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Freund Karakan's Tragödie.

Wohl Niemand war mehr hinter dem Prinzen Alienor her, als unser Freund Karakan. Er schwor hoch und theuer, er wolle in Prinzenfleisch schwelgen, sobald er nur irgend an ihn gelangen könne. Nun hatte aber eine Begegnung der beiden Herren ihre gewissen Schwierigkeiten; Herr Karakan pflegt nicht ins Kasino zu gehen, der Prinz nicht in die »Kleine Pfeife«; auf der Straße geht der Eine in der Regel zu Fuß, der Andere fährt in der Karrosse; der Prinz besucht von den hauptstädtischen Theatern nur das deutsche, wogegen Herr Karakan durch ein freiwilliges Gelübde gebunden ist, in einen deutschen Musentempel niemals einen Fuß zu setzen; – die Mitarbeiter der »Posaune von Jericho« sind durchweg ungarische Vollblut-Knownothings.

Eines schönen Morgens langte in der Redaktion ein nach Ylang-Ylang duftendes Briefchen ein und als Karakan es öffnete, fiel ihm zu seinem nicht geringen Erstaunen Prinz Alienor Nornensteins Visitenkarte in die Hände. Die Karte enthielt nur eine Zeile: »Mein Herr! Wollen Sie mich wissen lassen, wo ich Sie treffen könnte?«

Ein großes Wort! Nicht allein wegen der Tollkühnheit, die an und für sich darin lag, sondern auch deshalb, weil auf die Frage: wo Herr Karakan wohne? in der That schwer eine Antwort zu finden war. Er pflegte sein Quartier jeden dritten Tag zu wechseln. Auch dem Löwen ist ja die Schwachheit eigen, daß er sich vor dem Hahnenschrei fürchtet. Und Herr Karakan kannte gar viele solcher Hähne, die ihm den Morgenschlaf mit dem Rufe zu stören pflegten: »Wann krieg' ich denn endlich mein Geld?«

Er erachtete es für das Angemessenste, dem Prinzen auf den nächsten Morgen im Hotel »Hungaria« ein Rendezvous zu geben. Er miethete daselbst für den halben Tag ein Zimmer. Prinz Alienor erschien pünktlich zur angegebenen Stunde, à la bon enfant frisirt, einen Sonnenschirm in der Hand. Der Brillantring an seinem Finger war mittelst eines leichten Goldkettchens an das Bracelet geschlossen, welches das Handgelenk umspannte; Schläfe und Wangen waren meisterhaft mit Karmin und Ultramarin retouchirt.

Nachdem er eingetreten war und sich vorgestellt hatte, gelangte er unverzüglich ad rem. »Mein Herr, ich höre, daß Sie mich an allen Ecken und Enden suchen, um sich mit mir zu schlagen. Ich glaube Ihnen also einen Dienst zu erweisen, indem ich mich Ihnen freiwillig stelle; ich habe genau dieselbe Absicht, welche Sie hegen.«

»Mein Herr, mein Prinz, wenn das kein Scherz ist ...«

»Von meiner Seite ist die Sache sehr ernst gemeint. Ich weiß, daß Sie ein berühmter Fechter sind – ich will Ihnen einen Säbelhieb versetzen.«

»Ei zum Teufel –!«

»Einen schönen korrekten Hieb, von dem man den Arm vierzehn Tage lang in der Schlinge trägt; oder irgend wohin ins Gesicht, wo das Ding mehr auffällt.«

»Oho!«

»Die Sache ist sehr einfach. Ich habe vom Fechten keine Idee, Sie aber sind ein Meister in dieser Kunst; es ist sonach nöthig, daß der Hieb auf den ersten Ausfall sitze. Ich denke, ich rede klar und deutlich. Ich brauche die Schramme an Ihrem Körper, ich will Ihnen später auch sagen wozu; Ich errichte einen Vertrag mit Ihnen: so viele Centimeter der Hieb in der Länge mißt, den ich Ihnen am Arme beibringe, so vielmal hundert Gulden verpflichte ich mich Ihnen auszuzahlen.«

»Donnerwetter!«

»Bitte, fluchen Sie nicht; es verursacht mir Nervenzuckungen.«

»Das ist ja nicht geflucht. Ein Donnerwetter ist eine sehr wohlthätige Naturerscheinung, es reinigt die Luft, und ...«

»Je nun, invociren Sie gefälligst irgend ein anderes Phänomen. Also was sagen Sie dazu? Wenn ich so eine Schramme von zehn Centimetern Länge auf Ihrer schätzbaren Haut zurückließe, wäre der Schaden mit zehntausend Gulden nicht ganz wohl zu bepflastern?«

»Zehntausend Gulden!«

»Wenn Sie sich aber dazu entschließen könnten, die Operation an auffälliger Stelle, etwa an der Stirne oder der Wange vornehmen zu lassen, – so würde ich jeden kurrenten Centimeter mit dreitausend Gulden entschädigen.«

»Belieben Sie zu scherzen?«

»Ganz und gar nicht; ich spreche in vollem Ernste und wenn wir uns einigen können, so stelle ich Sie bezüglich der Bedingungen mit Kavaliersparole sicher. Ich will Ihnen nun auch meine Beweggründe auseinandersetzen. Ich mache einer vornehmen Dame den Hof, die noch immer an den romantischen Ideen des mittelalterlichen Ritterthums festhält. Dieser Tage als von der ofterwähnten Flugschrift »Mene, Tekel, Upharsin« die Rede war, äußerte sie, es zeuge seitens des Autors dieser Broschüre nicht von ritterlicher Auffassung, daß er seine Gegner unter dem Deckmantel der Anonymität angreift, während diese offen gegen ihn auftreten. Die Rüge war direkt auf mich gemünzt. Es ist eben, ich weiß nicht, aus welchem Grunde, die Ansicht verbreitet, ich sei der Verfasser jener Hefte. Ich kann nichts dagegen thun und muß die gegen den namenlosen Autor gerichteten Hiebe ungezählt auf meinen Rücken nehmen. Aber es liegt mir daran, die Meinung jener Dame von meiner Ritterlichkeit zu berichtigen. Ich hoffe, Sie werden mich nunmehr vollkommen verstehen?«

»Also steht der Handel mit den tausend, respektive dreitausend Gulden pro Centimeter im Ernst?«

»Zahlbar a vista. Und ganz in Ihrer Wahl: Arm oder Gesicht.«

»O, bitte recht sehr! Bitte von meiner Haut sich ganz nach Belieben nach der Elle zu expropriiren; für diesen Preis steht Ihnen an Extension zur Verfügung, was und wo es gefällig ist. Habe derlei Schrammen schon die schwere Menge umsonst tragen müssen. Unkraut verdirbt nicht. Hier meine Hand darauf.«

»Also auf den Arm.«

»Nichts da! Lieber in's Gesicht. Hierher, vom Ohrläppchen bis an den Mundwinkel. Das ist Ihnen Ruhm und Ehre und kein Ende, wenn Absalon Karakan, der berühmte Kämpfer, als Ihre lebendige Trophäe, Ihr Manupropria auf seinem Zifferblatte trägt, wir schreiben meinetwegen noch darunter › Sculpsit Alienor‹. Ein Hund, wem das Ding wehe thut – für dreißigtausend Gulden!«

»Sie gestatten also zehn Centimeter?«

»Nun, wird eben auch kein Malheur sein, wenn's ein wenig länger ausfällt.«

»Aber Sie schlagen selbstverständlich nicht zurück. Denn wenn Sie mich ebenfalls verwunden, so ist der ganze Pakt null und nichtig.«

»Will schon Acht haben!«

»Können Sie mich aber nicht auch, ohne zu wollen, mit dem Säbel verletzen?

»Rein unmöglich. Ich fechte nicht nach deutscher Methode, den Arm und den Säbel gerade vorgestreckt, wie man es auch in Ungarn lehrt; meine Manier ist die französische; nach dieser wird der Arm emporgezogen und der Degen hochgehalten. Sehen Sie, Prinz Alienor, in dieser Weise. Denken Sie, dieser Stock da wäre eine Waffe. Ihr Sonnenschirm die andere, ich stehe so vor Ihnen en garde. Jetzt zielen Sie mit Ihrem Sonnenschirm daher nach meiner linken Wange. Nur immer drauf los! Ein Hundsknochen wie ich, spürt dergleichen nicht. Recht so! Bravo! Gut gemacht. Auf den ersten Hieb, so wie sie Blut fließen sehen, springen die vier Sekundanten auf einmal herzu, kreuzen ihre Degen zwischen uns Beiden und erklären: die zwischen uns obschwebende Angelegenheit sei nach den Postulaten der Ritterlichkeit beigelegt.«

»Somit wären wir also, denk' ich, in Ordnung. Nun gilt es nur noch, irgend ein Vorwand zu dem Rencontre zu finden.«

»Ich dächte das »Mene, Tekel, Upharsin« ...«

»Nichts da! Ich mag die Autorschaft vor der Welt nicht auf mich nehmen. Wir müssen etwas Anderes ersinnen.«

»Ich habe eine gute Idee! Ich bin Zeitungsschreiber.«

»Das weiß ich.«

»Ich gehe täglich in's Nationaltheater. Kommt die Dame Ihres Herzens nicht dahin?«

»O doch; Sie hat ihre ständige Loge daselbst und ist allabendlich im Hause.«

»Gehen Sie also heute Abend in die Loge der Dame und konversiren Sie während der Vorstellung, wie Herrschaften pflegen, so laut als möglich. Ich lasse dann in der »Posaune« ein gewaltiges Donnerwetter gegen die jungen Herren und Damen los, die im Theater laut schwatzen. Sie fühlen dadurch sich und Ihre Dame beleidigt und schicken sofort Ihre Zeugen in die Redaktion. Der Verfasser wird eruirt, die Herausforderung erfolgt und die Siegespalme fällt Ihnen in die flache Hand.«

Somit war denn der Pakt zwischen den beiden Gentlemen errichtet, mit Kavaliersparole und Handschlag bekräftigt, und es erübrigte nichts weiter als die wohlentworfene Komödie öffentlich aufzuführen, was ohne Zweifel glänzend gelingen mußte.

Die Rollen waren in den besten Händen. Am Abend während der Vorstellung machte Alienor einen Besuch in Prinzessin Raphaela's Loge und schwatzte daselbst in seiner gewohnten ungebundenen Manier etwa eine halbe Stunde lang, ohne die mindeste Rücksicht auf die Indignation des Publikums, welches undankbar genug ist, sich nicht einmal darüber zu freuen, wenn ihm gleichzeitig auf der Bühne und in der Loge ein Schauspiel geboten wird. Zu seiner großen Genugthuung bemerkte Prinz Alienor, wie Herr Karakan, der mürrisch an der Logenbrüstung lehnte, mitten in der Vorstellung den Hut auf den Kopf stülpte und davon rannte. Er ging direkt in die Redaktion, um den bewußten Artikel zu schreiben.

In der Redaction der »Posaune von Jericho« herrschte die zweckmäßige Geschäftsordnung, daß jeder Mitarbeiter dann erschien, wann es ihm gefällig war, und in's Blatt schrieb, was ihm gut dünkte; dabei las nie Einer die Rubriken der Anderen, der Redacteur aber keine von allen; so geschah es denn gar nicht selten, daß eine und dieselbe Sache in zwei verschiedenen Rubriken, und zwar nach stark divergirenden oder widersprechenden Informationen behandelt wurde, oder daß der Eine heute als Neuigkeit jüngsten Datums auftischte, was der Andere schon vorgestern erzählt hatte. Der Revisor, der täglich das ganze Blatt durchlesen sollte, saß in der »Kleinen Pfeife« und rührte sich vor Mitternacht nicht von der Stelle; der Metteur-en-pages aber ging von der gesunden Ansicht aus: was einmal gesetzt ist, muß in's Blatt hinein; ob das Ding etwa längst veraltet, oder bereits wiederholt dementirt sein mochte, war ihm ziemlich egal: der Satz hatte nun einmal Geld gekostet, daher mußte das Publikum wohl oder übel den Text verdauen. Geschah es aber manchmal, daß das Blatt nicht voll wurde, und in keinem Regal mehr ein passendes Stück Satz vom vorigen Sommer zu finden war, so machte er kurzen Prozeß, griff ohneweiters selber zur Scheere, schnitt aus der nächstbesten gotteslästerlichen Freimaurer-Zeitung eine Spalte von entsprechender Länge heraus und druckte sie in die fromme »Posaune« hinein, daß des andern Tages den rechtgläubigen Lesern die Augen übergingen.

Ein einziger Mitarbeiter war in der Redaktion, der seine Stellung als Ehrensache auffaßte, und dieser war Leon. Er gehörte zu jenen sonderbaren Menschen, die es lieben, insgeheim blos mit ihrem eigenen Vorwissen redlich zu sein; es ist das ein Instinkt, etwa wie das Waschen bei der Katze; wenn sie sich die Pfoten beschmutzt hat, ruht sie nicht eher, als bis dieselben wieder hübsch sauber geleckt sind; der Hund läßt sie einfach schmutzig, wie sie sind.

Leon hatte also die absonderliche Gewohnheit, spät Abends, wenn er vom Souper kam, bevor er sich nach Hause begab, in die Redaktion hinauf zu gehen. Um diese Zeit brannte daselbst einsam eine räucherige Oellampe, vor welcher der Metteur der Reihe nach die Bürstenabzüge der einzelnen Spalten ausgebreitet hatte; seinerzeit trug er sie dann wieder fort, ob nun Jemand daran gewesen war, sie durchzusehen oder nicht. Leon konnte nicht geschehen lassen, daß in einem Blatte, für welches er arbeitete, eine Kollection der banalsten Dummheiten zu lesen sei und die Druckfehler den amüsantesten Theil desselben bildeten. Er las also jeden Abend die Bürstenabzüge, berichtigte und mäßigte die einzelnen Ausdrücke und machte Jagd auf die verschiedenen Böcke. Er suchte in Allem der Stimmung des Publikums Rechnung zu tragen: er war ein Nüchterner, der inmitten einer Kompagnie von sieben Besoffenen vor eine anständige Gesellschaft hinzutreten hat.

So erschien er denn auch an diesem Abende zu dem Tête-à-Tête mit der räucherigen Oellampe. Er war ohne Zeugen. Korrektor und Revisor probirten ein neues Faß Schwechater Lager in dem gegenüberliegenden Gambrinus-Tempel. Er saß allein und nahm der Reihe nach die Papierstreifen vor; auf jedem derselben prangten zunächst die Spuren der fünf Finger des Druckerbuben, dann das wohlgetroffene Conterfei des Daumens des Maschinisten und endlich der authentische Abdruck der Handfläche des Metteurs. Er durchstöberte die Zeilen und dann gerieth er ins Sinnen darüber, wie es doch so sonderbar sei, daß der Weg des Ruhmes mit Fließpapier gepflastert ist. Gegen seine Ueberzeugung schreiben und dann das Geschriebene auch noch corrigiren und überdies den unerhörten Gallimathias der Uebrigen lesen und zurechtbringen, so gut es gehen mag und sich schließlich vor sich selber schämen. Sich zornig stellen, wenn man ihn verunglimpft; sich noch bedanken, wenn man ihn um Dinge willen lobt, die er selbst verachtet. Indeß, das ist eben der Weg, ein großer Mann zu werden!

Am Schlusse der Notizen stieß er auf das Kukuksei, welches Freund Karakan da frisch hineingelegt hatte, auf das Referat über die Theatervorstellung. Den Titel des Stückes ausgenommen, bezog sich in dem ganzen Artikel eigentlich gar nichts auf das Theater; desto dichter waren dafür die Grobheiten gegen die Insassen einer, sogar der Nummer nach erkenntlich gemachten Loge, gegen das, dem Publikum gegenüber verletzende Betragen dieser Herrschaften gesäet. Was das Meritum der Sache anbelangt, hatte der Autor allerdings Recht; nur die rhetorischen Blumen, welche da allenthalben angebracht die Diktion schmückten, waren durchweg solche, wie sie der anständige Mensch aus dem Garten der Literatur sorgsam auszureuten pflegt. Leon ließ sich die Mühe nicht verdrießen, die ganze Geschichte umzuschreiben. Er ließ alle Ungereimtheiten, alles Schnüffelhafte daraus fort und gab dann die Notiz neuerdings in Satz. Der Metteur-en-pages protestirte allerdings gegen ein derartiges Verfahren; das sei nun ein ganz neuer Satz; überdies sei es bereits nach neun Uhr und da werde das Mille »n« à 24 Kreuzer doppelt gerechnet. Leon bezahlte den Betrag aus eigener Tasche und ließ noch eine Milares obendrein springen.

Des andern Tags früh Morgens – es war kaum nach acht Uhr – wurde der Fürst von Nornenstein durch einen ungewohnten Besuch überrascht: sein Sohn, Prinz Alienor, ließ sich bei ihm melden. Es mußten offenbar große Dinge vor sich gehen, daß er so frühzeitig schon angekleidet erschien. Geschminkt war er ohnehin noch nicht.

»Nun, was hat denn Dich aufgestört?«

»Lies das,« sagte Prinz Alienor und reichte seinem Papa die neueste, noch von der Druckerschwärze duftende Nummer der »Posaune von Jericho,« in welcher der bewußte lesenswerthe Artikel ringsum mit Rothstift angestrichen war. »Der eine Theil der hier öffentlich angegriffenen Magnaten-Gesellschaft ist Prinzessin Raphaela, der andere bin ich. Was ich zu thun habe, muß Dir wohl klar sein. Ich werde von der Redaktion ritterliche Genugthuung fordern. Willst Du mein Sekundant sein?«

Der Fürst umarmte gerührt seinen Thronerben. »Also doch!« (Ja, Blut wird eben niemals zu Wasser.) »Du bist ein ganzer Mann, mein Sohn. Von heute an will ich Dich duzen. Ich gehe sofort, Deine Angelegenheit zu arrangiren. Halte Dich zu Hause auf. Alles Uebrige ist Sache Deiner Zeugen.« Damit schüttelte er seinem Sohne warm die Hand und begleitete ihn bis an seinen Wagen hinab. Er selber eilte, seinen intimsten Freund, den Grafen Kolabinsky aufzusuchen, den er zum andern Sekundanten ersehen hatte.

Man fuhr direkt zur Redaktion. Im Bureau war außer Leon noch Niemand anwesend. Er pflegte früher zu kommen als seine Kollegen, um in Ruhe die Morgenblätter zu lesen, denn sobald jene hereingestürmt kamen, ging das Anekdotenerzählen und Debattiren los, daß man auch nicht eine Zeile mehr mit Muße lesen konnte. Der Standesherr nannte Leon sich und seinen Genossen und theilte ihm mit, sie seien in Vertretung des Prinzen Alienor Nornenstein hier, der sich und andere Personen durch den hier angezeichneten Artikel verletzt erachte und in Folge dessen ersuche, ihm den Verfasser der Notiz zu nennen. Leon zauderte durchaus nicht mit der Antwort. »Den Artikel habe ich geschrieben.« Er sagte damit buchstäblich die Wahrheit.

»Sind Sie in diesem Falle bereit, dem Beleidigten ritterliche Genugthuung zu geben?«

»Wollen sich die Herren diesbezüglich mit zweien meiner Freunde ins Einvernehmen setzen, die ich ersuchen will, mich in der Sache zu vertreten und die mich von den getroffenen Vereinbarungen in Kenntniß setzen werden.« Damit überreichte Leon den Vertretern Alienors zwei Karten, auf welchen er seine namhaft gemachten Freunde mit einigen Worten ersuchte, ihn in der Affaire vertreten zu wollen.

Man verbeugte sich gegenseitig und die beiden Herren entfernten sich. Napoleon aber setzte sich hin, um – eine Polemik gegen »Mene, Tekel, Upharsin« zu schreiben. Nach einer halben Stunde begann sich das Bureau zu bevölkern. Die edle Kumpaney brach mit lautem Getöse herein. Sie setzten sich auf die Schreibtische, lungerten auf den mit Zeitungen bedeckten Sophas herum und witzelten über den Chef-Redakteur, welchen lächerlich zu machen ja die ernsteste Aufgabe eines jeden Mitarbeiters ist. Auch Freund Karakan kam an. Sein Erstes war, aus einem Haufen von Journalen das eigene Blatt hervorzusuchen und in demselben den eigenen Artikel zu lesen. »Hm! Das hat Jemand gehörig abgeschliffen. Ich hatte das Ding weit nachdrücklicher geschrieben.« Doch dessenungeachtet war noch immer Anlaß genug vorhanden, die Sache schief zu nehmen. »Hat mich Niemand gesucht?« fragte Herr Karakan ungeduldig seine Kollegen.

Diese machten schlechte Witze. »O doch; Herr »Sauger« und Herr »Egel,« die zwei bekannten Wucherer.«

Doch Karakan erwartete anderen Besuch. »Waren nicht zwei fremde Herren hier?« Der Bureaudiener sagte ihm, früh Morgens seien zwei zimperliche Herren dagewesen. Es müßten Magnaten gewesen sein, weil sie gar so sehr die Nase gerümpft hätten, als sie bis über die Kniee durch den noch unausgefegten Papierkehricht waten mußten. Damals sei noch Niemand zugegengewesen, als Herr Napoleon; mit ihm hätten sie gesprochen. Freund Karakan begann Unrath zu wittern. Napoleon hatte sich in ein kleines Seitengemach zurückgezogen, um arbeiten zu können. Karakan ging hinein und rief ihn an: »Du Napoleon!«

»Nix Ungrisch!« antwortete kurz der eifrig Schreibende.

Vollends zur Gewißheit wurde Freund Karakans Verdacht, als er nach einer halben Stunde zwei junge Herren in die Redaktion treten sah, welche direkt nach Herrn v. Zarkany fragten und ihn allein zu sprechen wünschten. Sie gingen zu ihm hinein und zogen hinter sich sorgfältig die Thür zu. Die Verhandlung drinnen wurde sehr leise geführt und dauerte nur kurze Zeit. Dann gingen die Beiden wieder fort. Karakan hatte kaum erwarten können, bis sie weg waren. Er stürzte zu Leon hinein: »Was haben diese Leute hier gewollt?«

»Sie haben mit mir zu thun, in meinen Privatangelegenheiten.«

»Es waren Sekundanten.«

»Davon spricht man nicht.«

»Wer hat denn meinen Artikel über das Schwätzen in den Logen zugerichtet?«

»Ich.«

»Und in Folge dessen hast Du nun eine Herausforderung des Prinzen Alienor Nornenstein wegen dieses Artikels angenommen?«

»Aber was kümmern denn Dich meine Angelegenheiten?«

»Unglücklicher! Du hast mich zu Grunde gerichtet! Du hast mich zum Bettler gemacht! Du hast mir den großen Treffer aus der Tasche gestohlen!«

Damit stürmte er davon und hinaus und hinunter in die Druckerei. Er faßte den unglücklichen Metteur-en-pages an der Kehle und ließ ihn nicht eher wieder los, als bis derselbe ihm aus einem unermeßlichen Haufen von Mist und Makulatur den Bürstenabzug seines eigenen, echten originellen Urartikels hervorgesucht hatte. Damit versehen, rannte er über Hals und Kopf geradenwegs nach der Wohnung Prinz Alienors.

Prinz Alienor hatte mittlerweile bereits den Besuch seiner Sekundanten empfangen.

»Alles ist in bester Ordnung. Die gegnerischen Zeugen haben Degen gewählt. Wir sind übereingekommen auf »erstes Blut,« morgen Früh um sechs Uhr im Walde von Szent-Lörincz.«

»Steh' also bei guter Zeit auf,« sprach der Standesherr; indem er seinem Sohne väterliche Rathschläge ertheilte. »Zum Frühstück nimm ein Glas Rum; das wärmt; dazu ein paar weiche Eier. Heute Nachmittag schlaf' aus, denn des Nachts wirst Du aufgeregt sein.«

»Hab' Du keine Sorge um mich,« meinte Prinz Alienor. »Die ganze Sache regt mich nicht einmal auf. Da, fühle meinen Puls an.«

»Merkwürdig! Schlägt in der That so ruhig, als ob etwa von einem Foxhunting die Rede wäre. Ich hatte vor meinem ersten Duell den ganzen Tag Fieber; ich konnte nicht sitzen und nicht liegen und rannte den ganzen Tag umher. Dieses kalte Blut ist holländisch Erbe. – Doch, kannst Du denn auch fechten? Wart' einmal, ich will Dich ein paar ausgezeichnete Handgriffe lehren. Ich habe Duellsäbel mitgebracht. Komm, setz die Fechthaube auf.«

»Zeig mir die Hiebe nur so in der Luft, ohne mich.«

»Da, sieh her. Wenn sich der Gegner en garde stellt, siehst Du: – da schlägt man ihm mit der inneren Klinge Eins auf die obere Handfläche; da ist die Geschichte gleich zu Ende. – Oder ein anderer Vortheil: zwei Hiebe unmittelbar hintereinander von oben geführt, und mit dem zweiten Angriffstempo des Gegners geschnitten; damit trifft man zuverlässig den Arm. – Noch ein anderes Kunststück: der gegnerische Hieb nach oben wird nicht parirt, sondern man hebt rasch den Arm und schlägt gleichzeitig gerade vor sich hin; mit diesem Tempo darf man sicher sein, Wange zu hauen.«

»Fuchtle mir nur mit dem Säbel nicht so knapp vor der Nase herum: ich bin kitzlich. Uebrigens bin ich meiner Sache sicher; Du magst unbesorgt sein.«

»Nun, was Deinen Gegner betrifft, so ist mir wahrhaftig ein Stein vom Herzen gefallen. Ich muß gestehen, ich hatte meine Bedenken. Sie wissen ja wohl, Graf, der Teufelskerl, der Karakan, der berühmte Krakehler, ist in der Redaktion der »Posaune von Jericho« einzig und allein zu dem Zwecke engagirt, sich an die Bresche zu stellen, wenn etwa Jemand wegen eines Artikels Genugthuung fordern sollte, und zu sagen: »Ich habe das Ding geschrieben.« Da hat man es denn mit einem Burschen zu thun, der vom Regimente eigens deshalb entlassen wurde, weil er alle Welt massakrirte! Ich fürchtete, man werde ihn auch uns zur Verfügung stellen; da wäre dann nichts weiter übrig geblieben, als mich selber mit dem Jungen zu raufen. Glücklicherweise sind wir zeitig Morgens gekommen und fanden statt seiner einen Studenten mit krummem Rücken, einer Statur wie ein Strohhalm und alle Finger voll Tinte, der im ersten Schrecken sofort gestand, daß er die Notiz geschrieben habe. Apropos, wir haben Dir ja den Namen Deines Gegners noch gar nicht genannt. Wie ums Himmelswillen heißt denn der Mensch nur gleich? Napoleon – Tarkany, glaube ich, oder Parkany, oder so irgendwie. Aber sieh nur, sieh, was fehlt Dir denn auf einmal, Alienor?«

Ja, was fehlte ihm – der gewisse Napoleon mag nun heißen wie er will, der Mann ist er in keinem Falle, mit dem Prinz Alienor einen Vertrag auf so und so viele Centimeter hat.

»Ein plötzliches Herzklopfen ...« stotterte Alienor. Er hatte mit einemmale alle Lust und Courage verloren. Das Qui pro quo war ganz und gar nicht nach seinem Geschmacke.

»Ich weiß nicht ...«

»Was weißt Du nicht?«

»Ob Prinzessin Raphaela die Geschichte nicht übel nehmen wird?«

»Es thut Dir doch nicht etwa gar leid, die Herausforderung geschickt zu haben?«

»Oh, das nun wohl nicht. Nur finde ich, daß Ihr denn doch eine Inkonvenienz begangen habt.«

»Ei zum Teufel, Du willst mir eine Lektion über Konvenienz in Duellsachen geben?«

»Bei Beleidigungen auf journalistischem Wege ist es üblich, eine Alternative zu stellen: entweder der Verfasser revocirt, oder er giebt Genugthuung mit den Waffen. Ihr habt das Erstere nicht versucht.«

Die beiden Magnaten sahen einander betreten an. Ein Widerruf war allerdings weder gefordert, noch angeboten worden. Den Standesherrn wandelte eine gelinde Verzweiflung über seinen Sohn an. »Es wäre zu entsetzlich ...« Der unbehaglichen Situation machte sehr à propos der eintretende Kammerdiener ein Ende. »Es ist ein Herr draußen, der mit aller Gewalt Einlaß verlangt. Visitenkarte hat er keine. Er redet in Einem fort von Jericho und sagt, er sei von dort her.«

In Prinz Alienors Gesicht dämmerte ein Hoffnungsstrahl auf. »Laß ihn eintreten.« Alsbald stürzte Freund Karakan ins Gemach. Er blies und keuchte vor Eile und auf der Stirne stand ihm der Schweiß in hellen Tropfen. »Ihr unterthänigster Diener, meine Herren. Mein Name ist Absalon Karakan, Hauptmitarbeiter der ›Posaune von Jericho.‹ Soeben erfahre ich, daß Sie, meine Herren, in Prinz Alienors Auftrage in der Redaktion gewesen seien und sich nach dem Verfasser jener Notiz aus dem Theater erkundigt hätten. Meine Herren, der wirkliche Verfasser dieser Notiz bin ich.«

»Na, was habe ich denn gesagt?« raunte Fürst Nornenstein dem Grafen Kolabinsky zu.

»Ich schwöre es bei meiner Ehre, daß ich den Artikel geschrieben habe,« ereiferte sich Karakan. »Hier mein Original-Manuskript – da sehen Sie noch die Spuren von den Fingern des Setzerburschen daran, hier der Originalabzug, in der Fassung, wie ich die Notiz geschrieben habe. Jener andere Herr, der sich Ihnen gegenüber als Autor bekannte, hat den Text blos ein Wenig repassirt; er war nicht einmal im Theater gewesen. Ich bin der Verfasser, das schwöre ich Ihnen bei meiner Treue als guter Katholik – Sie sind verpflichtet, mir Glauben zu schenken. Ich will es Ihnen auch durch Zeugen beweisen. Ich kann nicht zugeben, mein Gefühl für Ritterlichkeit empört sich dagegen, daß für Etwas, was ich gethan habe, ein Anderer büße. Ich verkrieche mich niemals hinter eines Anderen Rücken. Was ich geschrieben habe, dafür stehe ich ein, und wenn ich am Platze bleiben sollte.«

»Das hab' ich besorgt!« murmelte Fürst Oktavian. »Eine saubere Wendung das! Aber als ob ich etwas dergleichen geahnt hätte.« Dann zwang er sich zur Ruhe und wandte sich an Karakan: »Mein Herr, da Sie sich auf Ihre Ritterlichkeit berufen, so gestatten Sie mir vielleicht die Frage, ob Sie es nicht für angemessen erachten würden, eine Beleidigung, durch welche auch Damen betroffen erscheinen, gleichfalls in journalistischem Wege wieder gutzumachen?«

Doch nun trat zum nicht geringen Erstaunen beider Sekundanten mit einem Male Prinz Alienor vor. Sein Antlitz erglühte in edlem Stolze, das Haupt war kühn erhoben. »Nichts von Unterhandlungen! Ich will keinen Widerruf. Das hieße die Beleidigung geradezu verdoppeln. Ich habe Genugthuung mit den Waffen gefordert, und ich bestehe auf meiner Forderung.«

Fürst Oktavian Nornenstein war der Meinung, es sei falscher Ehrgeiz, was da so sehr zur Unzeit aus seinem Sohne spreche, und flüsterte ihm besänftigend zu: »Du, mein Sohn der Bursche ist der gefährlichste Raufbold in der ganzen Monarchie!«

Der Prinz aber erwiderte mit lauter Stimme: »Mir sehr egal! Und wenn er ein Fechtmeister wäre. Er rühmt sich dessen noch, daß er die Frechheit gehabt, mich und eine Dame, für die ich einzustehen verpflichtet bin, zu beleidigen. Ich will ihm das Andenken an diese Beleidigung in die Physiognomie eingraviren.«

Absalon Karakans Gesicht strahlte vor Wonne. »Ja, ja! In die Physiognomie! zehn Centimeter lang!«

Fürst Oktavian Nornenstein aber schwelgte im Hochgefühle väterlichen Stolzes. Er schloß seinen Sohn an die Brust.

»Nun denn, mein Herr, Herr Absalon Karakan, so machen Sie also Ihre Zeugen namhaft, mit denen wir uns in's Einvernehmen setzen wollen und geben Sie an, wo Sie den Tag über zu finden sind, wenn man Sie etwa brauchen sollte.«

Der große Spadazzin nannte zwei Gentlemen seines Gleichen. Seine Freude darüber, daß sein Erbieten Annahme gefunden, brachte ihn dermaßen aus dem Geleise, daß er zum Abschiede sogar seinem Gegner, dem Prinzen, die Hand hinreichte. Glücklicherweise hatte dieser seine Rolle besser inne und verbarg beide Hände am Rücken. »Verrückter Kerl!« brummte ihm Fürst Oktavian nach. Die beiden Herren machten sich sofort daran, die beiden Gentlemen aufzustöbern, welche die Sekundanten des Gegners sein sollten. Dabei hielten sie es durchaus nicht für der Mühe werth, sich erst noch mit Napoleon von Zarkany oder dessen Sekundanten zu benehmen und sie von der eingetretenen Veränderung zu verständigen. Der Verlauf der Sache war ja so klar: der arme Kerl mit den tintigen Fingern war betroffen, als er hörte, daß es ihm mit dem Säbel an den Kragen gehen sollte, und hatte nichts Eiligeres zu thun, als sich hinter den konventionirten Spadazzin zu verkriechen; er ist froh, nur den Schuh im Moraste gelassen zu haben und barfuß entkommen zu sein. Was sollte man dem Aermsten noch weiter anhaben wollen. –

Diese irrige Auffassung der Sachlage hatte nun aber zur Folge, daß am nächsten Morgen geraume Zeit vor der festgesetzten Stunde Napoleon mit seinen Zeugen und seinem Arzte der erste am Platze war. Er hatte gute fünf Minuten zu warten, bis auf der Szt.-Lörinzer Straße ein zweiter geschlossener Wagen herankam; aus demselben sprang Freund Karakan und seine Zeugen. Feldscheer halten die Herren keinen bei sich; sie mochten gedacht haben, der Prinz werde wohl einen mitbringen. Die beiderseitigen Konsortien sahen einander mit furchtbar scheelen Augen an. Ein Irrthum konnte füglich nicht obwalten; beide Parteien hatte ihre Instruktionen; links vom Waldhüterhaus auf der Lichtung inmitten des Eichenwäldchens. »Was sucht Ihr denn hier?« fragte Absalon Karakan Leon.

»Das könnte weit eher ich Euch fragen, da ich zuerst das Terrain okkupirt habe.«

»Gebet Raum, wir wollen uns hier schlagen.«

»Das brauche ich nicht zu wissen. Du magst Dich meinethalben schlagen, so viel Du willst, nur nicht hier zu dieser Stunde.«

»Warum nicht?«

»Das mögen unsere Zeugen einander mittheilen, wenn sie es für gut finden.«

»Bruder Napoleon nimm Dich in Acht, daß ich nicht die Geduld verliere. Ich pflege nicht viel zu parlamentiren. Ich habe heute hier ein Duell mit dem Prinzen Alienor Nornenstein.«

»Das ist garnicht unmöglich, sobald das meinige mit demselben Gentleman ausgefochten sein wird.«

»Jetzt ist's genug! Prinz Alienor ist mein Gegner. Er hat mich ordnungsmäßig gefordert.«

»Die Herausforderung an mich ist eben so regelrecht erfolgt.«

»Aber sie war ein Mißverständniß; sie beruht auf einem Irrthum.«

»Davon hat mich Niemand verständigt.«

»Nun so verständige ich Dich davon!«

»Du bist nicht Nornensteins Vertreter.«

»Herr von Zarkany, ich pflege sehr kurz mit Leuten umzugehen, die mir ein Bein zu stellen gedenken.«

»Daran zweifle ich nicht.«

»Zu allen drei Teufeln! entweder Sie machen sich fort von hier, oder Sie schlagen sich mit mir!«

»Und da ich nun den Platz nicht räume, insolange es mir Andere nicht gestatten!«

»Nun dann rasch herab mit dem Rock und dann hinaus auf die Mensur! Die Zeit ist kurz.«

»Das ist auch wieder wahr.«

Die Sekundanten legten sich vergeblich ins Mittel. Karakan vollführte einen wahren Heidenrandal. Leon aber zuckte nur die Achseln. Keiner von Beiden wollte weichen. Schließlich mußte man sie gewähren und aus dem Stegreif gegen einander loslegen lassen.

Sie entkleideten sich. Karakan war ein Körper von wahrer Büffelkraft; Napoleon war schlank und geschmeidig, aber er hatte lange Arme und Beine.

Karakan hatte alle die vexatorischen Eigenheiten des Kämpfers von Profession. Er spuckte sich in die flache Hand, wenn er den Degengriff faßte, er zeigte das Weiße der Zähne, lächelte den Gegner mit Wollust, mit wahrem Appetit an, zog sich hinterlistig zurück und riß zuweilen den Arm so rasch an sich, daß er mit der Faust die Schultern berührte. Wenn er ausfiel, ließ er ein Schnauben hören wie ein wildes Thier und stampfte ganz erschrecklich mit dem Fuße. Alles das kann einen unerfahrenen Gegner leicht aus der Fassung bringen. Ferner hatte er beim Fechten die Manier, den Gegner ohne weitere Rücksicht auf die Defensive auf den ersten Anprall wie ein Bär über den Haufen zu rennen und ihm keine Zeit zu lassen, zum Angriffe überzugehen. Mit dieser Methode machte er seine Gegner in der Regel zu Schanden, und wurde er selber verwundet, so hatte es meist nicht viel auf sich.

Diesmal war er aber an einen Fechter gerathen, der gleichfalls seine Eigenheiten hatte. Leons Vortheil bestand darin, daß er ungewöhnlich lange Arme hatte und mit denselben derart über den Degen des Gegners hinwegzuhauen wußte, daß dieser gar nicht begreifen konnte, wie er zu den Hieben komme. Auch seine langen Beine kamen ihm vortrefflich zu statten; er sprang bald vor- bald rückwärts. Ihn mit einem Ausfalle niederzurennen, war nicht möglich, denn er wußte eben so gewandt zu retiriren und während des Rückzuges dem Gegner mit fein bemessenen Schlägen zuzusetzen. Er sprang vor Karakan davon, daß ihm dieser mit dem Säbel nicht zu Leibe konnte. »Tanzmeister! Daß Dich das ...«

Das Resultat des Waffenganges war folgendes: Vor Allem bekam Freund Karakan von Leon einen Hieb auf die linke Wange, der, wenn er dem Prinzen Alienor aufgerechnet worden wäre, seine achtundzwanzigtausend Gulden eingetragen haben würde. Dann ließ sich Leon ein wenig jagen und vergaß mittlerweile auf Karakans Brust eine Schramme von fünfzehn Centimeter Länge im Werthe von fünfzehntausend Gulden: ferner mochte er ihm Eins auf den Arm in der Ausdehnung von zwölf Centimeter nicht vorenthalten und pour la dame bedachte er ihn mit einem Klaps im Werthe von fünftausend Gulden auf die Außenfläche der Hand. Alle die Blessuren zusammen würden ein artiges Sümmchen repräsentirt haben, wenn sie ihm vom Prinzen Alienor zugekommen wären. Der letzte Hieb hatte ihn kampfunfähig gemacht, das war also die letzte Cotillonfigur.

Als Prinz Alienor mit seinen Zeugen und seinem Arzte auf dem Schauplatze des Rencontres anlangte, lag Karakan bereits am Rasen ausgestreckt und drei Mann hefteten und pflasterten an seiner Haut herum; ringsum lagen blutgetränkte Badeschwämme. Alienor wandelte bei dem Anblicke eine Ohnmacht an. Leons Zeugen beeilten sich, jenen des Prinzen die nöthige Aufklärung zu geben. Die beiden Kollegen hätten darüber Streit bekommen, welchem von ihnen das Recht zustehe, dem Prinzen Alienor Nornenstein wegen jener Notiz in der »Posaune von Jericho«, zu deren Autorschaft sich Beide mit Recht bekennen, Genugthuung zu geben. Der Ausgang hat für Herrn von Zarkany entschieden, dessen Kartell übrigens ohnehin aufrechtstehe. Daran war nun nichts auszusetzen. Wie wird nun der Mann, der diesen gewandten Eisenfresser derart in die Pfanne gehauen hatte, erst mit dem Prinzen umspringen!

»Jetzt nur kaltes Blut, mein Sohn!« flüsterte Fürst Oktavian dem Prinzen ins Ohr.

Prinz Alienor war bleich wie ein Mädchen in der Gelbsucht. Allein er that sich Gewalt an, sein nervöses Schaudern nicht zu verrathen. Er hatte eine nervöse Antipathie gegen alles geschliffene Eisen und nun wischte man noch überdies vor seinen Augen die Klinge des Gegners am Rasen vom Blute rein! Und nun sollte er den Säbel nehmen und sich dem Manne gegenüberstellen, der bereits Einen ins Gras gestreckt hatte! Doch – eher sterben, als zurücktreten. Als sein Vater zu ihm trat, um ihm das Handgelenk mit dem schwarzen Seidentuche zu umwinden, damit nicht etwa ein Hieb die Pulsader treffe, flüsterte er ihm erschrocken zu: »Du fieberst ja!«

Bevor die Gegner sich entkleideten, stellte Graf Kolabinsky als einer der Zeugen, um diesmal allen Normen der Duellvorschriften gerecht zu werden, die Frage: ob die Gegner nicht etwa geneigt wären, sich auszusöhnen? Ob insbesondere der beleidigende Theil sich nicht herbeilassen wolle, die Beleidigung durch Widerruf zu repariren.

Man pflegt das jedesmal zu fragen und die Antwort lautet in der Regel: Nein. Diesmal aber geschah eine Ausnahme. Napoleon von Zarkany antwortete auf die Aufforderung: »Ja.«

Damit griff er in seine Brusttasche und zog eine Schrift hervor. »Ich erkläre hiermit vor Ihnen, daß ich die in jenem Artikel enthaltenen Beleidigungen bedauere und mißbillige und den Beleidigten Abbitte leiste. Ich gebe Ihnen diese Erklärung auch schriftlich und ermächtige Sie, dieselbe im Wege der Journale zu veröffentlichen.«

Prinz Alienor fühlte sich wie zu neuem Leben erweckt; er ergriff mit wahrem Feuereifer Leons Hand und bat, er möge ihn fortan Freund nennen, seinen einzigen wahren Freund. »Daran erkenne ich den wahren Kavalier!« rief Fürst Oktavian aus und mischte sich gleichfalls in das Duett von Händedrücken. »Das ist der echte, der edle Muth! eine Beleidigung männlich zu gestehen und zurückzunehmen, wenn der beleidigte Theil es verdient.«

Napoleon drückte die dargebotenen Hände nicht wieder. Er lächelte still vor sich hin und dachte in seinem Innern: Ich bin doch wahrhaftig der größte Komödiant von Allen hier; ich leiste Abbitte wegen eines Artikels, den ein Anderer geschrieben und in welchem er eine Dame beleidigt hat, die ich achte und eine andere, die ich liebe; und dafür lasse ich mich noch rühmen und loben über den grünen Klee.

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