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Die Aufgabe Livia's.

Als es wieder still geworden war, sagte Raphaela zu ihrer Mutter: »Aber es war doch nicht schön von Dir, daß Du von uns Vieren drei verrathen hast.«

»Pardon, liebe Prinzessin, ich habe nur Eine verrathen: die mit der schwarzen Kugel stimmte. Sie möge sich melden und ich werde mich beeilen, sie zu versöhnen.«

Prinzessin Raphaela dachte einen Moment darüber nach, ob sie nicht erklären sollte, daß das Separatvotum ihr gehöre. Aber Livia brauchte noch weniger Zeit, um ihr zuvorzukommen und ihr zu sagen: »Die schwarze Kugel gehörte mir.«

Die Fürstin klatschte in die Hände; sie umarmte Livia und küßte sie auf die Stirne. »Bravo, Kleine! Jetzt bist Du übel angekommen, Du schöner Goldfasan! Während Du Dir Deinen harten Kopf zerbrachst, ob Du die Gelegenheit benützen sollst, daß Dich Deine Mutter um Verzeihung bitten soll, ist Dir Livia zuvorgekommen.«

»Nun, so bitte sie um Verzeihung.«

»Wenn wir allein sein werden. Ich habe nicht versprochen, daß ich es vor dem Publikum thue. Du gehst morgen früh mit Madame Corysande nach Etelvar. Livia hingegen läßt Du hier bei mir in meiner Urhöhle – auf einen Tag.«

»Nur unter der Bedingung: daß Du sie nicht in Dein anatomisches Museum führst.«

»Nicht einmal in dessen Nähe.«

»Und Du wirst ihr von den Speisen der Dienstleute serviren lassen, so wie ich zu thun pflege.«

»Sie wird sich über mich nicht zu beklagen haben.«

»Und endlich – wenn Livia hier bleiben will, sie ist ihre eigene Herrin!«

Darüber mußte auch Livia lachen. Sie ihre eigene Herrin! Die nie etwas Anderes war, als eine von Allen verhätschelte Sklavin. Sie sagte, daß sie gerne bleibe.

»Du bist ein rechtes Weib,« sagte die Fürstin zu Raphaela, »Du fügst jedem Briefe drei Nachschriften bei. Unter einer Bedingung läßt Du Livia hier und es werden vier daraus. Der Vertrag wäre also geschlossen, Ihr gehet morgen nach Hause; Livia bleibt hier und wird mit keinerlei Naturwissenschaften behelligt.«

Um wie viel weniger Qualen hätte das arme Mädchen auszustehen gehabt, wenn man ihr stundenlang die Schrecken des anatomischen Museums gezeigt hätte, anstatt von der Fürstin einer Freundschaft gewürdigt zu werden, genügend, ihr den Verstand zu rauben.

Als Raphaela am andern Morgen (d. h. um 4 Uhr Nachmittags) von Madame Corysande begleitet, das Kastell verließ, um nach Etelvar zurückzukehren, ging die Fürstin Arm in Arm mit Livia in den Park; dort war eine künstliche Grotte mit der Aussicht auf den See, in der Grotte standen aus Holzblöcken ausgehöhlte Stühle. Die Fürstin ließ sich auf einen derselben nieder; Livia blieb beim Eingange am Fuße einer aus dem Felsen herausgewachsenen Platane stehen. Die Fürstin hatte die Gewohnheit, direkt auf den Gegenstand überzugehen.

»Meine Raphaela sagte, daß ich von uns Vieren drei verrathen hätte. Wodurch üben wir Verrath? Wenn wir zum Nachtheile unserer Anhänger dem Feind Dienste erweisen. Zum Verrath braucht man also einen Feind. Das ist das erste. Haben wir unseren Anhängern geschadet? Das ist das zweite. Weder das erste noch das zweite ist hier der Fall. Fangen wir bei Madame Corysande an. Sie ist uns Dreien gewiß anhänglich, aber sie ist auch Zarkany gut. Sie sagt es wohl nicht mit Worten, aber ihr Gesicht verräth es, möge man nun Gutes oder Schlimmes in ihrer Gegenwart von dem Jüngling sprechen. Sie vermag ihre Gefühle nur schlecht zu verbergen und wenn Jemand die Nase von Madame Corysande roth sehen will, so möge er nur Leon Zarkany vor ihr nennen. An ihr habe ich demnach keinen Verrath geübt. – Die zweite bist Du.« Livia bebte. »Auch Du bist unsere Getreue: mit unserer Familie eng verbunden. Du weißt vielleicht nicht einmal die Ursache, welche Dich so eng an uns fesselt? Nicht blos die Liebe, die wir alle für Dich hegen, sondern das Schicksal selbst. Du erinnerst Dich vielleicht nicht mehr an das große Unglück, nach welchem Du die Unsrige wurdest?« »Ich war damals vier Jahre alt.« »Dann ist's, als ob Du gar nichts davon wüßtest. Vielleicht hat es auch seit damals Niemand vor Dir erwähnt. Es wird nicht schaden, wenn Du es erfährst. Dein Vater war Oberförster bei meinem Gemahl, ein Beamter, den er sehr lieb hatte. Gelegentlich einer Jagd tödtete ihn ein zufällig losgegangenes Gewehr an der Seite meines Gemahls. Die Kugel, welche ihm durch die Brust ging, streifte auch die Wange meines Gemahls und ließ eine unverwischliche Spur auf derselben zurück. Du bliebst verwaist zurück, vater- und mutterlos. Es war unsere Pflicht vor Gott, Dir Vater und Mutter zu ersetzen. Wie wir diese Pflicht erfüllt haben, weißt Du selbst. So weine doch nicht, sonst muß ich auch weinen, und ich mag nicht gern anfangen, denn ich kann dann nicht aufhören. Also auch Du bist unsere Getreue. Aber andererseits kannst Du auch nicht eine Gegnerin von Leon Zarkany sein. Er war ein Liebling Deines Vaters. Als der Arme sein Leben so unglücklich endete, war Leon ein junger Bursche und auch er war bei der Treibjagd zugegen. Er fing Deinen zusammenbrechenden Vater auf und er war es, der um Dich ging, um Dich arme verlassene Waise in unser Kastell zu bringen, und da Du an jenem Tage um keinen Preis einschlafen wolltest, erzählte er Dir schöne Geschichten so lange, bis Dich der Schlaf überwältigte und dann brachte er Dich in seinen Armen ins Kastell. Das ist schon lange her und später hattest Du gar keinen Grund, ihm zu zürnen. Nicht wahr?«

»Nein Durchlaucht.«

»Die Dritte von den Vieren bin ich. Du wirst auch wissen, daß die ersten Jugendträume des Fürsten einer Frau gehörten, die später die Mutter Napoleon Zarkany's wurde. Mein Gemahl wollte sie zu seiner Gattin machen. Diese Frau war dann unglücklich ihr ganzes Leben lang. Ein toller Gatte zerstörte ihr Gemüth, verschwendete ihr Vermögen, machte ihr einziges Kind zum Bettler. Diesem Knaben war aber ein Feuergeist verliehen worden, gepaart mit den ungezähmten Leidenschaften des Genies, die ihn zum Himmel erheben oder in die Hölle schleudern konnten. Ich fand diesen Knaben gleich einem lebendigen Vorwurf immer vor mir und ich fühlte, daß ich für sein Geschick verantwortlich sei. Sein Geschick hatte ihm eine Fürstenkrone versprochen, mein Schicksal gab ihm dafür eine Schellenkappe. Keine größere Qual als das Bewußtsein, daß wir einem Andern Leiden verursacht haben. Mein Gemahl verstand mich. Er wußte, daß er meiner Seele den Frieden giebt, wenn er diesen Jüngling unter seine Obhut nimmt; daß er mit jeder geheimen Wohlthat, die Leon Zarkany zugewendet wird, das Feuer jenes Purgatoriums löscht, in dem meine Seele brennt. Er kaufte die Güter Zarkany's zusammen, als dessen Sohn sie zum Verkaufe ausbot, um die Schulden seines Vaters zu bezahlen. Er gab einen höhern als den Schätzungspreis dafür. Leon rettete daher seine Ehre: keine unbefriedigten Gläubiger können ihm etwas vorwerfen. Ich weiß auch, was mein Gemahl mit diesen Gütern bezweckt und ich billige diesen Zweck. Erst nach seinem Tode wird man ihn aus seinem Testamente erfahren. Er verfolgt Leon auch ferner mit Aufmerksamkeit auf seinen Lebenswegen. Er faßt ihn nicht bei der Hand, er eröffnet ihm nur die Wege. Er begleitet ihn unsichtbar. Ich glaube, daß dieser Jüngling eine glänzende Stellung aus eigener Kraft auf ehrlichem Wege erringen wird. Ich verstehe ihn. Ich wünsche, daß es so sei. Aber ich begnüge mich nicht einmal damit, ihn einen hohen Rang erreichen zu sehen. Ich wünsche ihm noch mehr, als das Alles; was mein Schicksal ihm geraubt hat, muß sein Schicksal für ihn zurückerobern. So denke ich über ihn. Konnte ich dennoch die Verrätherin sein?«

»Nein ...« stammelte das Mädchen, das zu fürchten begann.

»Jetzt kommt die Vierte: Raphaela. Wenn von Feind und Feind die Rede sein kann, so sind sie Beide, Raphaela und Leon, gewiß Feinde. Raphaela besitzt all das, was Leon hätte gehören können. Außerdem besitzen Beide die geistigen Eigenschaften, die Mann und Frau von einander trennen: was die ausschließliche Charaktereigenthümlichkeit eines Jeden von ihnen ist. Leon kam als zwölfjähriger Knabe öfter mit seinem Vater in unser Haus, der im Verein mit meinem Gemahl immerfort große Unternehmungen entriren wollte. Bei dieser Gelegenheit traf er gewöhnlich die fünfjährige Raphaela. Es ist nicht selten, daß kleine Mädchen gegen Knaben Antipathie haben. Sie laufen vor ihnen davon. Aber Raphaela konnte Leon so wenig ausstehen, daß sie ihn verfolgte. Sie schnitt Grimassen, wenn er sie ansah. Einmal machte sie aus stacheligen Kletten einen Kranz und warf ihn Leon an den Kopf; der Kranz blieb in den Haaren hängen. Der Knabe dankte und legte ihn an sein Herz unter das Hemd. Du, das ist etwas Fürchterliches, zu denken, daß Jemand diese stachelige Pflanze auf dem nackten Leibe tragen soll. Und Leon trug sie dort den ganzen Tag. Raphaela bat, flehte, weinte, wüthete. Aber sie war nicht im Stande, ihn dazu zu bewegen, das peinigende Geschenk vom Herzen zu nehmen. Sein Vater wollte es ihm mit Gewalt entreißen; er biß ihn in die Hand. Dann sagte mein Gemahl ein Wort zu ihm. Und auf dieses eine Wort brachte er es hervor. In späteren Jahren sah ihn Raphaela nicht mehr und sie hörte erst neuerdings von ihm, als der Vater Leons starb und er plötzlich arm geworden war. Sie vergaß ihn. In der Gesellschaft hörte sie von ihm nur als von einem Spaßmacher sprechen. Bei einer neuerlichen Begegnung erneuerte sich die alte Antipathie. Du, die Antipathie ist ein sehr verdächtiges Gefühl. Es liegt darin immer eine Anerkennung der Ueberlegenheit, welche die antipathische Erscheinung über den Anderen besitzt. In der Antipathie liegt schon eine Art von Gleichstellung. – Dann ist es allgemein bekannt, daß die Melancholie des Mannes auf Frauenherzen von bezaubernder Wirkung ist, aber die Melancholie hat eine gefährliche Abart, jene, die sich unter der Maske der Possenreißerei verbirgt. Die Frau, die diese Maske aufhebt, ist gefangen.«

Livia glühte und fror.

»Pflegst Du Patience zu spielen?« fragte plötzlich die Fürstin, welche die Manier hatte, im Gespräche unzählige Male zu beweisen, daß es »in der Natur doch Sprünge giebt«. »Siehst Du, das ist die Narrethei der gescheidten Menschen, das Hausorakel. Für uns Frauen ist es ein plaudernder Gesellschafter. Sie hängen daran mit wahrem Aberglauben. Aber wer kann dafür? Wer als Frau geboren wurde, wird niemals allen Aberglauben los. Sämmtliche realen Wissenschaften der Welt vermögen ihn nicht aus ihrem Herzen zu reißen. Ihre Nerven führen sie wieder darauf zurück. Oh, diese entsetzlichen weiblichen Nerven! Wir fühlen im voraus den Regen, den Wind, die Wetter-Veränderung, warum sollten wir nicht auch die Schicksalswendungen ahnen können? Mir hat das Patience immer gesagt, daß Alienor nicht Etelvarer Abgeordneter werden wird. Lache mich aus, ich glaube der Karte. Und wenn er nicht Abgeordneter wird, so wird er auch nicht der Gemahl Raphaela's, denn sein Vater ist dann nicht verpflichtet, ihn für majorenn erklären zu lassen, und einem unter Vormundschaft stehenden Manne giebt Fürst Etelvary seine Tochter nicht. Mir liegt nichts daran, daß es so gekommen ist. Was sagst Du dazu?«

Livia that, als ob es sie ausnehmend interessirte, zu erfahren, was sich unter der Rinde der Platane befindet, die sie mit ihren Fingern absprengte: »Nun, was sagst Du dazu?«

»Wie, Durchlaucht?«

»Ich frage, ob Du Dich freuest oder ob es Dich traurig macht, daß heute in Etelvar keine Verlobung gefeiert wird? Der Freier hat sich aus dem Staube gemacht. Er ist verschwunden wie ein Lichtphantom. Und an seine Stelle ist ein wirklicher Mann getreten. Welch einen mächtigen Schritt hat er auf einmal nach oben gethan! Denn es ist ein hoher Pfühl – für den, der darauf zu sitzen weiß: freilich für den, der nicht dazu geboren ist, ist er nur ein abgenützter Ledersitz. Für den Einen ein Hippogryph, der fliegt, für den Anderen ein Stangenpferd. Und er wird hier nicht innehalten. Mit mächtigen Schritten wird er hinansteigen, höher, immer höher, bis sie sich Aug' in Aug' gegenüberstehen werden. Dieser Prinz Alienor gefällt mir nicht. Ein Mensch, der gleich dahin geboren wird, wo er doch immer bleiben wird. In der Astronomie liebe ich nur die Planeten, die sich unendlich vergrößern lassen, die sich nähern und entfernen. Welch ein Mann ist Jener! Was glaubst Du, was wird noch aus ihm werden? Jetzt steht die glänzendste Karriere offen vor ihm: und was kann am Ende derselben sein? Ich mache gern Romane. Das ist eine so leichte und dankbare Arbeit. Meine Romanskizze ist folgende: Leon Zarkany macht sich in der diplomatischen Karriere einen großen Namen, er leistet seinem Vaterlande Dienste, für die ihm ein großer Rang verliehen wird, auf wunderbare Weise, die nur mir bekannt ist, gelangt er zu herrschaftlichem Vermögen, und wenn ihm das Schicksal jede Genugthuung gewährt hat, dann spendet es ihm das Letzte, die Liebe einer Frau, in der er all das zurückgewinnt, dessen ihn das Geschick vor seiner Geburt beraubte: selbst den verlorenen strahlenden Familien-Namen. Nun, ist das keine prächtige Romanskizze?«

Die Fürstin war so sehr von ihrem Roman-Entwurfe in Anspruch genommen, daß sie nicht wahrnahm, wie das Mädchen bleich wurde und vom Schwindel erfaßt, sich an die Platane lehnte, mit der Hand in den Epheu-Ranken eine Stütze suchend.

Die Fürstin stand auf, stützte sich auf Livia's Schultern und setzte mit ihr den Spaziergang fort. »Siehst Du, ich bin in dieses mein Roman-Sujet völlig verliebt. Beobachte einmal Raphaela und ihr Benehmen, wenn Napoleon Zarkany's vor ihr Erwähnung geschieht. Rühmt man ihn, so wird sie sich über ihn lustig machen und stets bereit sein, ihn zu schmähen; versuche es aber einmal irgend ein Anderer, ihm übel nachzureden, – sie ist im Stande, ohne Weiteres für ihn einzutreten. Beobachte sie nur. Bringe ab und zu wie von ungefähr den Namen auf das Tapet; er wird ja fortan viel von sich reden machen. Aeußere Deine Meinung über ihn von verschiedenen Gesichtspunkten. Du wirst sehen, welchen Eindruck es auf sie macht. Bestrebe Dich, Madame Corysande zu opponiren; versuche es, dem Prinzen Alienor das Wort zu reden. Die Wirkung wird die sein, daß Raphaela zu Leon hinneigt. Bei ihr vermögen nur zweierlei Menschen Raum zu gewinnen, derjenige, welcher in ihrer Gegenwart angegriffen wird, oder aber jener, welcher es wagt, sie selber anzugreifen. Dagegen ergeht es Allen, welche man absichtlich vor ihr rühmt, oder welche es sich merken lassen, daß sie sich ihr angenehm machen möchten, ungefähr so, als ob sie durch ein umgekehrtes Fernrohr angesehen würden. – Doch was haben Dir denn die Dahlienknospen zu Leide gethan, daß Du sie alle vom Zweige reißest, so viele Du ihrer rechts und links am Wege blühen findest?« Die arme Livia! Was wußte sie davon, was sie in diesem Augenblick that.

»Nicht wahr, Leon Zarkany ist auch sonst ein sehr stattlicher Mann? Was sagst Du dazu?«

»Ich weiß nicht, gnädige Fürstin,« stammelte beklommen das Mädchen.

»Ach, geh' doch, Du Einfalt! Du wirst ihn doch wohl schon einmal angesehen haben? Und Dein Ideal von einem schönen Manne hast Du Dir wohl auch bereits gebildet? Oder bist Du eine Heilige?«

»Ja, Durchlaucht,« sagte Livia, ohne auch selber inne zu werden, was sie sprach.

Die Fürstin lachte herzlich über diese Aeußerung. »Was die Kleine doch naiv ist! Eine Heilige will sie sein! Nun gut, mein Kind. Reich' mir Deine Wange, lass' Dich küssen. In meinem Testament will ich ein Nonnenkloster gründen und Dich zur Aebtissin desselben machen.«

Und das war keine bloße Redensart von der Fürstin. Sie hatte über Liviens Zukunft und Schicksal viel nachgedacht und sich nachgerade daran gewöhnt, sie unter jene Ausnahmswesen zu zählen, welche sich aus Liebe nicht auf den holprigen Pfad des ehelichen Lebens verirren, eine ihren Verhältnissen angemessene Wahl aber nicht treffen können und daher das Kloster für ihre möglichst günstige Zuflucht erachten. Sie war darauf bedacht gewesen, die Lebenslage für ihre Adoptivtochter so glänzend zu gestalten, als es nur immer anging.

Nachdem die Fürstin nun einmal diesen Gesichtspunkt acceptirt hatte, war es ihr denn auch gelungen, eine volle Nacht daran zu wenden, um Livien mit ihren psychologischen Erörterungen ebenso zur Verzweiflung zu bringen, wie sie es ein andermal Madame Corysanden mit ihren anatomischen Vorträgen gethan hatte. Das arme Mädchen ging des anderen Morgens förmlich außer sich von der Fürstin. Ethik und Aesthetik, Nemesis, Religion, Metaphysik, Psychologie und Biotik und die poetische Gerechtigkeit noch obendrein, Alles vereinigte sich in der Aufgabe, Napoleon Zarkany zum Lebensgefährten der Prinzessin Raphaela zu erheben. Es brauchte nur noch eine ganz kleine weibliche Intrigue, um den Erfolg unzweifelhaft zu machen. Die Fürstin, die gute Seele, betraute mit der Durchführung derselben Livien und glaubte die Aufgabe in sehr gute Hände gelegt zu haben, genau so wie damals, als sie Madame Corysanden ermächtigte, die diätetische Leitung Raphaela's in die Hand zu nehmen. Indessen war Fräulein Livia denn doch nicht so ganz und gar eine Heilige, daß sie die Weisungen der Fürstin befolgt hätte; sie redete lieber von den beiden jungen Männern in Raphaela's Gegenwart gar nicht, weder Gutes noch Schlimmes. Sie fürchtete sie und ihre Mutter. Sie fürchtete Diejenigen, die sie so sehr liebten, ihre Wohlthäterin, ihre zweite Mutter und ihre Adoptivschwester.

*


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