon gelobte mit bebender Stimme, daß er jenen Kreis stets lieben wolle, dem er ja eigentlich seinen Aufschwung zu danken habe. Er erkundigte sich mit warmer Theilnahme nach den Kameraden, die nicht mit anwesend waren, und nannte die Literatur seinen Stolz. Auch diese gingen. Und wieder redete der kleine Metallreifen zu ihm: »Du lügst, Du lügst! Du hast niemals Jemanden geliebt, Du wirst niemals Jemanden lieben. Wehe dem, der ein Herz bei Dir sucht! Wehe Dir, der Du jedes Herz verhöhnst und verunglimpfest! Lache ihnen doch lieber ins Gesicht, den Leuten, die da kommen, um Dir zu schmeicheln, und rufe ihnen zu, daß ja Alles nur Komödie ist.

Komödie hast Du gespielt mit Deiner Feder, als Du ein und dieselbe Sache offen und unter fremder Maske angriffst und vertheidigtest zu gleicher Zeit; als Du die Leute, die Dich heute beglückwünschen, zum Kampfe aneifertest, hinausführtest auf das Schlachtfeld und sie dort selber aufs Haupt schlugest. Du hast Komödie gespielt mit mir! Wie sollte alles Uebrige wahr sein? Doch immerhin – sei gesegnet, sei glücklich in alle Ewigkeit!«

Leon dachte nach, ob er sich nicht einschließen und seinem Hajducken den Auftrag geben solle, heute Niemanden mehr zu ihm herein zu lassen.

Und wenn auch noch so große Herren kämen.

Große Herren sind ja übrigens leicht abzuweisen. Wenn nun aber die armen Leute von Gezetlen kommen und die Landleute von Botok im Szür, – kann man denen wohl sagen: Machet fort, kommet ein anderes Mal?

Nein, die mußte man einlassen zu Sr. Hochgeboren. Ihnen ist ja sein Angesicht gleich dem Anblicke der Sonne; sie erhoffen Segen und befruchtenden Thau von seinem Lächeln; sie schenken seinen Worten Glauben, sie bauen auf seine Mienen und werden sich in der Heimat rühmen: der gnädige Herr, den wir auf unsern Schultern emporgehoben, hat die Gnade gehabt, uns gütig zuzulächeln!

Herr Nagy Janos begrüßte den neuen Bannerherrn namens der Gezetlener, Herr Csajkos namens der Batoker. Es waren aufrichtige, gutgemeinte, einfache Worte, die sie im Namen des Volkes zu ihm sprachen. Sie brachten ihm auch ein Geschenk, ein schmuck gebundenes Buch, die Blätter beschrieben in jenen großen, unbeholfenen Zügen und Buchstaben, wie die Kinder sie zwischen Doppellinien zu malen pflegen. Das sonderbare Album war von zweihundert Kindern geschrieben, von Kindern, die verwaist, verlassen von der Straße aufgelesen worden und nun in den Asylen, die bei Leons Wahl gegründet wurden, zu Männern erzogen werden. Ein einziger Wunsch von den Händen von zweihundert Waisenkindern geschrieben und die erste und die letzte Zeile des Wunsches lautete: »Sei gesegnet, sei glücklich in alle Ewigkeit!«

Läge doch nur dieser Ring nicht zwischen den beiden Zeilen!

*

... Der Deputation der Wahlbürger folgte hart auf dem Fuße wieder eine andere bekannte Corporation. Auch vor diesen konnte er sich nicht verleugnen lassen. Die ehemaligen Kollegen aus der Amtsstube brachten ihm einen silbernen Pokal als Festgeschenk.

Diese umarmte er der Reihe nach mit besonderer Herzlichkeit und hielt ihnen dazwischen eine kleine Strafpredigt.

– Geht mir doch, Ihr Narren Ihr! Wozu macht Ihr Euch solche Unkosten um meinetwillen? Hättet Ihr mir ein Bierkrügel zum Andenken gekauft, wäre gut genug gewesen! Wer sich von den armen Beamten beschenken läßt, thut nicht besser, als ob er den Schmuck vom Altar stehlen würde.

Der Sprecher der Deputation erzählte dann mit Bedeutung, wie gar viele Ihrer zu dem Ehrengeschenk beigesteuert haben. Selbst der Portier hatte nicht zurückbleiben wollen, ja sogar der gute Eisenkakadu hatte ein echtes Silberstück dazu gespendet und hatte dem Goldschmied angelegen, dasselbe in den Pokal einzulöthen. Welch ein Andenken!

Mittlerweile langte von Alienor Nornenstein eine kleine Schachtel ein: dazu ein Briefchen des Inhaltes: »Sei gegrüßt! Lebe lange und glücklich! Dein ewig getreuer Alienor.«

Die Schachtel enthielt eine Statuette aus japanesischem Porzellan, die einer Muttergottes-Statuette glich. Eine jugendliche, schöne Frauengestalt, mit goldenem Diadem auf dem Haupte, einem Purpurmantel um die Schultern, einen goldenen Apfel in der Hand, in goldgeblumtes ultramarinblaues Gewand gekleidet. Nur die geschlitzten Augen verriethen die japanische Schönheit.

»Was mag das vorstellen?« fragten die neugierigen Gäste.

Und Leon sagte noch einmal eine Lüge: »Ich weiß es nicht.«

Er konnte ihnen denn doch nicht gut sagen, was er wohl wußte, daß die Statuette das Bild der japanesischen Göttin der Liebe sei, wie man es Bekannten zuzuschicken pflegt, die im Begriffe sind sich zu verheirathen. Er konnte sich doch nicht von jedem Einzelnen der Reihe nach mit Glückwünschen immer und immer wieder das Herz durchbohren lassen!

Er hatte sie wahrhaft lieb, die guten Kameraden alle, aber er war doch froh und es ward ihm leichter ums Herz, als sie wieder gingen. Er war nahe daran, die Ordenssterne von der Brust zu reißen, die Festgeschenke zu zertrümmern, die Gratulanten zur Thüre hinauszujagen und auf Straßen und Gassen hinauszuschreien:

»Ich bin kein Obergespan, ich bin kein großer Mann, kein Patriot, kein Bannerherr, kein glücklicher Bräutigam! Ich bin der ›Bruder Napoleon‹, der größte Komödiant der Welt!« ...

Leon war allein geblieben. »Was ist denn nun noch übrig? Welches Gespenst soll denn nun noch aufsteigen aus den Grüften der Vergangenheit? Ist denn der Tag des Gerichtes heute, daß alle Todten ihre Särge sprengen und ihre Stelle fordern an der Seite der Lebendigen?«

Nunmehr befahl er dem Hajducken wirklich, heute Niemanden mehr zu ihm einzulassen. Er hatte das Bedürfniß, allein zu sein.

Es war heute der Tag der großen Rechnung – mit sich selber; er hatte die Bilanz zu ziehen zwischen seinem »Soll« und seinem »Haben.« Was war ihm dieses Mädchen gewesen? Was sollte aus ihr werden, wenn er sie verließ? Was mußte das größere Elend sein: Leben oder Sterben? – War es denn aber möglich, von Raphaelen zurückzutreten? Konnte, durfte er denn dieses edle Herz bis in den Staub erniedrigen dadurch, daß er sich nun, nachdem sie ihm ihr ganzes Wesen offen dargelegt, nachdem sie ihn in das Heiligthum all ihrer Geheimnisse eingeführt hatte, von ihr wende, einem andern Weibe die Hand reiche und sie zu der entsetzlichen Wahrnehmung erwachen mache, daß diejenigen zwei Herzen, die ihr am nächsten standen, ein grausames Spiel mit dem ihrigen getrieben? Ohne es zu wollen zwar, aber deshalb nicht weniger grausam?

Wer sollte urtheilen in diesem entsetzlichen Streite?

»Ja mein Sohn, den einen Mann mußt Du einlassen, was immer Dein Herr Dir auch befohlen haben möge!« ertönte draußen im Vorzimmer eine helle, kategorisch klingende Stimme. »Denn der Mann ist der Probst von Etelvar, für den Dein Herr jederzeit zu Hause sein muß, selbst wenn er nicht zu Hause ist. Der Mann wird selbst dann eintreten, wenn Ihr heute oder morgen der Primas von Gran geworden sein solltet, was bei Euch am Ende auch nicht unmöglich wäre!«

Leon eilte selber hinaus, um dem Probste die Thür zu öffnen. »Dein Cerberus ließe mich wahrhaftig nicht ein, wenn ich erschrecken wollte vor ihm!« sagte Se. Hochwürden scherzend. »Ich kann mir's denken, daß Du die schwere Menge von Ansprachen endlich satt hast und für morgen mußt Du Dich nun wieder auf ein paar tausend Toaste vorbereiten. Nun ich will Dich nicht lange stören. Ich wollte Dir nur einen einfachen Segenswunsch sagen, den Du zu den übrigen legen magst. Indessen ich habe Dir auch ein Geschenk mitgebracht und das war der Hauptgrund, weshalb ich persönlich vor Dein Angesicht treten wollte. Ich sehe, Dein Tisch ist bereits übervoll mit allerlei artigen Dingen, Du könntest damit ein gut assortirtes Galanteriegewölbe eröffnen. Hui! Sodar der »rothe Adler« ist darunter! Na, mein Präsent ist auch nicht zu verachten. Rath' einmal, was ich Dir gebracht habe? Es ist mehr werth, als alles Uebrige. – Einen Brief von Deiner schönen Prinzessin. Das läßt sich hören, – wie? Sie hat mich selber gebeten, ihn Dir persönlich zu übergeben, und ihr auch Deine Antwort zu bringen. – Nun lege also fünf Minuten den hochgeborenen Herrn ab, mein Sohn, sei wieder mein ›Bruder Napoleon‹ und lies das Schreiben.«

Leon öffnete hastig das Couvert und nahm das goldgeränderte Blatt heraus. Ueber dem Monogramm war keine Fürstenkrone mehr sichtbar. Der Brief begann mit einem Glückwunsche zu dem heutigen Tage, voll Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit. Dann folgte – als das werthvollste Geburtstagsgeschenk – die Ermächtigung: Leon möge selbst den Tag der Trauung festsetzen. – Das war in der That ein Geschenk von höherem Werthe, denn alle Herrlichkeit der Welt! In der Nachschrift aber frug die holde Schreiberin: »Haben Sie Livien bereits gefunden?«

Leon verschwammen die Buchstaben vor den Augen.

»Ich denke, Du bist mit dem Inhalte wohl zufrieden?« sagte der Probst. Ob er den Inhalt des Schreibens wohl kannte? Ob man ihm dasselbe vorgelesen hatte? Und die Nachschrift desgleichen? Wenn das der Fall war, dann war Torquemada ein Schäker im Vergleich zu diesem Pfaffen, der den armen Ketzer, den er langsam am Feuer briet, fragen konnte, ob er zufrieden sei?

»Na, und jetzt schreibe mir sofort die Antwort; denn ich will noch heute die Rückreise antreten.«

»Gut, hochwürdiger Herr. Ich schreibe die Antwort; ich will nur einen Augenblick in mein Schreibzimmer gehen.«

»Schreib' mir eine recht schöne Antwort – Du verstehst das wohl; lüge aber nicht zu viel zusammen, denn das verstehst Du gleichfalls.«

Leon ließ den Probst an einem Tische niedersitzen, der mit allerlei Prachtwerken bedeckt war. »Unterhalten Sie sich einstweilen mit der Bibel von Doré. Sehen Sie wohl: die Ermahnung hat gefruchtet; ich habe mir die Bibel angeschafft.«

»Ah! Eine illustrirte heilige Schrift! Die Bibel als Modejournal! Sind nicht auch die Schnittmuster zu den Costümen dabei? So fände sie erst recht Absatz. Also sehen wir uns einmal die Moden an, von Frau Eva bis auf die schöne Sulamith.« – –

Da lagen nun die beiden Briefe nebeneinander.

... »Bestimmen Sie nach eigenem Wunsche den Hochzeitstag.«

... »Sei gesegnet, sei glücklich in alle Ewigkeit.«

Und zwischen beiden der zurückgesendete Reifring.

Die einzige unauflösliche Wahrheit auf Erden, die keinen Anfang und kein Ende hat. Das einzig und jederzeit heilige Symbol! Als Pfand nicht einzulösen, als Band nicht aufzulösen. Er hatte ihn wiederbekommen als Geschenk.

»Sei gesegnet, sei glücklich in alle Ewigkeit!«

»Vergiß sie, die diesen Ring getragen. Sage Dir, sie sei gestorben ... und glaube es ...«

»Kein Gedanke an sie möge Dir fürder Unruhe bereiten.«

»Sei gesegnet, sei glücklich in alle Ewigkeit.«

»Bete zu Gott, wenn Du zur Ruhe gehst, daß er sie Dir nicht in Deinen Träumen erscheinen lasse, sie, ihre armen, verweinten Augen, ihr fahles Gesicht, ihre schwindende Gestalt; daß Du nicht etwa im Traume ihren Namen rufest und Deine Ehefrau ihn höre!«

»Ihr nächtliches Weinen möge niemals hineintönen in Dein süßes Liebesgeflüster und wenn Eure Lippen sich einander zum Kusse nähern, möge niemals ihr kalter Schatten zwischen ihnen stehen.«

»Sei gesegnet, sei glücklich in alle Ewigkeit ...«

»Die Frauen mögen Dich lieben, die Männer mögen Dich ehren; Du aber liebe Niemanden und ehre Niemanden; empfange stets, ohne je zu geben. Begrabe diese kleine Welt, die Du in einem liebenden Herzen besessen und nimm dafür die große Welt zu eigen – und mögest Du den Tausch niemals zu bereuen haben!«

»Sei gesegnet, sei glücklich in alle Ewigkeit!«

»Und wenn Du dereinst die bangen Nächte schlaflos am Krankenlager Deines Kindes sitzest – dann rufe in einem leisen Seufzer meinen Namen an. Ich werde dann schon im Himmel sein, ich will herabsteigen und Deinem Kinde Genesung bringen.«

»Sei gesegnet, sei glücklich in alle Ewigkeit!«

... Der Segenswünsche war kein Ende. Dieser kleine, stumme Metallreifen wußte mehr zu sagen, als alle Redner der Welt. Dieser stumme Ankläger ließ ihn keine Entschuldigung finden, nicht die geringste Entschuldigung, um derentwillen selbst der parteiischeste Richter: die Eitelkeit, auch nur einen Tag nachgesehen haben würde von der irdischen Verdammniß. Leon preßte die gefalteten Hände wider seinen Kopf und schritt der Verzweiflung nahe im Zimmer auf und ab. Alsbald fiel ihm ein, daß seine unruhigen Schritte Jemanden im Nebenzimmer aufmerksam machen könnten; er setzte sich also an seinen Schreibtisch und las die beiden Briefe immer wieder von Neuem.

Ah – es giebt ja auch noch einen dritten Brief! Einen noch unerbrochenen Brief! Er trug ihn im Portefeuille bei sich. Der Brief, den ihm der alte, abgenützte Diplomat übergeben hatte. Eine Adresse in versiegeltem Couvert. Es ist noch immer versiegelt. Er zog es aus der Tasche und legte es gleichfalls vor sich hin. Was sollte er damit beginnen? Es sind nur drei Schritte bis zum Kamin. Dort lodert ein lustiges Feuer. Das Briefchen flammt einen Augenblick auf und dann ist Alles entschieden. »Die Braut ist todt, es lebe die Braut!« Sollte er das Couvert in die Flamme werfen? Und dem Couvert nach dieses Epheublättchen ... Und darnach das Bild des Schutzgeistes aus dem Medaillon ... und zuletzt den Platinaring ...?

Dann würde er die Feder nehmen und würde seiner Braut schreiben: »Ich habe Livia nicht gefunden!«

Und damit würde er sie auf ewig begraben haben, so tief, daß selbst ihr Andenken mit ihr begraben wäre.

So tief, daß Jedermann verboten wäre, auch nur ihren Namen zu nennen in ihrer Gegenwart. Nur drei Schritte bis zum Kamin.

» Dominus vobiscum!« rief es aus dem Nebenzimmer herüber. »Hochgeborner Herr! Bruder Napoleon! Dauert die Briefschreiberei noch lange? Hättest mittlerweile vier Seiten mit Versen vollschreiben können! Mach' nicht viele Worte, was zuviel ist, ist ungesund. Ich habe mittlerweile schon die ganze Bibel durchgeblättert. Soll ich Dir vielleicht helfen, damit Du zum Schlusse kommst?«

Nun – er hatte geholfen! Leon fuhr auf den Ruf empor. Er seufzte tief auf und erhob sich. Und dann schrieb er stehend den Brief an Raphaela. Es waren nicht viele Worte. Zwei Zeilen Alles in Allem.

» Ich habe Livia gefunden ...

Gott sei meiner armen Seele gnädig ...«

Damit riß er das Siegel jenes dritten Briefes auf und las den Inhalt. Zum »Beschluß« siegelte er dann die Antwort an die Prinzessin, trat nach einigen Sekunden heitern Antlitzes zu dem Probst hinaus und übergab ihm dieselbe.

Das war das letzte Schreiben, welches von Leon v. Zarkany Nachricht gab. Des andern Tages war er nirgend zu finden.

Am Tische lagen seine Orden, all die Andenken, die Beglückwünschungsschreiben umher – er selber kam nimmer wieder zum Vorschein.

*


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