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»Hohe, hochgeborne Herren! Der große Kriegsfürst Montecuculi hat bekanntlich den Ausspruch gethan, daß zu einem Feldzuge drei Dinge erforderlich seien: Geld, Geld und wieder Geld. Ich zeichne zu dem bevorstehenden konstitutionellen Feldzuge meinerseits dreimalhunderttausend Mark; weitere dreimalhunderttausend Mark seitens des Vereines der Standesherren. Excellenz Fürst Etelvary, wollen Sie die Gewogenheit haben, die Subskription fortzusetzen und den Bogen unter den Herrschaften zirkuliren zu lassen.«
Nach etwa zehn Minuten kam die Liste wieder an den mediatisirten Fürsten zurück.
»Die bisher subskribirte Summe beträgt also circa zwei Millionen Gulden. Nun sind aber zahlreiche Freunde unserer Sache dermalen nicht anwesend, die gleichfalls ihre werkthätige Theilnahme zugesichert haben; mehrseitige Beiträge des hohen Klerus werden sicherlich nicht ausbleiben; auch wird es sich erweisen, daß die › cassa nemonis‹ durchaus kein Hirngespinnst ist. Aus allen diesen Quellen wird mit Leichtigkeit eine dritte Million zusammenfließen. Auf eine vierte Million können wir zuversichtlich von Seite mehrerer befreundeter Wiener Bankierhäuser zählen, welche durch Interessengemeinschaft in Angelegenheit der Eisenbahn-Unternehmungen und der staatlichen Kreditoperationen an unsere Sache gefesselt sind. Dem Herzenswunsche mancher der Herren ist sogar noch weit wohlfeiler zu genügen: sie verlangen weiter nichts, als den ungarischen Adel.«
Se. Hochwürden der Herr Probst Timotheus Borcsak konnte nicht umhin, die Bemerkung zu machen: es sei denn doch himmelschreiend, eine solche Unmasse von Geld den geehrten Wählern durch die Kehle laufen zu lassen. Der Standesherr beruhigte ihn indessen mit dem Diktum: »Kein Krieg ohne Blutvergießen; auch auf dem Schlachtfelde kommt jeder einzelne Gefallene der kriegführenden Partei genau so hoch zu stehen, als ein gewählter Volksvertreter: auf je einen Todten entfallen vierzigtausend Gulden an Kriegskosten, – und das ist ein Abgeordneter auch werth. Wir haben sonach vorläufig die Mittel, hundert Abgeordnete ins Haus zu bringen, die zu unserer Fahne stehen.«
»Sehen wir uns nun die Fahne selber an.«
Sie wird entrollt. Das Programm ist verständlich, klar und erschöpfend. Die Blätter sind in eine silberne Kapsel verschlossen, daher es auch das »silberne Buch« genannt wird. Die Meisten kennen den Inhalt bereits ganz genau. Nur einige, eben erst vom Lande »zugereiste« Adepten sind neugierig genug, das Buch durchstudiren zu wollen. Unter diese Neugierigen gehört insbesondere Pater Timothee, der Probst von Etelvar.
Das Buch der Sybille zerfällt in neun Abschnitte. Abschnitt: I. Religions- und Erziehungswesen; Programm: die Beschlüsse des ökumenischen Konzils, die Encyklika. (Das versteht Pater Timothee noch ganz gut.) Abschnitt II: Preßangelegenheiten; Programm: der Index und der Syllabus; bezüglich der Journale die Pariser September-Konvention, das Verwarnungs-System. (Das ist ihm schon nicht mehr so ganz verständlich.) Abschnitt III: Verfassung; Programm: Die XII Oedenburger Punkte. (Nun – kriegen wir denn die nicht zu hören?) Abschnitt IV: Kriegswesen; Programm: Das Kodizill zu der Innsbrucker Vereinbarung. – Abschnitt V: Bankwesen, Finanzangelegenheiten; Programm: Das Resultat der Vöslauer Konferenz. – Abschnitt VI: Handels, Zoll und Eisenbahnangelegenheiten; Programm: Das Kartell der Badener Entrevue. – Abschnitt VII: Internationale Angelegenheiten; Programm: Die Frohsdorfer Entente cordiale reciproque. – Abschnitt VIII: Auswärtige Politik und soziale Fragen; Programm: Das Protokoll der Heidelberger Versammlung der Standesherren. – Abschnitt IX: Europäisches Schutz- und Trutzbündniß; Programm: Die Korollarien der Gasteiner Entrevue.
»Nun ich Alles das gehört habe, bin ich genau so klug, wie vorher!« platzte Pater Timothee in seiner Manier, rückhaltslos die Wahrheit zu sagen, heraus.
»Es sind Männer da, hochwürdiger Herr, welche die Sache gründlich verstehen,« beruhigte ihn der Präsident; worauf einige der anwesenden Zelebritäten würdevoll mit dem Kopfe nickten, die Uebrigen aber stillschwiegen, um nicht – wie soeben der Dorfpfarrer da – ihrer Unwissenheit wegen ausgelacht zu werden.
Encyklika, Index, Konvention, Punktation, Kodizill, Resultat, Kartell, Entente cordiale, Protokoll, Korollarium, Du grundgütiger Herrgott! wer soll all' den Dingen nachgehen im Vatikan und der Himmel weiß, wo sonst noch überall? Wie alle die Herren auffinden, die Einem Anweisung und Fingerzeige geben könnten, wo die Sachen zu suchen sind? Da unterschreibt man lieber und nimmt es als ausgemacht hin, daß Jeder, dessen Name in dem silbernen Buche steht, ganz gut weiß, was er thut.
Sodann kommt die topographische Aufnahme des künftigen Kriegsschauplatzes an die Reihe.
Die Bänke des ungarischen Abgeordnetenhauses zählen vierhundertdreiundvierzig Sitze, denen ebenso viele Wahlbezirke auf der Landkarte entsprechen. Eines guten Feldherrn erste Aufgabe ist nun, auszuspioniren, welcher Wahlbezirk überhaupt zu erobern ist? Die zweite Frage ist dann, wodurch er gewonnen werden kann? Es ist eine der schwierigsten Aufgaben des Kriegsrathes, für die Wahlbezirke, die disponibel, Männer aufzustellen, die »possibel« sind. Alles Uebrige ist dann die Sache der Unter-Feldherren, die man »Kortesführer« nennt, ein Ausdruck, der wahrscheinlich von dem spanischen » kortes« stammt, eines jener Fremdwörter, an welche die ruchlosen Sprachneuerer noch nicht Hand anzulegen gewagt haben.
Man sollte gar nicht glauben, wie viele Zeit dieses mühevolle Geschäft in Anspruch nimmt. Es ist das eine statistische Studie, für deren pünktliche Zusammenstellung sich die gesammte Gelehrtenwelt den Fachmännern, welche sich damit befassen, eigentlich zu unendlichem Danke verpflichtet fühlen müßte. Es ist eine eigene Wissenschaft, welche in zahlreiche Abschnitte zerfällt. Obschon wir überzeugt sind, daß wir damit alle Welt ganz schauderhaft langweilen werden, mit Ausnahme der Männer und (warum sollten wir es nicht ohne Rückhalt aussprechen?) der Damen vom Fache, – so können wir gleichwohl den Letzteren zu Gefallen nicht umhin, mindestens die einzelnen Abschnitte dieses Katechismus hier anzuführen.
1. Frage. Wie groß ist die Anzahl der Wähler gegenwärtig, und wie groß war sie bei der letzten Conscription? – Aus der Beantwortung dieser Fragen wird ersichtlich: ob sich die Anzahl der Wähler vermehrt oder vermindert hat, – das heißt: ob die Bewohner des Bezirks gute oder schlechte Steuerzahler sind, – das heißt: ob man Geld dahin schicken müsse, und wie viel? 2. Frage. Welche Confessionen sind im Bezirke heimisch und welches Kontingent stellt jede einzelne zu der Gesammtzahl der Wähler? 3. Welche Sprachen werden in dem Bezirke gesprochen? – Von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob man Wein oder Branntwein dahin zu schicken hat. 4. Wie viele Gemeinden gehören zu dem Wahlkreise? Wie ist es um dieselben im Allgemeinen bestellt? 5. Welche Majorität hat der sieghafte Candidat bei der jüngsten Wahl erzielt? 6. Was hat derselbe den Leuten für seine Wahl versprochen und was hat er davon nicht gehalten? 7. Wie hoch ist ihm im Durchschnitte jedes einzelne Votum zu stehen gekommen? 8. Wer ist in dem Bezirke der Großgrundbesitzer, der Kukuruzfeld in die Hälfte zu vergeben hat? 9. Zu welcher Partei halten die Mitbürger mosaischer Religion? Haben dieselben Pachtungen inne, die ihnen allenfalls gekündigt werden können? 10. Welches ist das numerische Verhältniß zwischen den einzelnen Parteien? 11. Wie viele Wähler der Gegenpartei können im Wege der Reklamation aus den Listen gestrichen werden? Das ist die wohlfeilste Manier, lebendige Leute todt zu machen. 12. Giebt es Gegenkandidaten, Candidaturs-Aspiranten, Leute, welche Miene machen, ihre Kandidatur zu ertrotzen oder sonst derlei verdächtige Individuen im Bezirke? 13. Wenn es deren giebt, welche Mängel und Gebrechen sind an ihnen zu entdecken? Was läßt sich aus ihrem bisherigen Lebenslaufe Ungünstiges gegen sie aufspüren? 14. Giebt es in der Gegend renommirte Raufbolde, mit deren Hülfe die Gegenpartei eingeschüchtert und bestimmt werden kann, daheim zu bleiben? 15. Wer sind die bedeutendsten Demagogen im Bezirke? Was muß man ihnen versprechen, um sich ihres Einflusses und ihrer guten Dienste zu versichern – Aemter oder Geld? 16. Wer ist der Präses der Wahlkommission? Ist er unser Mann?
Die hochansehnliche Commission versäumte nicht, alle diese Fragen von Punkt zu Punkt eingehend zu discuriren und es gelang ihr, ihre diesbezügliche Aufgabe so glücklich zu lösen, daß nach dreitägiger, permanenter Sitzung nur mehr der Etelvarer Wahlbezirk übrig war. Die Conferenz harrte gespannt der Aeußerung des Präsidenten, der eine lange Liste von roth und blau unterstrichenen Namen vor sich hatte, mit welcher er sich endlos viel zu schaffen machte. Wen wird er wohl zum Candidaten vorschlagen?
Se. Hoheit schien sich gar sehr den Kopf zu zerbrechen. Er zog die Stirne in Falten und sah zum Plafond empor.
Da erhob sich Herr Kolompy, der in der Versammlung als Schriftführer fungirte, von seinem Sitze, bat, man möge die Kühnheit, daß er es wage, hier das Wort zu ergreifen, mit seinem überwältigenden Eifer für die gute Sache entschuldigen und gab seiner Meinung nachstehendermaßen Ausdruck: »Im eigenen sowohl als auch im Namen mehrerer bewährter Prinzipiengenossen erlaube ich mir folgenden Antrag zu stellen: Wenn es unsere ernstliche Absicht ist im Etelvarer Bezirke den Sieg unserer Partei zu sichern, so dürfen wir uns nicht verhehlen, daß dies nur unter der Aegide eines Namens geschehen kann, und dieser eine Name ist kein anderer als jener des Prinzen Alienor von Nornenstein.«
»Ahaha!« lachte der vorsitzende Standesherr und warf Stift und Liste von sich; »Sie scherzen wohl? Mein Sohn?! Ein unreifer Junge, ein unwissender Bursche, in einer hohen Stellung! Wo denken Sie hin?«
»Ich muß Se. Hoheit um Verzeihung bitten, daß ich in dem obschwebenden Falle so kühn bin zu widersprechen; allein die Heiligkeit der Sache macht es mir zur Pflicht, meine Stimme zu erheben, selbst auf die Gefahr hin, mir das Mißfallen Sr. Hoheit zuzuziehen. Das Vaterland braucht neue, jugendliche Kräfte, und als eine solche kennen wir den Prinzen Alienor, der bei seinem Geiste, seinen ausgebreiteten Kenntnissen und seiner hohen Stellung zu den hervorragendsten Zierden unseres Reichstages zählen würde. In unserem Interesse ist es ganz insbesondere gelegen, daß ein so theurer Adoptivsohn unseres Vaterlandes mit je stärkeren Banden an den heiligen Boden desselben geknüpft, daß der Name Nornenstein mit unauslöschlichen Lettern eingetragen werde in das goldene Buch unserer Nation.« Der schönen Rede folgte von verschiedenen Seiten beifälliges Gemurmel.
»Hochgeborne Herren,« nahm hierauf Fürst Oktavian tief ergriffen das Wort: »Wenn dieser Antrag in der That ernst gemeint ist, so sehe ich mich genöthigt, den Saal zu verlassen und den Vorsitz dem Vicepräsidenten Fürsten Etelvary einzuräumen, denn ich kann unmöglich präsidiren, wenn die Versammlung über ein Mitglied meiner Familie Beschluß faßt.« Damit erhob er sich vom Tische und verließ das Zimmer. Fürst Etelvary nahm seine Stelle ein.
»Se. Hochwürden der Herr Probst könnte der Conferenz die besten Aufschlüsse über die Verhältnisse im Etelvarer Bezirke geben,« apostrophirte Herr Kolompy den Geistlichen.
Pater Timothee zuckte zwar ein wenig die Achseln, schließlich aber sah er denn doch ein, daß es hier füglich nicht angehe, mit einem » Non sum paratus« zu antworten; er verstand sich also wohl oder übel dazu, zu reden.
»Wenn die Herrschaften befehlen, so will ich wohl so ausführlich und klar als möglich darlegen, wie die Sachen stehen; ich erkläre aber in vorhinein, daß ich nur die Wahrheit sagen werde. Wenn also die Herrschaften erlauben –?«
Man ermächtigte ihn, in Gottes Namen denn die Wahrheit zu sagen, wenn er's nun einmal nicht lassen könne und er hub also an: »Um die Sache ab ovo zu beginnen, muß ich vor Allem sagen, daß sich der Etelvarer Bezirk bei den bisherigen Wahlen immer als ein böser Bezirk erwiesen hat; wir sind daselbst noch jedesmal durchgefallen, so sehr wir auch darauf bedacht waren, alle verfügbaren Mittel auszunützen. Das Verhältniß ist folgendes: Von 1900 Wählern bringen wir niemals mehr als 900 zusammen; diese Anzahl stellen unsere vier getreuen Ortschaften Mar, Batok, Kopron und Csiva; diese vier Gemeinden, wenn sie rechtzeitig für die Partei mit Beschlag belegt werden, sind zuverlässig. Gradezu nicht zu gewinnen sind dagegen die Turoer und die Gezetlener, durchaus hartnäckige Calvinisten, und schließlich der Vor- und Wahlort des Bezirkes selbst, der Markt Sipota, wo die gewerbetreibende Klasse, meist Csizmenmacher und Töpfer, die ganze Einwohnerschaft dominirt. Diese Leute sind um keinen Preis zu kaufen und in keiner Weise ins Blockhaus zu jagen – ein vertracktes Volk. Das Verhältniß steht also Tausend gegen Neunhundert. In jüngster Zeit ist überdies auch noch eine andere Gefahr aufgetaucht: der bisher noch immer gewählte Abgeordnete Samuel Nagybaroty, ein Mann von altem Schrot und Korn, Anhänger des linken Zentrums weigert sich, die Candidatur neuerdings anzunehmen. Er schützt seinen kränklichen Zustand vor; daran ist aber kein wahres Wort. Die Sache ist die: sein schmuckes Weibchen ist ein wenig eifersüchtig und mag es nicht verwinden, den Herrn Gemahl auf dem schlüpfrigen Pester Pflaster all den verschiedenen Verlockungen ausgesetzt zu wissen.«
(Allgemeine Heiterkeit.)
»Kaum transpirirte nun, daß das linke Zentrum im Bezirke keinen Candidaten habe, da erschien, wie vom Himmel gefallen, Einer von der äußersten Linken, ein gewisser Absalon Karakan.«
»Ah! mein ehemaliger Mitarbeiter.«
»So –? Na, aus dem Jungen haben Sie einmal was Ordentliches gemacht, das muß wahr sein –! Herr mein Gott, wie weiß der Bursche den Leuten seine Sache mundrecht zu machen! Er verspricht doch den Leuten Dinge, daß Einem die Haut schaudert!«
»Ei, so muß man ihn als Aufwiegler einsperren lassen.«
»Ja, das wäre wohl recht, aber der Racker ist eben klug genug, auf offenem Markte, vor allem Volke auch nicht ein Sterbenswörtchen zu sagen, um dessentwegen ihn die Behörde am Kragen fassen könnte. Er fährt draußen herum, in der Gemarkung auf den Gehöften; dort sitzt er mit den einzelnen Landwirthen zusammen und redet die Leute toll und voll; Wort für Wort geht dann von Mund zu Mund, und so hat er bis zur Stunde an vierhundert Stimmen für sich und ich weiß nicht, ob darunter nicht auch manche von den Unsrigen sind. Denn seine Versprechungen – er ist nicht eben karg damit – sind durchweg sehr faßlich und gemeinverständlich und erinnern lebhaft an die Lehrsätze des Kommunismus.«
»Da muß man das Volk aufklären.«
»Ja ja, das ist ja eben, was ich auch sage. Es würde sich dringend empfehlen, auf diesen gefährdeten Posten einen Mann zu stellen, der vermögend wäre, durch Wort und That die Bevölkerung für uns zu gewinnen. Ebendeshalb – wenn Ew. Excellenzen mir noch einmal gestatten wollen, ein ganz klein wenig die Wahrheit zu sagen, nur ein winziges Körnlein, so groß wie ein Senfkorn, – kann ich die Besorgniß nicht unterdrücken, daß der gute Prinz Alienor ... Ich gebe ja gerne zu, daß er ein kreuzbraver, ein sehr verständiger junger Mann ist, aber ... weiß Gott, sowie er sich vor die Leute hinstellt und fängt zu reden an: ›Geehrte Mitbürger!‹ und sie hören, daß er kein ›r‹ aussprechen kann, so fangen sie Alle an zu schreien: Er soll erst den Brei ausspeien, den er im Munde hat, dann soll er reden! – Und damit ist's dann mit der ganzen Herrlichkeit auch schon am Ende.«
Die Aeußerung rief allgemeine, lebhafte Heiterkeit hervor.
»Seien Sie deshalb unbesorgt, hochwürdiger Herr,« sprach, nachdem wieder Ruhe eingetreten war, Herr Kolompy. »Dem Umstande ist bereits in genügender Weise Rechnung getragen. So wie vor Alters Moses, der weise Gesetzgeber, da er selber stotterte, von Aron, dem Meister zierlicher Rede, begleitet war, so soll auch den Prinzen einer der gewandtesten, kühnsten und populärsten unserer Parteigenossen auf seiner Kandidatenreise begleiten; der wird die Gemüther auch durch die Macht der Rede zu gewinnen wissen und wird den Goliath der Gegenpartei zu Boden schmettern.«
»Und wer soll der große Mann sein?«
»Napoleon von Zarkany.«
»Was? Bruder Napoleon?« rief Pater Timothee in hellem Erstaunen aus.
»Zweifeln Sie etwa an seiner Gewandtheit?«
»An seiner Gewandtheit? Oh – im Gegentheil. Aber so oft ich an Bruder Napoleon denke, fällt mir immer unwillkürlich ein, wie es doch ein wahres Glück ist, daß ich sein Pfarrer bin und nicht er der meinige; wenn er mein Pfarrer wäre und ich müßte Alles glauben, was er predigt, ach wie übel wäre es bei mir um Seele und Himmelreich bestellt!«
»Sie hegen also Mißtrauen gegen ihn?«
»Nicht eben Mißtrauen, aber – auf die Bärenjagd möchte ich mit ihm denn doch nicht gehen; ich wäre niemals so ganz sicher, daß er nicht am Ende anstatt der Bärenhaut die meinige nach Hause bringt.«
»Nun, es ist gesorgt dafür, daß er durch sehr importante Interessen an unsere Sache gefesselt sei.«
Pater Timothee schüttelte den Kopf; dann holte er aus einer seiner rückwärtigen Taschen seine Tabaksdose hervor, nahm eine tüchtige Prise und schüttelte wieder den Kopf; schließlich nahm er sein Taschentuch zur Hand, faßte sich an die Nase und schüttelte nun erst recht den Kopf. »Ew. Excellenzen kennen den Jungen nicht. – Wer da glaubt, daß man den kaufen könne, oder daß er Demjenigen, der ihn etwa gekauft hätte, auch nur eine Stunde lang anhangen würde, der ist gar sehr auf dem Holzwege, mag nun der Preis, um den er ihn gekauft zu haben wähnt, eine Summe Geldes sein oder die Errettung vom sichern Tode. Ich weiß allerdings einen Preis; für den wir uns seiner Anhänglichkeit versichern könnten. – Es ist nicht viel: Alles in Allem ein gutes Wort: es fragt sich nur, von wem es kommt. – O, ich bitte sich nicht hier umzusehen – die betreffende Persönlichkeit sitzt nicht unter uns – das betreffende Wort hat nicht von einem Mann zu kommen.«
Allgemeines Gelächter. – Der geistliche Herr gerieth darüber in Eifer.
»Ich spaße nicht. Ich kenne die Menschen. Deshalb will ich's nur unumwunden heraussagen: wenn wir wollen, daß Napoleon Zarkany mit Leib und Seele darauf aus sei, unserer Fahne im Etelvarer Bezirke zum Siege zu verhelfen, so können wir dies einzig und allein dadurch erreichen, daß Se. fürstliche Durchlaucht sich zu dem Opfer entschließt, für die Zeit der Wahlbewegung sammt seiner erlauchten Familie nach Etelvar zu kommen. Ein Sträußlein, von zarter und hochzuverehrender Damenhand dem Helden zur Zier an den Hut gesteckt, wird ihm ein willkommenerer Dank, ein mächtigerer Sporn sein, als alle Schätze der Welt.«
Pater Timothee wunderte sich nicht wenig, daß man diesen seinen Einfall nicht beklatsche. Er meinte die Sache noch ein wenig handgreiflicher entwickeln zu sollen. »Ich denke, die holdselige Prinzessin könnte dieses Opfer immerhin bringen, um des Prinzen Alienor willen ...«
Nun fingen aber die Herrschaften vollends – zu zischen an.
Der Präsident machte der Erörterung ein Ende. »Wie ich sehe, billigt und acceptirt die Konferenz die Kandidatur des Prinzen Alienor von Nornenstein. Ich ersuche Seine Hochwürden, den Herrn Probst Timotheus Borcsak und Herrn Zoltán von Kolompy, sich zu Sr. Hoheit zu verfügen, ihm den Beschluß zur Kenntniß zu bringen und ihn zu ersuchen, sich wieder in den Saal verfügen zu wollen.«
Als die beiden Herren hinausgingen, summte Herr Kolompy dem Propst ins Ohr: »Es war nicht wohlgethan, auf das Verhältniß zwischen dem Prinzen und der Prinzessin anzuspielen.«
»Ja weshalb denn nicht? Es ist doch allbekannt, daß Fürst Oktavian für seinen Sohn um Raphaela's Hand angehalten hat.«
»Wohl; aber Fürst Etelvary hat darauf erklärt: er wolle nur einen ganzen Mann zum Schwiegersohne, keinen halben; er hat die Verlobung unbedingt davon abhängig gemacht, ob Alienor im Etelvarer Bezirke zum Abgeordneten gewählt wird. Denn in diesem Falle muß er, um nach dem Gesetze wählbar zu sein, für großjährig erklärt werden, mit seiner Großjährigkeit aber tritt er auch zugleich in den Besitz seines mütterlichen Vermögens. Sie sehen, daß bei der Sache mancherlei Interessen in Frage stehen.«
»Und doch hat sich Fürst Oktavian gegen die Kandidatur gesträubt.«
»Ah, das war der Etiquette wegen.«
»Also nur der Etiquette wegen? Er hat sich nur so gestellt, als ob er nichts davon wissen wollte?«
»Natürlich. Ist ja doch sogar schon die Deputation von Etelvar hier eingetroffen, die den Prinzen einladen wird, zu kandidiren, Hochwürden sind der Sprecher derselben.«
»Ah – da muß ich aber denn doch bitten! Mein Bester, daraus wird nichts. Ich halte keinen Speech. Das überlasse ich auch zu Hause meinem Kaplan. Ich brauche eine Woche, um mich zu einer Predigt vorzubereiten. Nein, nein, von einer Diktion will ich nichts wissen.«
»Nur gemach! Die ganze Sache ist fix und fertig. Die Rede ist ja bereits gedruckt. Da in der Tasche habe ich den Korrekturbogen der morgigen Nummer der »Posaune«, worin Alles haarklein beschrieben steht: Wie schön Hochwürden zu dem Prinzen gesprochen haben und wie begeistert er die Aufforderung beantwortete, und was dann bei dem Banket, zu dreißig Gedecken im ›Grand Hotel Hungaria‹ weiteres geschehen ist.«
»Ja wann ist denn das Alles geschehen?«
»Heute Abends um acht Uhr.«
»So? Und Sie tragen um zwei Uhr Nachmittags schon gedruckt mit sich herum, was Abends um acht Uhr – gar nicht wahr werden wird? –«
»Es wird aber wahr werden und wahr sein, denn es wird gedruckt sein und es wird uns Niemand Lügen strafen.«
Pater Timothee schlug sich mit der Hand auf die Brust und schnaubte, wie um seiner gepreßten Brust Luft zu machen. »Na, dergleichen habe ich im Seminar denn doch meiner Tage nicht gelernt –!«
Der Standesherr nahm den Vorsitz wieder ein und sprach in bewegter, vor sichtlicher, tiefer Ergriffenheit häufig unterbrochener Rede der hohen Versammlung seinen Dank aus für die Entschließung, durch welche sie seine Familie so hoch zu ehren die Gnade hatte; er gelobte: durch diese Kundgebung der Liebe fühle er sein und seines ganzen Hauses künftiges Geschick für ewige Zeiten an die Geschicke des Landes auf das innigste gebunden.
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