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Der unvorhergesehene Feind.

Leon schlief noch fest, als er schon einen Besuch erhielt. Es war jener entsetzliche Mensch, vor dem er sich gestern auf der Gasse geflüchtet hatte, Herr Potyasi! Jenes fürchterliche Individuum, von dem ein Händedruck fünftausend Gulden kostet. Leon überlief ein Schreckensschauer; er versteckte beide Hände und zog die Decke über die Ohren. Der gefährliche Mensch trat zu ihm und setzte sich an den Rand des Bettes, ihn mit den herausstechenden Augen anglotzend. »Guten Morgen, liebes Leonchen, guten Morgen.« Leon klapperte mit den Zähnen. »Oh weh, laß' mich ungeschoren. Mich schüttelt das Fieber.«

»Na, ich will Dir was sagen, was Dich gleich gesund macht. Eben jetzt habe ich diesen Brief erhalten, der in Batok auf dem Thore des Gemeindehauses befestigt war. Lies!«

»Oh weh, ich kann die Hand nicht hinausstrecken, mich friert.«

»Na, so will ich Dir ihn vorlesen.« Und er las ihm den Brief an die Mitbürger in Angelegenheit der halben Banknoten vor, den Leon schon längst kannte. »Na, was sagst Du dazu!«

»Ich habe abscheulichen Kopfschmerz, ich verstehe nichts davon.«

»So will ich Dirs erklären. Die treuen Gemeinden Alienors haben erfahren, daß die ausgetheilten Banknoten zwei zusammenpassende Hälften bilden; sie ergänzten sie daher. Sie sagten: der Deutsche hat uns betrogen, sie sind voller Zorn gegen ihren Kandidaten und kommen nicht zur Wahl. Nagybarothy wollte gar nicht auftreten, Karakan ist durchgegangen, die Gezetlener haben Dich als Candidaten aufgestellt. Jetzt bist Du der einzige Kandidat im Etelvarer Bezirk. Deine Wahl ist zweifellos.«

»Es läge mir ja nichts daran, wenn mir nur nicht so übel wäre.«

»Aber so zweifellos, daß man schon sicher sagen kann.«

Leon fuhr fort, vor Kälte zu zittern.

»Na, siehst Du, jetzt fehlt nichts, als einige kleine konstitutionelle Vorbereitungen zur konstitutionellen Feier der Wahl zu treffen. Du weißt ja, Banket, Fackelzug, Federn, Fahnen et caetera. Das pflegt immer meine Sorge zu sein. Das verstehe ich am besten. Ein Anderer braucht das Doppelte. Ich schaffe es für die Hälfte. Bei der letzten Wahl drückte mir Nagybarothy hier in diese Hand dreitausend Gulden, die Zeche kam dann auf fünftausend Gulden zu stehen. Fünftausend Gulden sind gar nicht viel bei einer konstitutionellen Akte. Das ist die Null. Darüber hinaus beginnen der Einheiten.«

(Das hat Leon schon gestern gesagt.)

»Es verblieb daher von der letzten Wahl noch eine schwebende Schuld von zweitausend Gulden. Die muß der neue Abgeordnete übernehmen. Das ist konstitutioneller Usus, wie Du weißt. Der Deputirte bekommt den Bezirk cum beneficio inventarii. Diese Schuld ist auf seinen Bezirk intabulirt. Eine gute Hypothek. Dem Gescheidten muß man nicht viel Worte machen. Ich weiß, Du bist nicht reich; ich will Dich nicht hoch taxiren. Die dreitausend Gulden sind › minus‹, die gehören schon Dir; wenn Du noch zweitausend Gulden herschwitzest, so besorge ich dafür die Wahlparade. Na, was sagst Du dazu? Wenn Du jetzt kein Geld hast, gieb' die Hälfte, den Rest kannst Du von den Abgeordneten-Diäten bezahlen; ich wills abwarten. Ich will Dich nicht drängen.«

Nun ward aber Leon so vom Fieber geschüttelt, daß er ein Wort mit den klappernden Zähnen in zehn Stücke zerbiß, bevor er es auszusprechen vermochte.

»Na, ich sehe schon, daß ich einen Doktor holen muß. Gleich bringe ich Herrn Sara.« Aber als Herr Potyasi mit dem Doktor zurückkehrte, war Leon schon auf- und davongegangen und er hatte dem Kellner gesagt, daß er den ganzen Tag nicht nachhause kommen werde. »Na wart! Das wirst Du bereuen!« sagte der gefährliche Mann, indem er mit der Peitsche über die Stiefelröhren fuhr, und dann ging er ein anderes Wild aufsuchen.

Leon ging ins Kasino. Dort mußte etwas Großes passirt sein, denn es waren sehr Viele anwesend, und selbst die Getreuen des »Paskievics« dachten heute nicht ans Spiel. Sie saßen auf dem Billard und es schien, als hielten sie eine Berathung: von allen Gesichtern konnte man die Verwirrung herablesen, als Leon eintrat. Auch Herr Nagybarothy war zugegen. Als sich Leon und die Gesellschaft eine Weile wortlos angesehen hatten, ging ihm Herr Nagybarothy entgegen und trat ohneweiteres in medias res.

»Weißt Du, lieber Freund, wir berathen soeben über die bevorstehende Wahl und es trifft sich gut, daß auch Du hier bist; vor Dir haben wir kein Geheimniß. Du hast ohne Zweifel erfahren, daß die Anhänger des Prinzen von Nornenstein diesem zürnen, der Prinz hat sich auf französisch empfohlen und seine Anhänger enthalten sich jetzt der Wahl: damit fällt die Majorität weg. Die Gezetlener, bei denen Du Karakan in die Flucht gejagt hast, was ein sehr guter Spaß war, haben Dich zum Kandidaten proklamirt und sie werben nun für Dich. Spaß war Spaß: ganz Deiner würdig, aber Du wirst ihn hoffentlich nicht ernst nehmen. Gezetlen gehört zur äußersten Linken und daß Du – verzeihe meine Aufrichtigkeit – der bisher ein Anhänger der Rechten war, jetzt plötzlich als äußerst linker Abgeordneter im Reichstage erscheinen sollst – das wäre ein Verbrechen gegen jede politische Moral. Ein Anderes wäre es, wenn Dich die Anhänger des linken Zentrums wählen würden, die nur eine Subtilität von Euch trennt: aber plötzlich die äußerste Linke, das wäre widernatürlich! Es war anfangs davon die Rede, daß unsere Partei für Dich eintreten soll; heute Mittag aber kamen meine Freunde, die Führer der Partei über mich und redeten mir so lange zu, bis ich gezwungen war, mich dem allgemeinen Wunsche zu fügen und die Kandidatur neuerdings anzunehmen. Ich hoffe, daß Du Dich dadurch nicht verletzt fühlst. Du bist noch jung, Du hast Zeit, Karriere zu machen und es gereicht Dir nicht zur Schande, wenn Du zu Gunsten eines, auf diesem Gebiete erfahrenen Veteranen zurücktrittst, was um so klüger von Dir ist, weil wir, wenn Du es auf einen Kampf ankommen läßt, hier in Sipota und den umliegenden Dörfern sechshundert sichere Stimmen haben, während Gezetlen und die sich ihm anschließenden Wähler nicht mehr als dreihundert repräsentiren. Darum, lieber Freund, füge Dich für dieses Mal unserem Beschlusse.«

(Ah, hat er seit gestern irgend eine Tante des türkischen Sultans, des persischen Schah und des Großmoguls beerbt und haben deren vereinigte Schätze Herrn Nagybarothy zu diesem an die Unmöglichkeit grenzenden Meinungswechsel vermocht? Keine Spur; dem großen Manne that es nur leid, in dem Glauben der sicheren Niederlage fünftausend Gulden hinauszuwerfen, die er jetzt gerne opferte, da der Sieg zweifellos geworden war.)

Herr Potyasi saß neben dem Ofen und peitschte sich höchst zufrieden die Beine ( partem pro toto) – Leon war nun plötzlich Alles klar. Sic vos non vobis! Er hatte den ganzen Feldzug durchgekämpft. Er hatte ganze Lager vernichtet, bekehrt, und jetzt sagt man ihm: »Servus Bruder, wir danken für die Freundschaft, Du kannst gehen!«

»Vivat Soroksar, lieber Freund! Fällt mir gar nicht ein, an die Deputirtenstelle zu denken. Ich habe Dir im vorhinein gesagt, hier an dieser Stelle, wo wir uns jetzt befinden, daß ich, wenn Du auftreten willst, nicht einmal den kleinen Finger rühre.«

»Ja, das muß ich zugeben. Du warst loyal mir gegenüber. Damals sagte ich, daß ich nicht will. Aber seitdem sind meine Freunde so über mich hergefallen ...«

»Du hast recht gethan, daß Du ihrem Wunsche nachgegeben hast; ich füge auch den meinigen hinzu und Gott lasse den Etelvarer Abgeordneten, meinen theuren Freund Samuel Nagybarothy lange leben!« Und damit schlug er in seine Hand ein, daß man glaubte, es sei eine Pistole losgegangen; sie umarmten sich. Die ganze Gesellschaft brach in stürmische Eljens aus und Alles beeilte sich, Leon herzlich die Hand zu drücken. Auch Potyasi. Jetzt tostet der Händedruck nicht mehr fünftausend Gulden (wenigstens Leon nicht).

»Hast Du kein Fieber mehr?«

»Hab' nie Fieber gehabt.«

»Du hast also nur mich zum Narren gehalten?« –

Leon flüsterte ihm ins Ohr: »Ich wollte den Alten nicht verdrängen. Ich wußte, daß er große Lust hat wieder hinaufzugehen.«

Dann wandte er sich zu Nagybarothy: »Aber so geht's nicht! ›Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen.‹ Aber in der Bibel steht geschrieben: ›Gebet Wein denen, so da betrübten Herzens sind‹. Wenn Du mich betrübt hast, so wirst Du mich heute auch trösten. Das darf nicht so trocken hingehen. Ich will heute trinken und zwar mächtig.«

»Soll geschehen, Kamerad, soll geschehen,« erwiderte freudig der ausgezeichnete Patriot.

»Aber invitire mich nicht in irgend ein Wirthshaus. Das hab' ich satt, Du hast zuhause gute Magyarader Weine, dann bin ich auch schon der ausschließlichen Männergesellschaft überdrüssig.«

»Sei ruhig, Bruder, das Festmahl wird bei mir stattfinden. Die Frauenzimmer treffen schon die Vorbereitungen. Es werden auch schöne Mädchen zugegen sein; es ist gesorgt dafür. Bekanntschaften von den vorjährigen Kasinobällen. Wir wollen einmal lustig sein.«

»Bis zum grauenden Morgen.«

Alle Welt war darüber einig, Leon sei ein unbezahlbarer fideler Kumpan. Der verdirbt keine Unterhaltung. Aber darum fand es Herr Potyasi, der ein schlauer Kopf ist, doch für angezeigt, sich mit einigen Kameraden zusammenzuthun, um Leon von diesem Augenblick an nicht aus der Hand zu lassen; immer sollten zwei, drei Begleiter mit ihm sein, denn dem Gevatter ist nicht über den Weg zu trauen! Wenn der jetzt den Gezetlenern von dem, was vorgefallen, Meldung machen oder mit ihnen reden kann, so können sie, wenn sie morgen zur Wahl heraufkommen, die aus den schwäbischen Dörfern anlangenden Wähler einschüchtern, die Raizen verführen und uns bei der Wahl ein Schnippchen schlagen. Es wird daher am Besten sein, den Bruder beim Nachtmahl unter den Tisch zu trinken, so daß er bis morgen Mittag nicht wissen soll, ob er auf der Erde oder im Himmel ist. Mit dieser lobenswürdigen Absicht nahm man Leon unter den Arm und begleitete ihn bis zur Stunde, wo man bei Nagybarothy's erscheinen mußte.

Leon war natürlich der willkommenste Gast. Die Hausfrau war in seiner Juristenzeit seine Tänzerin gewesen. Theure Erinnerungen! Und Napoleons schöne, bezaubernde Augen machten überall Eroberungen. Es war gefährlich, mit ihnen zu spielen. Ein Toast folgte dem andern; jedes Glas mußte bis zur Nagelprobe geleert werden. Leon bemerkte bald, daß man es auf ihn abgesehen habe. Das war ihm gerade recht. Auch die reizende Hausfrau war in das fromme Komplot zur Erreichung eines konstitutionellen Zweckes eingeweiht und sie blieb bei Tische, selbst nachdem das Eis abgeräumt worden war. So lange die Hausfrau nicht aufgestanden ist, darf schicklicherweise Keiner den Tisch verlassen. Leon saß ihr zur Rechten und sie selber füllte mit ihrer schönen, weichen Hand sein Glas, und der gegenübersitzende Gatte munterte ihn zum Trinken auf.

Die schöne Hausfrau war auch neugierig. Man hatte ihr gesagt, Leon sei sehr interessant, wenn er zu viel getrunken habe. Er war auch wirklich interessant. Seine Toaste waren bald voll von poetischer Ueberschwenglichkeit, bald prasselten daraus feurige Humor-Raketen hervor; seine Anekdoten machten die ganze Gesellschaft lachen, und als er die Erlebnisse des Tages in der Gesellschaft Alienors erzählte, da platzten die Kleidernähte von dem tollen Gelächter.

Dazwischen vergaß Leon auch nicht, seiner schönen Nachbarin den Hof zu machen; er sagte ihr schmeichelhafte Komplimente und ließ manchmal einen verrätherischen Seufzer vernehmen. »Ja, nur was schön ist, bleibt ewig schön! Wenn ich damals schon Stuhlrichter gewesen wäre, als ich Jurist war! (Ein gefährlicher Seitenblick aus den bezaubernden Augen auf die Hausfrau.) Nun, meine Herren, dieses Glas auf die Gesundheit der schönsten Frau im Komitat!«

»Du, Leon,« sagte Nagybarothy halb im Scherz, »wenn Du meiner Gattin so gefährlich den Hof zu machen anfängst, dann nehme ich sie nicht nach Budapest mit.« (Ah, dachte sich Leon, Du läufst mir gerade in den Schuß. Ich will Dich jetzt niederfeuern.)

»Das glaube ich gern. Ein Vorwand, die Frauen zu Hause zu lassen, ist für die Herren Deputirten bald gefunden. Die kleine Fifine hat seitdem die Gesangsschule gewiß schon hinter sich.«

»Welche kleine Fifine?« warf die Hausfrau dazwischen.

»Der kleine hoffnungsvolle Sprößling, den das Abgeordnetenhaus zur Sängerin ausbilden läßt. Uebrigens wüßte die Kuchenverkäuferin am Theaterplatze mehr darüber zu erzählen.«

»... Psssst!« tönte es vom unteren Ende des Tisches herauf. Herr Potyasi hatte das von Leon angelegte Gewehr bemerkt und er sah, daß Leon Herrn Nagybarothy im nächsten Moment wie eine Schnepfe niederschießt. Leon that aber, als hörte er Potyasi's »Pssst« nicht und fuhr geschwätzig fort: »Wir kennen die Spitzbübereien der Herren Deputirten. Wenn sie zu Hause der Frau klagen, wie abscheulich es von dem Polizeipräsidenten sei, die Konferenz auf zehn Uhr Nachts einzuberufen und die Mitglieder bis zwei Uhr nach Mitternacht aus der gründlichen Berathung der Gesetzentwürfe nicht nach Hause zu lassen! Das sind nette, kleine Berathungen.«

»Zarkany! Zarkany!« – riefen jetzt schon Einige dazwischen. Auf diesen mahnenden Ruf that Leon, als werde er stutzig und dann, wie Betrunkene zu thun pflegen, daß sie, wenn sie einsehen, eine riesige Dummheit gesagt zu haben, diese mit einer noch imposanteren zu verhüllen bemüht sind.

»Oh, ich bitte, das sollte beileibe keine Anspielung auf meinen Freund Nagybarothy sein, er ist eine Ausnahme von den Uebrigen. Er ist das Musterbild – eines guten Ehemannes. Sowie es acht Uhr schlägt, erhebt er sich im Klub von seinem Platze und geht nach Hause. In den Mandoletti-Laden auf dem Theaterplatze pflegt er nur einzutreten, um für seine liebe Frau frischen Nußkuchen zu kaufen.«

Mit dieser Entschuldigung machte er dem armen Nagybarothy vollends den Garaus, da er nie um acht Uhr nach Hause zu gehen, noch auch für seine Frau Kuchen zu kaufen pflegte. Potyasi stürzte zu Leon hin und flüsterte ihm ins Ohr: »Komm nach Hause, lieber Freund, Du bedarfst der Ruhe. Du weißt, daß Dich Morgens das Fieber schüttelt.«

»Nicht wahr, ich bin schon berauscht? Ich habe viel getrunken.« Auch die Hausfrau war aufgestanden und verließ hocherhobenen Hauptes die Gesellschaft.

Leon war vollständig bereit. Er mußte sich den Hut so auf den Kopf setzen, damit man sehe, er wisse nicht, wozu er eigentlich gehöre? Dann packten ihn zwei der Zechgenossen unter dem Arme und führten ihn unter großen Fährlichkeiten nach Hause, zum »goldenen Adler«. Unterwegs wollte er in jedes Haus treten. In seiner Wohnung entkleideten sie ihn, brachten ihn zu Bette und übergaben dem Kellner den Zimmerschlüssel mit der Weisung, wenn er läutet, nach ihm zu schauen – morgen um die Mittagsstunde.

Wie staunte aber der Kellner, als man nach einer halben Stunde läutete und er den Volltrunkenen am Schreibtisch sitzend und Briefe versiegelnd fand. Leon sagte ihm im ruhigsten Tone, einen reitenden Boten herbeizuschaffen, der diese beiden Briefe befördern soll. Der eine war an Herrn Nagy Janos in Gezetlen gerichtet, der andere an Herrn Csajkos in Batok. Nach einigen Minuten läutete er abermals. Er forderte einen Brief zurück. Den nach Batok adressirten. Er zündete ihn an der Kerze an und verbrannte denselben. Die von einer haardünnen Spirale getriebene winzige Kleinigkeit, die sich im Uhrwerke des menschlichen Herzens befindet, (so lange es nicht abgenützt ist) und die man Ehrgefühl nennt, vermochte nicht einmal der Rausch einzuschläfern, sie flüsterte ihm mit kaum vernehmlichem Ticken zu, es dürfe nicht sein, daß er die Hülfe der Batoker in Anspruch nehme und durch die Stimmen von Leuten siege, die das Geld und den Wein Alienors angenommen haben. Er schickte nur den Gezetlener Brief ab. Mehr war auch nicht nothwendig. Die Petarde hatte schon ihre Schuldigkeit gethan.

Am nächsten Morgen las der Präsident den zur Wahl erschienenen städtischen und ländlichen Wählern einen Brief vor, in welchem Herr Samuel Nagybarothy erklärte, daß ihm Familienverhältnisse und sein Gesundheitszustand nicht erlauben, das Mandat anzunehmen, weshalb er, für das ihm geschenkte Vertrauen dankend, seine Freunde ersuche, seine Candidatur zurückzuziehen. Das Entsetzen war groß. Man stürmte in die Wohnung Nagybarothy's, wo man erfuhr, er sei sammt Familie früh Morgens nach Korytnicza abgereist.

Die Gezetlener, welche die linke Seite des Platzes eingenommen hatten, brachen hierauf in stürmische Eljens auf Napoleon Zarkany aus.

Der Präsident bestimmte der andern Partei einen Termin zur Aufstellung eines Candidaten. Potyasi sprengte in der Stadt herum, um einen Candidaten zu finden; aber Jeder versteckte die Hand, man kannte den Preis dieses Händedruckes. Nach und nach verbreitete sich die Begeisterung und auch die rechts stehenden Schuster ließen Zarkany hochleben. Der Termin ging zu Ende; jetzt giebt es nur ein Mittel, der Sache eine andere Wendung zu geben und Herr Potyasi flüsterte es dem Präsidenten zu. Im Publikum hört man nur mehr einen Namen: Zarkany.

Die Wahl wird mit Akklamation erfolgen. Nur eine wesentliche Frage vermag sie zu verhindern. Der Candidat wird herbeizitirt. »Haben Sie ein Wählerzertifikat?« fragte der Präsident. Von tausend Menschen fällt es neunhundertneunundneunzig nicht ein, dieses bei sich zu tragen. Daraus kann man aber einen Stein des Anstoßes machen, denn das Gesetz sagt: wählbar ist nur, wer Wähler ist. Aber Leon war gerade der Tausendste, der es vorweisen konnte.

»Hier ist mein Budapester Zertifikat und da das Gesetz bei dem Abgeordneten auch das Alter von vierundzwanzig Jahren und die Kenntniß der ungarischen Sprache zur Bedingung macht, so brachte ich auch meinen Taufschein und mein Schulzeugniß mit mir.«

Das Erstaunen war grenzenlos. Der wußte also schon damals, als er sich auf den Weg machte, daß man ihn hier zum Abgeordneten wählen werde. Ein entsetzlicher Mensch! Und noch so jung! Was wird erst aus ihm werden, wenn ihm die Weisheitszähne wachsen? Und dann ertönte es einstimmig: »Eljen Napoleon Zarkany, Abgeordneter von Etelvar!« –

Alienor hatte spät in der Nacht den Wagen bestellt, auf dem er vom Schauplatz seiner Thaten flüchten sollte. Am andern Morgen langte er in Gezetlen an. Dort verließ er nicht einmal den Wagen, ließ die Pferde wechseln und reiste weiter. Es war Nachmittag, als er nach Batok kam. Nicht Speise noch Trank, nur frischen Vorspann brauchte er. Das Gesicht verbarg er hinter dem Schirme, damit ihn Niemand sehe, der ihn erkennen könnte. Es war spät am Abend, als er zum Kastell der Fürstin gelangte. Er wollte rasch, verstohlen vorüberfahren; aber der Kutscher mußte seine Pferde bei dem in der Mitte der Straße befindlichen Brunnen tränken und unterdessen konnte er ungesehen hinter dem Schirm des Wagens hinauslugen.

Alle Fenster im Palais der Fürstin waren beleuchtet, die Orangenbäume, mit ihren Goldfrüchten behangen, vor der Terrasse aufgestellt. Der Eingang war mit trikoloren Bändern geschmückt und das uralte Schnitzwerk mit Blumenguirlanden bedeckt. In der Mitte des Hofes stand eine riesige Pyramide, auf welcher Pelargonien mit weißen und rothen Blüthen ein weithin sichtbares »Eljen« bildeten. Der Korridor war mit Teppichen behangen und auf der höchsten Thurmspitze wehte eine bis zur Erde reichende trikolore Fahne im Abendwinde. Zimmerleute und Tapezierer arbeiteten jetzt noch auf Tribünen und Galerien und auf der Insel in dem neben dem Kastell befindlichen See ward irgend ein Gestell errichtet: das ist gewiß für das Feuerwerk bestimmt. Und all das wird ihm zu Ehren vorbereitet.

Und er kehrt all dem den Rücken. Einen Moment ging ihm der Gedanke durch den Kopf, in den Hof zu fahren und zu fragen: ob das schöne Mädchen noch wach ist oder schon schläft, das an ihn denken muß, wenn es wach ist, und von ihm träumen, wenn es schläft. Aber nur einen Moment. Nach der viertägigen Anstrengung und Aufregung sank er noch tiefer in die energielose Trägheit zurück. Er braucht weder Göttin noch Nymphe, wenn er um sie kämpfen muß. Er gerieth in Wuth, wenn er sich erinnerte, zu welch verrücktem Treiben er sich hatte bewegen lassen.

Aus dem Parke ertönte ein klangvoller Sopran, accompagnirt von einer weiblichen Altstimme.

»Vorwärts, Kutscher!«

Er konnte es kaum erwarten, daß sich das verführerische Lied im Wagengerassel verliere. Es war bereits Mitternacht, als der Wagen vor dem Posthause in Etelvar hielt. Man konnte ihm nicht rasch genug einspannen: er muß Morgens beim Bahnhof sein. Er kam zu früh an. Der Zug langt erst um zehn Uhr an. Er muß daher fünf Stunden auf einem Flecke sitzen. Er war sehr zornig. Der Stationschef fragte ihn, woher er komme? »Von Sipota.« – »Ei, wissen Sie nichts vom Prinzen? Hier erzählt man, die Gezetlener hätten ihm beide Ohren abgeschnitten.« Alienor betastete die seinigen. Sie waren noch vorhanden. Er erwiderte, daß er davon nichts wisse. Dann fragte ihn der Stationschef, wohin er reise. »Nach Budapest.« »Dann haben Sie ja zu Wagen einen großen Umweg gemacht; die Dancsvarer Station ist von Sipota nur eine Tagereise entfernt.«

Alienor blitzte ein entsetzlicher Gedanke durchs Gehirn. Wenn Dancsvar so nahe zu Sipota ist, dann können Herr Dumka und Leon noch zur Zeit anlangen, ihn festnehmen und zurückführen. Diese Aussicht erweckte seine Willenskraft. Er fragte den Stationschef, ob man nicht einen Separatzug bekommen könnte? Diese Frage erweckte den Verdacht des Beamten. Er sah es ihm an, daß es mit ihm nicht geheuer sei.

»Darf ich um Ihren Namen bitten?«

»Ja wohl. Ich bin Prinz Alienor Nornenstein.«

Nun machte der Stationschef unzählige Bücklinge und dann rannte er wie besessen in sein Bureau und nach einer Stunde war die Maschine geheizt. Alienor setzte sich erleichterten Herzens in den Waggon. Jetzt holte ihn kein Kortes mehr ein!

*


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