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Was das dritte Mädchen den zwei anderen erzählt.

Die zwei jungen Mädchen erhoben sich von dem großen breiten Stickrahmen und lachten einander ins Gesicht. Sie hatten weiter keinen Grund dazu – sie lachten eben.

Livia war um einen halben Kopf kleiner als Prinzessin Raphaela. Sie trugen Kleider von gleichem Schnitt und gleiche Frisuren; die Eine hatte eine weiße, die Andere eine rothe Theerose ins Haar gesteckt.

Livia klingelte der Kammerfrau und gab ihr den nöthigen Auftrag; die Kammerfrau überbrachte den Befehl dem Lakai und dieser trat fünf Minuten später mit einer Porzellantasse voll angenehm duftender Kraftbrühe auf silbernem Präsentirteller ein. Nunmehr machten sich alle Vier auf den Weg; voran Livia, unmittelbar nach ihr die Prinzessin, hinter dieser die Kammerfrau und zuletzt der Lakai mit der Brühe; Alle gingen auf den Fußspitzen.

»Pst!« flüsterte Livia.

»Leise, leise!« befahl Raphaela.

»Können Sie denn nicht Acht geben, daß Ihre Stiefel nicht knarren,« sagte die Kammerfrau zum Lakai. »Es regt die Kranke auf, wenn sie an ihrer Zimmerthür auch nur die Stiefel eines Mannes knarren hört.«

Livia trat zuerst in das Krankenzimmer und schlich behutsam bis an das Bett. Nach ihr trat Raphaela ein; sie blieb aber bereits außerhalb der Bettgardinen. Die Kammerfrau stand in der Thür still, der Lakai außerhalb derselben. Das Krankenzimmer war mit echt herrenmäßigem Comfort eingerichtet, das Nachttischchen am Bette mit Medicinen in allen Farben, mit Kompressen und Kataplasmen ausgesuchtester Qualität bedeckt, die Kranke selbst lag mit verbundenem Kopfe zwischen den gestickten Kissen da, gleich einer rollenmäßig Todten auf der Bühne, die nicht mucksen darf, ob ihr auch eine lästige Fliege noch so zudringlich um die Nase summe, und beileibe nicht lachen darf, was auch die Schauspieler über ihr einander närrisches Zeug zuraunen mögen.

»Madame Corysande ...!« flüsterte Livia. Die Kranke würde die geschlossenen Augen um keinen Preis aufgeschlagen haben.

»Wie fühlen Sie sich, Madame?« Die Antwort war ein tiefer stöhnender Seufzer.

»Die Prinzessin hat mich geschickt, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen.« Keine Antwort. Nur die Falten um die Mundwinkel schneiden noch tiefer ein und die Augenbrauen ziehen sich zusammen.

»Wünschen Sie nicht etwas Bouillon?« Auf dieses Wort wendete die Kranke vollends das Gesicht ab. Da beugte sich Livia nahe zu ihr hinab und flüsterte ihr ins Ohr: »Prinzessin Raphaela gedenkt heute Abend ihre Mama zu besuchen.« Auf dieses Zauberwort wendete sich der Kopf plötzlich wieder herum und die Augen öffneten sich. »Jawohl, Madame. Die Prinzessin hätte gewünscht, daß Sie sie begleiten, wenn Ihre Gesundheit es gestatten würde.« Nun richtete sich die Kranke ein wenig empor, stemmte sich auf den einen Arm und faßte Livia's Hand. Ihre Lippen öffneten sich. »Vielleicht – etwas – Bouillon ...« stammelte sie mit einer Stimme, die klang, als kehrte sie eben aus dem Jenseits zurück.

Livia streckte die Hand nach rückwärts gegen die Prinzessin aus, die Prinzessin gegen die Kammerfrau, die Kammerfrau gegen den Lakai. Der Lakai reichte die Platte mit der Tasse der Kammerfrau, die Kammerfrau der Prinzessin, die Prinzessin gab sie an Livia und diese hielt sie Madame Corysande an die Lippen. Schon nach dem ersten Schluck begannen die Augen der Kranken zu leuchten. »Ist es denn wahr?« fragte sie mit merklich gekräftigter Stimme. »Nehmen Sie nur erst die Brühe.« Madame Corysande schob die Tasse von sich. »Sie täuschen mich. Sie wollen mich blos ins Leben zurückrufen.«

»Nicht doch, im Ernste. Die Prinzessin wünscht die Fürstin-Mutter eigens zu dem Zwecke zu besuchen, um Sie vorzustellen.«

Auf diese Versicherung verschwand eine gute Portion Bouillon. Allein der Verdacht kehrte wieder. »Wo ist die Prinzessin?« »Sie wird hier bei Ihnen sein in dem Augenblick, wo Sie den letzten Schluck Bouillon genommen haben.« Das wirkte. Im Nu war die Tasse geleert.

»Ist es wahr, was Sie mir gesagt haben?« fragte die Kranke und setzte sich vollends im Bette auf.

»Jawohl, Madame,« sprach nunmehr die Prinzessin und trat hinter der Gardine hervor. Bei ihrem Anblicke schnellte die Kranke frisch und gesund vom Bette auf, streifte die Decke ab, sie pflegte stets vollständig angekleidet im Bette zu liegen, ergriff Raphaela's Hand, drückte sie an Brust und Lippen und begann zu schluchzen. »Oh, Prinzessin; daß Sie doch in mein Herz sehen könnten ... daß Sie doch wüßten, was ich hier innen fühle! ... Macht doch die Thüre zu!« (Der Lakai hatte die geleerte Tasse hinausgetragen und da hatten seine Stiefel geknarrt.) »Ich bin überglücklich, daß ich Ihr Vertrauen wiedergewonnen habe!«

»Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß Sie dasselbe stets besessen haben. Doch wie fühlen Sie sich?«

»Oh, vollkommen wohl. Diese Gnade hat Wunder an mir gethan. Ich bin wie neugeboren.«

»Werden Sie mich also heute Abends begleiten können?«

»Bis ans Ende der Welt, Prinzessin!«

»Wollen Sie sich jetzt ankleiden? Soll Ihnen Jemand behülflich sein?«

»Oh, ich brauche Niemanden; ich bin vollkommen gesund. Ich bitte nur, mich jetzt allein lassen zu wollen. Wenn ich aufstehe, pflege ich zu beten, und zwar einsam.«

Madame Corysande pflegte nach einem ganz eigenthümlichen Ritus zu beten: sie placirte sich vor einen Altar, auf dem ein Spiegel und ein Opferkelch mit Reismehl standen, streute sich mittelst eines kugeligen, flaumigen Geräthes Staub ins Angesicht und vollbrachte ihre Bußübungen mit Hülfe von allerlei Dornenkronen und kasteienden Zwangsjacken. – Doch, wir wollen Jedem seinen Glauben lassen und somit auch sie in ihrem Kult nicht weiter behindern.

Eine Stunde später, um die Zeit des Dejeuners stieg Madame Corysande bereits im vollen Pomp einer tadellosen Toilette nach dem unteren Stockwerke hinab; während sie noch vor einer Stunde genau so groß war, wie Livia, erschien sie jetzt um wenigstens neun Fingerbreiten höher als diese. Im Gesellschaftszimmer traf Madame Corysande vorerst blos Fräulein Livia. Prinzessin Raphaela war noch in ihrem Ankleidezimmer mit ihrer Toilette beschäftigt. Es wurden zum Luncheon auch Herren zu Gaste erwartet. Madame Corysande hatte noch einen Kummer am Herzen, der sie gar sehr bedrückte und in jenen gewissen Falten, welche sich an ihren Mundwinkeln vertieften, lebhaften Ausdruck fand. Die Sache war die: wenn die Prinzessin Raphaela zu dem Besuche bei der Fürstin Mutter Livia mit sich nimmt, so entsteht die Frage, welcher der beiden Damen sie den Sitz im Fond anweisen wird: Madame Corysande oder dem Fräulein? Das kann einen casus belli geben. Sie fragte daher mit leidender Stimme, das Köpfchen stark nach links geneigt: »Für wie viel Uhr befiehlt die Prinzessin, daß wir zu dem Besuche bereit zu sein haben?«

»Madame Corysande gehen allein mit; ich bleibe zu Hause.« Als Madame dieses Wort hörte, stand ihr der Kopf mit einemmal wieder gerade und die Energie ihrer Stimme kehrte zurück. »Wirklich? Nur zu zweit sollen wir gehen?« (Oh, welch eine liebe Freundin war ihr Livia mit einem Mal geworden!) »Sie waren wohl schon öfter bei der Frau Fürstin zu Besuch, nicht wahr?«

»Auf Ihre Frage aber kann ich Ihnen die Auskunft geben, Madame Corysande, daß Sie mit der Reisetoilette Abends um sieben Uhr zu Stande sein müssen.«

»Abends? Ja warum wollen wir denn erst so spät aufbrechen?«

»Weil Fürstin Etelvary nicht früher empfängt.«

Madame Corysande machte einen Versuch, ihre Laufgräben näher an die belagerte Festung heranzuführen. »Die Fürstin scheint eine ganz absonderliche Dame zu sein. Leidet sie vielleicht an irgend einer Gemüthskrankheit?«

»Madame Corysande, wenn es Ihnen gefällig ist, so will ich Ihnen Alles erzählen, was ich von der Fürstin weiß. Wenn Sie mich darnach gefragt hätten, so würde ich es Ihnen auch schon früher gesagt haben; es ist ja nichts zu verheimlichen daran. Fürstin Etelvary ist nicht geistesverwirrt, aber sie ist von einem Nervenleiden befallen, welches sie der Welt entfremdet. Es sind jetzt vierzehn Jahre her, da hatte sie das Unglück, ein Kind todt zur Welt zu bringen. Und an diesem Unfall war sie selber schuld: sie hatte sich nicht an die Lebensweise gehalten, welche Frauen in solchen Umständen auf das strengste befolgen müssen.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen; sprechen Sie doch nicht davon,« protestirte Madame Corysande mit verschämt thuender Prüderie. (Sie war eben noch ein kleines Mädchen –)

Ueber Livia's Gesicht glitt ein leises Lächeln, ohne daß sie sich besondere Mühe gegeben hätte, dasselbe zu unterdrücken. Wir werden die Ursache dieses Lächelns später erfahren.

»Der Unfall hatte die traurige Folge, daß das ganze Nervensystem der Fürstin zerrüttet wurde. Aus dem Bewußtsein, daß ihre eigene Unbedachtsamkeit die Todtgeburt ihres Kindes verursacht habe, erwuchs in ihrem Geiste allmälig die Selbstanklage, sie sei eine Kindesmörderin. Sie sah sich fortwährend von der Seele ihres todten Kindes verfolgt; dieses gespenstige Gesicht plagte sie bei Tag und Nacht, so zwar, daß sie sich endlich jede Nacht in einem anderen Gemache das Lager aufschlagen ließ, damit das Gespenst sie nicht finden möge. Was den Fürsten betrifft, so hatte sie von der Zeit an aufgehört, seine Frau zu sein.«

»Das verstehe ich nicht. Gehen wir weiter.«

»Schließlich war ihre Nervosität so arg geworden, daß sie unmöglich mit ihrer Umgebung zusammen ein Haus bewohnen konnte. Sie bat den Fürsten, er möge ihr die etwa eine Stunde von hier entfernte Ritterburg in Stand setzen lassen; sie wolle fortan dort mit ihrer eigenen Dienerschaft allein hausen. Diese Burg ist Etelvar. Das Kastell ist lauschig inmitten herrlicher silberblättriger Linden gelegen.«

»Ah es muß wohl ein überaus romantisches Leben dort sein!«

»Sehr romantisch. Mit Sonnenaufgang, des Morgens um fünf Uhr, werden im Kastell alle Fensterläden geschlossen und alle Vorhänge herabgelassen; die Thore werden gesperrt, die Wachhunde von den Ketten gelassen – das ganze Haus geht zu Bett, es ist Nacht in Etelvar. Damit die Täuschung eine desto vollkommenere werde, muß der Nachtwächter aus der Ferne Stunde für Stunde ausrufen und am hohen Mittag alle frommen Christenmenschen erinnern: Bewahret das Feuer und das Licht, und schlafet in Ruh' und Frieden! Mitternacht kommt hier auf die zwölfte Mittagsstunde. Um diese Zeit aber gehen keine Gespenster um – sie sind gründlich hinters Licht geführt. Wenn dann um drei Uhr Nachmittags der Wächter ruft: »Die dritte Stund' nach Mitternacht!« so ertönt die Morgenglocke. Der Tag bricht an, im Schlosse werden die Fensterläden zur Hälfte geöffnet. Die Fürstin steht zeitig auf; um vier Uhr Nachmittags ist sie bereits angekleidet. Sie macht nunmehr einen Spaziergang durch den Park, um die frische Morgenluft zu genießen; bei ungünstiger Witterung ergeht sie sich im Wintergarten. Einen Wagen oder ein Pferd besteigt sie nie. Abends um Sieben wird das Frühstück servirt. Wenn Gäste da sind, frühstückt die Fürstin mit ihnen gemeinschaftlich; sie weiß über Tisch eine sehr lebhafte Konversation in Gang zu erhalten. Gleichzeitig werden in den Gemächern und Korridors die Lampen angezündet: es ist Tag. Um zehn Uhr wird in der Schloßkapelle die Messe gelesen. Während die Herrschaft und die Gäste der Andacht obliegen, wirthschaftet die Dienerschaft im Hause und fegt und lüftet und bringt alle Räume in Ordnung, nicht anders als ob es Morgen wäre. Schlag Mitternacht meldet der Kammerdiener, daß das Diner servirt ist. Die Geisterstunde ist hier Mittag. Nach Tisch folgt zur Sommerszeit die Nachmittagspromenade im englischen Garten, bei Mondschein oder bei Lampenlicht. In lauen Sommernächten pflegt man im Teiche zu angeln und die immer wachen Schwäne zu füttern. Man besichtigt bei Mond- und Lampenlicht die Remontant-Rosen und debattirt darüber, welche die schönere sei. Nach der Promenade, gegen drei Uhr Morgens werden die Spieltische arrangirt; es folgt eine Whistpartie, welche etwa eine Stunde dauert. Um vier Uhr wird der Thee mit kaltem Braten und Backwerk genommen. Und wenn dann die Morgenglocke fünf Uhr läutet, wird die Abendtafel aufgehoben; man wünscht einander angenehme Ruhe und geht zu Bett. Früher entläßt die Fürstin keinen Besuch. Und das geht konsequent so fort Tag für Tag, jahraus jahrein.«

»Je nun, so weit wäre ja Alles recht gemüthlich. Die Fürstin liebt also den Umgang mit Menschen?«

»O gar sehr. Ihre Redeweise ist geistreich, ihre Konversation gemüthlich; sie besitzt ungeheuer weitläufige Kenntnisse und ihr Gedächtniß ist bewundernswerth. Sie weiß zu gleicher Zeit in vier verschiedenen Sprachen zu konversiren; englisch, französisch, deutsch und ungarisch; sie springt von einer Sprache zur andern, von einem Thema zum anderen, stellt zehn verschiedene Fragen in einem Zuge hintereinander und verlangt Antwort; während sie auf diese achtet, spricht sie bereits wieder von etwas Anderem; und sie verlangt, daß auch andere Leute gleichzeitig sprechen und zuhören können.«

»Ah! Auf diese Weise wird mir die Fürstin gar sehr gefallen!«

»Nun, das weiß ich denn doch nicht. Es fragt sich eben, wie die Fürstin Sie auffaßt: als Madame oder als Fräulein?«

»Warum das?«

»Weil sie eine ganz andere Konversation mit Frauen und wieder eine ganz andere mit Mädchen zu führen pflegt.«

Der Eintritt der Prinzessin machte dem Gespräche über dieses Thema ein Ende. Ihre Toilette verrieth, daß es ihr darum zu thun war, heute besonders schön zu sein. Wem zuliebe doch wohl? Als nunmehr alle drei Damen zugegen waren, erschien ein Lakai des Fürsten, um zu melden: Se. Excellenz lasse sich entschuldigen und bedauere, nicht zum Frühstück kommen zu können, denn Excellenz sei mit den Herren zur Jagd und komme erst zum Diner zurück. La Duchesse und Mesdames wollen sonach allein frühstücken. Die Prinzessin fragte, wer die Herren seien, mit denen der Fürst zur Jagd gegangen war? Der Diener zählte sie auf. (Er war ein Franzose, und zwar ein Pariser.) »Monsieur le Saint Arteaux –«

»Das soll heißen: › számtartó‹ – zu deutsch: der Herr Rentmeister,« sprach Madame Corysande erklärend dazwischen. »Ferner Monsieur le Jericho.« »Das heißt: Herr Kolompy, der Redakteur der ›Posaune von Jericho.‹«

»Und Monsieur Bruder Napoleon.« Das ließ ihm Madame Corysande nun aber nicht mehr hingehen. »Sie müssen nicht sagen, Bruder Napoleon, sondern Monsieur de Zarkany.« »Wohl Madame: Monsieur Des-Arcanes.«

»Oder aber: Monsieur szolgabiró.« (Der Herr Stuhlrichter.) »Zu Befehl, Madame: Monsieur Saule Gaburon.«

Die Prinzessin lachte und alle Drei nahmen am Frühstückstische Platz. Den allein speisenden Damen machte es großes Vergnügen, auch einmal Speisen schmackhaft zu finden, welche in der Regel nur für die Herren servirt werden; sie delektirten sich an den verbotenen Früchten, d. h. sie naschten der Reihe nach vom Caviar und den paprizirten Speckschnitten und nahmen ein Schlückchen Arak darauf, gerade genug, sich die Zungenspitze damit zu verbrennen. – Und dann ging's über die Männer her. Man war ja unter sich. Der servirende Lakai kam nicht in Betracht, der verstand nicht Ungarisch. »Welche Sorte von Mensch ist denn eigentlich dieser Bruder Napoleon?« fragte Prinzessin Raphaela, indem sie direkt Madame Corysande apostrophirte, »was sucht er denn hier bei uns?«

»Er ist der Stuhlrichter Sr. Excellenz des Herrn Obergespans.«

»Das weiß ich. Aber im Uebrigen? Sie kennen ihn ja genau. Sie sollen uns sagen, was Sie von ihm wissen. Napoleon ist wohl nur, wie man zu sagen pflegt, sein Spitzname?«

»Nicht doch, Prinzessin. Napoleon ist in der That sein Taufname. Obschon bei uns am 15. August die Himmelfahrt Mariens und nicht jenes großen Mannes Ankunft auf Erden gefeiert wird, der an diesem Tage auf dem Marsfeld Heerschau zu halten pflegt, so findet sich gleichwohl ab und zu ein ungarischer Magnat, der den Buonaparte-Kultus so weit treibt, seinen neugeborenen Sohn Napoleon taufen zu lassen; da sich jedoch der Fall im Lande denn doch kaum wiederholen dürfte, so ist es wohl erklärlich, daß den Leuten der also hervorragende Name dann geläufiger ist als selbst der Familienname sammt dem Prädikate: ›Zarkany de Sarkanyhaza‹. Daß man regelmäßig das ›Bruder‹ vorsetzt, soll einerseits eine freundliche Anerkennung dessen sein, daß der Träger dieses Namens ein beliebter, in die Gesellschaft passender junger Mann ist, andererseits thun sich die Leute etwas darauf zugute, wenn sie mit dem großen kaiserlichen Namen so ganz familiär umspringen können.«

»Napoleons Eltern wollten also nach all dem ziemlich hoch hinaus,« bemerkte die Prinzessin.

»Nur sein Vater. Der war ein ganz eigenthümlicher Mann. Er verstand Alles, nur das Einmaleins nicht. Er zerbrach sich den Kopf mit großen Unternehmungen, mit denen er dann schließlich Fiasko machte. Er war gastfrei und hielt offenes Haus. Einem guten Freunde seine Unterschrift zu weigern, das würde er nicht über's Herz gebracht haben. Er liebte es, mit Herren zu verkehren, die ihm an Rang und Mitteln überlegen waren. Und das Ende vom Liede war, daß er bei seinem Tode seinem Sohne eine total zerrüttete große Wirthschaft hinterließ. Napoleon vermochte seine Angelegenheiten nicht anders zu ordnen, als indem er die weitläufigen Besitzungen sammt und sonders verkaufte, desgleichen Heerden und Gestüte veräußerte, um seine Schulden los zu werden. Er behielt nichts weiter, als ein ganz kleines Anwesen mit einem alten Kastell und meinte lachend: ›Nunmehr bin ich ganz und gar Napoleon – auf Sankt Helena.‹«

»Napoleon nahm also den Ruin seines Hauses ziemlich leicht?« sagte die Prinzessin.

»Wie überhaupt Alles im Leben,« fuhr Madame Corysande fort. »Nach außen hin wenigstens giebt er sich so. Er scherzt über jedwedes Malheur. Selbst wenn ihn vielleicht Etwas schmerzt, läßt er sich's doch niemals merken. Er selber witzelt am meisten über seine eigenen Verlegenheiten. In Fällen, in denen sich Andere rühmen würden, schmäht er sich, und wer ihm etwa seine Theilnahme bezeugen wollte, den lacht er weidlich aus. Er selbst ist gefällig gegen Jedermann, der ihn braucht; aber auch die Gefälligkeit pflegt er auf ganz eigentümliche Art zu erweisen, so zwar, daß er Denjenigen, dem er geholfen hat, zugleich auch dem Gelächter preisgiebt. Noch heute liegt bei dem ehemaligen Hofkanzler ein Gesuch, welches er vor einigen Jahren einem armen Landmanne auf dessen dringende Bitte gemacht hat. Der Mann hatte einen Prozeß in allen Instanzen verloren und wollte nun seine Sache vor die Regierung bringen. Er wendete sich an Napoleon, der als junger Jurist eben daheim bei seinem Vater war. Napoleon nahm sich der Sache an und machte dem Bauer ein Gesuch, aber nicht ein geschriebenes, sondern ein gezeichnetes; die ganze verwickelte Streitsache des armen Mannes war in einer fortlaufenden Reihe von Karrikaturen dargestellt. Der Petent reichte die absonderliche ›Instanz‹ beim Kanzler ein und siehe da – sie hatte einen durchschlagenden Erfolg. Wäre der Akt geschrieben gewesen, hätte man ihn in den Papierkorb geworfen; so aber lachte Jedermann darüber, dem er zu Händen kam. Die originelle Beschwerdeschrift cirkulirte in den höchsten Kreisen und erregte allenthalben Heiterkeit. Die Affaire des Landmannes wurde wieder aufgenommen und untersucht; man fand, daß das Recht auf seiner Seite sei und emendirte seine Sache. Heute noch segnet der Mann Bruder Napoleon für die erfolgreiche Bittschrift. Er ist zu Dergleichen jeden Augenblick bereit. Und dabei kommen ihm alle Vortheile der Schauspielkunst zu statten. Die Rolle die er spielt, ist aber stets eine ernste; man merkt ihm niemals das Bestreben an, durch seine Streiche Andere zu belustigen; er hält sich damit blos die Leute vom Leibe. Selbst sein Aeußeres weiß er zu verleugnen. Er geht gesenkten Kopfes, mit hoch emporgezogenen Schultern und eingekrümmter Brust einher, trägen Schrittes, wie Einer, der zu Tode ermüdet ist; er hüstelt auch und seine Gestalt ist doch die eines Achilles und in ritterlichen Uebungen aller Art sucht er seinesgleichen unter seinen Altersgenossen. Er thut eben absichtlich so, als ob er sich vor aller Welt fürchtete und nothgedrungen Jedermann gestatten müßte, auf seine Kosten schlechte Witze zu machen. Er schmeichelt Jedem und die Wenigsten merken, daß seine Schmeichelei nichts weiter ist, als Ironie. Wer ihm gegenüber irgend eine seiner Schwächen verräth, ist damit auch schon gute Beute für ihn. Er zieht durch parodirendes Rühmen und Preisen die Eitelkeit der Menschen förmlich groß. Wer den Nektar der Verherrlichung nicht verträgt, den berauscht er damit. Er besitzt ein bedeutendes Imitationstalent und weiß die Manieren, Gewohnheiten und Verkehrtheiten hervorragender Personen meisterhaft wiederzugeben. In Gesellschaften und öffentlichen Versammlungen erregt er dadurch nicht selten allgemeine Heiterkeit. Er antwortet den Vorrednern der Reihe nach und parodirt dabei jeden Einzelnen. Der Eine tritt mit Aplomb auf, der Andere hascht nach Originalität, ein Dritter bramarbasirt, ein Vierter hält eine salbungsvolle Peroration; hinterher erhebt sich dann Napoleon, ahmt Jeden nach und überbietet die Marotte eines Jeden. Albernheiten, die Einer oder der Andere zu Markte bringt, citirt er gelegentlich als weise, denkwürdige Reminiscenzen, als Aussprüche von Autoritäten. In den Komitatskongregationen macht sich häufig ein gelehrt thuender Redner bemerkbar (Einer jener Sorte, die man mit dem Epithet › unius libri‹, Leute, deren ganzes Wissen aus einem einzigen Buche geschöpft ist, auszuzeichnen pflegt), der sich keine Gelegenheit entgehen läßt, mit seiner Rede Stuart Mill zu verquicken und zur Unterstützung seiner Ansicht Stellen aus dessen Werken im englischen Originaltexte zu citiren. Dem Manne erwidert regelmäßig Napoleon genau mit derselben Kathederweisheit und argumentirt dabei mit Gegencitaten gleichfalls aus Stuart Mill und gleichfalls in englischer Sprache. Der gelehrte Redner fühlt sich dann durch die Gegenbemerkungen sehr geehrt und staunt nur: einmal über die Belesenheit des jungen Mannes und zweitens über die Geneigtheit des Publikums, welches den Ausführungen Napoleons mit lebhafter Heiterkeit folgt; dahinter aber kommt er von selber in alle Ewigkeit nicht, daß das Citat, mit welchem Napoleon seine Argumente bekämpft hatte, erstens bei Stuart Mill nirgends zu finden und zweitens gar nicht englisch ist.«

»Das ist eine Genialität, die nichts taugt,« bemerkte die Prinzessin.

»O, Napoleon weiß sie ganz gut zu seinem Vortheil anzuwenden. So z. B. fällt ihm eines Tages bald nach dem Tode seines Vaters, als er über den Stand seines Vermögens schon völlig im Reinen zu sein glaubte und sich eben über die schwierige Schachaufgabe den Kopf zerbrach, seine Aktiven und Passiven gegenseitig auszugleichen – ein Finanzkommissär mit entsprechender Begleitung und der tröstlichen Neuigkeit ins Haus, daß er nach seinem Vater auch dem Finanzärar noch tausend und viele hundert Gulden schuldig sei. Der alte Herr war ein leidenschaftlicher Hortolog; er ließ sich fortwährend allerlei exotische Sämereien kommen und baute dieselben an. Unter anderen hatte er einmal ein Gesäme bezogen, welches ihm als Cacalia speciosa bezeichnet ward. Die Pflanzen wuchsen mannshoch empor und der alte Herr wartete, was daraus werden solle? Eines schönen Tages prügelte er seinen Gärtnerjungen durch, und nun sollte er alsbald erfahren, was seine amerikanische Cacalia speciosa für ein Gewächs sei. Des andern Tages hatte er die Finanzwächter am Halse, die ihm explicirten, die unbekannte Staude mit den wolligen Blättern sei nichts weniger als eine Zierpflanze, sondern – Tabak. Sie rissen die Stämme aus dem Boden und wogen sie, grün wie sie waren, ab; das ganze Quantum wurde für geschwärzten Tabak erklärt und der alte Herr für seine hortikulturellen Experimente zur Zahlung einer horrenden Summe verfällt. So war er zu der Schuld an das Aerar gekommen, und der Kommissär war nunmehr da, um den Betrag von dem Erben einzutreiben. »Wie heißen Sie denn?« fragte Napoleon den Beamten. »Zubka,« erwiderte dieser. »Ja – thut mir leid, aber da kommt die Reihe erst an Sie am Ende des Alphabets.« – Allein der Finanzkommissär war durchaus nicht gewillt, die Sache so im Scherz abthun zu lassen. Er erklärte, die Forderung des Aerars sei unter allen Umständen die erste, die müsse der junge Herr bezahlen und wenn er das Geld dazu aus der Hölle holen müßte. – »Sie sind's also zufrieden, daß ich mir das Geld dazu aus der Hölle hole? Gut, dies kann geschehen.« Er behielt den Executor bei sich, schrieb nach Tisch Briefe und lud ihn gegen Abend, nachdem sie gut soupirt hatten, ein, ob er nicht Lust hätte, in's Revier hinaus mitzugehen auf den Anstand, auf Schnepfen. Der Kommissär war ein leidenschaftlicher Jäger; er war es also zufrieden. Man nahm die Büchsen und Beide stellten sich an der Straße auf, wo der Strich zu erwarten war. Schnepfen kamen nun zwar keine, denn die Zeit war vorüber; wohl aber kam ein Wagen die Straße daher, auf welchem, in einen großen Schafspelz gehüllt, ein Mann saß, seinem Aeußeren nach ein wohlhabender Pächter oder Branntweinbrenner. Der Kommissär sah ihn an sich vorüberfahren, er grüßte ihn sogar und bat ihn um Feuer, da er sein Feuerzeug vergessen hatte. Der Mann fuhr sodann weiter. Als er aber an Napoleons Standplatz herankam, sprang dieser aus dem Hinterhalt hervor, setzte ihm die Flinte auf die Brust und forderte ihm sein Geld ab. Der Reisende gab seine Brieftasche her und suchte sodann das Weite, was die Pferde rennen mochten.«

»Ah, er hätte offenen Straßenraub begangen –?«

»Ei bewahre! Den Kommissär hatte er zum Narren. Der Reisende war einer seiner Pächter, mit dem er den Spaß verabredet hatte. Nach der That kam er an den Kommissär heran, der vor Entsetzen wie versteinert dastand. »Na, Kamerad, da haben wir nun Geld aus der Hölle! Es wird langen für den Strafbetrag. Was übrig bleibt, theilen wir, wir haben es ja in Kompagnie gewonnen. Na – steh' doch nicht so verdonnert da, ich verrathe Dich gewiß nicht!« Der »Kamerad« aber nahm die Füße über die Achseln und lief auf und davon, in einem Athem bis nach Hause. Daheim referirte er, die Forderung sei uneinbringlich und seither ist er gegen Napoleon die Freundlichkeit selber, in der felsenfesten Ueberzeugung, dieser könne ihn mit dem Geheimniß an den Galgen bringen; er glaubt steif und fest, zu einem Straßenraub die Hand geboten zu haben.«

»Erlauben Sie, Madame Corysande, ist es wahr, daß Bruder Napoleon großartig zu verlieren pflegt?«

»Nicht doch, Prinzessin. Er rührt niemals eine Karte an. Auch Rennpferde hat er nie gehalten.«

»Ich habe aber doch gehört, daß er zuweilen namhafte Einsätze verliere.« Madame Corysanden rötheten sich auf diese Worte die Nasenspitze und die Augenlider. Sie war nahe daran, böse zu werden und zu schweigen. Indessen wußte die Prinzessin dies dadurch abzuwenden, daß sie hellauflachte und lustig und begütigend mit beiden Händen ihre Hand erfaßte. Darauf erheiterte sich auch Madame Corysandens Antlitz.

»Nun denn, so will ich auch das erzählen. Ich weiß wohl, was Prinzessin hören möchten. Ich erinnere mich nicht gern daran, aber auf Ihren Wunsch mag's drum sein. Als auch Napoleons Mutter gestorben war, bat ich ihn, da ich doch nun ganz überflüssig im Hause sei und füglich nicht bleiben könne, möge er mich an irgend eine vornehme Familie als Erzieherin oder Gesellschafterin empfehlen. Er zog, wie überhaupt Alles, so auch mein Ansuchen ins Spaßhafte und meinte, ich solle doch warten, bis er alt geworden sein würde, dann wolle er mich heirathen. Ich sagte ihm, ich heirathe nicht und möge nicht warten, bis er alt würde. Nun haben wir einen wackern alten Herrn im Komitat, den zweiten Vicegespan Kadartei. Der Mann hatte von Bruder Napoleon, der auch sein naher Anverwandter ist, so manchen Schabernack auszustehen. Einmal studirte sich der alte Herr Etwas aus, womit er ihm heimzuzahlen gedachte. Es kam zu einer Wette. Bruder Napoleon meinte: um Geld könne er nicht wetten, denn das habe er nicht; aber er wolle das letzte Erbstück seiner Mutter, sein theuerstes Kleinod einsetzen. Er verlor die Wette. Mit Thränen in den Augen versprach er, morgen wolle er dem Onkel, dem glücklichen Gewinner, seinen letzten Schatz schicken, den er von der Mutter ererbt; er bitte ihn nur, den Gewinnst werth zu halten, wie er es wohl verdiene. Der alte Herr war ganz weich geworden und gelobte, den Schatz getreulich bewahren zu wollen. Tags darauf packte dann Napoleon mich hübsch in den Wagen und schickte mich an Kadartei mit einem Empfehlungsschreiben des Inhalts: »Hier sende ich Ihnen mein letztes Juwel, ein Erbe, daß ich von meiner Mutter überkommen, Madame Corysande, ein wahres Kleinod. Nun halten Sie es werth, wie sie es verdient.« Der alte Herr empfing mich sehr leutselig und freundlich und ich fand mich in seinem Hause im Schooße einer überaus liebenswürdigen Familie; erst geraume Zeit nachher, als die Geschichte auch dem Fürsten zu Ohren gekommen war, erfuhr ich, wie Bruder Napoleon mich in der Wette verloren habe. Bald darauf ward mir das Glück zu Theil, vom Fürsten berufen zu werden. Der Fall charakterisirt Napoleon sowohl, als auch den Vater der Prinzessin. Bruder Napoleon hätte mich ganz einfach dem Vicegespan oder auch dem Fürsten empfehlen können; er wollte auch ohne allen Zweifel mein Bestes, aber was er für mich that, wollte er in einer Weise thun, daß ich ihm dafür gleichwohl böse sein solle; der Fürst hinwieder konnte nicht zugeben, daß durch einen Scherz Napoleons die Lage einer Dame in humoristisches Licht gesetzt werde.«

»Was meinen Sie damit, in welchen Beziehungen steht mein Vater zu Napoleon?«

»Dieselben sind zweifacher Art, Prinzessin. Einmal hat der Fürst die Zarkany'schen Besitzungen im Komitat, als dieselben veräußert wurden, an sich gekauft und dabei die Verpflichtung übernommen, aus dem Kaufpreise die Lasten zu tilgen. Ueberdies ist der Fürst Obergespan des Komitates. Bruder Napoleon aber ist Stuhlrichter. Es besteht sonach auch eine amtliche Beziehung zwischen den beiden Herren, welche indessen kaum mehr lange währen dürfte, weil Bruder Napoleon zum Stuhlrichter nicht taugt. Er treibt mit seinen amtlichen Obliegenheiten Scherz und ist weit eifriger darauf aus, seine Amtsgenossen zum Besten zu haben und sie zu amüsiren, als ihnen in der Erledigung der Geschäfte behülflich zu sein. Er ist der Ansicht, wenn es keine Richter auf der Welt gäbe, so würden die Leute auch keine Prozesse führen. Ein großer Uebelstand ist ferner der, daß er sich gegen seine Vorgesetzten durchaus nicht mit jener Devotion benimmt, durch welche eigentlich die gesellschaftliche Ordnung aufrecht erhalten wird, ja daß er sogar die staatlichen Institutionen weidlich persiflirt.«

»Es scheint, der Mann hat kein Herz,« bemerkte die Prinzessin und bedrohte dabei eine eingemachte Olive mit der Spitze ihrer Gabel, als ob sie ein Männerherz vor sich hätte, welches sie durchbohren wollte.

»Oder dasselbe ist bei ihm wohl verborgen. Wenn ihm ein Mensch begegnet der ihm Anhänglichkeit bezeugt, ihm Glauben schenkt und Vertrauen hegt zu seinem Verstande, den pflegt er gerade am allerunbarmherzigsten zum Narren zu haben, das ist Thatsache. Prinzessin pflegen sich ja zum Beispiel auch ganz köstlich zu amüsiren, so oft der Fürst den guten Rentmeister zu Tische hier behält. Der alte Beamte ist ein durchaus wackerer Mann, als Oekonom geradezu unschätzbar, in allen Dingen der Welt und des Lebens aber ganz unglaublich zurückgeblieben. Er liest niemals ein anderes Blatt als die ›Posaune von Jericho‹.«

»Der Redakteur dieser ›Posaune‹ ist auch häufig bei uns zu sehen.«

»Das Blatt wird vom Fürsten in Gemeinschaft mit mehreren anderen Magnaten und einigen Prälaten soutenirt. Es ist eben ein nothwendiges Organ zur Vertretung jener Interessen, welche in anderen Blättern nicht zum Ausdrucke gebracht werden können.«

»Ich habe aber doch niemals gesehen, daß mein Vater sein Exemplar auch nur geöffnet hätte.«

»Der Inhalt des Blattes genügt den Ansprüchen des Fürsten nicht besonders. Steht übrigens irgend etwas Interessantes darin, so beeifert sich Herr Dumka, der wackere Rentmeister, es dem Fürsten zur Kenntniß zu bringen. Herr Dumka studirt nämlich sein Exemplar desto sorgfältiger; das Blatt ist eines seiner Orakel. Das andere derselben ist Bruder Napoleon. Es giebt keinen so horrenden Nonsens, den Herr Dumka nicht glauben würde, wenn er ihn in der ›Posaune von Jericho‹ liest, oder aus Bruder Napoleons Munde hört. Napoleon weiß das und läßt nun der ›Posaune‹ aus den verschiedensten Theilen des Landes Nachrichten zugehen, welche Herr Kolompy, der Redakteur, ungelesen zu veröffentlichen pflegt. Diese Gerüchte enthalten die absonderlichsten Wunderdinge. Bald hat man in einer gewissen Ortschaft einen Wunderbrunnen entdeckt, auf dessen Grunde ein Heiligenbild sichtbar ist. Die Ortschaft liegt auf einem Berggipfel, wo notorischermaßen weit und breit gar kein Brunnen zu finden ist. Dann wieder wird die prunkvolle Hochzeit eines stattlichen Bräutigams mit einer reizenden Braut geschildert, welche in der oder jener Stadt gefeiert sei. Der Primas in Person habe den Trau-Akt vollzogen. Hinterher stellt sich heraus, daß die reizende Braut ein blindes Bettelweib, der stattliche Bräutigam aber der hinkende Nachtwächter der Stadt sei; der Primas ist der Vorgeiger ( primas) der Zigeunerkapelle. – In einem Wahlbezirke ist einer der populärsten Patrioten, eine unerschütterlich getreue Stütze unserer Prinzipien, zum Abgeordneten-Kandidaten proklamirt worden – der Genannte ist der allbekannte Hanswurst der Ortschaft. Da werden Banken gegründet durch wohlakkreditirte Kompagnien, welche die Behörde – steckbrieflich verfolgen läßt. Einem durchgebrannten Bankrottirer wird der öffentliche Dank für milde Stiftungen votirt. Dann folgen Sensations-Nachrichten: Unter einer Prozession ist die Eisdecke des Plattensees eingebrochen; größerer Glaubwürdigkeit wegen liegen für die Hinterbliebenen der Ertrunkenen fünf Gulden bei. Zu Ostern taucht regelmäßig die Schaudermär auf, daß die Juden bei ihren haarsträubenden Ceremonien das Blut unschuldiger Christenkinder gebrauchen; die Folge solcher Greuelthaten seien dann Erdbeben und Ungewitter. Aber die Vergeltung bleibe nicht aus! Und Herr Kolompy veröffentlicht all das Zeug getreulich und scheert sich nicht darum, ob er auch nach acht Tagen dementirt wird.«

»Wie mag nur Napoleon auf derlei schale Späße Zeit und Fähigkeiten vergeuden?«

»Vielleicht ist es blos eine Eingebung des Momus, der bloße Hang, Allotria zu treiben, – es ist aber auch möglich, daß ihn tiefer liegende Beweggründe leiten. Vielleicht hat er bei diesem Treiben geradezu keinen andern Zweck, als den Fürsten hie und da einmal aufzuheitern, den wir ja so selten lächeln sehen. Nur wenn Herr Dumka mit seiner eigenthümlichen, ernsten Prosopopöe die Früchte seiner Lektüre auskramt, hören wir zuweilen den Fürsten zu unserem nicht geringen Erstaunen sogar in helles Gelächter ausbrechen. Herr Dumka ist ein Instrument, auf welchem Bruder Napoleon spielt; und er hat es in der Kunst, dieses sein Instrument zu spielen, zur Virtuosität gebracht. In jenem Exemplare der ›Posaune von Jericho‹, welches unter Herrn Dumka's Adresse expedirt wird, sind bisweilen die außerordentlichsten Dinge zu lesen. ›Der Sultan hat um die Hand der Königin Victoria angehalten und macht Vorbereitungen, zum Christenthum überzutreten.‹ – ›Der Papst gedenkt die goldene Rose heuer dem König von Preußen zu verleihen; ein Ereigniß von bedeutender Tragweite!‹ – ›Fürst Bismarck geht als Botschafter nach Paris. Seinen Posten im Ministerium wird Wantrup einnehmen.‹ – ›Das Haus Rothschild liquidirt und gedenkt alle seine bisher elocirten Anleihen sofort in Baarem einzufordern.‹ – ›In St. Petersburg haben die Nihilisten die Republik proklamirt.‹ – ›Der ungarische Reichstag hat beschlossen, Fiume durch einen unter Kroatien wegzuführenden Tunnel wieder mit dem Mutterlande zu verbinden.‹ – ›Gesetzentwurf über die Besteuerung der langen Pfeifenrohre, da durch dieselben der Tabakrauch längere Zeit hindurch genossen wird.‹ – ›Demnächst soll im Lande eine geheimnißvolle Bewegung in Gang gesetzt werden. Die Theilnehmer an derselben werden übrigens namentlich aufgezählt, und unter den Genannten figurirt auch Herr – Dumka, der Rentmeister von Etelvar.‹ – All das erzählt Herr Dumka dem Fürsten mit der Pietät unbedingten Glaubens. Und der Fürst hat gut lachen darüber, Herr Dumka weist ihm die Zeitung vor; da steht Alles gedruckt, und da es später nicht dementirt wird, muß es wohl wahr sein. Die Hexerei geschieht aber folgendermaßen: Die nächste Poststation ist Dancsvar. Die Amtsstube des dortigen Postmeisters ist eine Art Kasino; die ehrenwerthen Besucher lesen die einlangenden Blätter zuvor, dann werden dieselben an die Pränumeranten versendet. In dieser Kompagnie giebt es Juxbrüder genug, die einen Spaß auszuspinnen verstehen. Bruder Napoleon hat ihnen Lettern angeschafft und nun drucken sie all die Ungereimtheiten, die er ausstudirt, in Herrn Dumka's Exemplar der ›Posaune von Jericho‹ hinein. In dem Blatte pflegen zwischen den einzelnen Rubriken große Spatien zu sein, in welche sich ein oder das andere dieser Entrefilets ganz bequem einschieben läßt. Auf diese Weise bekommt Herr Dumka ein Extrablatt, welches in usum Delphini direkt für ihn vervollständigt ist.«

»Ah, welche Albernheit!« sagte die Prinzessin und lachte wider Willen. »Ich mag die Hofnarren nicht leiden.«

»Wollen Sie nicht vergessen, Prinzessin, daß Sie immerhin bereits hoffähig sind.«

Die Prinzessin wollte noch mehr erfahren. »Pflegt er wohl auch gegen Damen so schalkhaft zu sein?«

»Im ausgiebigsten Maße, Prinzessin. Gerade gegen Damen ist seine Manier eine höchst gefährliche. Er weiß den Frauen gegenüber sanft und unterthänig zu thun; er hat gar keinen eigenen Willen; er ist bedingungslos der Sklave Derjenigen, der er huldigt; er ist allen ihren Launen dienstbar; er sagt ihr keine Komplimente, aber er weiß die guten Eigenschaften seiner Dame herauszufinden, und streut denselben Weihrauch. Dabei bleibt er immer um einen Schritt hinter der Grenze zurück, bis zu welcher er gehen dürfte. Er läßt sich als Spielzeug gebrauchen, läßt sich eher suchen, als daß er sich vordrängen würde und weiß eine ganze Gesellschaft von Damen so lebhaft zu unterhalten, daß jede Einzelne glauben mag, sie sei die Erwählte seines Herzens. Dann wieder weiß er so reizend zu schweigen und nur die gefährlichen, tief feurigen, nußbraunen Augen reden, so zwar, daß ›Eine‹ mit Bestimmtheit daran glauben muß: ›Ich bin die Erkorene.‹« Das Antlitz eines der drei Mädchen ward bei diesen Worten röther, als es bisher gewesen. »Und doch ist Alles nur Scherz und Gaukelspiel von ihm. Er betrügt Alle. Es ist jetzt etwa ein Jahr her, da machte er vier schönen Mädchen zu gleicher Zeit den Hof und jede von den Vieren konnte sich füglich dem Wahne hingeben, sie halte den Schmetterling fest. Er trug damals einen wunderschönen, krausen Schnurrbart, den ersten Schmuck seiner Jugend. Mit einemmale erschien er bei einer Tanzunterhaltung im Herbste ohne Schnurrbart. Die Oberlippe war glatt rasirt. Alle Welt bedauerte ihn und machte ihm Vorwürfe, daß er sein Gesicht der schönen Manneszierde beraubt habe. Am meisten waren seine Auserwählten darüber ungehalten. Es gelang ihm aber, sie zu versöhnen.«

»Hat er ihnen vielleicht den abrasirten Schnurrbart zum Geschenke gemacht?« meinte Raphaela und warf die Lippen auf.

»Jawohl. Nur nicht den echten, der auf seiner Lippe gewachsen war, sondern, je ein Büschel von der Bartseide einer in der Havanna heimischen Wasserblume; in getrocknetem Zustande gleichen diese Fäden mit ihrer mahagonibraunen Farbe täuschend dem Schnurrbarte eines Mannes. Damit beschenkte er die Mädchen. Und die vier armen Geschöpfe tragen die Blüthenseide der › Zea mais havannensis‹ sicherlich noch heute mit vieler Pietät in ihren Madaillons.«

»Ah, das ist ja aber eine Infamie!« rief die Prinzessin zornig aus und durchbohrte mit den Gabelzinken die Olive. Sie dachte dabei, wie es wohl der Mühe werth wäre, das ganze verhöhnte Frauengeschlecht an dem Verwegenen zu rächen und das Sacrilegium mit entsprechender Grausamkeit zu bestrafen. Und das Gesicht eines der drei Mädchen war bei jenen Worten bleicher geworden, als es zuvor gewesen.

»Und waren die Damen schön?« fragte die Prinzessin weiter. »Prinzessin mögen das selbst beurtheilen; ich habe ihre Photographien in meinem Album.« Raphaela ließ das Album aus Madames Zimmer bringen. Es enthielt siebenundzwanzig Porträts, die Meisterwerke von Photographen, die in den verschiedensten Gegenden und Ländern grassiren, Konterfeis halb weiß und halb schwarz, in Todesangst lächelnde Gesichter, in die Sonne blinzelnde Physiognomien, problematische, wider den leeren Raum gestemmte Posituren, von aller Welt verstoßene, grämliche Kumpane, Männer mit den unmöglichsten Fußstellungen, mit übereinander verschränkten, auf Stühle und Tische gelagerten Beinen, lebendige Menschen mit gebrochenen Hälsen und fürchterlich anzuschauende Todte, die verzweifelte Anstrengungen machen, zu lächeln; lebenswahr getroffene, glänzend gewichste Stiefel und freigebig vergrößerte Nasen, einheimische Mohren und weltberühmte Ballköniginnen, in Kostümen aus allen Perioden der Mode verewigt. Und von all den hundertsiebenundzwanzig Leuten kennt Madame Corysande die vollständige Lebensgeschichte. Ja, sie kennt sogar die Geschichte jenes Hundertundachtundzwanzigsten, für dessen Porträt eine der umrahmten Stellen des Albums leer geblieben ist. Jedes Blatt enthält nämlich vier solcher Stellen für ebensoviele Bilder. Doch wir wollen uns beeilen, sofort einen Irrthum zu berichtigen, der uns auf den ersten Blick mit unterlaufen ist. Das Album enthält nicht die Porträts von hundertsiebenundzwanzig, sondern blos von hundertvierundzwanzig verschiedenen Personen. Ein Blatt weist nämlich in allen vier Rahmen Bruder Napoleon in vier verschiedenen Ausgaben. Das erste Bild zeigt ihn in ungarischer Volkstracht, den nickenden Busch von Marienflachs auf der runden Mütze, die kurze Pfeife im Munde, die Hetzpeitsche in der Hand, so recht, was man einen kecken Nyèri » pajko's« nennt. Das zweite Bild zeigt einen zerlumpten Handwerksburschen, ein Gesicht mit flehender Miene, voll schalkhafter, geheuchelter Unterthänigkeit; in der Hand hält die Figur einen verknüllten Cylinder; das Ganze sieht aus, als ob er um jedes Gewandstück, ja, um jeden seiner Gesichtszüge, irgend einen desperaten Trödler zu Grunde gerichtet hätte.

»Wie oft habe ich den Schelm wegen dieses Bildes herzinniglich bedauert!« sagte Madame Corysande. »Er erzählte, so habe er ausgesehen, als er eines Tages von Budapest habe durchbrennen müssen; er habe all sein Geld bis auf den letzten Heller verthan gehabt, habe sich zu Fuß auf den Weg gemacht und sich so mit dem Hut in der Hand durch das halbe Land bis nach Hause durchgefochten. Eine volle Woche lang wußte er jeden Tag eine neue jammervolle Situation zum Besten zu geben. Erst später gestand er, daß auch nicht ein Wort von Allem wahr sei. In Budapest war eine Dilettantenvorstellung veranstaltet worden und er spielte dabei einen verlotterten Thunichtgut. In dieser Rolle zeigt ihn das Bild.«

Das dritte Bild war jenes schnurrbartlose Gesicht; dazu modernes Ballkostüm: schwarzer Frack, weiße Weste, Klapphut; der Gesichtsausdruck ist fein und distinguirt, die zwanglose Eleganz desselben hatte selbst der Photograph nicht zu verhunzen vermocht. Ein vollkommenes Diplomatengesicht, und damit die Täuschung desto größer sei, funkelt an dem schwarzen Frack mitten auf der Brust der große Stern der Geheimrathswürde, den jedoch, in der Nähe besehen, der aus der Mitte hervorlächelnde Amorskopf als einen – Kotillon-Orden erkennen läßt. Das vierte Bild ist wieder der vollkommene Gegensatz der drei früheren. Ein ernstes, offenes Mannesantlitz von geradem Ausdrucke. Die Gestalt trägt ungarisches Galakostüm. Ein Herr im wahrsten Sinne des Wortes, ein ritterlicher Kämpe.

Welches von all den Bildern ist nun das wahre?

Von den vier Rahmen des gegenüberstehenden Blattes zeigen drei die Bilder ebenso vieler jugendlicher Frauenschönheiten; Madame Corysande, die kleine Bosheit, hatte sie absichtlich also gruppirt: »Das sind die zum Besten gehaltenen Schönheiten.«

Madame Corysande beeilte sich, zu bemerken, daß dieselben in der Wirklichkeit weit schöner seien. »Nun, und die vierte?« fragte Raphaela.

»Deren Porträt vermochte ich mir nicht zu verschaffen; leider – denn sie ist die schönste von den Vieren.«

Als Raphaela das ganze Album bis zu Ende durchblättert hatte, wendete sie sich an Livia. »Sieh doch! Dein Porträt fehlt hier.« »Ich habe keine Photographie.« »Willst Du Dich auch niemals photographiren lassen?« »Nein.« »Weshalb nicht?« »Wer sich meiner erinnern will, mag es ohne Photographie.« »Siehst Du, das ist Charakter.«

*


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