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Aus dem Album.

Die Herren waren von der Jagd zurück und begaben sich für die Zeit bis zur Speisestunde in ihre Zimmer, um sich umzukleiden. Fürst Max Etelvary's Hausstand war gewöhnlich auch ohne Gäste zahlreich genug. Wenn er auf seiner Herrschaft wohnte – im Frühjahr und im Herbste – waren sein Leibarzt, der Rentmeister der Herrschaft Etelvar, der Sekretär und der Probst von Etelvar um ihn. Ja, ja, die fürstliche Herrschaft Etelvar hat ihren eigenen Probst. Die fürstliche Familie selbst hat dieses Benefizium gestiftet, dessen Einkünfte anderthalb Ministerbezügen gleichkommen. Bei Vakanzen steht dem jeweiligen Haupte des fürstlichen Hauses die Kandidation zu. Der Probst von Etelvar ist ein völlig unabhängiger Prälat. Der dermalige Probst Reverendissimus D. Timotheus Barcsak, vulgo Pater Timothee genannt, war ehedem Regiments-Pater bei den Husaren gewesen; unter der Reverenda trägt er heute noch die rothe Husarenhose und Sporenstiefel. Er ist eine kräftige, von Gesundheit strotzende Gestalt mit kugelrundem, geröthetem Gesichte und militärischer Haltung. Se. Hochwürden ist insbesondere dadurch eine bemerkenswerthe Persönlichkeit, daß er grob und ungeschminkt überall und Jedermann die Wahrheit zu sagen pflegt. So dem Fürsten selbst, der Prinzessin, den jungen Damen, Madame Corysanden, so in den Komitats-Kongregationen den Rednern, der Kommunität, dem Präsidenten; dagegen ist Niemand geschützt, weder durch Ueberlegenheit, noch durch Unterthänigkeit, weder durch Anhänglichkeit, noch durch Schmeichelei. Man ist keinen Augenblick sicher, ob Pater Timothee nicht nach vorn oder nach rückwärts, nach oben oder nach unten einen Hieb zu führen gedenkt. Se. Hochwürden ist der Erste, der zum Diner erscheint: daran ist er noch vom Refektorium her gewohnt. Bevor er in den Salon des Fürsten tritt, nimmt er seinen Weg an der Küche vorbei, um sich beim Koch nach dem Menu zu erkundigen; dann wirft er einen Blick in den Speisesaal, überzählt die Couverts und konferirt mit dem Kellermeister über die Qualitäten der Weine, welche heute servirt werden sollen; nun erst geht er in den benachbarten Saal hinüber. Es ist das Conversationszimmer. Hier ist – außer der Spieluhr noch Niemand anwesend. Der geistliche Herr zieht die Schnur und läßt sich einmal das » Busul a lengyel« aufspielen; dann tritt er in das Lesezimmer. Der runde Tisch ist mit Zeitungen bedeckt; doch damit pflegt sich Se. Hochwürden nicht den Appetit zu verderben. Weiterhin in der Reihe der Gemächer folgt der Waffensaal, welcher in der Regel dem männlichen Theile der Gesellschaft zum Versammlungsorte dient. Auch hier ist noch Niemand. Von da aus führt eine geschlossene Thür in das Schlafzimmer des Fürsten. Der kirchliche Würdenträger hat auch hier jederzeit freien Zutritt; er klopft an und öffnet die Thür. Im Zimmer sind der Fürst und der Leibarzt anwesend.

Der Fürst ist ein Mann von vierundfünfzig Jahren, eine hochaufgerichtete Gestalt. Die Gesichtszüge erinnern lebhaft an die Ahnherren des Hauses, deren Bildnisse im Wappensaale auf die neue Generation niederschauen. Nur ist das Antlitz des Lebenden bleicher, als die Gesichter jener gemalten Spukgestalten; der Fürst scheint kaum zu leben; er spricht selten und auch nur dann leise flüsternd; sein dichtes Haupthaar ist schneeweiß, während die starken Brauen und der kurz geschnittene Schnurrbart ihr ursprüngliches Schwarz bewahrt haben. Der Fürst leidet an einem chronischen Herzübel, und das sieht man ihm an; er macht den Eindruck, als ob er fortwährend dem unregelmäßigen Pochen seines Herzens lauschen würde. In diesem Augenblicke nimmt er eben auf Ordination seines Arztes ein beruhigendes Pulver. Die Jagd hat ihn aufgeregt.

Der Arzt, seit Jahren ein treuer Klient der fürstlichen Familie, ist sein steter Begleiter: ein Mann von umfassendem Wissen und vieler Erfahrung; sein einziger Fehler ist der, daß er nicht die Gabe hat, was er weiß, auch auszusprechen. Er wäre nicht im Stande, einen Toast loszulassen, und wenn er damit einen Todten zum Leben zu erwecken vermöchte. Wenn er anhebt, eine Geschichte zu erzählen, so muß ihm hinterher regelmäßig der Zuhörer aus der Patsche helfen, sonst bleibt er gründlich stecken. Niederzuschreiben wüßte er seinen Vortrag in gelungener Weise, er führt eine gediegene Feder; disputiren aber ist ganz und gar nicht sein Fach. Ein wahrer Quälgeist für den Doktor ist der Probst. Der Pfaffe ist ein Torquemada; ja, was mehr: er ist Homöopath. Er rühmt sich gegen Doktor Barbo bei jeder Gelegenheit, wie viele Hunderte von Menschen er zur Zeit der großen Cholera hier im Dorfe mit Veratrum kurirt habe.

Nach der ersten Begrüßung wendet sich der Probst an den Arzt. »Herr Doktor, wissen Sie wohl, weshalb Palmer in London zur Garotte verurtheilt wurde?«

Der Arzt sieht betreten den Fragenden an und dieser giebt auch gleich die Antwort an seiner Statt. »Weil er seiner Frau vier Gran Digitalis eingegeben hatte. Der wievielste Gran ist denn diese Dosis bereits, Herr Doktor?«

»Hochwürdiger Herr!« erwiderte der Arzt und ward roth im Gesicht; »die ärztliche Wissenschaft ...« Doch er brachte seinen Satz nicht zu Ende. Schon seit lange trägt sich der Doktor mit dem Vorsatze, dem Pfaffen bei nächster Gelegenheit eine vierundzwanzigpfündige Grobheit an den Kopf zu werfen, welche ungefähr lauten sollte: »Die ärztliche Wissenschaft ist – kein Brevier.« – Wenn der heißblütige Geistliche dieses Wort hört, trifft ihn unfehlbar der Schlag. So oft er also in der Mitte seines Satzes angelangt ist, thut es ihm denn doch immer wieder leid um den Mann und er hält inne, um ihn noch ein wenig weiter leben zu lassen. »Ach Du glorreicher Hufeland!« seufzte der Probst, um den kapitulirenden Gegner noch recht weidlich zu ärgern.

Indessen wurden aus dem Nebensaale her nahende Schritte hörbar und gaben der Scene eine neue Gestaltung. Vor der Eingangsthüre zum Zimmer debattiren zwei Männerstimmen über die »Posteriorität« des Eintrittes. »Bitte, Sie sind der Aeltere.« – »Dem Range nach sind Sie der Erste.« – › Ecclesia praecedit.‹ – »Ich gehöre zum Hause.«

In der That mußte Bruder Napoleon zuerst eintreten. Der andere Herr, der ihm die Primogenitur dergestalt aufoktroyirt hatte, war Herr Kolompy, der Eigenthümer und Redakteur der »Posaune von Jericho«: Ein Mann der Kirche insofern er den Geistlichen, – und zum Hause gehörig, insofern er dem Fürsten das Geld verzehren half.

Uebrigens erfreute sich Bruder Napoleon unter Seinesgleichen allgemein des Vorrechtes, daß man ihm allenthalben den Vortritt ließ. An der Art und Weise, wie er sich benahm, sahen dann die Anderen ab, wie sie sich zu verhalten hätten. Sie waren seine Nachbeter. Einmal hatte sich ihm auf einem Balle zufällig die Kravatte verschoben; binnen einer halben Stunde trugen die Tänzer sammt und sonders die Maschen ihrer Kravatten schief nach der Seite hin.

Dermalen möchte Herr Kolompy durch Napoleon gerne das große Problem gelöst haben, ob es üblich und schicklich sei, dem Fürsten die Hand zu küssen, wenn man in sein Zimmer tritt. Er hatte es bisher nie gethan und machte sich fortwährend Skrupel darüber, ob er sich durch diese Unterlassung nicht etwa eines argen Verstoßes gegen die Regeln der Etiquette schuldig mache.

Napoleon von Zarkany ist eine schlanke, nahezu klafterhohe Gestalt; er trägt den Kopf ein wenig gesenkt, wie Jemand, der daran gewöhnt ist, sich zu Jedermann herabbeugen zu müssen, wenn er anders Aug' in Auge mit den Leuten reden will. Und in seinem Auge liegt ein eigenthümlicher Zauber; es strahlt fortwährend Heiterkeit; selbst beim Fechten, und zwar nicht selten auch im Ernstfalle, wo die Gegner, die Waffe in der Faust, nach der Kartellregel einander ununterbrochen in die Augen schauen müssen. Der sanfte, halb scherzhafte, halb verliebte Strahl dieses Auges giebt auch nicht für einen Moment einem wilden Blitzen Raum. In jeder seiner Bewegungen liegt eine gewisse angeborene Anmuth, welche bei einer so hochgewachsenen Gestalt geradezu auffällt. Jedermann kennt ihn dafür, daß er gerne alle Welt zum Besten zu halten pflegt; aber sein Blick ist so vertrauenerweckend, daß ihm gleichwohl Jedermann glaubt.

Bruder Napoleon trat vor den Fürsten und küßte ihm die Hand. Es war das nicht Gebrauch, kein Postulat des Wohlanstandes, sondern eine ausnahmsweise, nur ihm zugestandene Vergünstigung: die stillschweigende Anerkennung eines unnennbaren, zärtlichen Verhältnisses.

Allein Herr Kolompy, der ihm folgte, nahm es für eine bindende Norm und beeilte sich, auch seinerseits diesen Zoll der Ehrerbietung abzutragen; er schmatzte dem Fürsten Eins auf die Hand, daß er damit alles bisherige Versäumniß dieser Art wettmachte. Damit war er aber Bruder Napoleon – wie man zu sagen pflegt – auch schon geliefert. Sowie dieser merkte, daß ihm sein geehrter Freund aufgesessen sei, beeilte er sich, ihn nun auch durchzulassen. Er that einen Schritt weiter und küßte auch dem Doktor die Hand. Und die Folge davon war richtig die, daß Kolompy in seiner gewohnten Perplexität dem Doktor gleichfalls die Hand küßte. Der Dritte der Anwesenden war der Probst. Dem schüttelte Napoleon herzhaft die Hand und rief ihm entgegen: »Servus Pater.« Nun erst ging Kolompy ein Licht auf. Er hielt noch immer die Hand des Arztes in der seinigen. Die beiden Herren sahen betreten einander an; dem Einen war es, als müßte er den ungebührlich geleisteten Handkuß zurückfordern, dem Andern, als müßte er denselben zurückerstatten. Schließlich war doch der Doktor gescheit genug, ihn nicht zurückzugeben.

Der Probst lachte laut auf. Er vermochte nicht an sich zu halten, wenn ihn das Lachen anwandelte. Er drohte Napoleon mit der Faust, der alle Welt zum Narren halte und dabei thue, als wüßte er von Nichts.

»Nun, was haben Sie denn geträumt?« fragte ihn der Probst.

»Ich träume hier nur immer vom Paradiese, hochwürdiger Herr,« erwiderte Bruder Napoleon salbungsvoll.

»Oho! Sie kommen dahin doch ganz gewiß nicht,« protestirte der Mann der Kirche. Das wäre Ihnen wohl so recht ein willkommener Sport, Sanct Abraham selbst zum Besten zu halten! Aber dort giebt es für Sie nun und nimmermehr Quartier.«

»Meine Ansprüche sind nicht groß, hochwürdiger Herr. Mein hochgeehrter Protector hier wird mir, wenn er ins Himmelreich eingeht, wohl eine Bettstelle in seinem Kämmerlein reserviren.« Dabei zeigte er auf unsern Freund Kolompy. Der Mann der »Posaune von Jericho« ist eine kleine, untersetzte Gestalt; vom Wirbel bis zur Zehe ist an ihm Alles und Jedes Demonstration. Das glattrasirte Kinn demonstrirt den loyalen Unterthan, der kühn aufgewichste Schnurrbart den unerschütterlichen Patrioten; die antiken Knöpfe seiner Attila bekunden den Hort der Traditionen von Alters her; der eine seiner Chemisettknöpfe ist eine Lilie; diese demonstrirt für die Wiederherstellung des Legitimismus, – der andere ist ein Todtenkopf, der giebt Zeugniß dafür, daß sein Träger Mitglied des Antonius-Vereins ist; von den Breloques, welche er an der Uhrkette trägt, ist die eine ein St. Georgspfennig, das Abzeichen des christkatholischen Sportsman, die andere ein Schreibzeug in goldener Kapsel, welches den Ritter vom Geiste andeutet; auf den Knöpfen seiner Weste prangt die St. Stefanskrone als Emblem der angestammten Verfassung, am kleinen Finger seiner rechten Hand ein Wappenring als Nachweis der aristokratischen Qualität seines Eigentümers; ja nach dem Zeugniß der Dienerschaft trägt er sogar in den Stiefelsohlen das Landeswappen eingravirt. Was er spricht, demonstrirt gleichfalls durchweg die Festigkeit seiner Gesinnung und Ueberzeugung.

Diesmal läßt ihn indessen der Probst nicht zu Worte gelangen. »Der Patron da wird selber gar einen Protector brauchen, um in den Himmel zu kommen.«

»Weshalb denn?« rief Kolompy mit demonstrativem Entsetzen, wie Einer, der das für den gräßlichsten Schlag erachten würde, der ihn treffen könnte.

»Weil Du ein Zeitungsschreiber bist.« (Se. Hochwürden hatte guten Grund, Herrn Kolompy zu duzen.) »Jeder Zeitungsschreiber sündigt jede Woche sechsmal gegen alle zehn Gebote der Reihe nach, von dem ersten angefangen: ›Du sollst Dir keine Xylographien machen!‹ bis zu dem letzten: ›Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Abonnenten.‹

»Wenn dem so wäre, so würde sicherlich der Segen des Himmels nicht auf uns ruhen,« vertheidigte Herr Kolompy großmüthig sich sammt seinen Berufsgenossen.

»Himmelssegen? Ach ja, er ist darnach, der Segen, der auf Euch ruht, das muß ich sagen! Was erhält denn das Bischen Leben und Athem in Euch? Die Subvention und nichts Anderes. Bist Du etwa nicht auch jetzt wieder um etwas Futter hierher gekommen?« Se. Hochwürden war ein überaus aufrichtiger Mann. So oft Freund Kolompy in Fürst Etelvary's Schloß erschien, pflegten den Besuch jedesmal auch einige von des Probstes Engeln zu betrauern (von der Gattung nämlich die auf den Banknoten gezeichnet sind.) Daher die grausame Anzüglichkeit mit dem Futter.

»Die schweren Zeiten ... die Glaubenslosigkeit der Menschen ... der Indifferentismus ...« stammelte der große Meister der Buchstaben, auf die Ursachen seiner Kalamitäten hinweisend.

»Ah was da,« grollte der Prälat in gerechtfertigtem Verdruß. »Ihr versteht eben die Sache nicht. Wer eine Zeitung in Händen hat, dem ist damit der Schlüssel zu den Kisten und Kasten des Publikums gegeben. Wenn von fünfzehn Millionen Seelen nur jeder Tausendste auf Dein Blatt pränumerirt, so bist Du ein Fürst und kannst uns traktiren. Warum weißt Du sie nicht zu fangen? Wir haben Dir die ganze Welt anheimgegeben, wie jener Zigeuner seinem Sohne – woran liegt es, daß Du nicht leben kannst von dieser Deiner Domaine? Du hast das Privilegium, das Volk zu besteuern, lerne doch auch die Kunst, die Abgabe einzutreiben.«

Diese Kunst verstand Herr Kolompy in der That nicht und war daher auch gar sehr in Verlegenheit, wie er sich vertheidigen sollte. Bruder Napoleon eilte ihm zu Hülfe. »Mir schwant, als ob da Verrath im Spiele wäre,« sagte er mit wichtigthuender Miene. »Der Handelsminister ist bekanntlich Freimaurer.«

»Ah! Sollte das wahr sein?« stammelte Kolompy verwundert.

Bruder Napoleon bestätigte seine Behauptung durch geheimnißvoll thuendes Augenzwinkern. »Er ist sogar Mitglied des hohen Rathes und der präsumtive Candidat für die Würde des Großmeisters. Als der Prinz von Wales hier weilte, der bekanntlich der oberste Meister aller Freimaurerlogen ist, strömten alle Brüder des Ordens aus ganz Ungarn bei ihm zusammen; die Berathungen währten die ganze Nacht hindurch und um einen plausiblen Vorwand für die Conferenz zu haben, ließ sie der Prinz in einem quasi Macao an hunderttausend Pfund gewinnen. Das war die geheime Subvention.«

»Ah! Und für mein Blatt hat man mir den Hergang ganz anders geschrieben.«

»Man hat Sie einfach dupirt. O sie sind gar schlau! Die Postmeister – das ist längst konstatirt – gehören alle durch die Bank zum Bunde der Freimaurer. Das erklärt zur Genüge, warum die glaubenstreuen Blätter so wenige Pränumeranten haben. Wissen Sie, wie es diese Postmeister draußen am flachen Lande treiben? Wenn Jemand kommt, um auf die ›Posaune von Jericho‹ zu pränumeriren, suchen sie ihn davon abzubringen. Sie machen ihm weiß, das Blatt werde eingehen und sein Geld sei dann verloren; sie tragen ihn selbst gegen seinen Willen in die Pränumerationslisten anderer Blätter ein. Beharrt er nichtsdestoweniger bei seinem Vorsatze, so chikaniren sie ihn auf alle mögliche Weise. Jede zweite Nummer des Blattes bleibt aus; oder er bekommt anstatt der ›Posaune‹ irgend ein obscures, slovakisches Winkelblättchen. Und das geht so lange fort, bis ihm die Geschichte zu bunt wird, bis er die Pränumeration aufläßt. Wenn sich aber trotz alledem die Getreuen so massenhaft um das erkorene Banner schaaren, daß es absolut nicht möglich ist, die gute Sache zu unterdrücken, wissen Sie, was sie dann thun? Ganz dasselbe, was mein glorreicher Namensbruder in Paris gegen die liberalen Blätter praktizirt; sie fälschen die ›Posaune von Jericho‹ in einer geheimen Redaktion, drucken sie in einer geheimen Druckerei neuerdings und lassen das also gefälschte Blatt durch ein geheimes Expedit an die Pränumeranten versenden.«

Kolompy sah den Fürsten an, als ob er ihn fragen wollte, ob es auch gestattet sei, in seiner Gegenwart derlei Ungeheuerlichkeiten zu glauben? Der Probst aber fragte nicht um Erlaubniß. Er schlug sich auf den Bauch und hob hellauf zu lachen an. »Bravo Napoleon! Möchten Sie nicht gefälligst meine Nachtmütze zum Narren halten, nicht aber mich! Minister, königliche Prinzen und alle Freimaurer insgesammt haben wohl nichts Besseres zu thun, als sich gegen ein ungarisches Duodezblättchen zu verschwören! Das Ding geht schon von selber ein, weil es ungenießbares Zeug ist. –«

Dieses Wort ließ Herrn Kolompy ganz und gar vergessen, vorerst den Fürsten anzusehen, um ihn um Erlaubniß zu bitten, in Harnisch gerathen zu dürfen. Bei diesem Worte fängt der Redakteur an, Mensch zu sein. »Was ...? Die ›Posaune‹ wäre ungenießbar? Ja und warum denn?«

»Weil das Krims-krams nicht redigirt ist. Da steht Kraut und Rüben Alles kunterbunt durcheinander. Und geht man dem Redacteur irgend eines Unsinns wegen zu Leibe, so giebt er zur Antwort, er habe sein eigenes Blatt nicht gelesen. Und dann ist das Zeug roh und grob und die pure Wortkrämerei.« Schwere Anklagen! Doch Bruder Napoleon ist auch schon mit seiner Intervention zur Hand. » Au contraire! Ich habe an der ›Posaune‹ gerade das auszusetzen, daß sie allzu zahm ist, daß sie mit den Gegnern viel zu sanftmüthig umspringt. Sie ist lange nicht zelos genug.«

Das war nun aber zu arg! Durch den Vorwurf, sein Blatt sei grob, hatte sich Herr Kolompy nur geehrt gefühlt; die Anklage aber, er behandle seine Gegner zu manierlich, die nöthigte ihn, zu allen denkbaren Vertheidigungsmitteln zu greifen. Er war in ein Kreuzfeuer gerathen und machte Front – gegen Bruder Napoleon.

»Ich denke,« entgegnete er mit dem vollen Eifer eines Patrioten, der sich der Erfüllung seiner Pflicht bewußt ist, »ich denke, ich habe den Feinden der heiligen Sache stets in der schonungslosesten Weise die Wahrheit gesagt.«

»Ach ja, die Wahrheit! Die Wahrheit mag der Geistliche auf der Kanzel, mag der Inquisit vor dem Richter sagen; aber Sache eines Journalisten, dem ein erhabenes Ziel vorschwebt, ist es nicht, die Wahrheit zu reden. Blos das drucken lassen zu wollen, was wahr ist, hieße nichts Anderes, als den Mondschein mit der Kerze beleuchten wollen. – »Wir müssen verdächtigen!« hat der große Szechenyi gesagt. Und wie sagt der wackere Albufeda in seinem Buche › De insidiis‹ Seite 456: ›Ist Dein Widersacher ein böser Mensch, so mutze Du ihm auf, er sei ein Verbrecher. Es ist kein Zweifel, daß er das Verbrechen, dessen du ihn zeihest, entweder schon begangen hat oder noch begehen wird; ja was mehr: selbst wenn er gar nie die Absicht gehabt haben sollte, sich die Schlechtigkeit zu Schulden kommen zu lassen, so wird er, wenn sie ihm nun schon einmal angedichtet ist, nun erst Lust dazu bekommen.‹ Das müßte die Devise, das Programm der ›Posaune‹ sein. So müßte man mit den Gegnern der gerechten Sache umspringen. Anschuldigen, ihren geheimen Missethaten nachspüren. Leugnen sie, so sind sie um so verdächtiger. Die Gläubigen glauben jedenfalls uns.« Der Probst lachte helllaut, der Fürst dagegen verzog keine Miene. Der große Meister der Neuigkeiten-Fabrikation sah unentschieden bald in das lachende, bald in das ernste Gesicht und erwog, was da nun wohl Scherz, was Ernst sein möge?

Es war ein Glück für ihn, daß soeben noch ein weiterer Gast ankam: der Rentmeister. Der wackere Herr rieb sich die Hände, denn es war kalt draußen und er pflegt Handschuhe nur im Zimmer anzuziehen, wenn Damen zugegen sind. Herr Kolompy nahm dieses Handreiben für Aneiferung und Ermuthigung. »Kommen Sie, Spectabilis, ich beschwöre Sie; kommen Sie mir zu Hülfe. Sehen Sie nur, wie man hier der ›Posaune‹ nahetritt.«

Der Herr Rentmeister legte den Zeigefinger an die Nasenspitze und gab das Feldgeschrei ab: »Die ›Posaune von Jericho‹ soll leben! Eljen! Gott lasse sie gedeihen noch viele Jahre lang!«

»Das ist der Getreueste meiner getreuen Leser!« rief Herr Kolompy und klammerte sich an den Arm des Neuangekommenen. »Zu jedem Semester ist er der erste von allen Pränumeranten im Hauptbuche.«

»Jawohl und ein gewissenhafter Leser obendrein. Ich lese das ganze Blatt, bis hinab wo am Schlusse steht: »Gedruckt bei Gyurian u. Bago«. Die ›Posaune von Jericho‹ ist ein sehr gutes Blatt, das beste Blatt von allen!«

»Lesen Sie denn auch andere Blätter durch, Herr Rentmeister?« begann der Probst zu häkeln.

»O nein, bitte sehr! Aus den heidnischen Blättern lese ich nur die Neuigkeiten und daher weiß ich eben, daß die ›Posaune‹ weit über allen anderen Blättern steht, denn in der ›Posaune‹ finde ich jeden Tag Neuigkeiten, insbesondere Telegramme, wie sie in keinem anderen Blatte zu finden sind.«

Kolompy war über das Lob einigermaßen betreten. Das war denn doch ein wenig zuviel des Guten. Er wußte recht wohl, wie er seine Neuigkeiten aus einem Dutzend anderer Blätter mit Hülfe der Scheere zusammen zu »redigiren« und an Telegrammen dem guten Publikum immer hübsch altbackene, gestrige vorzusetzen pflege, damit es sich den Magen nicht verderbe. Jede andere Lobpreisung würde er sich gefallen lassen haben, nur diese nicht. Zu ironisiren aber, das liegt ganz und gar nicht im Naturell des großen Oekonomen. Er spricht immer gerade von der Leber weg. Er dient auch sofort mit Illustrationen zu seiner Behauptung.

»War es etwa nicht die ›Posaune‹, die zu allererst die Nachricht brachte, daß Rothschild Palästina gekauft hat und nun die sämmtliche Judenschaft aus aller Herren Länder dahin zu versammeln gedenkt? Oder die Meldung, daß alle drei Söhne Bismarcks gleichzeitig Mönche geworden sind – der Eine Franziskaner, der Andere Dominikaner, der Dritte Templarier –?« »Oh oh!« rief der Redakteur verdonnert aus; Templarier. Das war denn doch zu stark! »Und in der nächsten Nummer stand dann die Erklärung dazu: ›Der Orden der Tempelherren ist wieder hergestellt worden und hat seine sämmtlichen Besitzungen zurückerhalten.‹« Das hatte Herr Kolompy in der That in seinem Blatte nicht gelesen. Das Gesicht des Probstes war vor Lachen nachgerade lilafarben geworden. »Gnade, Gnade!« rief er keuchend; »Hören Sie auf, sonst muß ich bersten!« Der wackere Landwirth meinte aber Alles, was er sagte, in vollem Ernste. »So giebt es auch in der jüngsten Nummer, die soeben angekommen ist, der überraschenden Nachrichten die schwere Menge, die in anderen Blättern nicht zu finden sind. – ›In Monaco ist die Revolution zum Ausbruche gekommen.‹ – ›Die Ashantis haben die englische Flotte in den Grund gebohrt.‹ – ›Nena Sahib ist zur Würde eines englischen Peers erhoben worden.‹ – ›Die drei nordischen Großmächte haben die Vertreibung der Türken aus Europa beschlossen. Constantinopel ist zum künftigen Sitze des Papstes ausersehen.‹«

» Per amorem Dei – hören Sie auf!« rief der Probst, der vor Lachen nicht mehr zu Athem kam, indeß Herr Kolompy sich die Hand vor den Mund legte und erstaunt den Kopf schüttelte. »Bitte sehr, das steht Alles hier gedruckt!« sagte der Rentmeister und zog die ›Posaune‹ aus der Tasche. » Tessék, da haben wir's. – Ah, schau, schau, da stehen auch noch andere Dinge, die ich bisher gar nicht beachtet habe. Da ist ein Telegramm aus Rom: ›Timothee, der Bischof von Etelvar, ist exkommunizirt worden. Der Grund dieser Maßregel sollen seine rothen Hosen sein.‹«

»Daß Euch das Donnerwetter!« fuhr der hochwürdige Herr, jede Rücksicht beiseite setzend, auf.

»Da steht es,« sagte der Rentmeister und hielt ihm das Blatt vor die Augen. »Es ist gedruckt.«

»Das ist nicht möglich!« schrie Herr Kolompy elektrisirt. »Das steht nicht in meinem Blatte! Diese Nummer habe ich selber revidirt.«

»Und doch steht es da.«

»Wie ist denn das aber möglich?«

»Meine Herren!« redete nunmehr Bruder Napoleon in beruhigendem Tone die erregten Gläubigen an. »Meine Herren, ein Wort! Wir haben auch noch ein anderes Exemplar derselben Nummer hier; das Exemplar Sr. Durchlaucht. Es liegt draußen im Lesezimmer. Wie wär's, wenn wir die beiden mit einander verglichen?« Der Antrag erschien praktisch; er brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung. Auf dem Gesichte des Fürsten begann ein leises Lächeln aufzudämmern.

»Erlauben Ew. Excellenz,« bat Napoleon, »daß ich den Kammerdiener nach dem Blatte schicke?« Der Fürst nickte zustimmend, Napoleon klingelte.

»Es könnte ja auch Jemand von uns holen,« bemerkte Herr Kolompy bescheiden. »Es ist noch gar nicht im Lesezimmer,« flüsterte ihm Bruder Napoleon ins Ohr. »Ja wo ist es denn?« »Oben in der Küche.« »In der – Küche?« »Nicht, als ob man daraus etwa kochen lernen wollte. Aber es ist mit so aromatischer Schwärze gedruckt, daß der Fürst einmal die Bemerkung machte: ›Dieses Blatt riecht doch genau so, wie ein frischer Sarg.‹ Seither wird es immer zuvor auf dem Sparherde zum Trocknen ausgebreitet.« Das glaubte nun aber Herr Kolompy denn doch nicht mehr. Und gleichwohl war gerade dieses Eine ausnahmsweise wahr. Als man das Exemplar brachte, war es noch ganz warm, wie eine frisch gebackene Semmel.

Das Lächeln verbreitete sich über die Gesichtszüge des Fürsten immer mehr und mehr, während er die Scene mit ansah, die sich nunmehr entwickelte, die des Griffels eines Hogarth würdig gewesen wäre; den verzerrenden Ausdruck der Bestürzung, des Staunens, der Entrüstung auf den verschiedenen Gesichtern. Dem Probste blieb das Gelächter im weitgeöffneten Munde stecken; dem Rentmeister fiel das Kinn herab, während sich ihm die Augenbrauen in die Höhe zogen; Herr Kolompy steckte den ganzen Kopf in das inkriminirte Blatt und bestrebte sich, alle seine Gesichtszüge um seine Nase zu koncentriren; Bruder Napoleon selbst aber that sein Möglichstes, das höchste Entsetzen auszudrücken; er zog den Kopf zwischen die Schultern und das Haar sträubte sich ihm gen Himmel.

»Das ist Fälschung! Das ist Nachdruck!« erscholl es von allen Seiten. » Felonia! Stellionatus! Larvatus!« rief Herr Kolompy in heller Desperation. »Was mehr, es ist Misdemeanour!« hetzte Bruder Napoleon. »Ja wohl, das ist es! Das ist ein nachgedrucktes Blatt!« schrie Herr Kolompy und bemächtigte sich des corpus delicti. »Die unbestreitbare Thatsache liegt sonnenklar zu Tage. Fürstliche Durchlaucht, ich erachte es für meine Pflicht, den Fall Ew. Excellenz, als dem Chef des Komitats, zur Anzeige zu bringen.« Der Rentmeister zupfte ihn von rückwärts an der Attila und flüsterte ihm zu: »Die Anzeige muß beim Stuhlrichter erstattet werden; der bildet die erste Instanz.«

»Das ist wahr! Herr Napoleon von Zarkany! Ich fordere, daß sofort eine strenge Inquisition in Sachen dieser Mis ... na ... dieser Nichtswürdigkeit mit englischem Namen eingeleitet werde.« » In flagranti? – In facie loci?« hetzte ihn der – Hauptdelinquent weiter. »Ich dächte vielleicht doch ... hier in Gegenwart Sr. Excellenz wäre es doch wohl nicht so ganz passend ...« wendete Herr Dumka schüchtern ein. »Das Gesetz kennt keinen Unterschied der Person,« bemerkte Napoleon von Zarkany in strengem Tone der amtlichen Autorität, und wußte dabei durch seinen Gesichtsausdruck anzudeuten: wenn der Stuhlrichter amtirt, so ist auch sein Obergespan nichts weiter, als »Partei« oder »Zeuge« ohne jedweden Titel.

Und um die Illusion desto vollkommener zu machen, legte nun der Fürst selbst die Cigarre weg, die er sich eben hatte anstecken wollen und ließ die brennenden Kerzen durch den Kammerdiener rechts und links neben das Kruzifix hinstellen, welches er immer auf seinem Schreibtische in der Mitte stehen hatte. Napoleon von Zarkany nahm am Schreibtische Platz und begann das Benevolum zunächst beim Kammerdiener; dann kam der Rentmeister, hierauf der Publicist und schließlich der Probst an die Reihe. Die drei Ersteren wurden sogar beeidet. Jeder mußte angeben, wie er heiße, wie alt, ob er ledig oder verheirathet sei, zu welcher Religion er sich bekenne, ob er bereits gerichtlich beanstandet und ob er ordnungsmäßig geimpft sei? Dann folgten Kreuz- und Querverhöre so eigener Art und mit so sonderbaren Fragen, daß sie wohl Jeden aus dem Häuschen hätten bringen müssen, der eben nicht felsenfest davon überzeugt gewesen wäre, daß alle diese Fragen mit dem überaus complicirten Gegenstande der Untersuchung im Zusammenhange stehen und daß sich alle die Aussagen in der Hand des gewandten Untersuchungsrichters zu einem organischen Ganzen gruppiren werden. Bruder Napoleons Kredit als Inquirent war dadurch begründet, daß er diese unerhörte Intrigue so zu sagen instinctiv geahnt hatte.

Der Kammerdiener machte zitternd seine Depositionen. »Wann pflegen Sie aufzustehen? – Und Babette? – Pflegen Sie mit einander die Zeitung zu lesen? – Um wie viel Uhr bringen Sie das Blatt gewöhnlich von der Post? – Was haben Sie um dieselbe Zeit bei der Frau des Kutschers zu suchen? – In welchem Wirthshause pflegen Sie unterwegs einzusprechen? – Pflegen Sie die Milares, welche Sie von hier wegtragen, in Papier zu wickeln?«

Der Rentmeister deponirte in Schweiß gebadet. »Wann waren Sie auf dem Arader Markte? – In was für ein Zeitungsblatt war der Hut eingeschlagen, den Sie bei der Modistin gekauft haben? Haben Sie diesen Hut für die Frau Gemahlin gekauft, oder für jemand Anderen? – Wer waren die Herren, mit denen Sie auf der Reise nach Pest im Waggon auf einem ausgebreiteten Plaid die ganze Nacht über gefärbelt haben?«

Und nun kam der große Mann an die Reihe. »Sind Sie der Redakteur des Blattes? – Können Sie das beschwören? – Wer sind Ihre Mitarbeiter? – Pflegen Sie zuweilen auch aus anderen Blättern etwas herauszuschneiden? – Pflegen Sie ab und zu einmal Ihr Blatt auch zu – lesen? – An welchen Tagen der Woche? – Essen Sie zuweilen Austern? – Wo? – Weshalb gerade dort? – Wer sind die Leute, die dort zusammenzukommen pflegen? – Erinnern Sie sich noch an den Domino, dem Sie am letzten Fasching-Dienstag in der »Neuen Welt« zugeflüstert haben: Ich kenne Dich? – In welchem Zusammenhange steht diese Thatsache mit dem Erkennungszeichen, dem Signaculum der Freimaurer? – Mit wem pflegen Sie Kalabrias zu spielen? – Pflegen Sie in der Regel zu gewinnen oder zu verlieren? – Wie viele Abonnenten haben Sie, wenn das Blatt am besten geht?«

Zuletzt kam der Probst daran. Er war bitterböse und kaum zu bewegen, Depositionen zu machen. Er mußte seine ganze Lebensweise, alle seine Gewohnheiten und Beobachtungen darlegen, was nicht so ganz ohne Sträuben von Statten ging.

Dann folgte die Confrontation. »Kammerdiener, kennen Sie diesen Herrn? – Pflegt er Ihnen beim Weggehen ein Trinkgeld zu geben? – Was mag der Grund sein, daß er Ihnen keines giebt? – Herr Kolompy, in welcher Absicht sind Sie ins Schloß gekommen? – Woher kennen Sie die Anwesenden? – Hochwürdiger Herr, kennen Sie diese beiden Herren?«

Zum Schlusse stellte sich heraus, daß die Zeugen einander einzeln und insgesammt allerdings kennen, und zwar ohne Ausnahme als ausgezeichnete Persönlichkeiten von makellosem Rufe einander kennen. Ferner wurde durch die Zeugenaussagen constatirt, daß in Herrn Dumka's »Posaune von Jericho« ganz andere Nachrichten enthalten seien, als in den Exemplaren des Fürsten und des Probstes. Blick und Mienen des Fürsten waren im Verlaufe des Verhörs zusehends immer heiterer geworden; zuweilen hatte er das Gesicht hinter das Taschentuch versteckt. Doktor Barbo packte ruhig seine Medicamente zusammen; sie waren für diesmal überflüssig geworden. Als die ganze Procedur zu Ende geführt war, unterschrieben die Zeugen der Reihe nach das Protokoll. Punktum fertig!

»Bitte nun das Protokoll zu authenticiren,« sagte Herr Kolompy zu Bruder Napoleon. »Authenticiren? – Ich –?« »Nun ja, als instruirender Stuhlrichter.« »Ach was denn nicht gar! Ich bin ja gar kein Stuhlrichter mehr. Ich habe seit gestern Sr. Excellenz meine Demission eingereicht.« »Ja, was hatten Sie uns denn dann hier zu Protokoll zu vernehmen?« fuhren alle Drei gegen ihn los. »Aber die Herren haben es ja gewollt, ohne zu fragen, wer und was ich bin.« »Entsetzlich!« stöhnte der Rentmeister. »Und da nimmt er mich noch in Eid und läßt mich angeben, wie theuer der Strohhut gewesen ist.« »Und mir hat er die Zahl meiner Abonnenten abgefragt, die ich nie einer menschlichen Seele mitgetheilt habe.« »Und mich zu fragen, ob ich allein dinire, wenn keine Gäste bei mir sind!« bemerkte vorwurfsvoll der Probst. »Ich habe gemeint, man führe mich gradewegs zum Galgen!« jammerte der Kammerdiener.

Der Fürst aber lachte. Es war das eine seltene Wohlthat, eine Art wahrhaftiger, wirksamer Kur für ihn. Es war, als ob ein Todter wieder erwachte, als ob eine Marmorsäule den leibhaftigen Ausdruck ihres lebenden Urbildes annähme. Der Fürst winkte dem Kammerdiener, die erregten Wogen zu sänftigen, – nicht mit Oel, sondern mit Liqueur, und alsbald machte das goldig-grüne Naß der Chartreuse die Runde unter den Herrschaften. Von dem spirituosen Getränke bekam nun aber Herr Kolompy erst recht Courage. Er nippte und schlürfte, biß Kuchen dazu und begann zu interpelliren. »Nun will aber ich einmal anfangen, Herrn Napoleon ins Gebet zu nehmen!«

Allein der Fürst unterbrach das Examen. Das Lächeln war von seinem Gesichte gewichen. Er seufzte tief auf und sein Herz pochte erleichtert. »Herr Kolompy,« sprach er, »wollen Sie mit mir in mein Kabinet kommen.« Herr Kolompy ließ bei diesen Worten Napoleon, die Chartreuse und die Kuchenschnitten in Frieden und folgte dem Fürsten in sein Kabinet, dessen Thür sich hinter ihnen schloß.

Den Zurückgebliebenen erzählte nunmehr Bruder Napoleon in kurzen Worten die Geschichte von der Fälschung des Blattes, wie im Postkasino zu Dancsvar in Herrn Dumka's Exemplar allerlei Extra-Telegramme hineingedruckt werden. Herr Dumka selber lachte am meisten über die Enthüllung und mußte gestehen, daß man ihn tüchtig zum Besten gehalten habe. Bruder Napoleon gab ihm dagegen sein Wort, daß in Zukunft derlei nicht wieder vorkommen und Herr Dumka fortan die Preßerzeugnisse der »Posaune« in ihrer urwüchsigen Herbheit ohne jede Zuthat von Zuckerhefe oder Spiritus solle genießen können. Und damit war der Friede perfekt geworden. Auf dem Lande pflegen die Leute eines Scherzes halber nicht lange zu schmollen.

Bald darauf kam auch Herr Kolompy, und zwar allein, aus dem Kabinet des Fürsten zurück. Er bemühte sich, ein überaus ernstes und wichtiges Gesicht zu machen. Er drückte Bruder Napoleon die Hand und meinte, er habe sich die Sache denn doch überlegt und wolle den Nachdruck weder gerichtlich verfolgen, noch überhaupt auf irgend einem Wege Lärm schlagen. Es könnten leicht Personen von Distinktion mit in die Geschichte verwickelt werden, ja wenn man der Sache gar zu scharf auf den Grund sehen wollte, könnte am Ende gar noch eine internationale Frage herauswachsen. Es sei nämlich ganz und gar nicht unmöglich, daß der Prinz von Wales selbst kompromittirt erschiene und der Mann sei doch immerhin der Erbe des englischen Thrones, und England derzeit eine uns befreundete Großmacht. Ein loyaler Mann müsse seine Privatbeschwerden eben den höheren staatlichen Rücksichten unterzuordnen wissen. Darum möchte er auch die anwesenden Herren gebeten haben, die heikle Entdeckung doch gütigst geheimhalten zu wollen.

Die Herren wollten vor verhaltenem Lachreiz fast aus der Haut fahren.

Herr Kolompy trug sich Bruder Napoleon betreffend mit höchst edelmüthigen Intentionen. Er nahm dessen Arm unter den seinigen und zog ihn beiseite in eine Fensternische. »Sie verlassen also die municipale Laufbahn?« begann er. »Es ist das auch durchaus keine Karriere, wie sie Ihren Fähigkeiten entsprechen würde. Sie müssen die Arena des höheren politischen Ringens und Strebens betreten; dort ist Ihr Platz.«

»Wohl wahr,« meinte Bruder Napoleon aufseufzend. »Wenn ich nur einen Meister zu finden wüßte, bei dem ich mein Lehrjahr durchmachen könnte.«

Kolompy drückte ihm den Arm, zwinkerte mit den Augen und flüsterte mit Protektormiene: »Ich bin ja da. Es war längst meine Absicht, mein Blatt durch neue, junge Kräfte aufzufrischen.«

»In der That?« fiel Napoleon mit kindischer Freude ein. »Wollten Sie mich in Ihre Werkstätte aufnehmen und mich zu Einem und dem Anderem verwenden? Setzt es da keine Hiebe, wenn man zu viel Papier verdirbt? Was würde ich denn zu thun haben? Muß ich die Druckfehler ins Blatt hineinmachen? Ich möchte nur bitten, daß Sie mich nicht zum Kinderwiegen gebrauchen; das ist eine Beschäftigung, die ich nicht ausstehen mag.«

Herr Kolompy beruhigte ihn. Kleine Kinder gebe es gar nicht in seinem Hause, und dann wolle er ihn nicht physischer Leistungen, sondern seiner herrlichen Feder wegen gewinnen. »Ja wohl, eine prächtige Feder,« erwiderte Bruder Napoleon selbstgefällig. »Ich habe den Kranich, von dem sie stammt, auf der Töbörcsöker Pußta selber geschossen.« Herr Kolompy beeilte sich ihm klar zu machen, daß nicht von der Feder die Rede sei, die er am Hut stecken habe, sondern von seiner Schreibfeder, worauf Napoleon wieder mit ehrlicher Offenheit gestand: seine Schreibfeder, die vollführe leider Gottes ein schmähliches Gekratze gleich einem Krähenfuße; allein Herr Kolompy verscheuchte diesen seinen Skrupel alsbald durch die Entdeckung, daß es in Sachen der Kalligraphie um alle großen Publicisten ganz abscheulich bestellt sei. Schließlich merkte Herr Kolompy aber doch, daß sich Napoleon über ihn moquire. Er gab ihm einen Klaps und bedeutete ihm, nun ernsthaft zu reden. Er wolle ihn als Leitartikelschreiber und Hauptmitarbeiter des Blattes engagiren, und zwar expreß der Anschauungen halber, die er zuvor zum Ausdruck gebracht. Wer es in der Theorie so meisterhaft verstehe, wie man mit den Gegnern umspringen müsse, der werde es in der Praxis sicherlich noch weit besser zu machen wissen.

Nunmehr nahm Napoleon mit einem Mal eine sehr ernste Miene an und reichte Kolompy die Hand. »Wenn es sich darum handelt, für die gute Sache zu kämpfen, stelle ich gern meine bescheidenen Fähigkeiten zur Verfügung.« Das war nun doch einmal eine vernünftige Rede, wie sie in das Programm eines Abgeordneten-Candidaten in spe paßt. »Und dann sind mit der Stellung auch anständige Bezüge verbunden. Die ›Posaune von Jericho‹ zahlt monatlich zweihundert Gulden.«

»Ah, das wird wohl ein wenig zu viel sein!« deprecirte Bruder Napoleon. »Das ist ja ein Gehalt, wie es kaum ein Vicegespan hat. Wenn das ruchbar wird, so laufen uns die Stuhlrichter alle vom Amte und werden Zeitungsschreiber; mit der Zeit gingen dann in Budapest mehr Redakteure herum, als in Großwardein Leute in der Guba.«

Herr Kolompy beruhigte ihn mit der Versicherung, es sei dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen; dabei dachte er sich sein Theil über das einfältige Dorftalent, welches naiv genug sei, nicht sofort wegzukriegen, daß das schöne Monatsgehalt, welches ihm angeboten ward, von der Munificenz des Fürsten herstamme, der ihrer Beider Patron war, seine Wohlthaten aber immer nur auf Umwegen, im Verborgenen, durch dritte Hand zu erweisen pflegte. – Indessen, Bruder Napoleon hatte bereits noch weit mehr weg: er wußte recht wohl, daß diese monatlichen zweihundert Gulden dem Fürsten höchst wahrscheinlich fünfhundert kosteten; seine Provision mußte sich Herr Kolompy doch wohl zuvor herabdestilliren. »Nun denn, abgemacht!« Herr Kolompy beeilte sich, den Anwesenden jedem einzeln im Vertrauen mitzutheilen, welch eine prächtige Acquisition er gemacht habe. Er nehme Napoleon mit sich. Von jetzt ab sollte man sich dann die »Posaune« erst einmal ansehen.

Der junge Zarkany aber sprach flüsternd zum Doktor: »Der Fürst wünscht also, daß ich von hier weggehe.«

»Weil das für Sie besser sein wird.« (Wenn der Doktor einen Menschen vor sich sah, den er lieb hatte, war er ein wahrer Demosthenes, da wußte er geläufig zu sprechen.) »Für ihn freilich ist es schlimm so; Sie haben ihn immer aufgeheitert. Allein dem Fürsten ist jede Selbstsucht fremd.«

»Oh, ich will fortan im Wege der ›Posaune von Jericho‹ für seine Erheiterung sorgen.«

»Pah, das langweiligste Blatt von der Welt.«

»Es soll mir schon amüsant werden; lassen Sie mich nur erst die Hand am Steuer haben.«

Der Schluß, der das Ende eines jeden Familienlustspiels bildet, der Ruf: zu Tische! ließ auch hier nicht auf sich warten. Der Fürst trat aus seinem Kabinet mit Raphaela am Arme, die ihren Vater immer selbst zum Diner zu bitten pflegte. Die Herren machten Front und begrüßten die feenhafte Erscheinung, die an ihnen vorüberschwebte und bei der Erwiderung der Grüße einen beachtenden Blick an Bruder Napoleon verschwendete. Die Herren folgten der Rangordnung nach in den Speisesaal, wo von den jenseitigen Appartements her auch Madame Corysande und Fräulein Livia erschienen. Auf der Tafel fand Jedermann seinen Namen neben seinem Gedecke und wußte somit, wohin er sich zu setzen habe. Obenan nahm Prinzessin Raphaela Platz, ihr zur Rechten saß der Probst, zur Linken der Fürst; gegenüber am unteren Ende der Tafel kam Bruder Napoleon zwischen den beiden Fräuleins des Hauses zu sitzen.

»Die Herren haben heute viel gelacht,« wendete Raphaela sich an ihren Nachbar. »Ich hörte es bis ins obere Stockwerk hinauf.«

»Und auch Se. Excellenz nahm Theil an der allgemeinen Heiterkeit,« sagte der Arzt.

»O Gott lohne es dem, der ihn aufgeheitert hat,« sprach Raphaela und streichelte mit zärtlicher Hand die Stirne ihres Vaters, wie um dem Wunsche Ausdruck zu geben, doch niemals diese düster ernsten Falten auf derselben zu sehen.

»Ei ja, Gottes Lohn nun auch noch dafür!« entgegnete rasch Pater Timothee. »Es ist auf unsere Kosten gegangen. Er hat wieder einmal mit uns Allen Komödie gespielt, mich selbst nicht ausgenommen.«

»Wer?«

»Wer anders, als der saubere Herr dort, mein Antipode.«

Napoleon trat der Anklage entgegen. »Weshalb wäre ich denn Ihr Antipode, Pater Timothee?«

»Weil Sie immer lügen, ich aber stets die Wahrheit rede.«

»Und das ist wohl ganz absonderlich hoch anzurechnen, wenn man durch den Ornat vor allen Unannehmlichkeiten geschützt ist, welche das Wahrheitreden sonst im Gefolge zu haben pflegt.«

» Ecce!« versetzte der Probst aufgestachelt, »das ist wahr. O, mir weiß er die Wahrheit zu sagen. Tausend Anderen aber versteht er der Reihe nach Etwas vorzulügen.«

Bruder Napoleons Aufmerksamkeit war das ganze Diner über in vollem Maße Madame Corysanden gewidmet. Er bestrebte sich, sie auf jede mögliche Weise zu unterhalten. Seine Nachbarin zur Linken, Fräulein Livia, zeichnete er kaum durch irgend etwas anderes aus, als daß er ihr ab und zu in obligater Höflichkeit das Glas füllte.

Nach Tisch begab sich die Gesellschaft in den Conversationssaal. Prinzessin Raphaela ging wieder am Arme ihres Vaters, Bruder Napoleon führte Madame Corysande.

In den Conversationssaal eingetreten, sah er sich indeß mit einem Male der Prinzessin gegenüber. Raphaela hatte ihn gesucht. Sie legte die Hände über einander und fragte ihn: »Sie sind Stuhlrichter?«

»Nicht mehr, Prinzessin. Ich habe resignirt.«

»Und warum das?«

»Es war ein diplomatischer Kunstgriff. Ich habe damit der Unannehmlichkeit vorgebeugt, von der Municipalversammlung abgesetzt zu werden.«

»Und was gedenken Sie nunmehr zu beginnen?«

»Ich will in irgend ein vornehmes Haus als Pole eintreten.«

»Was ist das?«

»Der Pole in einer ungarischer Haushaltung ist ein ganz unentbehrliches Subjekt, welches mit dem Hausherrn auf die Jagd geht, die Damen amüsirt, den guten Weinen nach Möglichkeit Ehre anthut, den Posten des verschwenderischen Sohnes in der Familie ausfüllt, Abends die Whistpartie ergänzt, bei Tag das Vaterland beweint, jederzeit bereit ist, sich für die Ehre zu schlagen, ein Französisch spricht, das er selber nicht versteht und durchaus nicht böse wird, wenn Fremde ihn »Herr Graf« tituliren.«

Die Prinzessin ahndete diese scherzhafte Selbstironie mit einem Vorwurfe. »Sie heißen Napoleon, nicht wahr?«

»Nicht ganz. Ich schreibe mich blos Leon.«

»Und warum das?«

»Um zu zeigen, daß ich ein würdiger Nachkomme meines Vaters bin. Es ist mir kein anderes Erbe geblieben, als ein großer Vorname und ich habe es gleichwohl über mich vermocht, selbst von diesem die Hälfte zu verzehren.«

»Ah, es ist nicht schön von Ihnen, daß Sie von Ihrem Vater unehrerbietig reden.«

»Ich thue das aus berechnender Schlauheit, weil die am Berge Sinai uns aufoktroyirten zehn Gebote Jenen langes Leben auf Erden versprechen, die ihren Vater ehren.«

»Lebensüberdruß noch überdies! Wissen Sie auch, daß das einem Manne ganz und gar nicht ziemt! Einem Manne, dem so viel Mittel zu Gebote stehen, sich selber gleichsam neu zu schaffen, sich Bahn zu brechen in jegliche neue Welt? Haben Sie denn keine Laufbahn gewählt?«

»O doch. Ich möchte so ungefähr – Obergespan werden, oder Botschafter, oder Minister.« Mit so ernstem Gesicht Leon das sagte (wir wollen ihn fortan gleichfalls also nennen), mit eben so ernster Miene nahm es Raphaela auf. »Ein sehr schönes Ziel, was Sie sich da vorgesteckt haben. Aber eben, um in die Höhe zu kommen, müssen Sie zuvor von unten beginnen.«

»Je nun, ich denke, ich habe tief genug begonnen. Indessen wenn Prinzessin befehlen, so will ich auch noch tiefer steigen.«

»Sie müssen vor Allem einen Ruf erwerben, sich einen Namen machen.«

»Ruf und Namen habe ich bereits. Ich bin anerkannt als der beste Cotillonführer im Komitat. Ich bin eine bedeutende Zelebrität – wenn die Musik spielt. Nur schade, daß sie eben nicht immer spielt.«

»Auch das ist kein überflüssiges Verdienst. Sie zeichnen auch. Ich habe davon gehört.«

»Oh, da haben Prinzessin gewiß von den Melonen meines guten seligen Vaters gehört. Wenn ich so als Jurist auf Ferien nach Hause kam, war mein unvergeßlicher Papa, damit ich mir doch nicht fortwährend über tolle Streiche den Kopf zerbrechen möge, unablässig bestrebt, edlere Passionen in mir zu erwecken und zu nähren; ich mußte zeichnen und Gärtnerei treiben. Er selbst, der Gottselige, war ein Melonenzüchter. Um nun die beiden Passionen zu vereinen, ging ich des Nachmittags immer in den Garten hinaus und kratzte die schönen glatten Melonen mit Karrikaturen voll, eine prächtiger als die andere. Als nun die Früchte allmälig heranwuchsen, sah mein Papa gesegneten Angedenkens mit Schrecken das ganze Album Cham's und Nadar's auf den Melonenschalen aufleben. Er ließ nicht ein Stück der verunzierten Früchte auf seine Tafel setzen, sondern schickte sie zu ganzen Fuhren in die Stadt. Und dort rissen sich die Leute förmlich um die illustrirten Melonen; die Waare ging mit Agio ab. Davon bin ich berühmt geworden, Prinzessin.«

»Nicht allein davon,« erwiderte Raphaela, die über Leons Anekdote kaum gelächelt hatte. »Es giebt Leute, die sich noch jenes Gesuchs mit Illustrationen erinnern, welches an oberster Stelle so durchschlagenden Erfolg erzielte.«

»Dieses Verbrechen kann mir noch nicht angerechnet werden, Prinzessin, ich war minderjährig als ich es beging.«

»Wenn ich ein Mann wäre und so bedeutendes Talent dazu hätte, würde ich Maler werden. Der Maler ist der unabhängigste Herr von der Welt.«

»Sehr wahr, Prinzessin; allein selbst der berühmteste Maler ist doch noch immer nichts weiter wie ein Maler. Ein Minister wird nun und nimmermehr aus ihm. Aus einem Schriftsteller ist ab und zu einmal schon ein Minister geworden; aus einem Schauspieler desgleichen; ja sogar aus einem Buchdrucker und Schneider. Aber aus einem Maler bisher wenigstens niemals.«

»Warum werden Sie denn also nicht Schriftsteller, Schauspieler, Buchdrucker oder Schneider?«

»Die beiden letzten Qualifikationen kommen nur für Amerika in Betracht. Schauspieler kann ich meiner Statur wegen nicht werden. Ich würde ja den Kopf fortwährend in den Soffiten stecken haben: man könnte mein Mienenspiel höchstens vom Schnürboden herab bewundern.«

»Das ist nicht richtig. Sie sind um nicht mehr als um zwei Fingerbreiten größer als ich.«

Und in der That, wie die Beiden so gegenüber standen, mußte unwillkürlich Jedem, der sie ansah, der Gedanke kommen, daß zu keiner der beiden Gestalten leicht wieder eine andere, so vollkommen passende zu finden sein dürfte. Hier mußte Leon den Kopf bereits aufrecht halten, um der Person, mit der er sprach, ins Gesicht sehen zu können.

»Bliebe nun noch der Schriftsteller übrig. Nun –?«

»Ich will alles gestehen, Prinzessin. Ein reumüthiges Geständniß ist der halbe Weg zur Besserung. Ich grübele eben über das Attentat nach, meine Seele zu verkaufen.«

»Ihre Seele? Ja wem denn?«

»Einem echten christlichen Sklavenhalter, dem verdienstvollen Redakteur der ›Posaune von Jericho‹, der mir meinen Napoleon in Peterspfennige umzuwechseln gedenkt.«

»Nun, und Sie bedenken sich, ob Sie annehmen sollen?«

»Gar sehr, Prinzessin. Ich habe allerlei Arten des Gelderwerbes versucht, die nicht von Gesetze verfolgt werden, als da sind: der Finanzwache steuerpflichtige Objekte verheimlichen, guten Freunden im Kartenspiel das Geld abnehmen, kavaliermäßig ein blindes Pferd für ein tadelloses verkaufen, Diäten beziehen und nichts dafür leisten, und mehr; das entsetzlichste Unternehmen von allen aber scheint mir zu sein, daß sich ein einzelner Mensch vor Tausende hinstelle und ihnen sage: Mir ist da soeben etwas eingefallen; ich will es niederschreiben; ihr tausend Anderen aber zahlt mir dafür, daß ich es euch lesen lasse. – Ich will's ja nicht leugnen; ich habe stets die Leute gern zum Besten gehalten, wo es nur immer anging; aber ich habe es stets auf eigene Kosten und Gefahr gethan; ich weiß nicht, wie ich mich nun daran gewöhnen soll, mich von dem biedern, ehrlichen Volke, welches man Publikum nennt, dafür bezahlen zu lassen, daß ich ihm Tag für Tag Sand in die Augen streue.«

»Aber so thun Sie doch das Entgegengesetzte. Sagen Sie die Wahrheit. Betrachten Sie auch die andere Seite der Medaille. Wer für eine große Idee kämpft, bethört ja das Volk nicht, sondern leitet dasselbe und das ist ein edler, erhabener Beruf.«

»Ich strecke die Waffen, Prinzessin, ich wehre mich nicht länger. Es ist in der That so. Allein, das ist es ja eben, was ich nicht weiß: ob ich genügende Kraft zu diesem großen Berufe in mir trage? Ob ich mit Sicherheit vertrauen darf, daß ich auch wirklich dem Ziele zuschreite, wenn ich ihm den Rücken gekehrt meinen Weg verfolge?«

»Die Erde ist ja rund; wer unbeirrt nach Westen fortschreitet, langt sicherlich einmal im Osten an.«

»Vollkommen richtig, Prinzessin, doch das ist eben die Frage, ob ich zu dem langen Wege auch Ausdauer genug haben werde?«

»Nun, und wer soll Ihnen diese Frage beantworten?«

»Ich will mich vorerst mit meinem Schutzheiligen berathen.«

»Mit Ihrem Schutzheiligen? Bedenken Sie, daß ich religiös bin: wenn Sie mit diesem Worte Scherz treiben, so verletzen Sie nach zwei Seiten hin zugleich: den Heiligen und – mich.«

»Lieber die Heiligen allzumal, als Sie, Prinzessin! Doch Gott bewahre meine Lippen, daß ich mit dem Worte Scherz treiben sollte. Ich habe in der That einen Schutzheiligen, den ich so hoch verehre, daß ich es nicht einmal wage, zu ihm zu beten, ihn anzurufen. Er steigt unangefleht zu mir hernieder, so oft ich von Zweifeln bedrängt bin. Sein Kommen ist kein Traum, sondern eine »Erscheinung«. Er ermuthigt oder warnt mich, er tröstet oder rügt. Und was er mir rathen mag, ich folge ihm blindlings – so wahr mir Gott helfe!«

Während er diese Worte sprach, fühlte die Prinzessin, welche Wirkung der Strahl aus sterblichen Augen auf die Engel des Himmels thut, wenn er in ihr Auge fällt.

»Und wie nennt sich dieser Ihr Schutzheiliger?« fragte die Prinzessin unter dem Einflusse des Zaubers.

Leon senkte den Blick und sah Raphaelen nicht mehr ins Auge. Er antwortete mit leiser Stimme: »Sein Name ist ein Frauenname.«

Raphaela erachtete es für angemessen, dem Gespräch ein Ende zu machen. Den einen Triumph hatte sie bereits errungen, daß sie den stets mit Sarkasmen gepanzerten Mann zwang, diese seine Rüstung abzulegen und im seidenen Kleide des Gefühles am Kampfplatz zu erscheinen. Ob sie ihn auch verwundet habe, das wußte sie allerdings noch nicht.

»Sein Name ist ein Frauenname.« Es giebt also einen Frauennamen, der diesem Manne so unaussprechlich ist, wie dem glaubenstreuen Mosaiten der Name des »Herrn«. Das ist nicht Prahlerei mehr, das ist Huldigung. Raphaela besorgte, sie werde sich selber nicht wehren können, Napoleon im Traume zu erscheinen, ungebeten, wie er gesagt hatte, und um ihren Rath zu ertheilen.

Ihr Stolz fand ein Schutzmittel dagegen.

»Madame Corysande,« bedeutete sie ihrer Gesellschafterin, »wir müssen heute noch reisen.«

»Ich bin bereit.«

Napoleon küßte Madame Corysanden die Hand. »Bitte, Madame Corysande, wollen Sie diesen Handkuß der Mama der Prinzessin überbringen und dazu vermelden, daß ich mich damit ehrerbietigst verabschiede. Morgen verschwinde ich aus der Gegend.«

»Wohin gehen Sie?«

»Entweder vorwärts: um Europa zu erobern, oder rückwärts nach Sankt-Helena.«

Die Prinzessin nahm nunmehr rasch Abschied von der Gesellschaft. Ihrem Vater küßte sie die Hand und Wange und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann entfernte sie sich mit den beiden Damen.

Eine Viertelstunde später war die Kutsche mit den beiden Damen unterwegs gegen Etelvar.

*


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