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Der Diener Gottes und der Gottesleugner.

Zwei Stunden später war der Handel zwischen Leon und Löw Hirsch geschlossen; Leon von Zarkany hatte seinen letzten Besitz verkauft, das Haus, in welchem seine und seiner Ahnen Wiege gestanden, seine letzte Zufluchtsstätte.

Der Mann war ohne Frage ein Narr. Sich lieber seiner letzten Habe zu entäußern, als den winzigen, ganz unscheinbaren Makel an seinem Charakter zu dulden! Wer war denn überhaupt eingeweiht in die Geschichte? Kaum zwei oder drei Menschen würden darum gewußt haben, daß er zur Durchführung einer geheimen politischen Mission Geld empfangen und hinterher seine Aufgabe ungelöst gelassen, das Geld aber gleichwohl verbraucht habe. Wie Viele haben so gehandelt und sind dennoch Cavaliere geblieben –! Wer hätte sie zur Rede stellen sollen? Selbst Diejenigen, die um die Sache wissen, sagen es dem Betreffenden niemals ins Gesicht. Höchstens machen sie, wenn sie seinen Namen irgendwo verzeichnet finden, einen Strich durch denselben und merken ihn nicht weiter. Höchstens in eingeweihten Kreisen würde man sich ab und zu ein Wort über ihn ins Ohr geraunt haben, nur ganz insgeheim – laut und öffentlich würde es nie Jemand gewagt haben, ihm einen Vorhalt zu machen. In jenen Kreisen aber brauchte er ja, falls ihn die Affaire genirte, nicht zu erscheinen.

Aber er war eben ein Narr! Er »verkümmelte« lieber sein heimisch Nest, nur um mit freier Stirn durch die Welt schreiten zu können, um nur ja vor Niemandes Blick die Augen niederschlagen zu müssen.

Abends langte er in Dancsvar an. Hier hörte er zum ersten Male, was seit seiner Ankunft aus Paris in der Welt geschehen war. Ein neuer Abschnitt in der Geschichte –! Die Blätter brachten soeben die überraschenden Nachrichten von den Ereignissen bei Wörth und bei Weißenburg, unglaubliche Neuigkeiten, deren sich gewiß Niemand versehen hatte. Auch Leon kamen alle diese Berichte so unerwartet, wie Einen, der soeben vom Schlafe erwacht, der Lärmruf trifft, der Blitz habe eingeschlagen, und der nun im Augenblicke noch nicht weiß, ob nicht etwa sein eigenes Dach in Flammen steht. So hatten sie denn vollkommen triumphirt, Diejenigen, deren Devise »Kampf und Krieg« gewesen. Leon war in fieberischer Aufregung, die ihn nirgends ruhen ließ und ihn rastlos weitertrieb. Er, der dieses Ungewitter in seinem Anfange gesehen hatte, zitterte vor dem Umfange, in welchem sich dasselbe entladen mußte. Nun fühlte er sich erst ganz und gar zu Staub zermalmt. Nunmehr rissen ihn vollends zwei Gewalten mit sich fort, der Feuerschein des Weltbrandes am Himmel und die Fußstapfen seiner verschwundenen Geliebten auf der Erde. Jener jagte, diese zogen ihn.

Er beeilte sich, eine Fahrgelegenheit nach Etelvar aufzutreiben. Hätte er mit der Bahn reisen wollen, so würde er bis zum nächsten Morgen haben warten müssen, und bis dahin würde er grau geworden sein. Zu Wagen konnte er auch die Nacht über reisen.

Es war Abend geworden, als sein Fuhrwerk mit ihm durch die Straßen von Sipota polterte. An den Mauern der Häuser waren noch immer die Aufschriften lesbar, welche vor zwei Jahren die patriotische Begeisterung mit Kohle oder mit rothem Mergel in riesigen Buchstaben dahin gemalt hatte: »Eljen Zarkany Napoleon! Der Abgeordnete des Etelvarer Wahlbezirkes lebe hoch!«

Er lebte nicht mehr –!

An der Ecke eines Wirthshauses flatterten die Reste eines Placates Alienors im Winde. – Schließlich hatte doch dieser gesiegt.

Des andern Morgens hielt der Wagen vor dem Thore der Probstei. Leon eilte ins Haus, um den geistlichen Herrn aufzusuchen. Se. Hochwürden erging sich bereits im Garten und ergötzte sich an den Nelken und Levkojen. Als der Probst Leon am Ende des langen Gartenweges erblickte, erschrak er beinahe vor ihm. Als er aber nahe gekommen war, ermannte sich der Geistliche und rief ihm mit seiner gewohnten Bonhommie entgegen. »Na, Du ›großer‹ Mann Du, was hast Du denn hier in diesen niedrigen Regionen zu suchen?«

Leon aber erwiderte mit vollkommen ernster Zerknirschung: »Ich komme zur Beichte, Hochwürden. Ich habe eine schwere Sünde auf dem Gewissen: ich habe ein Mädchen gemordet – meine arme kleine Livia.«

»Ich weiß es wohl ...« Dieses Wort war dem Probste unwillkürlich entschlüpft. Leon aber ergriff hastig seine Hand und rief: »O dann bin ich an die rechte Stelle gekommen!«

»An gutem Orte bist Du hier jedenfalls. Nun sage mir aber, wie bist Du denn eigentlich auf diesen Einfall gerathen, Dir in der ganzen weiten Welt just meine Hausthür dazu auszuersehen, Deine desperate Fratze hineinzustecken?«

»Man sieht mir die Desperation an, nicht wahr? Ach ja, ich habe viele Tage und Nächte lang für und wider überlegt, bis ich endlich zu folgendem Schlusse gekommen bin: sie hat das Haus ihrer Wohlthäter ohne Abschied verlassen; sie war religiös und fühlte sicherlich, daß sie eine große Sünde beging, indem sie Vater und Schwester beleidigte um der Liebe zu einem Elenden willen, wie ich es bin. Diese Last konnte sie unmöglich auf ihrer Seele mit sich fort nehmen, ohne sie Jemandem zu beichten, von dem sie geistigen Trost erwarten durfte. Unmittelbar vor ihrem Verschwinden mußte sie also zu Ihnen gekommen sein, um zu beichten, weshalb sie eigentlich entwich.«

»Ich weiß nicht, wohin sie ist. Sie hat mir nichts gesagt. Und laß mir das Verhör sein. Du weißt wohl, daß Du kein Stuhlrichter mehr bist.«

»Aber Ihr Gast bin ich, und es steht geschrieben: Sacerdos debet esse homo hospitalis.«

»Jenun, ich bin ein Geistlicher, ich bin gastfrei. Was verlangst Du?«

»Einen Trunk Wasser.«

»Komm' in die Laube. Hier ist Wasser, trinke!«

Er führte Leon in die Laube aus Weinreben, wo ein Glas und eine Flasche frischen Wassers standen. Der Probst goß ihm mit eigener Hand das Glas voll.

Leon trank und fragte dann unvermuthet: »Um welche Stunde war Livia hier?«

»Morgens zwischen ein und zwei Uhr,« erwiderte der Geistliche überrumpelt und ohne die Falle gewahr zu werden.

Leon küßte ihm die Hand. »Besten Dank, Pater. So hätte ich denn auch die zweite Spur glücklich gefunden.«

Der Probst blickte ihn verwundert an. »Nun, Du wirst doch nicht schon wieder fort wollen? Du bleibst hübsch bei mir zu Tische, falls Du nicht anders wohin geladen bist.«

»Zu Tische? das muß ich mir abgewöhnen.«

»Bist Du verrückt? Weshalb denn?«

»Weil ich bald keinen Tisch mehr haben werde, unter den ich die Füße stecken könnte.«

»Was heißt das? Sind denn in Wien alle Gasthäuser geschlossen?«

»Die Gasthäuser nicht, wohl aber meine Börse. Soeben habe ich dem Löw Hirsch mein St. Helena verkauft.«

Der Probst schleuderte bei diesen Worten den Rechen zur Erde hin. »St. Helena hast Du verkauft –? Da bist Du ja aber ein Landstreicher geworden! Hast Du es etwa im Hazardspiele verloren?«

»Im gefährlichsten Hazardspiele, das es giebt.«

»Da bist Du nun also ein Bettler?«

»Schlimmer als das. Ich bin ›ein Herr‹, der kein Geld hat.«

»So? Und mit welcher Stirne willst Du denn nun das Mädchen aufsuchen gehen, dem Du versprochen hast, es mit Dir hinanzuführen auf die Höhen des Lebens?«

»Ei, ich will sie ja eben ›auf die Höhe‹ führen.«

»Wohin denn?«

»Nun in den Schweizer Alpen giebt es einen hohen, hohen Gipfel, den Monte vierge. Dort hinauf will ich sie führen. Von der Höhe herab überblicken wir die herrliche Welt, schwören einander Treue, leeren zwei Fläschchen mit irgend einer Flüssigkeit, die rasch ins Himmelreich befördert und bleiben dann für ewig vereint dort oben.«

»Mir scheint, es rappelt schon wieder bei Dir. Willst Du Dich von den Adlern auffressen lassen?«

»O nein: dort oben herrscht ewige Kälte. Die Leichen erstarren sofort zu Stein, so daß ihnen die Geier nichts anhaben können. Sie bleiben unversehrt bis an den Tag des Gerichtes. Das Eis dort schmilzt nicht, bis ein neues Kataklysma kommt.«

»Das ist aber doch wohl nur Scherz gewesen, was Du da soeben gesagt hast, wie?«

»Behüte! Ich habe gebeichtet und erwarte die Absolution.«

»Den Stock auf den Rücken sollst Du haben, nicht die Absolution! (Leon sprang zur Seite, denn der Pater hatte wieder den Rechenstiel gefaßt.) Halt! Dageblieben! Eher laß ich Deinen Kragen nicht los, als Du mir nicht gestehest, daß das Vorhaben nur ein schlechter Spaß gewesen ist.«

»Ich kann nicht lügen.«

»Du, höre einmal,« sprach nun der Probst und ballte drohend die Faust: »Ich weiß, wo Deine Livia ist. Wenn Du mir eine solche Absicht beichtest, so gehe ich zu ihr, bevor Du sie noch aufzufinden vermagst, und sage ihr, Du habest sie betrogen, Du seiest durchgegangen, Du habest Wechsel gefälscht und Dich dann als Straßenräuber engagiren lassen; ich überrede sie, zu heirathen und Dir die Thür vor der Nase zuzuschlagen.«

Nun wurde Leon mit einem Male zahm. »Wissen Sie in der That, wo sie ist, Paterchen?«

»Du hast also nicht im Ernste die Absicht, Euch Beide umzubringen? Deine Hand darauf. Du giebst mir Dein Ehrenwort, daß Du eine solche Gottlosigkeit nicht begehen willst?«

»Mein Wort. Also wo ist sie?«

Der Probst wendete die Hand auf- und abwärts. »Ja, mein Sohn, das weiß ich wahrhaftig nicht.«

»Darf ein Priester lügen?«

»Der Zweck heiligt die Mittel. Wenn dadurch zwei Seelen von der Hölle errettet werden können, so ist auch die Lüge erlaubt. Man nennt das: pia fraus, einen frommen Betrug.« »Nun denn, besten Dank.« »Du wirst sie wohl auch von selber finden, wenn Gott mit Dir ist.« »Ich eile auch schon.« »Wohin denn?« »Sie suchen.« »Gehst Du vielleicht ins Schloß?« »Jawohl; aber in ein sehr sonderbares Schloß. Deus te benedicat, reverendissime pater.« »Die fürstliche Familie ist nicht daheim.« »Die ist für mich nirgends mehr daheim.«

Der Probst folgte ihm bis ans Thor und redete ihm zu, doch zu bleiben. Allein Leon warf nicht einmal einen Blick mehr zurück; er sprang auf den Wagen, grüßte und fuhr davon.

Er verfolgte jene zweite Spur. Er ließ das Fürstenhaus beiseite liegen und fuhr an das Wirthshaus im Wildpark. Dort hieß er den Wagen warten und schlug den Fußpfad ein. Er kam an dem steinernen Kreuze vorbei, vor dem Livia eines Tages in Verzweiflung auf den Knieen gelegen; es war ihm, als müßte er die Bildsäule anreden, ob sie ihm etwa Kunde geben könnte von ihr? Und in der That, die Säule hätte ihm Vieles zu sagen gewußt; wenn nur dem Menschen der Sinn nicht fehlte, die Rede der Steine zu verstehen.

Der Weg, den er genommen hatte, führte nach der Behausung des wilden Palatins.

Herr Tukmanyi saß diesmal nicht bei seinem gewohnten Patiencespiele. Er befaßte sich mit einer weitaus nützlicheren Arbeit. Ueber den ganzen Tisch lag Weizen verstreut, aus welchem er einzelne Körner auslas.

Es ist bekannt, daß in sehr ausgemergeltem Boden der Weizen nur sehr kurze Aehren zu stecken pflegt; auch das Korn selbst verkümmert im Allgemeinen, nur ein zwei Körner machen eine Ausnahme und wachsen bis zur Größe einer kleinen Kaffeebohne an. Solche Wunderkinder seiner Weizenkultur las Herr Tukmanyi eben zusammen. Etwa eine halbe Metze von der Sorte hatte er in einem Sacke bereits neben sich stehen.

Leon begann hellauf zu lachen, als er ihn bei dieser Hantierung überraschte. »Ei Du grundnichtsnutziger Galgenstrick! Was für eine heillose Felonie heckst Du denn nun da wieder aus?! Hab' ich doch meiner Tage geglaubt, die Landwirthschaft sei die einzige Hantierung, in der sich keine Komödie machen lasse, und nun sehe ich, daß es auch da angeht. Du lesest da die schönen gelungenen Körner Deiner Halbscheidtfechsung, die Hydrokephalen Deines Weizens aus der verkümmerten Masse einzelweise heraus, um eine Metze solcher Ausnahmen nach Wien zur Weltausstellung zu schicken und damit irgend einer ungarischen Musterwirthschaft die goldene Medaille erster Klasse vor der Nase wegzuschnappen und Dir einen Ruf zu machen von hier bis nach Australien! Der Hamster als Weizenbauer!«

Tukmanyi war eine Weile unschlüssig, ob er lachen oder fluchen solle. Endlich entschied er sich für das Erstere.

»Du bist und bleibst doch ein Teufelskerl, Napoleon! Du kriegst einmal Alles weg. Gleich beim Eintritt, auf den ersten Blick, findest Du heraus, was ich da thue. Na Du weißt ja – den Schwaben zum Narren halten, ist ein Verdienst. Uebrigens hör' einmal, auch ich will Dir errathen, was Du bei mir suchst.«

»Ei, das wäre!«

»Du suchst die Spur Deiner Geliebten? Des schönes Mädchens, von dem Du mir weiß machen wolltest, sie sei Deine Frau? Ha ha ha! Gelt, jetzt ist die Reihe zu lachen an mir? Jetzt lachest Du nicht mehr – he?«

»Du hast es allerdings errathen,« sprach Leon ernst. »Deshalb bin ich hier.«

»Wie kommst Du denn aber nur auf die Idee, hier in meiner baufälligen Lehmhöhle die Spur Deiner Fee zu suchen?« fragte der menschenscheue Troglodyt, zog die Füße auf den Sessel empor und umklammerte die Kniee mit den Armen.

»Das will ich Dir offenherzig sagen. Als ich die erste Spur gefunden hatte, kalkulirte ich folgendermaßen: es war zwischen ein und zwei Uhr Morgens, als sie das Schloß verließ. Um unbemerkt verschwinden zu können, mußte sie eben die Zeit wählen, zu der alle Welt schläft. Einen Wagen durfte sie sich zur Weiterreise nicht nehmen, denn der Fuhrmann würde ja später ausgesagt haben, wohin er sie gefahren habe; – sie muß zu Fuß gegangen sein. Ferner durfte sie nicht die Landstraße entlang gehen, die ja Tag und Nacht zu jeder Stunde belebt ist; man würde sie gesehen haben; sie mußte auf Nebenwegen fliehen. Allein kann sie in finsterer Nacht nicht gegangen sein, denn einmal kannte sie die Feldwege nicht und dann fehlte ihr hierzu auch der Muth. Wohl aber war ihr der Weg bis zu Deinem Hause bekannt, bis hierher konnte sie ganz gut gelangen. Du bist der einzige Mensch, dem sie sich anvertrauen konnte. Du bist ein wildes Thier, aber Du bist kein böser Mensch. Du lebst mit der ganzen Welt rings um Dich her in Unfrieden, nur mit ihr nicht. Du hast ihr ja sogar einmal eine von Deinen gelben Rosen gegeben.«

»O, ich habe ihr auch noch etwas Anderes gegeben. Das weißt Du gar nicht. Sie hatte eines Tages ihren Verlobungsring verloren, weißt Du, den kleinen, dünnen, silbernen Reif; ich habe ihn gefunden und ihn ihr wiedergegeben. Es war eine sonderbare Geschichte das. So habe ich noch in meinem Leben keinen Menschen weinen gesehen, wie das Mädel weinte; und so gebeten und angefleht ist noch kein König auf Erden worden, wie sie mich um ihren Ring anflehte. Und bedankt hat sie sich hernach, Du, so schön, daß ich und meine Alte deswegen von selbigem Abend an bis zum frühen Morgen gerauft haben.«

»Ich danke Dir gleichfalls. Du warst der einzige Mensch in der ganzen Gegend, von dem sie sicher sein durfte, daß er es Niemandem verrathen werde, wenn sie ihn bat, sie auf Seitenwegen durch den Wald irgendwohin zu begleiten; desgleichen durfte sie voraussetzen, daß Diejenigen, die sie suchen würden, bei Lebendigen und Todten anfragen werden – nur bei Dir allein nicht.«

»Das nenne ich einen klugen Kopf!«

»Nicht klug, sondern einfach verliebt.«

»So Alles herauszutüpfeln, was man weder gesehen noch gehört hat! Aber genau so als ob Du dabei gewesen wärest! Wort für Wort dasselbe hat sie mir gesagt. – Nur ein wildes Thier hat sie mich nicht genannt. Nun und was willst Du denn jetzt weiter?«

»Sag einmal: wie weit hast Du sie denn begleitet?«

»Oho! Sie hat mir verboten, das irgend Jemandem zu sagen.«

»Aber mir?«

»Dich nicht ausgenommen. Weiß ich denn, weshalb sie entflohen ist? Wie, wenn sie gerade vor Dir auf und davon gewollt hätte? Gestohlen hat sie nichts, das weiß ich, denn sie hatte keinerlei Gepäck mit sich.«

»Pfui, Mann!«

»Kann ich denn wissen, was sie vertrieben hat? Ich habe ihr ihre Geheimnisse nicht abgefragt. Und dann – bin ich Dir denn irgend einen Gefallen, irgend eine Freundschaft schuldig? Habe ich von Dir jemals etwas Anderes bekommen, als Schläge? O ich freue mich, endlich einmal zu sehen, daß auch Dir etwas weh thut. Seufze Du nur und klage – das ist mir gerade ein Hauptspaß. Nicht so viel sollst Du von mir erfahren. Und wenn Du wie der grausamste Räuber mit mir umgehen, wenn Du mir mit glühenden Kohlen den Rücken brennen wolltest, so solltest Du dennoch nicht ein Wort aus mir herauspressen. Gelt, jetzt lache ich? Hehehe! – Na so schmeichle mir doch ein wenig! Nenn' mich doch Dein liebes, gutes Palatinchen! Sag' doch: Palko, Bruderherz, ich habe Dich ganz unaussprechlich lieb! Weißt Du wohl: so wie Du damals gesagt hast – in Gezetlen!«

»So wohl? Nun dann, Gott befohlen!« sprach Leon. Dabei nahm er ein Büschel der unansehnlichen verkümmerten Weizenähren vom Tische, steckte es in die Tasche und wandte sich dem Ausgange zu.

»Oho, ho, Napoleon!« rief der Wilde und sprang vom Sessel herab, auf dem er sich geschaukelt hatte. »Was willst Du denn mit den Aehren? Ei, ei, so treib doch keine Narrenpossen! Du bist wohl im Stande und nimmst sie mit Dir nach Wien, um sie dann auf der Ausstellung mitten in meinen Weizen als Firmazeichen hineinzustecken. Komm doch zurück und gieb sie her, ich bitte Dich. Ich will Dir Alles sagen, wonach Du gefragt hast, und noch etwas darüber. Aber schau, Du mußt mir versprechen, daß Du das Geheimniß von meinem Weizen Niemandem verrathen willst. Na – giebst Du mir Dein Wort darauf, daß Du im Komité nichts verlauten lassen wirst?«

»Ich werde zu jener Zeit gar nicht mehr in Wien sein.«

»Nun dann komm herein und setz Dich nieder. Hierher aufs Bett, nicht auf den Stuhl dort; dem sind alle Beine locker geworden, er fällt unter Dir zusammen. So, und nun will ich Dir Alles erzählen; leg mir nur erst die Weizenähren wieder hierher auf den Tisch. Hast Du alle herausgelegt? Ist Dir keine in der Tasche geblieben? Wende doch einmal herum – Dir traue ich nicht. Und dann, hörst Du wohl, nicht etwa in die Zeitung setzen, was Du da gesehen hast! Du bist ja ein großer Herr geworden, da giebst Du Dich doch mit der lumpigen Zeitungsschreiberei nicht ab, wie? So, und nun will ich Dir noch mehr sagen, als Du gefragt hast. Ich will Dich ganz und gar auf die Spur leiten. Aber Du darfst mich nicht verrathen. Sag': ›Bei Gott‹, daß Du es Niemandem sagen willst. Na – heraus mit dem Schwur! – Also: ich habe Fräulein Livia durch das junge Holz begleitet. Am Bahnhofe setzte sie sich außen auf die Bank; mir gab sie ihre Börse und bat mich, ich solle hineingehen und ihr ein Fahrbillet dritter Klasse lösen. Wenn sie das selber besorgt hätte, würde man jedenfalls auf sie aufmerksam geworden sein, einmal weil es denn doch ungewöhnlich ist, daß ein hübsches junges Mädchen allein reist und dann weil sie mit Gold bezahlte. Sie hatte kein anderes Geld in der Börse als Dukaten. Gewiß hatte sie die einzelnen Stücke an ihren Geburtstagen zum Geschenke bekommen und sie im Laufe der Jahre zusammengespart, oder es waren Erbstücke von ihrem Vater her. Es waren vierzehn Stück. Das trifft genau zu. Vier Jahre war sie alt, als man sie ins Schloß brachte und seither sind es vierzehn Jahre. Ich habe ihr die Fahrkarte gelöst: sie sagte mir, wohin sie wolle, ließ mich aber zuvor schwören, daß ich es Niemandem verrathen werde. Nun, ich verrathe es auch nicht, nun und nimmermehr. Daß ich übrigens auch geheim halten wolle, was das Billet gekostet hat, das habe ich nicht geschworen – das will ich Dir meinetwegen sagen: ich habe ein Billet dritter Klasse gelöst, habe zwei Dukaten dafür gezahlt und darauf noch netto siebenundfünfzig Kreuzer herausbekommen. Berechnet hat man mir den Dukaten mit 5 fl. 39 kr. Wenn Du nun in Etelvar am Bahnhofe nachfragen willst, wie die Endstation heißt, nach welcher heute vor fünfundzwanzig Tagen eine Fahrkarte dritter Klasse 10 fl. 21 kr. kostete, so ist das Deine Sache.«

»Ich danke Dir!« rief Leon, umarmte den Wilden und eilte hinaus.

»He he! Komm' doch ein wenig zurück, ich habe Dir noch etwas zu sagen. Setz' Dich noch einen Augenblick. – So. Siehst Du, Du mußt nicht etwa meinen, das sei eine Narrheit von mir, daß ich den Weizen da körnerweise auslese; Du mußt die Sache nur begreifen. Auch ist es mir nicht etwa darum zu thun, die Jury und ganz Europa zum Narren zu halten. – Behüte – dazu bin ich ein viel zu ehrlicher Kerl. Aber siehst Du, wie ich höre, will Dein Alienor die Prinzessin heirathen. Wenn der alte Fürst heute oder morgen einmal stirbt, so kaufen mir dann die Jungen jedenfalls meinen Besitz ab. Nun: für eine Wirthschaft, die auf der Weltausstellung ausgezeichnet worden ist, kann man doch mit Recht einen höhern Preis fordern. Begreifst Du? Der Prinz versteht nichts von der Geschichte – Geld hat er – ein Fremder ist er auch – und ich kann's brauchen. – Ich denke, es ist nicht mehr als Recht und billig – wie?«

Dagegen ließ sich nichts einwenden. Leon eilte fort.

*

Auf der Station Etelvar zog er Erkundigungen ein und erhielt die Auskunft, daß vor fünfundzwanzig Tagen eine Fahrkarte, die 10 fl. 2l kr. gekostet hatte, bei dem damaligen Stande des Silberagios nach keiner anderen Station gelautet haben konnte, als direkt – nach Wien.

*


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