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Erstes Buch.

Was zwei Mädchen mit einander plaudern.

»Du, Livia, ich fürchte, bis wir den Altarteppich fertig bringen, werden wir Beide grau.«

»Wir haben ein schwieriges Muster gewählt. Die Stickerei › à la Gobelin‹ erfordert Zeit.«

»Oder es heirathet uns bis dahin Jemand.«

»Da wir ihn aber einmal angefangen haben, müssen wir ihn nun auch vollenden.«

»Höre, Livia, ich werde nicht zugeben, daß Du Dich verheirathest, so lange ich unvermählt bin.«

»Nein, Prinzessin.«

»Daß ich doch endlich einmal ein ›Nein‹ von Dir höre; obgleich es eigentlich auch nur die Umschreibung eines ›Ja‹ ist. Weißt Du auch, daß Du die Schuld trägst, daß ich so unausstehlich bin?«

»Ich weiß weder von dem Einen, noch von dem Andern.«

»Der fortwährende Umgang mit Dir hat mich dermaßen verwöhnt, daß ich kein anderes weibliches Wesen um mich leiden mag. Ich finde die jungen Mädchen sammt und sonders überaus häßlich. Du allein bist schön. Rabenschwarzes Haar und dazu dunkelblaue Augen. Man kann ein ganzes Land durchforschen, ohne Aehnliches zu finden. Diese stets lächelnden, feingeschnittenen Lippen! Selbst wenn sie Zorn ausdrücken wollen, zeigen sie nur eine Nuance von Lächeln. Und dann diese herrliche, reine, blendend weiße Stirn. Wie gut thun doch die anderen Frauen daran, das Haar à la Hirtenbube über die Stirne herabzuziehen, und so den einzigen Reiz zu verdecken, den selbst eine Frau an der anderen schön findet. Deine Stirne gemahnt mich immer an das Gebetbuch meiner Großmama, dessen Elfenbeindeckel ich mit so viel Andacht zu küssen pflegte, obgleich ich nicht verstehe, was darinnen steht, denn es ist Latein; aber ich weiß, daß Alles heilige Schrift ist.«

»Es ist nur Ihr gutes Herz, Prinzessin, welches Sie all' dies an mir finden läßt.«

»Ich lobe Dich auch deshalb so gerne, weil dies das einzige Thema ist, welches Dich zu reizen vermag, mir zu widersprechen. Durch Lob allein kann ich jederzeit sicher sein, Dich böse zu machen. Und wie gut bist Du selbst dann, wann Du zürnest! Du machst niemals Gebrauch von der Waffe, mit der Du mich wieder ärgern könntest; Du giebst mir das Lob nicht zurück. Ein anderes Mädchen würde mit flötender Stimme erwidern: »Ach, was bin ich im Vergleich zu Ihnen, Prinzessin!« Ha, mit Nadeln zerstechen könnte ich jede Zunge, die es mir in's Gesicht sagt, daß ich schön bin. Ich weiß es ja ohnehin! Ich habe ja meinen Spiegel, ich habe Augen, mich zu sehen. Mein Wuchs ist hoch und plastisch; meine Schultern, meine Arme sind vollgerundet; meine Züge sind regelmäßig, mein Teint ist weiß und frisch geröthet, meine Lippen sind voll, meine Zähne sind blendend weiß und tadellos; meine Augen sind nicht klein und haben Stolz und Feuer; wenn ich mein Haar aufrolle, fällt es mir bis zu den Knieen nieder; es schimmert goldig blond selbst ohne Sonnenstrahl. Das sind denn doch der Schönheiten genug. Wenn ich mir selber nun aber durchaus nicht gefalle!«

»Was ist es denn aber, Prinzessin, was Ihnen an Ihnen selber nicht gefällt?«

»Vor allem meine Gestalt. Warum muß ich denn so hoch aufgeschossen sein! Bin ich denn zu einem Bildhauermodelle gewachsen? Ich sehe allen Leuten über die Köpfe hinweg; andere Frauen müssen sich auf einen Schemel stellen, wenn sie mit mir reden wollen. Warum bin ich nicht lieber klein, schmiegsam, lebhaft und beweglich? Und dann mein Haar! Das kann ich vollends nicht ohne Schauder ansehen. Warum muß es gerade blond sein? Da wäre mir doch noch lieber, es wäre roth! Und wenn schon mein Auge schwarz ist, warum nicht auch das Haar? Ich hätte gute Lust, der Vorsehung einen Prozeß zu machen, wenn sie mir schon blondes Haar gegeben hat, warum nicht wenigstens auch blaue Augen dazu?«

»Das Resultat dieses Prozesses gegen die Vorsehung könnte am Ende sein, daß Sie aussehen würden wie Baronesse Pompeia Falbenheim!«

»Hahaha! Das ist ein köstlicher Einfall, Livia. Die Falbenheim ist wahrhaftig eine wunderliche Erscheinung. Ein junges Mädchen, dessen eines Auge blau, das andere schwarz ist!«

»Und dazu das Haar! Weder blond, noch schwarz, noch roth, sondern weiß!«

»Es scheint nur von ferne und bei Lampenschein weiß, daß man glauben möchte, man sehe ein junges Mädchen vor sich, welches ergraut, oder eine Albino ist, oder eine Rococoperrücke trägt; in der Nähe und bei Tag gesehen, hat es eine gewisse blasse Nuance von Blond; eine Art von Silberblond. Und wie die Männer für sie schwärmen! Wenn Du das sehen würdest! Alle Welt ist vernarrt in sie. Deshalb möchte ich aber doch weder das Gesicht, noch das Haar, noch die Augen mit ihr tauschen. Mir wäre der Gedanke unerträglich, daß irgend Etwas an mir ungleich sei, daß man, wenn man mir aus nächster Nähe ins Auge sieht, niemals solle wissen können, woran man mit mir eigentlich ist. Denn wenn man Jemandem aus der Nähe ins Gesicht schaut, kann man immer nur ein Auge auf einmal sehen, vorausgesetzt, daß der Betreffende, der uns ansieht, nicht schielt. Schaut man nun der Falbenheim in das blaue Auge, so spricht ein heiteres, offenes, ehrliches Gemüth aus demselben; blickt man ihr aber in das andere, in jenes schwarze Auge – da sitzt ein hinterlistiger, falscher, verführerischer Dämon darin. Mit dem einen Auge zieht sie an, mit dem anderen stößt sie ab. Und eben so trügerisch ist auch ihr Haar. Aus der Ferne gesehen das Haar einer frommen Matrone, in der Nähe das einer Loreley. – Ich fürchte mich vor diesem Mädchen! Ihr Gemüth bezaubert und unterjocht. Gleich bei der ersten Begegnung wurden wir Du und Du mit einander. Sie elektrisirt mich, wenn ich mit ihr spreche; ich fühle mich gezwungen, heiter zu sein, wenn ich mit ihr beisammen bin. Ich bin neidisch auf sie; ich beklatsche sie, daß sie so ausgelassen, flatterhaft und kokett ist, und ich gräme mich gleichwohl, daß ich nicht ebenso zu sein vermag. Als wir zuletzt zusammen waren, küßte sie mich beim Abschiede auf das Auge; die Stelle brennt mich seither ohne Unterlaß. Komm, lege mir Deine Lippen auf das Auge, küsse mir den Zauber davon, oder das Gift, oder was sie mir sonst darauf zurückgelassen haben mag, Dein Kuß wird mich heilen.«

»Prinzessin, Sie überschätzen mich.«

»Nicht doch Livia. Deine lieblichen Lippen sind mir schon oft heilsam gewesen: bald durch ein kluges, sanftes Wort, bald durch ein schweigendes Lächeln, das ich ganz wohl verstand. Nicht das ist das Schöne an Dir, was mit Augen zu sehen ist, sondern Dein köstliches Gemüth. So viele ich der Geschöpfe unseres Geschlechts kenne, sie sind alle ›Damen‹ in der schlimmsten Bedeutung des Wortes; Du allein bist Dasjenige, was da ideal ist in dem Begriffe ›Weib‹. Du bist geduldig, gleich einem Engel; Du verstehst es, lächelnd zu leiden wie ein Märtyrer; Du bist sorgsam wie eine gute Mutter, treu wie eine Gattin, gehorsam wie ein Kind; und Diejenige, an welche Du so viele Güte verschwendest, ist Dir doch weder Gatte, noch Mutter, noch Kind, sondern blos eine Freundin.«

»Ach Prinzessin, erlauben Sie mir, Ihre Hand zu küssen. Ein guter Gatte, ein gutes Kind, eine gute Mutter sind köstliche Schätze auf Erden, doch ein seltenerer Schatz als diese alle ist eine gute Freundin. Und eine solche sind Sie mir stets gewesen, von meiner Kindheit an.«

»Warum kennt doch mein Herz nicht gleichfalls alle diese guten Regungen und Gefühle, die in dem Deinen wohnen?«

»Es sind das Eigenschaften, Prinzessin, wie sie für meine Lage passen. In Ihrer Stellung wären sie keine Tugenden, sondern Schwächen; Sie haben andere Eigenschaften; und auch diese sind idealisch bei einem Weibe.«

»Ich weiß das, Livia. Doch so wie ich es nicht liebe, meine körperliche Schönheit rühmen zu hören, so berührt es mich noch weit unangenehmer, wenn man meiner geistigen Vorzüge Erwähnung thut. Ich bin unzufrieden mit Allem, was ich empfinde, was ich weiß, was in meinem Herzen lebt, was ich gelernt habe, mit allen meinen Neigungen und Leidenschaften. Ich liebe mich selber nicht.«

»Ist es denn möglich, daß Jemand, den Jedermann liebt, sich selbst nicht liebe?«

»Ob mich Jedermann liebt, weiß ich nicht. Viele sagen es zwar, doch ich glaube es Wenigen. Aber daß ich meinerseits nur wenige Menschen liebe, das ist gewiß, und daß ich unter diese Wenigen mich selber nicht zähle, das hat seinen Grund. An Menschen, die ich genau kenne, sehe ich alle ihre Fehler; der urtheilende, forschende Geist ist stärker in mir als Anhänglichkeit und Instinkt. Ich liebe meinen Vater mehr als meine Mutter; das ist ein Mangel an kindlicher Naivetät, wie sie meinem Alter geziemen würde. Ich weiß die Eigenheiten meiner Eltern zu beurtheilen und forsche dann nach denselben in meinem eigenen Innern. Von meinem Vater habe ich die Eigenheit geerbt, eine gute Eigenschaft, die ich an mir inne werde, zu verbergen, damit sie ein Anderer doch ja nicht gewahre, und wenn ich etwas Gutes thun will, es so heimlich zu thun, daß ich ja nicht dabei betreten werde. Und noch etwas Anderes habe ich von ihm überkommen, was ich Dir später beichten will, Du meine kleine Priesterin; lass' mich's nicht vergessen. Von meiner Mutter aber habe ich die Zweifelsucht geerbt, das Mißtrauen gegen Jedermann, sogar gegen mich selber. Ich glaube mir selber nicht, ich traue keinem Andern. Während ich an diesem Altarteppich sticke, sage ich zu mir selber: ›Damit willst Du Dich nur einschmeicheln beim himmlischen Vater.‹ Schicke ich einer armen kranken Wittwe ein Mittagessen, so sage ich mir: ›Damit gedenkst Du nur den lieben Gott herumzukriegen, daß er Dir irgend einen Wunsch erfülle.‹ Wenn ich zum Gebet hinkniee, so ist mir, als ob ich Komödie spielte, und ebenso ergeht es mir, wenn ich meine Mutter küsse. Und ich habe doch den besten Willen andächtig zu sein, zu lieben: aber ich traue meinem eigenen Herzen nicht. Ich wollte, ich hätte Leidenschaften, wie andere Frauen sie haben, Leidenschaften, die uns entweder glücklich oder unglücklich machen; ich habe nur Wünsche, die unerfüllbar sind. Ich möchte aus eigener Kraft Etwas sein, allein allenthalben stoße ich immer wieder auf Jemanden, der mich bereits weit überflügelt hat. Ich war eine leidenschaftliche Klavierspielerin; – seitdem ich eine berühmte Künstlerin gehört habe, mag ich kein Piano mehr öffnen. Aus demselben Grunde habe ich Pinsel und Palette aus der Hand gelegt: ich habe Frauen kennen gelernt, die es in der Malerei viel weiter gebracht hatten, als ich. Ich liebte den Gesang: die Patti hat mich für immer verstummen gemacht. Und das waren vorerst nur Frauen. Es gewährte mir eine wahre Lust, Verse zu machen, bis ich eines Tages gewahr wurde, welcher Unterschied doch zwischen dem Gedichte eines Mannes und dem einer Frau sei. Das Gedicht des Mannes ist eine Centifolie, in welcher die Staubfäden in Blüthenblätter verwandelt sind; das Gedicht der Frau dagegen gleicht der grünen Rose, in welcher die grünen Kelchblätter sich an Stelle der Staubfäden vermehrt haben. – Ich legte die Feder hin.«

»Schade. Ihre Verse waren so hübsch.«

»Es ist nichts für uns. Wir sind reich und hohen Ranges. Mein Vater ist Bannerherr und einer der drei reichsten Grundbesitzer von Ungarn. Seinem einzigen Kinde hat das Geschick eine andere Bahn zur Befriedigung seiner Wünsche eröffnet. Da ist die Feenwelt des high-life, der Olymp des Hofes. Das ist unsere Arena, hier werden jene Frauenkämpfe ausgefochten, in denen Kronen in einander verschmelzen. Und gerade auf diesem Schauplatze fühle ich mich am schwächsten. Es fehlen mir alle Mittel, Eroberungen zu machen; ich bin weder die Schönste, noch die Geistreichste, noch die Begüterteste. Wenn ich sehe, wie so Viele mich überragen, da fühle ich dann, wie tief unten ich stehe. Und dann, selbst wenn sich eine Gelegenheit zu einem solchen Triumphe ergiebt, den die Anderen eine Eroberung nennen – ich vermag mich darüber nicht zu freuen. Was habe ich Dir denn nur noch sagen wollen? Ich habe Dich gebeten, Du sollest mich nicht daran vergessen lassen. –«

»Daß Sie noch eine Eigenschaft Ihres Herrn Vaters geerbt haben, Prinzessin.«

»Ach ja. Ich danke Dir. Ich hätte eigentlich nach dem eben Gesagten von selber darauf verfallen müssen. Wenn ich je einmal lieben sollte, so recht wahrhaftig, aus vollem Herzen, – ich würde meine Liebe derart verheimlichen, so in mich verschließen können, daß keine Seele jemals etwas davon auch nur ahnen sollte. Den Tag über würden meine Gedanken bei ihm sein, den ich liebte, des Nachts würde ich von ihm träumen, er selber aber, von dem meine Gedanken, meine Träume mir redeten, sollte mir niemals erfahren, was für ihn in mir spricht, wenn er es nicht selber erriethe. Ich würde jenem Anderen, dessen Namen ich tragen müßte, Treue halten, ich würde seine Ehre stolz bewahren, ich würde meiner Pflichten gegen ihn stets eingedenk sein; ich würde ihm mit Zärtlichkeit begegnen, und auch er selber sollte niemals inne werden, daß nicht er es ist, der in meinem Herzen wohnt. – Das ist es, was ich ebenfalls von meinem Vater geerbt habe. – Meine Mutter hat mir davon gesprochen. – Seitdem ihr heftiges Nervenleiden so sehr überhand genommen hat, enthüllt sie mir, so oft ich zu ihr komme, ihre geheimsten Gedanken. Darum fürchte ich mich auch, zu ihr zu gehen. Sie pflegt zu sagen, ein junges Mädchen müsse bei Zeiten Alles erfahren und es sei bester, wenn sie es von der Mutter erfährt. Zuweilen weiht sie mich in Dinge ein, die eigentlich nur für das Ohr des Arztes gehören. Ueber den Beruf der Frau hat sie mich bereits dermaßen realistische Details kennen gelehrt, daß mir alle Lust zu demselben vergangen ist. – So erfuhr ich denn auch von meiner Mutter, daß mein Vater in seinen jungen Jahren ein reizendes Mädchen geliebt hat, welches jedoch aus einer einfachen Edelfamilie stammte und nicht reich war. Aber stolz war sie. Diese Neigung war edel, wie überhaupt jeder Zug im Charakter meines Vaters; ›deshalb‹ schickten ihn seine Eltern auf weite Reisen. Er umschiffte die Erde und als er zurückkehrte, war sein Ideal längst verheirathet, war Mutter und vielleicht auch glücklich. Mein Vater hat sich ihr nie wieder genähert. Er verheirathete sich; er hatte eine ihm ebenbürtige Frau gewählt, wurde ein zärtlicher Gatte, wurde Vater von Kindern und ein mustergiltiges Familienhaupt. Allein den Weg zu seinem Herzen hat meine Mutter gleichwohl niemals gefunden. Er hat sein Ideal von ehemals nicht wieder gesehen, und als sie gestorben war, folgte er selbst ihrer Leiche nicht. So oft aber diese Frau in schwierige Verhältnisse gerieth (ihr Gatte war ein Verschwender), half jedesmal das geheimnißvolle Eingreifen einer wohlverborgenen Hand ihr und ihrer Familie aus ihrer mißlichen Lage. Niemand erkannte diese Hand, nur meine Mutter errieth dieselbe. Frauen sind in derlei Dingen Clairvoyantes. Siehst Du – genau so würde auch ich handeln.«

»Sie werden derartiges nicht nöthig haben, Prinzessin. Sie sind in der Lage, unter ebenbürtigen Idealen wählen und Hand und Herz mit einander vergeben zu können.«

»O, hör' einmal, ich bin sehr wählerisch. Ich bin nicht so leicht zu erwerben. Der Mann, der mich dazu vermögen könnte, ihm das entscheidende Wort zu sagen: ›Ich liebe Dich‹ – der dürfte nicht blos eine oder die andere Tugend besitzen; der müßte alle Tugenden in sich vereinen, welche einen Mann zum ›Herrn‹ eines Weibes machen. Er müßte ein schöner, stattlicher Mann sein, von nicht vernachlässigtem, aber auch nicht geschniegeltem Aeußern; sein Gesicht müßte einen edlen Ausdruck, einen befehlenden Blick, eine reine, freie Stirn haben. Seine Stimme müßte in reichem Maße modulationsfähig sein, so daß er zu donnern vermöchte, wenn die Erregung ihn hinreißt und wieder sanft zu flehen wüßte, wenn zärtliche Empfindungen ihn bewegen. Er müßte gestählten Körpers sein! ich mag den Mann nicht zähneklappern sehen, wenn er friert, nicht erschöpft hinsinken, wenn er ermüdet ist, mag ihn nicht bei jedem Luftzuge über alle möglichen Zustände klagen hören. Er müßte gewandt sein, müßte fechten und schießen und reiten, dabei aber nicht ruhmredig, nicht händelsüchtig, sondern ritterlich und manierlich auftreten. Auch sein Geist müßte mit allen Vorzügen ausgestattet sein. Seinem Charakter dürfte kein unedler Zug anhaften. Güte müßte in ihm mit Klugheit gepaart, er müßte ungestüm sein und sanft, jedes zur rechten Zeit und an der rechten Stelle. In seiner Rede würde ich ruhigen Humor finden wollen, aber keine schale Witzhascherei, keinen verletzenden Sarkasmus. Ich möchte wünschen, daß er ein ausgezeichneter Redner wäre. Auch poetische und künstlerische Neigungen, getragen von den entsprechenden Fähigkeiten, würde ich bei ihm gerne sehen. Er soll ein guter Wirth, aber kein Geizhals sein. Ich würde verlangen, daß er mit ganzer Seele liebe, aber auch nicht mit einem einzigen Gedanken eifersüchtig sei. Er soll mir zu befehlen vermögen, aber mir auch zu gehorchen wissen. Und bei all dem würde ich als unerläßliche Bedingung fordern, daß er in jeder Hinsicht höher stehe als ich; selbst dem Range nach, damit nicht mein Name seinen Adel erhöht, sondern sein Name den meinigen.«

»Je nun ... da wäre ja Prinz Alienor.«

»Prinz Alienor! – Ah – bist Du wohl bei Troste? Den erkennst Du in dem Ideale, das ich Dir geschildert habe? Allerdings, sein Rang ist ein höherer, als der meinige; sein Vater ist Standesherr, ein mediatisirter deutscher Fürst; der Prinz selber aber ist das genaue Gegentheil von Allem, was ich als die charakteristischen Züge des Ideals eines Mannes aufgezählt habe. Ein Mann, der in auffälliger Weise weibliches Wesen affektirt, und zwar in den kleinlichen Mängeln desselben! Er trägt das Gesicht glatt rasirt, ja man sagt, er schminke sich weiß und roth; er trägt ein Mieder, um möglichst schlank zu erscheinen, einen weitausgeschlagenen Kragen, um einem Fräulein gleich den dekolletirten Hals zu zeigen, in den Ohren diamantene Gehänge, auf der Brust ein Blumenbouquet, am Handgelenke ein Bracelet, im Theater und im Ballsaale einen Fächer. Und auch in seinem sonstigen Benehmen bekundet er konsequent das bizarre Bestreben, alle Männlichkeit zu verleugnen; er liebt kleinlichen Tratsch, er ist sensitiv, affektirt, nervös, klagt über Krämpfe und Migräne, laborirt an Ohnmachten, fürchtet sich vor Katzen, wird unwohl von dem Dufte einer frischen Rose und singt die Bravour-Arie der Rosine im Falsett gleich einer falschen Catalani. Nein, nein – der kann allenfalls mein Anbeter sein, niemals aber mein Ideal. Ihm kann das Malheur passiren, daß ich ihn nehme, niemals aber mir das Unglück, mich in ihn zu verlieben.«

»Wer weiß, Prinzessin. Wie, wenn die weibliche Grazie, die er affektirt, bloße Mummerei, wenn hinter derselben ein starker, männlicher Charakter verborgen wäre, dem all die Bizarrerien nur zur Maske dienen sollen –?«

»Apropos: Maske! Was sagst Du zu diesem Napoleon?«

»Zu Napoleon? Ich?«

»Ach so starre mich doch nicht so an mit Deinen blauen Himmelskugeln! Nicht über den Kaiser Louis Napoleon Bonaparte will ich ja Deine Meinung hören, sondern über den sonderbaren Menschen, den alle Welt ›Bruder Napoleon‹ nennt, den wir öfter hier bei meinem Vater treffen.«

»Ich weiß nichts über ihn zu sagen, Prinzessin.«

»Nun, da weiß ich jedenfalls mehr. Dieser junge Mann ist der Sohn jener verstorbenen Frau, die in ihrer Jugend das Ideal meines Vaters war. Würde mein Vater sie geheirathet haben, so wäre heute ich ›er‹, und er wäre ›ich‹. Es ist doch interessant zu forschen, welch ein Mensch der wohl sein mag, mit dem wir das Leben getauscht haben.«

»Er ist ein närrischer Kautz.«

»Das sehe ich wohl. Ich möchte aber eben dahinter kommen, ob er blos ein Narr, oder aber – ein › Brutus‹ ist?«

»Das weiß ich nicht.«

»Du weißt aber auch gar nichts. Wäre nur Madame Corysande da.«

»Warum denn wohl Corysande bei uns Madame genannt wird? Sie ist doch noch immer Fräulein.«

»Der Franzose ist so artig, Fräuleins, die über ein gewisses Alter hinaus sind, Madame zu tituliren.«

»Ach ja – dann verdient Corysande den Titel gewiß.«

»Sie ist nicht so alt, als die tiefen Falten um die Mundwinkel sie aussehen machen. Diese rühren aber nur von dem vielen Zusammenkneifen der Lippen her. Sie ärgert sich viel in sich hinein. Du darfst mir glauben, wenn sie heiter ist, sieht sie um zehn Jahre jünger aus. Der Aerger macht ein Frauengesicht gar sehr altern. Ich werde mich niemals ärgern.«

»Wie wollen Sie es wohl vermeiden, Prinzessin?«

»Wenn ich auf Jemanden böse werden will, so bedenke ich zunächst, ob nicht etwa Derjenige Recht hat, der mich eben erzürnt. Dann berechne ich, ob der Nachtheil, der mir aus dem Aerger erwächst, nicht etwa größer ist als der Vortheil, den mir die Wiedervergeltung bringt. Mittlerweile aber paktire ich mit meinem Zorne.«

»Ihnen ist das allerdings möglich, Prinzessin, denn Sie stehen über den größten Theil aller denkbaren Beleidigungen hoch erhaben. Was aber soll ein armes Geschöpf thun, wie Madame Corysande, die sich einbildet, Jedermann beleidige, ärgere sie, die in jedem, selbst dem indifferentesten Worte eine Anzüglichkeit findet? Lacht Jemand, so überredet sie sich, man lache über sie; schweigt man still, so denkt sie, man sei böse auf sie; verrichtet man irgend etwas, was eigentlich ihr zukäme, so sieht sie darin eine Intrigue. Und gegen all das hat sie keine andere Waffe, als daß sie nicht ißt, wenn sie sich ärgert; sie sagt dann, sie habe Kopfschmerz und hungert so lange, bis sie in der That unwohl wird und genöthigt ist, sich zu Bette zu legen. Das ist ihre Kampfweise.«

»Und sie ist doch bei all' dem ein so seelengutes Geschöpf. Mich hat sie sehr lieb.«

»Das ist ja eben die Hauptursache dessen, daß sie sich so sehr unglücklich fühlt. Sie weiß es äußerlich in augenfälliger Weise zu zeigen, wenn sie Jemanden lieb hat, und mag es nicht glauben, daß Ihre Art in dieser Beziehung eine andere ist. So sieht sie sich denn immer zurückgesetzt. Auch jetzt liegt sie deshalb zu Bette.«

»Wie? Ich hätte sie also verletzt?«

»Und zwar sehr empfindlich. Ich weiß sogar, womit.«

»Du weißt, was ihr fehlt?«

»Noch mehr, ich weiß auch was sie wieder herstellen könnte.«

»Ach, Du kleiner Doktor! Du wüßtest sie also zu heilen?«

»Wenn Sie es erlauben wollten, Prinzessin.«

»Erlauben? Ich wünsche es geradezu.«

»Es wird aber viel kosten.«

»Wie das? Was denn?«

»Eine Tasse Bouillon und ein gutes Wort.«

»Je nun, das findet sich ja Alles im Hause.«

»Die Tasse Bouillon wohl.«

»Mag sein, daß sie dadurch geheilt werden könnte; wie willst Du es aber anstellen, daß sie sie auch nimmt? Ich habe es erst gestern noch versucht und ihr selber Fleischbrühe gebracht: sie nahm sie nicht; sie meinte, sie müßte sterben davon.«

»Ja, es muß eben das gewisse Wort vorhergehen.«

»Ich habe ihr deren genug gegeben. Ich habe sie meine Liebe, meine Theure, mein Engel genannt.«

»Nur das Eine, was sie eben erwartete, haben ihr Prinzessin nicht gesagt.«

»Und Du kennst das Wort? Nun dann sag' ihr's doch.«

»Und Sie wollen es einlösen, Prinzessin?«

»Wenn Du es sagst, und wenn ich es vermag, und wenn sie gesund wird davon, ohneweiteres.«

»Vollkommen gesund wird sie davon. In einer Stunde frühstückt sie mit uns und wenn wir sie dann überdies noch auffordern, uns ein klein wenig Klatsch und Tratsch ringsum aus dem Komitate zu erzählen, so wird sie vollends um zehn Jahre jünger.«

»Nun denn, so versuche es einmal.«

*


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