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Was eine Frau mit einem Mädchen plaudert.

»Ah, die liebe Madame Corysande! Comme elle est charmante! Wie lange habe ich gewünscht, Sie zu sehen. Jedermann rühmt Sie mir. Sie sind eine Dame von schätzenswerthem Wissen. Vous êtes mariée? Jamais? Desto besser. Daß Du mir sie nur schon einmal gebracht hast, Du »Goldfasan«. Um's Himmels Willen, wohin wirst Du denn noch wachsen? Bis zum Himmel hinauf? Beuge Dich doch ein wenig, daß ich Dich küssen kann. Närrchen – nun kniet sie gar nieder. Und selbst knieend ist sie fast ebenso hoch, als ich. Nun, es ist gut. Du kannst gehen. Mit Dir habe ich nichts zu reden: Du hörst nicht zu. Geh' ans Klavier. Eine prächtige Erfindung, das Klavier, für Jene, die das Denken nicht leiden mögen. Geh' nur, geh', schlage Deine Gedanken auf den Tasten todt. Nun, so geh' doch. Ich habe Dich genug angestaunt. Wenn wir zu Tische gehen, will ich Dich rufen lassen. Die liebe Madame Corysande bleibt ja bei mir. Nun, wie gefällt Ihnen diese alte Burg? Nicht wahr, ein rechtes Märchenschloß, mit den vier Donjons an den vier Ecken, das Gemäuer überall mit Epheu umrankt? Hat es Sie nicht überrascht, daß die Fenster alle offen stehen? Man lüftet jetzt die Zimmer; am Hofe klopft das Gesinde die Teppiche, bei uns ist jetzt früher Morgen. Immer um die Zeit, wann die niedergehende Sonne dort durch die Linden hindurch ihre letzten Strahlen hierher wirft. Sie machen sicherlich Ihre Bemerkungen, liebe Madame Corysande. Sie sind eine gescheidte, beobachtende Dame. Bei uns steht man des Abends auf und legt sich des Morgens nieder. Das ist gut so. Das Leben bei Nacht taugt mehr als jenes bei Tage. Im Winter ist der Unterschied ohnehin nicht bedeutend; man sieht da ja auch bei Tag nichts weiter als eine schlafende Natur. Im Sommer aber ist bei Tag die Hitze unausstehlich; man geht in Schweiß gebadet umher und hat mit der einen Hand fortwährend den Sonnenschirm zu tragen; erst nach Sonnenuntergang kann man frei aufathmen. Wenn den ganzen Tag über der Wind bläst – und bei uns ist es jeden Tag windig – gegen Abend legt er sich. Am Tage sind alle Zimmer voll mit Fliegen; des Nachts schlafen auch diese. Ist man am Tage wach, so hat man alle Welt am Halse; das kommt und geht und lärmt an uns herum: durchaus Leute, die uns zu nichts taugen, die uns nur lästig sind. Des Nachts haben wir keine andere Gesellschaft um uns, als jene, die wir uns selber wählen; alles Uebrige schläft. Am Tage sieht man ringsum den ganzen Gesichtskreis, und was man sieht, regt hunderterlei Gedanken in uns an, mit denen man sich nicht gerne befaßt; des Nachts sehen wir nur Dasjenige, was wir absichtlich mit unserer Lampe beleuchten. Und dann umgekehrt: wer des Nachts schläft, ist gleichsam völlig begraben. Nicht allein, daß er freiwillig nicht sieht, sondern es herrscht Finsterniß rings um ihn. Erwacht man nun in dieser Finsterniß, da ist es ein so beklommenes Gefühl, zu wissen, daß jetzt alle Welt schläft, so wachend die Glockenschläge zu zählen, und zu schaudern bei dem Gedanken: Jetzt ist Mitternacht! so nachzusinnen über Bekanntes und Unbekanntes. Da fallen dem Menschen alle erdenklichen Schaudermärchen und Pitavals Verbrechergeschichten ein – es ist ja eben jetzt ihre Zeit. Und das unruhige Pochen des Herzens läßt uns den verlorenen Schlaf nicht wieder finden. Schläft man dagegen bei Tag, da überkommt uns das Bewußtsein so beruhigend, daß jetzt alle Welt wach ist, lebt und webt und arbeitet und sich freut. Wenn man um zwölf Uhr erwacht (ich habe in meinem Schlafzimmer fünf Repetiruhren, deren jede gegen die anderen um drei Minuten voraus gerichtet ist, so daß ich jede Viertelstunde fünf Mal schlagen höre), so ist, obwohl die Uhr zwölf schlägt, unser erster Gedanke: Jetzt setzt sich die arbeitende Klasse der Menschheit zu ihrem wohlverdienten Mittagsmahl; jetzt preisen Millionen den Herrn, der ihren Tisch gesegnet hat; und so oft auch unser Schlaf unterbrochen werden mag, wir finden ihn bei dem schwachen Strahl des Sonnenlichtes, der durch die Ritzen der Fensterläden hereindringt, doch immer wieder. Sie würden diese Lebensweise liebgewinnen, Madame Corysande, wenn Sie häufig zu mir kämen. Ich bitte Sie auch darum, kommen Sie recht oft. Ich würde Sie hier behalten, aber ich weiß: dieses große Kind hat Sie so nöthig. Sie ist wahrhaftig ein großes Kind! Ein wahrer Goldfasan: so überladen mit Schönheit wie ein Goldfasan, und genau wie ein solcher zu nichts weiter gut, als angesehen zu werden. Ihr Gesicht wird noch zu siebzig Jahren genau so aussehen, wie heute. Sie ist eine so nichtssagende Schönheit. Wollen Sie sehen, wie ich in ihrem Alter ausgesehen habe? Kommen Sie, ich will Ihnen mein Porträt zeigen. Es ist von Barabas gemalt: ich war damals siebzehn Jahre alt. Er hat durchaus nicht geschmeichelt, ja er hat noch eher die Taille ein wenig stärker genommen. Kunstverständige sagen, das sei nur scheinbar; ein weißes Kleid lasse bei Gemälden die Taille immer stärker erscheinen. Nun da, sehen Sie her. Wie sehr das meinem heutigen Aussehen nicht mehr gleicht, nicht wahr? Machen Sie mir keine Komplimente; ich bin mehr gealtert, als meine Jahre bedingen würden. Und ich kenne auch die Ursache. Ich habe vielfache physische Leiden zu überstehen gehabt. Ich habe ein Kind geboren und es gesäugt. Ein anderes habe ich verloren. Das ist ein entsetzliches Leiden für eine Frau. Avez-vous des enfants? Ah, ah, Sie sind ja nicht verheirathet. Ich habe mich verredet; verzeihen Sie, ich bin so vergeßlich. Aber die Veränderung der Gesichtszüge hat auch noch andere Ursachen. Jeder Muskelstrang des Gesichtes geräth ja unter der Einwirkung einer besonderen Affektion unwillkürlich in Erregung und drückt die betreffende Empfindung aus. Hat Jemand ein für den Ausdruck von seelischen Bewegungen besonders empfängliches Gesicht und weiß seine Gefühle nicht zu beherrschen, so sondern sich mit der Zeit die fortwährend afficirten Muskeln seines Gesichtes ganz und gar von einander und graben ebenso viele einzelne, charakteristische Schlangenlinien dauernd ein. Treten Sie nur einmal hierher vor den Spiegel, liebe Madame Corysande; ich will Ihnen zeigen, wie unter dem Einflusse der Empfindungen aus einem jungen ein altes Gesicht wird. Sehen Sie, hier auf der Stirne bilden sich, wenn Sie angestrengt etwas beobachten und die Stirnmuskeln emporziehen, drei parallellaufende, horizontale Schlangenlinien. Wenn Sie Zorn ausdrücken, entstehen drei senkrechte Linien. Alle diese Linien schneidet in der Diagonale jene Falte, welche durch das blinzelnde Emporziehen der einen Augenbraue entsteht. Heiteres Lachen und noch mehr das kritisirende Augenzwinkern bildet vier, vom Augenwinkel fächerförmig auslaufende Falten. Der Hohn bringt diese dreifache, bogenförmige über den Nasenflügeln, der Schmerz diese von den Ecken der Kinnbacken nach den Mundwinkeln verlaufende Falte hervor; das Schmollen bildet leichte, zusammenlaufende Fältchen über der Lippe, während die Gefallsucht tiefe Einschnitte rings um die Mundwinkel entstehen macht. Der Ausdruck der Geringschätzung verunstaltet das eine Wangengrübchen zu einem liefen Graben und macht dadurch das Gesicht schief; häufiges Weinen umringt die ganze Partie um das Kinn mit concentrischen Bogen; Hochmuth endlich macht das Unterkinn doppelt. Sehen Sie, all das finden Sie auf meinem Gesichte. Alle diese Linien und Falten habe ich entstehen, sich immer deutlicher ausprägen gesehen; ich habe ihre Entwickelung selber beschleunigt und zwar dadurch, daß ich meine Empfindungen nicht zu beherrschen vermochte. Deshalb sagte mir ein berühmter französischer Künstler, von dem ich mich malen lassen wollte, es sei unmöglich, mein Gesicht zu treffen, denn es sei bei jeder Sitzung ein anderes. Geben Sie Acht auf sich, Madame Corysande. Lernen Sie in dieser Hinsicht von Raphaela; in jeder anderen muß sie von Ihnen lernen, denn sie ist ein unwissendes und auch gar nicht wißbegieriges Geschöpf. Wollen Sie ihr Aufklärung geben, liebe gute Madame Corysande?«

Das war der erste Ruhepunkt, der Madame Corysanden Gelegenheit gab, zu Worte zu kommen.

Madame Corysande fühlte sich lahmgelegt wie eine Primadonna assoluta, die eine andere Künstlerin singen hört, von der sie sich um einen ganzen Olymp überragt sieht. Madame Corysande war bisher immer der Ansicht gewesen, sie zähle, was die Gabe des Vortrages anbelangt, zu den unerreichbaren Größen und siehe da, nun hatte sich eine Concurrentin gefunden, der gegenüber ein Zwiegespräch unmöglich etwas Anderes sein konnte, als ein von dem einen Theile gehaltener und von dem anderen durch ein gelegentliches » oui« oder » non« unterbrochener Monolog.

»Ja wohl, duchesse

»Sie sind eine sehr gescheidte Dame, Madame Corysande. Nicht wahr, Sie müssen mir zugeben, daß sich Wissen und Klugheit nicht so leicht, nicht so ganz umsonst erwerben lassen? Der Mann lernt bis in sein spätes Alter und das verleiht ihm das Uebergewicht über die Frau, der in ihren Kinderjahren wohl eines und das Andere eingetrichtert wird, der aber das Propyläum verschlossen ist, sobald sie einmal in die Welt eingeführt wurde. Fortan lernt sie dann nichts mehr. Ihre ganze Bibliothek ist der Roman und die Traveller-Literatur. Von wem sollte sie auch noch weiter lernen?«

»Wohl, Fürstin. Aber die Auto ...«

»Die Autodidaxie, wollen Sie sagen?« (Die Fürstin ließ sie kein ganzes Wort zu Ende sprechen.) »Ja, diese Art des Studiums erfordert aber zehnfache Mühe und taugt ganz und gar nicht für Personen, die fortwährend, sei es mit ihrem Hauswesen, sei es mit ihrem Amusement beschäftigt sind. Es gehört ein großer und mächtiger innerer Antrieb dazu, Vorliebe zu irgend einem Fache – sonst macht die unrichtige Wahl die Frau einseitig, oder ein buntes Durcheinander ohne Wahl macht sie zu einem unausstehlichen, vielwissenden Polyhistor. Gott bewahre uns vor einer vielwissenden Frau. Wo sie sich niederläßt, dort stieben Mann und Weib und Kinder auseinander, als ob sie die Pest mit sich gebracht hätte. – Uti figura docet!« Die Fürstin wies lachend auf sich selber. Das Lachen ließ ihr Gesicht mit einemmale sehr angenehm erscheinen; alle die wirr durcheinanderlaufenden Falten strebten gleichsam in eine gewisse Harmonie zu einander zu treten. »Selbst meine Tochter läuft vor mir davon und ihr will ich doch sicherlich nur das Beste. Es gruselt ihr vor meiner Prälection. Je nun, mein Vortrag ist allerdings ein wenig brüsk; es ist nicht eben meine Art, geziert zu sprechen, daher bleibt auch nicht leicht Einer gern ruhig an meiner Seite sitzen.«

»Fürstin, vielleicht in peri ...«

»So ist's! In peripatetischer Weise.« (Nicht um die Welt würde sie sie das ganze Wort haben aussprechen lassen.) »Diese Methode ist entschieden die beste. Setzen wir den Fall, zwei Damen spazieren miteinander im Park. Da fällt ihnen ein Spinngewebe in die Augen, in dessen Mittelpunkte eine superbe große Kreuzspinne sitzt. Sie bleiben davor stehen. Bald darauf erscheint am Saume des in die Runde ausgespannten Netzes eine andere, kaum halb so große Spinne. Sie nähert sich furchtsam der ersteren. Diese lauert auf sie, die dürren Füße eingezogen, unbeweglich. Die kleinere kommt zaudernd und ruckweise näher und immer näher; sie umtanzt die große zwei- und dreimal in spiralförmiger Linie. Die Spinne hat aber acht Augen und vermag die Herannahende nach allen Seiten hin zu beobachten. Nun ist die kleine ganz nahe herangekommen; da spreizt die große Spinne mit einem jähen Ruck die Füße breit auseinander, die kleine erschrickt und flüchtet in eiligem Laufe von dem Netze in das schirmende Laub des Baumes zurück. Und nun dociren Sie Ihrem Zöglinge: »Sehen Sie, meine Liebe, das ist eine Scene aus dem häuslichen Leben der Spinnen. Die beiden sind Mann und Frau. Doch ist hier bei Weitem nicht der Mann der stärkere Theil, sondern die Frau. Die gewaltige große Spinne, welche das ganze Seidenpalais beherrscht, ist die Dame, die andere, die sich ihr so furchtsam nähert und schließlich wieder in den Winkel zurückflüchtet, die ist der Herr. Wenn die Frau übler Laune ist, so jagt sie den Herrn Gemahl fort, ja, wenn sie ihn zu fassen vermag, zaust sie ihn nicht selten derart, daß er am Platze bleibt.« Davon nehmen Sie Veranlassung, die »Physiologie der Spinnen« des Näheren zu entwickeln. Sie lächeln doch nicht etwa über das, was ich Ihnen da sage, Madame Corysande?«

»Aber Fürstin, ich weiß ja ganz und gar nichts von der Physiologie der Spinnen!« rief Madame Corysande schaudernd.

»Ach, gehen Sie doch! Sie wissen das ganz gut! Wovon sollen wir denn sonst reden? Kann man denn z. B. Botanik lehren ohne unterscheidende Charakterisirung der Geschlechter? Taugt denn die Unkenntniß all dieser Dinge auch nur das Mindeste? Muß denn ein Mädchen, um sittenrein erhalten zu werden, in Unwissenheit auferzogen werden? Hat denn die Sittsamkeit nur so lange vorzuhalten, bis die Erkenntniß kommt? Das mag vielleicht bei den Mädchen der arbeitenden Bürgerklasse einen Sinn haben, die, wenn sie schön sind, vielen Versuchungen ausgesetzt sind; denen mag es frommen bis zu ihrer Verheirathung nichts zu wissen, was die physiologische Seite ihres weiblichen Berufs betrifft; nach ihrer Verheiratung mag sie dann der Mann behüten, an den sie ja in allen Phasen des Lebens eng gebunden sind. Wozu aber die so wissenswerthen Geheimnisse der Natur den Töchtern jener Kreise verborgen halten, in denen Rang, Reichthum, Lebensweise die alltägliche Verführung unmöglich machen? Bei denen durch Unkenntniß die weibliche Tugend durchaus nicht für immerwährende Zeiten sichergestellt würde, weil späterhin Mann und Frau in ganz gesonderten Sphären leben, die Frau aber gleichwohl immer und in jedem Falle fest bleiben muß? Was frommt es einer Prinzessin, Dinge nicht zu wissen, deren Kenntniß einem Bürgermädchen allerdings gefährlich sein mag? Und schließlich liegt ja der zuverlässige Schutz weiblicher Tugend durchaus nicht in der blöden Unschuld, sondern in dem angeborenen Stolze des Herzens. Mit diesem Stolze des Herzens gewappnet kann auch das Bürgermädchen über jedwede Versuchung obsiegen – ohne denselben auch die Fürstin lax sein. Daphne, die Nymphe, wußte im freien Walde ihren weiblichen Stolz gegen den Sonnenstrahl sogar zu bewahren, Danae die Königstochter vermochte es selbst im wohlverwahrten Schlosse nicht einmal gegen den Regen.«

Madame Corysande war nun doch in der That neugierig, wie denn das Alles enden solle.

»Ich bitte Sie, Madame Corysande, glauben Sie doch ja nicht, ich habe bei dem Gespräche nichts weiter im Auge, als eine trockene pädagogische Discussion mit Ihnen zu führen. Ich rede als Mutter mit Ihnen, in meiner Besorgniß um meine eigene Tochter. O ich bin kein überspanntes Gehirn, obschon es wahrhaftig nicht Wunder nehmen dürfte, wenn mein Verstand von all den Leiden, die ich erduldet habe, verwirrt wäre. Denn nicht die Wucht des Schlages bedingt die Schwere des Leidens, sondern die individuelle Empfindsamkeit. Stellen Sie sich mein Schicksal einmal so recht lebhaft vor: Ich stand an der Schwelle des höchsten Glückes, welches ein Weib zu beseligen vermag, und da – da raubte mir eine leichtfertige, unverständige That, ein Glas frischen Wassers, ein geöffnetes Fenster oder vielleicht eine flüchtige Erregung für immer und ewig das ganze Paradies, dem ich entgegensah. Da sehen Sie: Tanzen, Klavierspielen, Malen, fünf Sprachen sprechen, eine gewählte Toilette machen, das Alles hatte man mich gelehrt, so gut wie eine Andere; nur Eines hatte man mich nicht gelehrt, gerade Dasjenige, was das Endziel des weiblichen Lebens ist: wie man es vermeiden müsse, eine Kindesmörderin zu werden.«

Auf Madame Corysandens Stirne begannen die hellen Schweißtropfen zu perlen. Sie begann nachgerade zu ahnen, worauf die ganze Konferenz hinauswolle?

» Avez-vous des enfants?«

»Noch immer nicht Fürstin,« erwiderte Madame Corysande mit allmälig anhebender Bitterkeit.

»Schade, denn da werde ich Ihnen nun Alles überaus umständlich expliziren müssen. Wollen Sie so gütig sein, mit mir in mein Lesezimmer zu kommen.«

Im ganzen Schlosse hatte man bereits die Lampen angezündet; alle Säle waren beleuchtet. In den meisten Zimmern standen die Fenster offen; zu denselben wimmelten Nachtfalter aller Art herein und umflatterten die Lampen; ab und zu huschte auch eine Fledermaus herein und schwirrte im Zickzack durch den hellerleuchteten Raum. Die Fürstin hatte nicht die geringste Scheu vor diesen Thieren. »Das sind meine Schwalben,« meinte sie. Draußen im Haine koncertirten die Sänger der stillen Nacht, die Nachtigallen. Es war eine herrliche Nacht; der Mond schien hell durch alle Zimmer und verstärkte die gelben Schatten im Lampenlichte mit silberblauen Nuancen. Die Fürstin gab dem Kammerdiener Befehl, das Frühstück für Beide im Lesezimmer zu serviren. Raphaela braucht nichts – sie pflegt nicht zu frühstücken (wenigstens Abends nicht). Uebrigens hätte auch Madame Corysande das Frühstück gerne gemißt. Vor Allem mußte sie ein rohes Ei ausschlürfen. Dann setzte man ihr Thee vor, aus dem sie nicht recht klug zu werden vermochte, ob Ambra darin sei oder Anis? Hierauf mußte sie aus einer kleinen muschelförmigen Tasse eine überaus verdächtige, zitternde Gallerte schlucken, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus Gartenschnecken bestand, welche man sammt ihren Gehäusen zerstoßen und dann gesalzt hatte; dazu lagen geröstete Brotschnitte auf, die mit einem völlig undefinirbaren Etwas bestrichen waren; am nächsten lag die Vermuthung, daß das Zeug ehedem eine Seespinne in den Markhöhlen ihrer Scheeren und Beine getragen habe.

Die Fürstin ließ die Vorhänge an den Fenstern herab. Zu wissenschaftlichen Abhandlungen sind Nachtfalter durchaus nicht unentbehrlich. Im Zimmer war eine herrlich eingerichtete Bibliothek aufgestellt. Ein jäher Schreck aber preßte Madame Corysande das Herz zusammen, als sie die Titel zu lesen begann, die auf dem Rücken der einzelnen Bände prangten. Diese Art Literatur war ihr in der That » étrange«. Zum ersten Unterricht wählte die Fürstin einen anatomischen Atlas; gleich beim Aufschlagen desselben wandelte Madame Corysande eine Ohnmacht an. Nein! Niemals ist der Grabstichel des Kupferstechers zu entsetzlicheren Werken mißbraucht worden, als bei diesen Abbildungen.

Die Fürstin docirte. Madame Corysande wurde grün und blau dabei.

»Denn sehen Sie, Madame Corysande,« sagte die Fürstin im Verlaufe ihres Vortrages, »die Kardinalsünde unserer Frauen-Erziehung ist eben die, daß wir ausschließlich nur auf die geistige Ausbildung der Mädchen bedacht sind, es aber ganz und gar verabsäumen, den Körper, den animalischen Theil des Wesens seiner Bestimmung entsprechend zu entwickeln. Die Folgen dieser Versäumniß sind dann die unglücklichen Ehen. Die Physik ist mächtiger als die Ethik. Tugend und Sitte sind dem Weibe angeboren, die hat man es nicht erst zu lehren. Wohl aber muß man ihm den gesammten Organismus des Lebens, dessen innerliches, wunderbares Zusammenwirken zur Anschauung bringen. Sehen Sie, was aus mir geworden ist, weil ich es seinerzeit verabsäumt habe, mir diese Erkenntnis anzueignen! Ich bin eine aus der Welt verbannte, eine gestorbene Frau geworden. Vor einem ähnlichen Loose möchte ich meine einzige Tochter bewahren. Leider rede ich ihr vergeblich von all' diesen Dingen. Sie ist eine wahre Amsel. Sie ist nicht im Stande, meinem Vortrage aufmerksam zu folgen; sie lacht und lacht, und kaum habe ich fünf Minuten lang Etwas explicirt, so springt sie auf und läuft davon. Darum ist es mir sehr lieb, daß ich mich mit Ihnen besprechen kann. Ich will Ihnen Alles erklären und erläutern und Sie werden dann wieder Raphaelen enseigniren. Vielleicht habe ich aber nicht hinreichend vom Alpha angefangen? Kennen Sie die allgemeinen Grundzüge der Struktur des weiblichen Körpers? Nicht? Nun so will ich Ihnen eine weibliche Gestalt in ihrer eigensten primitivsten Realität zeigen.«

» Dieu!« fuhr Madame Corysande galvanisirt auf: » Une dame sans habits?«

Die Fürstin zog von einem Schranke den Vorhang hinweg. Was sich nun da Madame Corysandens Blicken darbot, davor hatte sie allen Grund, nicht zu erröthen, sondern zu erbleichen. »Die »Dame« war – ein Skelet.

Der Anblick eines solchen berührt überhaupt nicht eben Jedermann angenehm, was aber speciell für Madame Corysande den Hochgenuß noch packender machte, das war der Umstand, daß sie nun jedes einzelne Knöchelchen des ganzen weiblichen Skelets nach seiner Bestimmung, nach allen seinen Vor- und Nachtheilen auf das Minutiöseste studiren mußte; wendete sie einmal das Gesicht ab, so explicirte ihr die Fürstin die Geschichte noch einmal. O, die Fürstin war wie zum Professor der Anatomie geboren!

Wohl noch niemals war Glockengeläute mit solcher Inbrunst begrüßt worden, als diese Nacht um zehn Uhr das Zeichen, welches zur Messe rief; der Vortrag ward unterbrochen, Madame Corysande war von dieser der spanischen Inquisition würdigen Tortur befreit. Die Andacht der Fürstin erlitt durch ihren leidenschaftlichen Hang zur Wissenschaft keine Einbuße.

»Wir wollen nun in die Kapelle gehen,« sprach sie, während sie ihre naturwissenschaftlichen Lehrbücher wieder an ihre Stelle brachte und dafür ihr Gebetbuch hervorsuchte. In Madame Corysande dämmerte ein schwacher Strahl der Hoffnung auf, daß nunmehr die Prälection vielleicht doch als geschlossen zu betrachten sein dürfte.

Prinzessin Raphaela erschien in der Thür; sie steckte aber blos den Kopf herein und schickte, wie um das Terrain zu sondiren, die Frage voraus: »Sind Sie nur zu Zweit hier oder zu Dritt?«

»Nur zu Zweit,« erwiderte die Fürstin und zog den Vorhang vor das Skelet. »Du Lori-Papagei! Im Ganzen weiß sie zwei Worte zu sprechen, und da meint sie, sie könne reden.«

Raphaela trat ein und fragte Madame Corysande mit malitiöser Freundlichkeit: »Nun, wie gefällt Ihnen Mama's Bibliothek?«

»Sie ist entsetzlich schön.«

»Was verstehst Du davon, Du Goldfasan? Was kein Roman ist, ist für Dich kein Buch. Da, trage mir das Gebetbuch. Das ist wenigstens eine Lektüre, der wir Beide gemeinschaftlich obliegen. Gieb mir Deinen Arm, Riesin Du! Welch ein Grenadier wäre aus Dir geworden, wenn Du ein Mann wärest. Komm. Bete, daß Dir der liebe Gott einen zu Dir passenden Mann erschaffe.«

Der Gottesdienst währte eine halbe Stunde.

Als sie die Kapelle wieder verlassen hatten, sagte die Fürstin zu Raphaela: »Nun geh' Deiner Wege; wir können Dich nicht brauchen. Ich weiß, Du liebst die Speisen nicht, die ich genieße; und sie sind doch speziell der weiblichen Bestimmung angepaßt. Du goutirst nur Deine eigenen Leibspeisen. So bestelle Dir nun beim Koch, was er Dir besonders bereiten soll. Du sollst bei mir nicht Hunger leiden. Geh', Du schöner Pfau!« Raphaela dankte für die Erlaubniß und flog trällernd den Korridor entlang.

»Wir aber wollen nun in mein Museum gehen.«

Madame Corysande athmete erleichtert auf. Also nicht in die Bibliothek. Sie stellte sich unter dem »Museum« der Fürstin eine Raritätensammlung vor: Antike Schmucksachen, werthvolle Gemälde, alterthümliche Stickereien, Kostüme und Möbel, Porzellane und Majoliken, Erb- und Gedenkstücke aus alten Zeiten, wie man sie in vornehmen Herrenhäusern wohl zu finden pflegt. Doch welch entsetzliche Enttäuschung wartete ihrer. Sie trat in ein – anatomisches Museum. Es war zusammengestellt aus all' jenen schauderhaft schönen, meisterhaften Modellen der – Natur, welche der neugierige Laie nur einmal flüchtig anzusehen braucht, um sich für einen Monat Speise und Trank, alle seine Mitmenschen und sich selber gründlich zu verleiden.

Und in diesem entsetzlichen Museum mußte Madame Corysande volle anderthalb Stunden lang mit Aug' und Ohr den Erläuterungen der Fürstin über alle möglichen pathologischen Mysterien, den Revelationen über die geheimnißvolle Thätigkeit der inneren Bestandtheile des Menschen folgen! Es waren Enthüllungen, um ein Hypochonder zu werden, und die wohlmeinende Professorin stopfte damit alle Sinne der Aermsten dermaßen voll, daß diese all' die besprochenen Uebel und Gebrechen in allen Theilen ihres Körpers wirklich und wahrhaftig zu fühlen glaubte.

»Nun sehen Sie, es ist gut, daß ich Ihnen das Alles erklären konnte,« sprach die Fürstin schließlich mit vieler Befriedigung. »Den großen Goldfasan führe ich ganz vergebens mit mir hierher; sie ist im Stande und deckt sich den Volant ihres Rockes über das Gesicht, um nur ja nichts zu sehen.«

Madame Corysande hätte sich wahrhaftig gern ihren ganzen Regenmantel über das Gesicht gebreitet!

»Und sehen Sie, das sind doch gerade jene Dinge, welche die Mädchen aus vornehmen Häusern hauptsächlich und vor Allem lernen müßten. Daß ihnen diese Kenntnisse mangeln, das ist der Urgrund alles Familienunglücks, das ist die Ursache, daß die Männer ihre Frauen vernachlässigen, daß sich die Frauen elend fühlen. Haben Sie sich Alles wohl gemerkt? Werden Sie Alles, was Sie von mir gehört haben, Raphaelen wieder zu sagen wissen? Werden Sie es auch nicht vergessen?«

»Ich fürchte: nein,« sagte Madame Corysande zu sich selber.

Wir besorgen nicht, eine falsche Angabe in die Weltgeschichte einzuschmuggeln, wenn wir behaupten, es sei heute zum ersten Mal der Fall vorgekommen, daß ein mit lebendigem Leibe ausgestatteter Mensch den schreckhaften mitternächtigen Glockenschlag als das Signal seiner Befreiung mit Sehnsucht herbeiwünschte. Nach Madame Corysandens Informationen pflegte man im Schloß zu Etelvar mit dem Schlag Zwölf um Mitternacht das Diner aufzutragen. Der Glockenschlag ist aber im ganzen Herrenhause systematisch geregelt. So wie andere Herrschaften einen eigenen Hausarzt im Schlosse halten, so hält die Fürstin einen Haus-Uhrmacher. Die Uhr des Kochs geht gegen jene im Speisesaal um drei Minuten voraus. Die weibliche Klatschgesellschaft in der Gesindestube will wissen, diese Einrichtung habe den Zweck, die Gespenster konfus zu machen; unter den unzähligen Schlägen der vielen Uhren vermögen die Spukgeister den richtigen nicht mehr herauszufinden. Die männliche Dienerschaft dagegen behauptet, die Sache sei deshalb so eingerichtet, damit die Tafel in gehöriger Ordnung bestellt werden könne. Die Fürstin gestattet die Speisen nur in vollständig ausgekühltem Zustand aufzutragen, deshalb sei zwischen dem Glockensignal des Koches und dem » Le diner est servi« des Kammerdieners ein Intervall von drei Minuten gelassen.

Und diese drei Minuten genügen der Fürstin eben noch, Madame Corysanden den geheimsten Schrank des Wachsfigurenkabinets zu erschließen und sie kontemplativ mit jenem haarsträubenden Mysterium bekannt zu machen, welches im Leben König Ludwigs II. von Ungarn und Macduffs das erste verhängnißvolle Ereigniß bildete.

Madame Corysande ward vom Fieber geschüttelt; ein paar Mal war sie nahe daran, in Ohnmacht zu fallen.

Bei Tisch erschienen nur die drei Damen. Die Fürstin war nicht freigebig mit der Gnade, Jemand an ihre Tafel zu ziehen. Es war dies für Madame Corysande eine Auszeichnung im wahren Sinne des Wortes. Und doch durften alle diejenigen, welche die Fürstin dieses Glückes nicht theilhaftig werden ließ, ihr dafür in der That zu tiefstem Dank verpflichtet sein, denn das Menu an der fürstlichen Tafel war ein entsetzliches. Vor Allem wollen wir bemerken, daß sämmtliche Gerichte fast ohne jede Zuthat von Salz, dagegen aber mit sehr viel Zucker bereitet wurden. Ferner hatte hier jede Speise ihren besonderen Zweck. Freilich hat auch die Speise des armen Mannes ihren Zweck: den Magen zu befriedigen. Allein die Speisen der Fürstin hatten durchweg nicht ausschließlich für den Magen eine edle Aufgabe. Ihre heilsame Wirkung war auf sämmtliche Organe des Körpers und zwar auf jedes einzelne besonders berechnet; das eine Gericht wirkte dahin, das andere dorthin. Man aß von den Sachen nicht, um satt zu werden, sondern um erfrischende, anregende, erweichende, herzstärkende, blutreinigende, schweißtreibende und schlaferregende Mittel in sich aufzunehmen: hatte die Fürstin einen Gast, so pries sie ihm die verschiedenen Gerichte mit der Rekommandation an: dieses sei für diesen, jenes für jenen Zustand gut – nur gegen den Hunger taugte keines von allen; hatte der Gast glücklich die ganze Apotheke durchgekostet, so war es in der That überflüssig, ihm erst noch zu wünschen, daß es ihm wohl bekommen möge.

»Nun, Du lebensgroßes Porträt, bist Du einmal aus Deinem Rahmen getreten?« Mit diesen Worten begrüßte die Fürstin ihre Tochter. »Ein wahrhaftiges Porträt. Jeder ihrer Gesichtszüge ist unbeweglich. Pflegst Du etwas zu denken? Fühlst Du etwas? Hunger, nicht wahr, weiter nichts? Liebst Du Jemanden?«

»Ja wohl. Dich.«

»Niemand. Dich selber. Nun, was hast Du Dir denn zum Mittagbrod bereiten lassen?«

»Was eben für die Dienerschaft gekocht wurde. – Sehr schmackhafte Sachen! Kartoffelsuppe und Pörkölt mit Tarhonya.«

»Und von all' den Dingen taugt nicht ein einziges für Dich. Kartoffeln theilen dem Blute allzu viel Eiweiß mit und machen zur Bleichsucht geneigt. Paprika aber wirkt aufreizend auf die Eingeweide. Wollen Sie ihr das bei nächster Gelegenheit doch erklären, Madame Corysande.«

Madame Corysande hörte von dem Gespräch auch nicht ein Wort. Ihre Aufmerksamkeit war anderwärts in Anspruch genommen. Eine prachtvolle, große Nachteule, welche auf der Rücklehne des Armstuhles der Fürstin saß, fesselte ihren Blick. Madame Corysande hatte einen Abscheu vor Eulen überhaupt und vermochte auch nicht mit Sicherheit zu unterscheiden, ob sie ein lebendiges Thier, oder blos ein ausgestopftes Exemplar vor sich habe. Ein eigenthümlicher Zierrath für einen Armstuhl war das Vieh jedenfalls.

Endlich war die Suppe, auf die Teller der einzelnen Gedecke vertheilt, doch soweit abgekühlt, daß man sich zu Tische setzen konnte. Was man da Suppe nannte, war eine Art von fuchsiger Flüssigkeit, die auf Madame Corysande, nachdem sie einen Löffel voll davon versucht hatte, den Eindruck machte, als hätte sie einen Rebus in den Mund genommen, der sich so lange nicht verschlucken läßt, als er nicht mit der Zunge gelöst worden ist. Derartiges hatte sie in ihrem Leben noch nicht verkostet. Vor der Fürstin stand eine offene Büchse, aus der sie mit einem kleinen goldenen Löffel ein dickflüssiges Ingrediens von derselben appetitlichen Farbe, welche auch die Suppe zur Schau trug, schöpfte und unter diese letztere mischte, um dieselbe gehaltvoller zu machen.

»Das ist Känguruhextrakt-Suppe,« erklärte die Fürstin ihrem verblüfften Gaste. Madame Corysande dachte bei diesem Worte nicht anders, als das Känguruh müsse auch noch als Fleischextrakt seine Sprungfertigkeit beibehalten haben, und schielte neidischen Blickes zu Raphaela hinüber, die mittlerweile mit gesunder Hast einen Teller appetiterregender Kartoffelsuppe verzehrte.

»Diese Suppe befördert die Festigkeit der Muskeln,« rechtfertigte die Fürstin das bittersüße Gericht. »Sie ist allen Jenen nothwendig, welche das plastische Ebenmaß der weiblichen Formen lange bewahren wollen. Nehmen Sie noch, Madame Corysande.«

Die Fürstin verlangte eine Unmöglichkeit. Ihre Speisen waren durchweg derart, daß man von denselben höchstens kosten konnte; davon zu essen – dazu gehörte eben eine so felsenfeste Ueberzeugung, wie sie die Fürstin beseelte. An ihrer Tafel wußte man niemals, was man aß. Unter einer Rinde von Teig lauern da verdächtige, zitternde und schleimig-dehnbare Stoffe aller Art; Gehäcksel von hundert verschiedenen Gräsern und Gemüsen, zu einem komplicirten Gemengsel gerührt, birgt allerlei entsetzliche schlüpfrige und klebrige Bissen, vor denen dem Hungrigen selbst die Haut schaudert, wenn er sie hinabwürgt. Mit einemmale kracht Etwas unter den Zähnen und nun erst wird man gewahr, daß man soeben im Begriff steht, irgend ein Thier zu verschlingen, welchem man seiner Tage niemals ein Leides gethan. Man spießt Etwas an die Gabel und freut sich darauf, in der Meinung, man habe ein Stück Backwerk vor sich; nun beißt man darein und wird dabei inne, daß es eigentlich eine Bratwurst ist: hat man es aber endlich auch hinunter geschluckt, so dämmert nachträglich die Ahnung aus dem Magen empor, daß es eigentlich doch irgend ein kriechendes Thier gewesen sein dürfte.

Einen wesentlichen Faktor im Menu der Fürstin bildeten die Thiere mit kaltem Blute: Fische, Krebse, Frösche, Muscheln. Madame Corysande aber vermochte nur mit eigenem, magnetischem Schauder an alles derartige Gethier zu denken. Sie aß niemals Fisch, mit den Amphibien aber lebte sie in offener Feindschaft. Und da war die Fürstin zum Ueberfluß auch noch so gnädig, ihr zu expliziren, welche Vortheile die Wasserthiere als Nahrungsmittel gewähren: sie erwartete nichts Geringeres, als Madame Corysande werde diese Art Speisen nun auch daheim einbürgern und setzte ihr zu diesem Behufe umständlich auseinander, wie man Frösche mit schwarzer Kaffee-Sauce bereite und warum zu einer Schüssel Grancevoli zwei Seespinnen genommen werden und so fort, genau so, wie die gute Hauswirthin ihren Gästen mit dem Recepte einer Speise dient, welche den besonderen Beifall derselben gefunden hat.

Von Fleischspeisen gestand die Fürstin ausschließlich den verschiedenen Wildgattungen Bürgerrecht zu; aber auch diese wurden in so sonderbarer Gestalt servirt, daß jeder Unbefangene weit eher glauben mußte, was man da vor ihm aufschneide, sei eine Art chokoladefarbiger Käse, nicht aber Hasenfleisch; als eine mahagonibraun gebeitzte Masse Madame Corysanden mit der Rekommandation vorgestellt wurde: das sei ein delikater »Biberziemer,« – da that sie still für sich das heilige Gelübde, wenn sie heimkomme, wolle sie sofort ihren Kastorhut pensioniren, um nur ja nicht mehr an diese Schüssel erinnert zu werden.

Aber jedes dieser Gerichte zielt speciell auf Stärkung oder Erfrischung eines oder des anderen weiblichen Lebensorgans ab.

Von Getränken waren vielerlei Gattungen aufgesetzt. Sie waren durchweg alle lauwarm, wie die Speisen. Das ist also eingerichtet, um die Zähne zu konserviren. Bier und Wein waren nicht da; dafür in verschiedenen Flaschen und Karaffen Gerstenwasser, Brodwasser, süße Molken, saure Mährte, Orangenwasser und dgl. Der Kammerdiener hatte einen frommen Betrug verübt: er hatte mitten unter diese Delikatessen hinein in einem Fläschchen mit der Aufschrift »Himberwasser« für Raphaela eine leichte Sorte Rothwein auf die Tafel geschwärzt. Die Prinzessin fühlte ein menschlich Rühren und schenkte Madame Corysanden von dem Weine ein. Madame Corysande war ihr dafür zu ewigem Danke verpflichtet; das Gläschen Rothwein bewahrte sie davor, nach Tisch von einem tüchtigen Fieber geschüttelt zu werden.

»Sie sind, wie ich sehe, an andere Speisen gewöhnt,« sprach die Fürstin. »Nun warten Sie, jetzt kommt etwas, was gewiß Ihren Beifall finden wird. Der edelste Theil vom Rinde. Das einzige Stück an den Wiederkäuern, welches werth ist, Frauen zur Nahrung zu dienen.« »Was mag das wohl sein?« Man brachte die Schüssel – ein ungeheures gespicktes Rinderherz.

»Das Herz der Thiere, als Speise genossen, stärkt das Frauenherz. Das Herz der Frau ist bekanntlich um ein Achttheil kleiner, als das Herz des Mannes. Daher bei jedem jungen Mädchen der Trieb, vom Huhn oder sonstigen Geflügel das Herz zu verzehren. Es ist das eine instinktive Prophylaxe gegen Cardiopalmus. Am wirksamsten in dieser Beziehung ist das Herz vom Rinde. Essen Sie doch Madame Corysande ...«

Aber um keinen Preis der Welt würde Madame Corysande davon gegessen haben. Es fiel ihr das Herz des Troubadours ein, welches jener grausame Gatte seiner Gemahlin als das Herz eines Hirsches zubereitet vorsetzte. Die edle Dame hatte sich durch Hunger getödtet.

»Auch Du nicht?« wandte sich die Fürstin an Raphaela.

»Nein Mama; ein getheiltes Herz nehme ich nicht.«

Schließlich erreichte dann doch auch dieses Diner glücklich ein Ende. Raphaela küßte ihre Mama. Die Fürstin zog sie in ihren Schoß – das Mädchen war eine wahre Dianengestalt. »Nun komm her, kleine Puppe Du; Du winziges Ding. Wie lange habe ich Dich nicht mehr in meinen Armen gehalten! Nun sage mir einmal, wie hast Du Dich denn aufgeführt, seitdem ich Dich nicht gesehen habe? Hast Du schon Männerherzen an die Sklavenkette gereiht? Wie? Einen ganzen Rosenkranz wohl gar? Nicht? Oder spielst Du noch immer mit der Puppe? Aus Deinen Briefen ist nur wenig zu entnehmen. Du absolvirst die jungen Männer, deren Du allenfalls Erwähnung thust, verzweifelt kurz. Eugen ist ein guter Reiter; Béla ist ein Narr, Alienor ist ein unausstehlich schöner Mann – was aber weiter? Was ist mit Eugen?« »Er ist noch immer ein guter Reiter.« »Und Béla?« »Ist noch ein klein wenig mehr Narr als früher.« »Nun, und Alienor?« »Ist genau so schön und so unausstehlich, wie bisher.« »Das ist mir lieb, daß Du im Stande bist, die Männer kaltblütig zu beurtheilen. Jedes Mädchen hat sein Ideal. Es ist aber durchaus nicht nothwendig, daß es dasselbe zu heirathen gedenkt. Es ist ein großes Unglück für eine Frau, wenn sie zufällig Denjenigen zum Manne bekommt, den sie vergöttert, – denn sie wird dann seine Sclavin. Was den guten Ehegatten charakterisirt, das ist die Mittelmäßigkeit. Eine Ehe, wie Zenobia mit Odenathus führte, ist die glücklichste. Der Gatte soll weder ein sehr berühmter, noch ein sehr kluger Mann sein. Rang und Name, von den Vorfahren ererbt, taugen mehr, als wenn sie durch eigene Kraft erworben worden sind. Das Schicksal der Familie hängt von der Frau ab. Eine gesunde Frau kann aus einem kränklichen Mann einen rüstigen Menschen machen, aus einem Feigling einen starken Charakter, aus einem einfältigen einen gescheidten Mann; und umgekehrt, an der Seite eines überkräftigen Gatten kränkelt die Frau und verkümmert, an der Seite eines allzu energischen Charakters wird sie eine scheue, furchtsame Puppe, und hat der Mann zu viel Verstand, so erscheint die Frau alsbald als ein einfältiges Wesen ohne Willen, ohne die Fähigkeit, zu denken. – Dein Papa ist doch wohl?«

»Als wir ihn verließen, war er sehr heiter. Er sendet Dir durch mich einen Kuß.«

Bei diesen Worten erinnerte sich Madame Corysande, daß auch sie noch eine zu bestellende Empfehlung am Herzen habe. »Gestatten Sie, Fürstin, daß ich gleichfalls einen Abschieds-Handkuß überbringe; ich bin damit betraut.«

»Von wem?«

»Von Napoleon v. Zarkany.«

»Ah, Napoleon war bei Euch! – Von ihm hast Du mir in Deinen Briefen nicht geschrieben.«

»Ich habe nicht an ihn gedacht,« erwiderte Raphaela. Die Fürstin reichte Madame Corysanden die Hand zum Kusse. »Ich danke Herrn von Zarkany für die Erinnerung. Aus dem jungen Menschen wird dereinst noch ein großer Mann werden. Sie können ihm sagen, ich habe es ihm prophezeit. Ein großer Mann.«

»Weshalb glaubst Du das?« fragte Raphaela.

» Deshalb, weil man ihn nicht bemerken will

Die weitere Erklärung wurde durch einen Blitz abgeschnitten, der mit einem Schlage durch das geöffnete Fenster herein blendendes Licht im Saale verbreitete. Das Gewitter war rasch heraufgezogen, daß man erst beim ersten Blitzschlage sein Herannahen bemerkte. Die Fenster standen offen, die Vorhänge waren nur zur Hälfte herabgelassen; der Blitz konnte in seiner vollen Pracht erscheinen, um das Lampenlicht zu verdunkeln. »Ach welch ein herrliches Gewitter,« rief die Fürstin aus und zog die Vorhänge völlig zur Seite, um das erhabene Schauspiel in vollem Umfange genießen zu können.

Madame Corysande aber fürchtete sich vor Blitz und Donner über die Maßen; wenn ein Gewitter im Anzuge war, pflegte sie sich in ihr Zimmer einzusperren, und wenn das Tosen und Grollen zu arg wurde, kroch sie unter die Bettdecke. Dazu war sie von dem Vorurtheil befangen, daß der Blitz mit besonderer Vorliebe durch die geöffneten Fenster ins Haus einzuschlagen pflege. Die Fürstin aber faßte die beiden Damen an der Hand und zog sie an das Fenster, um sie von hier aus diese herrliche Glanz- und Lichtverschwendung der Natur, die im Zickzack kreuzenden Sonnenstrahlen inmitten der dunklen Nacht bewundern zu lassen.

»Solche feierliche Momente bergen das Geheimniß der Schöpfung,« flüsterte die Fürstin der zitternden Corysande zu. »Die überquellende Elektricität wirkt befruchtend auf Pflanze und Thier und Mensch. Im Leuchten des Blitzes wird die Trüffel gezeugt. Das ist eine von den Gelehrten anerkannte Thatsache. Solche schöne Gewitter sind meine Feste, sie sind mein Concert, mein Schauspiel, an denen sich die Menschen, die bei Tage leben, gar niemals ergötzen können. In solchen Momenten vergesse ich, daß ich auf Erden, daß ich ein Mensch bin. Ich liebe diese Gegend darum ganz besonders, weil sie so häufige schöne Gewitter hat. Wie präcis senkrecht dieser Flammenstrahl vom Himmel niedergeschlagen hat! Welch ein dröhnender Orgelton hinterdrein! Welch herrliche, nächtliche Musik!«

Schade nur, daß die Geschichte bloß kurze Zeit dauerte. Das Ungewitter zog allzu rasch über die Gegend da hin. Gleichwohl schien die Fürstin nach demselben völlig erfrischt. Es war zwei Uhr nach Mitternacht. Hier zwei Uhr Nachmittag. »Jetzt ist die schönste Zeit zu einem Spaziergange, Madame Corysande.«

»Im Corridor vielleicht, Fürstin?«

»O nicht doch, nicht im Corridor. Wer wird denn in gedeckten Räumen promeniren, wenn draußen die Luft voll Leben, Elektricität und Ozon ist. Hinaus ins Freie. Wir werden im Park spazieren.« Die Fürstin klingelte und gab dem Kammerdiener ihre Befehle. Die Mädchen sollen die Lampen und die Gondel in Bereitschaft halten. »Man wird also doch wenigstens in der Gondel spazieren fahren,« tröstete sich Madame Corysande. »Wie könnte man denn auch anders promeniren – die Wege liegen ja voll Morast.« Der schmunzelnde Seitenblick aber, den ihr Raphaela aus halbem Auge zuwarf, blieb gleichwohl verdächtig. Offenbar ist da noch irgend Etwas im Anzuge. Sobald gemeldet wurde, die Gondel stehe bereit, nahmen die Damen ihre Plaids um und stiegen die Hintertreppe des Schlosses in die große Säulenhalle hinab, deren Fuß unmittelbar die Wellen des Teiches bespülten. Es war ein schöner, großer Fischteich, rings an den Ufern mit Nymphäen eingefaßt. Feiste Karpfen schnellten an die Oberfläche empor und schnappten nach den Gelsen, die über dem Wasserspiegel schwärmten. Es war eine liebliche, erquickende Nacht. Am Firmamente strahlten die Sterne in Regenbogenglanz; der Mond ging soeben hinter den hohen Baumwipfeln nieder; an den Spitzen des Laubes funkelten die Regentropfen, gleich eben so vielen Diamanten; Gras und Baum und Blume, Alles hauchte zehnfachen Duft nach dem erfrischenden Regen; die Luft war wohlig und berauschend. Vier dralle Dienstmädchen geleiteten die Damen mit Lampions, die an langen Stangen befestigt waren; es fiel Madame Corysande auf, daß auch die Ruderer sammt und sonders weibliche Dienstboten waren. Die Lampen warfen ihren Schein weithin über den zitternden Spiegel des Teiches; dem dahingleitenden Kahne folgten schlankhalsige Schwanenpaare. Die Gondel hielt die Richtung nach einer kleinen Insel hin, welche sich in der Mitte des Teiches aus dem Wasser empor hob. Die Insel war ringsum am Rande mit Tamariskensträuchern bewachsen; innerhalb dieser Gebüsche lag ein ausgedehntes Rasenstück, hie und da durch Blumengruppen unterbrochen, die aus Rosen und seltenen Südgewächsen zusammengestellt waren. Nur Wege waren im ganzen Umkreise der Insel nicht zu sehen. Der grüne Rasenteppich bedeckte ununterbrochen den ganzen Boden.

»Wo werden wir denn da eigentlich promeniren?« flüsterte Madame Corysande in ängstlicher Besorgniß Raphaelen zu, als sie sah, daß die Gondel an die Insel anlegte.

»Im Grase,« antwortete Raphaela.

»In unseren dünnen Brunellschuhen?« fragte Corysande erschrocken.

»Nicht doch. Barfuß.«

Madame Corysande hielt diese Auskunft für Scherz. Alsbald aber mußte sie sich mit Entsetzen von der schauderhaften Wahrheit derselben überzeugen – die Mägde schickten sich an, der Fürstin und Raphaela Schuhe und Strümpfe von den Füßen zu ziehen und ihnen die Kleider bis an die Kniee aufzuschürzen.

Madame Corysande pflegte nicht einmal barfuß zu schlafen und in Wasser unter vierzig Grad hatte sie noch niemals ihre Füße getaucht. Doch wohl oder übel – mitgemacht mußte die Unterhaltung nun einmal werden.

» Je me meurs!« stammelte das unglückliche Opfer. »Das ist mein Tod.«

»Ich versichere Ihnen,« sagte die Fürstin, »ein Spaziergang barfuß im thaufeuchten Grase, insbesondere aber über einen, vom warmen Gußregen durchnäßten Rasen ist das wirksamste Mittel zur Verhütung aller Nervenleiden. Machen Sie doch mit Raphaela Tag für Tag eine solche Promenade; früh Morgens vor Sonnenaufgang.«

Was war zu thun? Sie mußte sich der Todesgefahr aussetzen und es geschehen lassen, daß die Mägde auch ihre Füße aller schützenden Hüllen entkleideten und ihr die Röcke hoch aufschürzten. Die Fürstin selbst war die Erste, die aus der Gondel auf den Rasen hinaussprang. Dann ließ sie die Dienstmädchen mit den Lampen zu beiden Seiten hergehen und führte nun ihre lieben Gäste kreuz und quer durch den kniehohen, von keiner Sichel jemals berührten Graswuchs und zeigte ihnen beim Mondenschein ihre herrlichen Rosenbeete, ihre Yucca- und Kaktusgruppen, ihre Jamisgebüsche und Ficuslauben. Wasser- und Laubfrösche sprangen zu Tausenden auf allen Seiten vor den Nachtschwärmern auf. Madame Corysande ließ ein Stoßgebet nach dem andern los, daß ihr doch beileibe kein solch ekles Thier auf die Füße springen möge und befahl ihre Seele Gott für den Fall, als sich wohl gar eine Schlange um ihre Beine ringeln sollte.

Draußen am äußersten Horizont begann bereits der Morgen zu dämmern, als die Promenade zu Ende war und die Gesellschaft wieder nach der Gondel zurückkehrte.

Hier nun rieben die Mägde den Damen mit durchwärmtem Flanell die Füße und bekleideten sie wieder mit Schuhen und Strümpfen. Behagliche Frische verbreitete sich nach dieser Promenade durch den ganzen Körper. Madame Corysande aber war nichtsdestoweniger der Ueberzeugung: morgen um diese Zeit werde keine lebende Seele mehr ein Sterbenswörtchen mit ihr wechseln, denn bis dahin werde sie todt sein, mausetodt; bliebe sie aber durch besonders gütige Fügung dennoch am Leben, – diese Fürstin, ein so weises und gelehrtes und liebes Geschöpf sie auch immer war, sollte sie nimmer wieder in ihrem Schlosse sehen, wo man die Gäste bis Mitternacht mit anatomischen Vorlesungen, bei der Tafel mit Känguruh-Extrakt regalirt und nach Tisch eine volle geschlagene Stunde lang barfuß im tropfnassen Gras spazieren führt.

Als sie aus der Gondel wieder unter die Veranda traten, sprach die Fürstin: »Der Morgen bricht an. Bei uns geht nun Alles zur Ruhe. Ich weiß, daß Ihr anders gewöhnt seid. Ihr lebt am Tage. Ich will Euch nicht zurückhalten. Der Wagen mag vorfahren. Küsse mich, Du Marmorstatue und bringe meinen Kuß Deinem Vater. Madame Corysande, es freut mich sehr, daß ich Sie kennen gelernt habe. Vergessen Sie nicht, Raphaela Alles beizubringen, was ich Ihnen erklärt habe. Besuchen Sie mich recht oft. Napoleon von Zarkany wollen Sie meinen Gruß bringen. Wenn er reist, so sagen Sie ihm, was Sie von mir über ihn gehört haben. Eine andere Wegzehrung braucht er nicht, guten Morgen! Ihr müßt mir ›gute Nacht‹ sagen.«

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