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Trost.

Alienor traf Leon in seiner Wohnung und allein. Leon eilte Alienor, sobald er ihn erblickte, mit jener ungeheuchelten Freude entgegen, in welcher so unverkennbar ausgedrückt liegt, daß uns einem Manne, als Gatten, gegenüber keinerlei Selbstanklage die Seele beschwere. Leon konnte seinem Gaste frei die Hand reichen. Alienor nahm sie auch ohne Zaudern an und erwiderte den Druck derselben mit beiden Händen. Dann begann er in ernstem, verständlichem Tone zu reden: »Lieber Leon! Ich komme in einer ganz eigenthümlichen Sache zu Dir. Alle Welt weiß, daß ein gutes Stück Narrheit in mir steckt; ich habe ja immer selber meine Freude gehabt an allerlei Streichen, und habe daraus auch niemals ein Hehl gemacht. Du warst dagegen stets dafür bekannt, daß Du gar viel Verstand hast. Daher war ich auch, so oft sich unsere Wege kreuzten, jedesmal eine fertige Beute für Dich. Du hast Dein Spiel mit mir getrieben, hast mir einen Schabernack um den andern angethan, immer aber so, daß obendrein noch ich Dir dankbar sein mußte für einen neuerlichen Beweis von Freundschaft, etwa wie der Delinquent sich bedanken muß für die ›gnädige Strafe‹. Du hast mich auf dem Gebiete der Diplomatie, wo ich mich für versirt und Dich für einen Neuling hielt, zu Schanden gemacht. – Du hast recht gethan. Ich nehme all das in einer Weise hin, als ob Du mich auf der Rennbahn geschlagen, oder im Börsenspiel herumgekriegt hättest. Das ist durchweg Alles Spaß; wir wollen darüber lachen, recht vom Herzen lachen. Allein einen Punkt giebt es in meinem Herzen, in diesem gefühllosen Kautschuk-Herzen, der schmerzt. Ich habe eine Frau, und ich bin – eifersüchtig auf Dich! Es ist eine Narrheit, es ist Wahnsinn von mir – aber ich kann nicht dafür; Es schmerzt. Ich habe wohlwollende Freunde, die ab und zu allerlei beißende Bemerkungen von einem unterbrochenen Rendezvous fallen lassen; damals als Du so plötzlich Paris verlassen mußtest ...«

»Das würde ja aber gerade gegen die Verleumdung beweisen, wenn es irgendwie begründet wäre. Es ist aber überhaupt nicht begründet. Deine Frau ist eine große Intriguantin, das ist wahr; allein sie spinnt ihre Intriguen nur mit dem Verstande, nicht mit dem Herzen. Sie wollte mir einfach diplomatische Geheimnisse herauslocken, und ich – ich habe Deine Frau betrogen, niemals aber Dich.«

»Vielleicht bisher nicht. Doch das unterbrochene Spiel könnte immerhin eine Fortsetzung haben. Du gehst in außerordentlicher Mission nach Paris zurück.« »Glaube doch das nicht!« »Du hast es ja selbst gesagt.« »Dann glaube es zweimal nicht!« »Ich habe es von meinem Vater.« »Ei dann glaube es dreimal nicht!«

»Leon, ich bitte Dich, halte mich doch nicht zum Narren. Ich kranke wahrhaftig, und zwar recht sehr, an dem Uebel, das ich Dir genannt habe. Mein Vater hat mir den Rath gegeben, ich solle hieher, zu Dir gehen und Dich zu einem amerikanischen Duell fordern. Ich bin auch wirklich in dieser Absicht gekommen – allein jetzt, da ich Dir Aug' in Aug' gegenüberstehe, fehlt es mir an Seelenstärke dazu. Ich bin's nicht im Stande, so bittern Haß gegen Dich zu fassen, daß ich Dich mit zerschmettertem Kopfe vor mir sehen möchte, und habe auch nicht Muth genug, die Waffe gegen meine eigene Stirn zu kehren. Aber Eines vermag ich über mich: mich vor Dich hinzustellen, die Augen zu schließen und Dir zu sagen: ›Da schieß' her!‹ Deshalb fordere ich Dich nun auf: sage mir die Wahrheit! Bist Du im Begriffe, nach Paris zu gehen? Wenn ja, so wollen wir mit unseren Sekundanten reden. Und dann bitte ich Dich nur um Eines: triff mich gut; denn ohne daß Du mich tödtest, gehst Du nicht von hinnen.«

Leon dauerte der Mann. »Nun denn, um Dich zu überzeugen, daß ich, selbst wenn ich wollte, nicht nach Paris gehen könnte: sieh' diese Urkunde an. Ich bin zum Obergespan ernannt. Als solcher muß ich doch wohl in meinem Komitate bleiben.«

Alienor las das Dokument Zeile für Zeile durch und begann neu aufzuleben. Gleichwohl konnte ihm Leon vom Gesichte absehen, daß er noch immer Skrupel habe. »Ich will Dir noch mehr sagen. Ich bin seit gestern verlobt.« »Mit wem?«

»Vielleicht erkennst Du meine Braut, wenn ich Dir ihr Porträt zeige. Sie hat es mir eben als angenehme Ueberraschung zugeschickt.«

Er öffnete ein Maroquin-Etui und zeigte Alienor ein Miniaturbild, ein herrliches Aquarell-Gemälde, welches eine wunderschöne Dame in weißem Gewande darstellte. Alienor rief in wahrhaft kindlicher Freude aus: »Raphaela Etelvary!«

(Ja wohl; Prinzessin Raphaela hatte ihre tiefe Trauer für kurze Zeit abgelegt, um sich in dem weißen Costüm porträtiren zu lassen, in welchem Leon damals als neugewählter Abgeordneter sie gesehen hatte, und ihm mit dem Bilde eine Ueberraschung zu bereiten.)

Und nun flog Alienor, wie außer sich, Leon an den Hals, umarmte und küßte ihn, und faßte mit Innigkeit seine beiden Hände.

»Lieber Freund, Du mein einziger wahrer Freund auf dieser Welt, nimm meine aufrichtigen, meine wärmsten Glückwünsche. Sei glücklich, recht glücklich mit ihr!«

Leon sah, welch unendliche Freude er ihm bereitet hatte. Er wollte seine Glückseligkeit vollständig machen.

»Nun darfst Du mir doch wohl glauben, daß ich nicht daran denke, zu Deiner Frau zu reisen. Aber Du mußt auch noch die Überzeugung gewinnen, daß Deine Frau mich ganz und gar nicht erwartet, daß sie überhaupt Niemanden erwartet, außer Dich, und wozu sie Dich erwartet. Geh' ins Ministerium des Auswärtigen; dort liegen für Dich drei Briefe von Deiner Frau, von außen mit der Klausel versehen, daß sie zu Deinen eigenen Händen abzugeben seien. Unsere Couriere haben sie überbracht, und Deine Frau hat sie dieselben zuvor lesen lassen, um sie zu vergewissern, daß darin nicht von Staatsgeheimnissen die Rede sei. Die Briefe werden Dich ganz und gar glückselig machen.«

Alienor erwischte bei diesen Worten Leons Hut anstatt des seinigen und stürmte, hinter sich her nach allen Seiten grüßend, unaufhaltsam zur Thür hinaus; unten auf der Gasse stürzte er mit solcher Hast auf den Schlag seines Wagens los, daß die Fenster in Stücken ins Coupé hineinklirrten.

Alienor fühlte sich durch jene drei Briefe – die in drei verschiedenen Monaten für ihn eingelangt waren, – vollends in die Reihen der Seligen verzückt. Sie kündeten ihm Geheimnisse, wie nur die Gattin dem Gatten sie zu künden vermag, Geheimnisse, die mit einem Male alle Eifersucht, allen Verdacht auslöschten in seinem Herzen und an ihrer Statt Glückseligkeit erweckten und Hoffnung und Stolz.

Wer konnte jetzt noch mit ihm reden! Er stürmte mit seinen Briefen direct zu Papa Oktavian zurück. Er stürzte in dessen Zimmer mit einer Hast, daß der Standesherr sich versah, er werde im nächsten Augenblicke ihn selber zum Duell fordern.

Schon von der Thür aus rief er ins Zimmer hinein: »Es ist nicht wahr! Es ist Alles Lüge, was Du gesagt hast! Nicht ein Wort davon ist wahr! Da sind die Briefe! Lies! den da – und dann diesen hier! (Damit riß er sie aber dem Papa sofort wieder ungelesen aus der Hand und steckte sie in die Tasche.) Pompeja ist ein Engel. Du aber, Du bist ein verläumderischer Satan!«

Oktavian war stumm und starr vor Erstaunen. Er nahm seine große Meerschaumpfeife zur Hand und stopfte sie mit Tabak. Dann, als ihn Alienor endlich zu Worte kommen ließ, der ihn eine geraume Weile in einem Athem einen Teufel und einen Satan schalt, und gleich darauf wieder flehentlich bat, ihm doch einen hervorragenden »Spezial«-Arzt in Paris zu empfehlen sagte er:

»Alienor mein Sohn, ich ziehe meinen Ausspruch zurück, den ich zuvor dem Dresdener Schuster entlehnt habe. Du bist zwar noch immer was Du bist, ich aber bin nicht der Vater dessen, der Du bist.«

*


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