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In der Wildniß.

Von Paris bis zur Station Dancsvar, dem glücklichen Endpunkte einer ungarischen Eisenbahn-Sackgasse, fuhr Leon ohne Aufenthalt, ohne sich irgendwo Rast zu gönnen. Während dieser ganzen Hetzjagd beherrschte eine einzige Idee seine Seele: eigentlich nicht einmal eine Idee, sondern ein Wirrsal der verschiedenartigsten Gedanken. Erst in Dancsvar rief ihm der erste Paprikas, welchen er nach langer Zeit genoß, ins Bewußtsein zurück, daß er wieder auf heimischem Boden wandle. Und nun erst fiel ihm auch ein, daß er über dem Parforce-Laufe eine wichtige Sache ganz und gar vergessen habe: nämlich sein Demissionsgesuch an seinen Chef zu senden. Freilich hatte er Wien gar nicht berührt; es hätte ihm aber eben auch in Gänserndorf einfallen können.

Der Postmeister in Dancsvar war ein guter Bekannter Leons von früheren Zeiten her. (Sie pflegten in Compagnie das amüsante Extrablatt für Herrn Dumka zurechtzumachen.) Leon mußte ohnehin zur Post, um sich eine Fahrgelegenheit zur Weiterreise zu besorgen. Er erbat sich also hier Schreibrequisiten, brachte seine Demissions-Erklärung zu Papier und übergab dieselbe fünffach versiegelt der Post.

»Ist der Wagen bereit?« (Die Frage zeigte, daß er keinem Discourse irgend welcher Art Stand zu halten gedenke.)

»Jawohl, es ist angespannt. Aber eine ergebene Bitte hätte ich. Ew. Hochwohlgeboren kennen doch den Löw Hirsch?«

»Wohl, ich warte ja fortwährend, wann endlich die eine Hälfte die andere auffressen wird.«

»Nun, das ist bis zur Stunde noch nicht geschehen. Im Gegentheil, der Mann ist ein reicher Pächter geworden und sucht jetzt, seitdem der Reichstag die Emanzipation ausgesprochen hat, ein eigenes Gut zum Kaufe. Seine Pachtung grenzt an Ihren Besitz St. Helena. Er macht Geschäfte mit allem Möglichen; er kauft selbst unsichtbare Dinge: Virtualitäten und sperative Erbschaften; er gründet Banken in der Umgebung und negociirt Lebensversicherungen. Dermal hat er wieder einen Dancsvar-Sipotaer Heirathsausstattungs-Verein in petto; zweitausend heirathsfähige Mädel sind bereits beigetreten; gegen eine Einzahlung von fünfzig Gulden soll jede an ihrem Hochzeitstage fünfhundert Gulden baar auf die Hand bezahlt bekommen. – Der Mann ist eben auf der Heimreise begriffen und bittet ergebenst, ob Ew. Hochwohlgeboren nicht die Gewogenheit haben wollten, ihn mitzunehmen.«

»Mit Vergnügen; vorausgesetzt, daß er nicht gar zu viel Pack- und Kistenwerk mit sich führt.«

»Er hat nichts weiter, als eine Reisetasche und ein Döschen mit Käse. Daß er aber Ew. Hochwohlgeboren unterwegs nicht in aller Geschwindigkeit verheirathe, dafür will ich nicht gutstehen.«

Leons Reisegefährte war ein alter Bekannter; er beeilte sich denn auch, die gute Freundschaft von ehedem sofort wieder zu erneuern, trotzdem, oder vielleicht eben weil er Leon heute als großen Herrn titulirte.

»Ew. Hochwohlgeboren, Herr Ministerialrath,« begann er, als sie sich im Wagen zurechtgesetzt hatten, – »die Straße nach Kolongya, wo ich wohne, ist schauderhaft schlecht; der Straßen-Commissär hat sie erst vor Kurzem frisch beschottern lassen, drum fährt alle Welt neben dem Damme, oben entlang mag Niemand schotterbrechen fahren. Wenn wir Beide schlafen, und der Kutscher etwa ebenfalls einnickt, so liegen wir heilig mit einem Male im Graben. Es wäre also angezeigt, wenn wir den ganzen Tag über plaudern wollten.«

»Einverstanden, verehrter Mitbürger; nur denke ich, wir theilen die Arbeit: so lange Sie plaudern, will ich schlummern; und wenn dann Sie schlummern, werde ich discuriren.«

Dabei blieb es denn auch. Allein an den sehr geehrten Mitbürger kam bis Kolongya die Reihe nicht zu schlummern, denn Leon nickte den ganzen Weg über selber und wachte erst auf, als der Wagen vor der Pächterswohnung hielt und sein Reisegefährte mit der Dose unter dem Arme und dem Reisesacke in der Hand Abschied nahm.

»Also Ew. Hochwohlgeboren Herr Ministerialrath, wie ich gesagt habe: sechsundzwanzigtausend Gulden eins ins andere für Alles in Allem. Und vor dem Staarmatz nur nicht erschrecken! Unterthänigster Diener. Meinen ergebensten Dank für die hohe Ehre. Bin stets zu allen Gegendiensten bereit.«

»Gut, gut, einverstanden, geehrter Mitbürger,« rief Leon zurück, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, ob Jemand ihn mit sechsundzwanzigtausend Gulden bedrohe, oder ob ein Anderer diesen Betrag von ihm zu erheben hoffe, und ob der »Staarmatz«, vor dem er nicht zu erschrecken brauche, ein menschliches Wesen, oder ein wirklicher Vogel sei.

Er zerbrach sich auch durchaus nicht den Kopf darüber. Er hatte jetzt andere Sorgen die schwere Menge.

Es war Abend geworden, bis Leon im Dorfe anlangte; offenbar mußte heute irgend ein Feiertag sein, denn nirgends arbeiteten Leute auf dem Felde und die Kinder spielten draußen an den Rainen.

Auf einer Anhöhe vor dem Dorfe lag der umfriedete Kirchhof. Der Rasen, von wildem Thymian dicht bestanden, erschien in mattes Lila gekleidet und war vollgesteckt mit einfachen hölzernen Kreuzen, weißen und blauen und rothen bunt durcheinander; an den meisten hingen vergilbte Trauerkränze. Ueber den halbeingesunkenen, vom Grase überwucherten Grabhügeln spielten sieben Kinder, Blondköpfe alle sieben und an Größe in regelmäßiger Abstufung auf einander folgend, wie die Orgelpfeifen: im Alter von zehn bis herab zu drei Jahren. Das größte, ein elfjähriges Mädchen – sie war das achte der Geschwister – saß im Grase und hielt das kleinste, ein einjähriges Knäblein, im Schooße, das mit den rosenrothen Füßchen strampelte und um jeden Preis mit den Anderen im Reigen tanzen wollte.

Die Kinder hielten einander an den Händen, hatten einen Kreis geschlossen und sangen

Röslein, Röslein, Röslein roth,
Röslein auf der Haiden.

Kaum aber hatte das flachshaarige Völkchen Leon erblickt, als es Sang und Tanz mit einem Mal abbrach und insgesammt mit Lärmen und Jauchzen aus dem Friedhofe ihm entgegenstürmte. Er war der Taufpathe aller neun. Sie hatten ihn alsbald erreicht, nahmen ihn in die Mitte, schmiegten und klammerten sich an ihn, kletterten an seinen Schenkeln empor und schmatzten ihm die Hände ab. Leon nahm das herzigste der Püppchen, das kleine dreijährige Lieschen auf den Arm. »Na Lieschen, kennst Du Deinen Pathen noch! – und Du giebst mir nicht einmal einen Kuß?«

»Nachher,« machte der bausbackige Seraph und steckte das winzige Fäustchen zur Hälfte in den Mund.

»Wann denn nachher?«

»Dann, wann ... was hast Du mir denn mitgebracht aus dem Parisch?«

Da hat man's! Daran hat in dem Parisch auch nicht eine Seele gedacht, daß es in der Rézalja neun flachsköpfige Rangen giebt, denen man etwas mitbringen müßte; und sind doch so schöne Sachen die schwere, schwere Menge zu haben in dem Parisch!

Also in die Enge getrieben, durchsuchte Leon alle Täschchen und Taschen seines Anzuges, bis er schließlich in der That etwas Passendes fand: ein kleines Etui in Form eines Albums mit den Photographien der berühmten Herren und Damen, mit denen Leon in der großen Welt sein eigenes Porträt getauscht hatte. Er vertheilte die Bilder an die Kleinen. Hei wie freute sich das Völkchen der vielen geputzten Generale und Minister! Lieschen bekam das vergoldete Etui, mit dem Bilde einer wunderschönen goldhaarigen Frau darauf, die aussah wie eine Fee. Wer war glücklicher, als das Kind!

Und nun stürmte der ganze Schwarm im Laufschritte voraus, um Haus und Hof mit der frohen Botschaft zu alarmiren: der Herr Pathe ist wieder da! Leons Stammhaus war das bekannte kleine Dorfkastell, welches der große Nußbaum, der nebendran gepflanzt war, im Verlaufe der Jahre im wahren wie im figürlichen Sinne dadurch in den Schatten gestellt hatte, daß er ihm über das Dach hinauswuchs. Vor dem Hause war ein Blumengärtchen angelegt, gegen Osten endete das Gebäude mit einer kleinen Veranda, die auf Säulen ruhte. Der Gang an der Längenseite war mit Backsteinen gepflastert, die Fenster hatten Eisengitter, den Eingang schloß eine zweiflügelige Thür. Als Hauptzier prangte an der Höhe der Front ein mächtiges Hirschgeweih.

Die erste, die auf das Jauchzen und Lärmen der Kinder aus dem Hausflur trat, war die Mutter derselben, ein dralles Weibchen in der Blüthe ihrer Jahre, schmuck und feurig und lebensfroh. Ihre beiden Hände waren über und über in Teig gehüllt, sie hatte soeben an der Mulde gestanden und Brod geknetet; das hinderte sie aber ganz und gar nicht, die beiden Hände über den Kopf zusammenzuschlagen, als sie Leon erblickte. »Jesus Maria! Der gnädige Herr!«

»Ja wohl, ich bin es leibhaftig! Wollet Ihr mich einlassen, Frau Gevatterin? Deshalb brauchen Sie aber die Handschuhe nicht auszuziehen; fahren Sie nur immer fort in dem Klavierspiel, wo Sie stehen geblieben sind.«

»Just heute haben wir vom gnädigen Herrn gesprochen, ich und mein Alter. Doch was sage ich? Als ob nicht Tag für Tag nur das unsere Rede wäre! Habet Ihr dem Herrn Pathen auch die Hand geküßt, Ihr nichtsnutzigen Dinger alle miteinander?«

»Doch, doch!« versicherte Leon; »sie haben mich abgeküßt auf alle Weise. Wie viele sind ihrer denn nur gleich? Elf, denk' ich – wie?«

»Ach scherzen Ew. Gnaden doch nicht so!« verwies ihm die Frau mit geschämigem Schmollen die Rede. »Sind ja nur ihrer neun. Genug der Last, neun so nichtsnutzige Rangen in einem Schwarm. Gewiß, sogar des Guten zuviel!«

»Weib, Weib, versündige Dich nicht!« sprach eine Stimme hinter ihr. Ihr Mann, der Wirthschafter, war aus dem Flur getreten. Er war eben so blond von Haar, wie seine Kinder alle; die Jungen glichen ihm, als ob er sie – wie wir Bauern in unserer ungeschlachten Weise zu sagen pflegen – aus dem Munde gespien hätte. Das blonde Haar bildete einen prächtigen Contrast zu der sonnengebräunten, gesunden Gesichtsfarbe. Er ging in Hemdärmeln und Weste; die eine Hälfte des Jahres über pflegt der Landwirth den Rock zu sparen. Das ungeheure Messer in seiner Hand zeigte, daß er eben vom Tabakschneiden kam. »Gottwillkommen daheim, nagyságos komám uram!« (Man sieht, der Mann verstand es besser, dem großen Herrn den gebührenden Respekt zu erweisen.)

»Na und jetzt heißt es Flammflecken backen!« rief Leon der Hausfrau zu; »und zwar rasch und eine gehäufte Schüssel, denn wir sind unsrer ein volles Dutzend dazu.«

Damit küßte Leon die Frau Gevatterin auf die dargebotene Wange und drückte dem Gevatter herzhaft die Hand, der sodann an den Wagen trat, um Reisesack und Mantel von demselben ins Haus zu schaffen.

Im Wohnzimmer war Alles so in Stand gehalten, als ob man Leon jeden Tag erwartet hätte. Die Stühle, alterthümliche, schwere Möbel aus Eichenholz mit Lederüberzügen, von jedem Stäubchen reingewischt; der mächtige Tisch aus Nußholz mit Wachs und Kork glänzend gebohnt; im Kamine das Scheitholz zurechtgelegt, die trockenen Späne daruntergeschoben, das Feuerzeug nebendran zur Hand. Die Läufe des schönen Lancaster-Gewehres, welches an der Wand hing, waren mit Wergpfropfen verstopft, damit sich der Staub nicht dreinsetze; daneben hing die Waidtasche; die Stickerei daran mochte wohl ein Andenken von schönen Händen sein; stellenweise waren die Farben bereits verblichen. Der Fußboden schimmerte blank, mit feinem Sande bestreut. Das Bett war mit blendendweißem Linnen bezogen. Gegen die lästigen Fliegen waren Leimruthen aufgesteckt. Die Bücher standen geordnet im untersten Fache des Gläserschrankes: Zeugen ehemaliger Schulweisheit, poetische Lectüre, die bereits durch das halbe Komitat von Hand zu Hand gegangen war; von einem und dem anderen Werke ist der letzte Band noch zur Stunde irgendwo ausständig. Ueber den Büchern aber prangten die Gläschen für den herzerfreuenden Nußbranntwein. Die hohen Jagdstiefeln waren mit Fischthran gesalbt und hübsch geschmeidig gehalten. Am Spiegel steckte ein Strauß von Lavendel, der das Gemach mit erquickendem Duft füllte.

Offenbar war Leon hier dringend erwartet worden.

Hin und wieder hingen seine eigenen Handzeichnungen aus seinen Kinderjahren in schwarzlackirten Rahmen an der Wand. Damals hatten sie für Meisterwerke gegolten und heute noch hielt zärtliche Pietät sie mit blauen Kornblumen und rothen Tausendschönchen umkränzt. Welch glückliche Zeiten, als der Knabe noch in solche Leistungen seinen Stolz setzte!

Der wackere Seregely, so hieß der Wirthschafter, hatte die Zeiten nicht vergessen, da er als des gnädigen Herrn wohlbestallter Leibhajduk am Edelhofe diente: er räumte heute wie damals mit eigenen Händen das Reisegepäck an seine Stelle; er nahm Stück für Stück aus dem Mantelsacke und legte jedwedes in die verschiedenen Fächer des alten Schubladekastens zurecht, desgleichen in den umfangreichen Schreibsecretär, was dahin gehörte.

»Nun also, wie geht es denn eigentlich hier in St. Helena?« fragte Leon den ab- und zueilenden Wirthschafter.

»Jenun, Gott Lob und Dank, es stünde ja Alles in Allem so weit gut. Wenn es dem gnädigen Herrn Gevatter gefällig wäre, so könnten wir uns bis zum Abendessen noch ein wenig umsehen in Haus und Hof. Aber nur, wenn der gnädige Herr nicht müde ist.«

»Müde? Was nicht gar! Ich habe doch seit vier Tagen und vier Nächten nichts weiter gethan als geschlafen.«

Gevatter Seregely führte Leon allenthalben in der ganzen Wirthschaft herum und zeigte ihm mit beredtem Bewußtsein Scheunen und Kotarken, Garten und Bienenstand und Stallungen, Haus und Hof und Keller, so weit es eben der lange Sommerabend gestattete, noch Alles in Augenschein zu nehmen.

»Um ein Drittheil wenigstens ist das Gut heute mehr werth, als im Vorjahr um diese Zeit,« sprach mit wohlberechtigtem Stolze der wackere Landwirth. »Und da untersteht sich noch – na das dürfen Sie sich anhören, Herr Gevatter – da untersteht sich der Arendator, der Löw Hirsch, mich mit dem Ansinnen zu überlaufen: ich solle Ew. Gnaden dazu bereden, daß Sie ihm das Gütchen für sechsundzwanzigtausend Gulden verkaufen mögen! Daß ihn das Donnerwetter –! Na, ich habe ihm aber auch die Thür gewiesen! Ich habe ihm gesagt: »Nun sehen Sie aber auch dazu, daß Sie weiterkommen!« – Das heißt – ich habe das natürlich so insgeheim bei mir selber gesagt; ich will hoffen, er hat's mir nicht übel genommen.«

Mittlerweile hatte die Hausfrau das Nachtessen zu Stande gebracht. Als die Männer von ihrem Rundgange zurückkehrten, erwartete sie dieselben bereits am Eingange und aus der weitgeöffneten Thür quoll ihnen einladend der Duft der geschmorten Speisen entgegen. Der Tisch stand für drei Personen gedeckt. »Nun und die Kleinen?« fragte Leon.

»O die sind längst abgefüttert und auch schon zu Bette. Wollen Ew. Gnaden nicht einen Augenblick hineinsehen zu ihnen, wie sie in einem Rudel hübsch bei einander liegen?«

Leon ließ sich in die hintere Kammer geleiten, wo die junge Generation ihre Nachtherberge hatte. Vier Betten standen der Länge und der Breite nach beisammen und darinnen lagen acht Kinder; das Kleinste schläft noch bei der Mutter. Acht Blondköpfe, eng aneinander geschmiegt, mit den Armen sich gegenseitig umhalsend. Eines dieser Consortien ist noch unruhig in der Theilung des gemeinsamen Territoriums begriffen; das andere nebenan hat seinen Haushalt bereits hübsch separirt und sich's Jedes mit den Füßen zu Häupten des Anderen nach Möglichkeit bequem gemacht. Das kleine Lieschen hat noch im Schlafe das rosenrothe Gesichtchen auf das Bild jener wunderschönen Frau gelegt. »Na Herr Gevatter, haben Sie in Ihrem Leben schon so ein Staarennest gesehen?« fragte Seregely, der alte Staar, mit gerechtem Vaterstolze.

»Ach ja, Ihr seid Eurer allzu viele, meine lieben, theuern Kinder!« seufzte die Frau; »allzuviel des Gottessegens!«

»Versündige Dich nicht, Weib,« mahnte der Gatte ernsten Tones; »der liebe Gott möge die Rede nicht gehört haben!«

»Nun ja, sie sind ja Alle, Alle meine Herzenskinder und ich weiß es wohl: wenn man mir sagen wollte, ich solle eines aus der Schaar von mir lassen, – ich wüßte keines auszuwählen, das ich entrathen, von dem ich mich trennen möchte. Aber es will doch immerhin nicht wenig sagen, neun Stück Brod auf einmal vom Laibe zu schneiden. Oder wenn so eine Bescheerung neun Paar Schuhe der Reihe nach auf dem Fenstersimse stehen!«

Leon hörte mit stummem Entzücken die Neckereien der Beiden wegen des Uebermaßes an Freude und Segen mit an.

Und des Nachts träumte er davon. Nur mit dem Unterschiede, daß er sich selber an ihrer Stelle sah und die verschwundene Geliebte an seiner Seite. Sie Beide bewohnten das Haus, sie waren nunmehr hier so glücklich. Sie schnitt das Brod und der winzigen Händchen war kein Ende, die danach langten.

Auf den ersten Hahnenruf erwachte er. Er stand sofort auf, kleidete sich an und nahm die Büchse auf die Schulter. Er dachte, er sei der erste auf den Beinen im ganzen Hause. Allein draußen auf dem Hofe kam ihm bereits der Gevatter vom Stalle her entgegen und die Gevatterin hatte um diese Zeit längst schon die Kühe gemolken. Die Männer pflegten hier keinen Kaffee zum Frühstück zu nehmen. Ein Schluck Pflaumenbranntwein, dazu eine Schnitte Paprikaspeck und ein Stück kräftigen Kornbrodes: das ist die Kost, wie sie für den Landwirth taugt. Leon sagte, er wolle einmal den Wald durchstreifen. Der Gevatter erinnerte ihn, wenn er auf die Pürsche wolle, möge er den Vorstehhund mitnehmen. Allein Leon befahl im Gegentheil, man solle den Hund einsperren, damit er ihm nicht folge; es sei ja Schonzeit und er nehme die Büchse nur deshalb mit, weil es immerhin möglich sei, daß er unverhofft auf einen Bären stieße.

»Ganz richtig; es ist ein reiches Himbeerenjahr heuer und Meister Petz kommt häufig zu Thale, um in der Niederung zu naschen. Uebrigens taugt um die jetzige Jahreszeit auch die Jagd auf Raubwild nichts; das Gethier läßt die Haare und der Pelz ist mottig.«

Leon ging auch nicht in den Wald um zu jagen, sondern um die Einöde aufzusuchen, die sonst keines Menschen Fuß zu betreten pflegt. Die Wildniß dieser Waldungen war ihm von früheren Zeiten her wohlvertraut; er fand sich daselbst besser zurecht, als in dem Gewirre der Gassen einer Hauptstadt. –

Tief drinnen im Walde lag eine bekannte Stelle, die man »Monostor« – das Kloster – nannte. Hier war in seinen Kinderjahren Leons Lieblingsaufenthalt gewesen. Auf der Höhe einer Felswand, die ein unbewohntes Thal abschließt, dehnt sich ein Plateau geräumig in die Länge und Breite; von drei Seiten überragen dasselbe mit Urwald bestandene Bergrücken. Ein Theil der Hochebene ist von Himbeergesträuch bedeckt; auf einer andern Partie wuchert ein wildes Gestrüpp von Haselstauden, zehn Klafter hohe Stämme, dicht aneinander wie die Halme eines Röhrichts. Aus dem dunklen Grün des Hintergrundes lugen die Ruinen eines ehemaligen Karthäuser-Klosters hervor, einer riesigen Blumenvase voll colossaler Gewächse zu vergleichen: hundertjährige Linden streben aus dem Klosterhofe himmelan, über das Gemäuer aus hartem Granit empor und drängen die Kornellen- und Schneeballensträucher, die sich auf den Gesimsen angesetzt haben, rings über den Rand heraus; aus den gothischen Fenstern quellen die langen Bärte des Baumfarn hervor, und aus der Tiefe wuchert der Epheu entgegen, der sich an den künstlerischen Sculpturen zur Höhe emporrankt; der Krepin, die Webepflanze, welche die ehemaligen Bewohner in sorgsamer Kultur pflanzten, um aus ihren Fasern ihre Seide zu gewinnen und Strümpfe und Gewänder zu wirken, spinnt wildwachsend die ringsum zerstreuten Trümmer ein und bedeckt die Kapitäler der gestürzten Säulen mit seinen fleischfarbenen Blüthendolden. Vor alten Zeiten war die Hochebene ein Garten gewesen, doch die edlen Obstbäume sind längst dahin; nur die Wildlinge der Kirsche und der Weichsel prangen noch im Gehölze und erfreuen die Vögel des Himmels mit ihren süßen Früchten; die alten Linden aber setzen noch heute Ring an Ring, die Jahre zu zählen, die seit dem Aussterben des Geschlechtes, das sie gepflanzt, über ihre Wipfel dahingezogen sind. Sie stehen eben in voller Blüthe. Um diese Jahreszeit ist die Linde die Königin des Waldes: all ihre Zweige von Gold und Honig schwer; ihr märchensüßer Duft erfüllte alle Thäler; in ihrem Laubgezelte summen und wimmeln die Schwärme der Bienen. Es sind Deine Bienen, Leon. Sieh doch, wie weit sie ausziehen, um für Dich den Honig einzutragen.

Wie oft hatte sich Leon in früheren Zeiten von der Jagdgesellschaft fortgestohlen und war hierhergeeilt! Hier lagerte er dann im Grase, stützte den Kopf in die Hand und starrte ins Blaue, schweigend und gedankenlos. Die Stelle fand er auch heute wieder, aber seine Gedanken folgten ihm heute auch hierher. Jemand hatte ihm einst gesagt: »Der gefallene Diplomat ist ein gestorbener Mann.« Er fühlte es bereits, daß er ein todter Mann geworden war. Er härmte sich auch nicht um das verlorene Leben. Wenn jener Zustand dort draußen Leben war, und dieser hier der Tod ist, so wäre der Tausch so übel eben nicht. Wie aber leben die armen Gestorbenen fort? Dürfen sie denn noch Freude empfinden, schaffen und handeln, hoffen und träumen – im Jenseits? Weshalb nicht, wenn sie auch ihre Lieben mit sich nehmen dürfen! Allein hier liegt der Knoten!

Was mochte aus ihr geworden sein, die das Endziel seines ganzen Lebens war?

Er hatte den chiffrirten Brief mit sich gebracht. Er wußte ihn bereits auswendig, breitete ihn aber dennoch vor sich hin und las ihn von neuem. Zuweilen kommt ein Bienchen auf das Blatt geflogen und hilft ihm lesen und summt ihm dann ins Ohr, als ob es ihm sagen wollte, es habe Alles ganz wohl verstanden.

Welche Seelenstärke in einem schwachen Mädchen! Sie war im Stande gewesen, einer so verlockenden, glanzvollen Zukunft zu entsagen; sie hatte es über sich vermocht, den Mann zu verlassen, den sie bis dahin verehrt hatte gleich einem Abgott und der nichts weiter von ihr verlangte, als daß sie ihn auch fortan als Vater liebe, dabei aber seinen Namen trage und seinen Fürstentitel führe; und dafür sollte sie alle Annehmlichkeiten des Lebens haben, die Huldigung und Ehrerbietung der Welt, Alles, was man Glück zu nennen pflegt auf Erden. Sie aber war geflohen vor all diesem Glücke, um ihrer Liebe getreu zu bleiben. – Und wohin? – Hinaus in die weite Welt. Mit sich genommen hatte sie Elend und Verzweiflung, Verachtung, Vergessenheit. Nicht ein Wort enthielt das Schreiben, welches ihn auf ihre Spur hätte leiten können, nicht den leisesten Fingerzeig, wo er sie zu suchen habe. Sie wolle sich verbergen, schrieb sie, um dem hochaufstrebenden Lebenslaufe des Geliebten nicht im Wege zu stehen; wenn er dereinst die Höhe erreicht habe, dann könne er sie wiederfinden, wenn er bis dahin ihrer noch gedenke.

Nun – er hatte die Tiefe erreicht.

Wie aber sollte das Livien zur Kenntniß kommen? Die Todten der Diplomatie werden nicht mit Pomp und Gepränge begraben, man hält ihnen keine Leichenreden, keine schwarzgeränderte Traueranzeige verkündet ihr Ableben. Sie werden in aller Stille eingescharrt, wie es bei Hingerichteten Brauch ist.

Er vermochte keinen Ausgangspunkt zu finden. Den ganzen langen Tag über durchstreifte er die Einöde kreuz und quer und schnitzte seinen kleinen Pathen Windmühlen aus Hollundermark und kleine Dampfschiffe mit Rädern, um ihnen bei der Heimkehr Freude zu machen.

Eine sonderbare Jagd! Schon zwölf Tage vergrub er sich Tag für Tag hier in die Wildniß, und noch hatte er den Weg zur Auferstehung nicht gefunden. Seit er Paris verlassen, hatte er keine Kunde aus der Welt mehr vernommen. Hierher gelangen keine Zeitungen. Es ist eben die Zeit der dringenden Feldarbeit und so fährt Niemand zur Stadt, der etwa von dort her Neuigkeiten bringen könnte. Es kümmert auch die Leute hier nicht besonders, was draußen vorgeht; sie interessiren sich für Krieg und Frieden nur insofern, als im ersten Falle der Hafer steigt.

Soviel wußte ihm übrigens der Gevatter zu sagen, daß Löw Hirsch dagewesen sei und die ganze heurige Erndte am Halme habe kaufen wollen; es müsse jedenfalls etwas im Anzuge sein draußen in der Welt, sonst würde nicht so lebhafte Nachfrage nach Korn und Hafer herrschen. Seregely hatte sich aber auf kein Geschäft eingelassen; vor der Erndte pflege er nicht zu verkaufen; die Frucht gehört erst dann uns, wenn sie auf dem Schüttboden liegt; das war seine Maxime.

Die Linden um die Kloster-Ruinen waren verblüht und die Bienen schwärmten im Walde nicht mehr summend um Leon herum. Er aber suchte noch immer die Lösung seines großen Räthsels draußen in der Einöde. Das erste Wort, der Anfang ist es, was so schwer zu errathen ist. Gedächtniß, Phantasie und Urtheilskraft vereinigen ihre Anstrengungen, um dieses Wort zu finden.

Dieses fortwährende Grübeln erzeugte allmälig jenen Seelenzustand in ihm, in welchem der Mensch die Fähigkeit erlangt, sich von dem Orte, an dem er sich tatsächlich befindet, hinwegzuversetzen, weit fort, dahin, wo er gerne sein möchte. Er folgte einer Gestalt, welche die Einbildungskraft ihn sehen läßt, in Sprüngen, wie sie nur im Raume möglich sind, ohne Rücksicht auf Raum und Zeit.

Leon warf seine Waidtasche in das Gras hin, lehnte die Büchse an einen Baumstamm, legte sich selber am Fuße desselben hin und stützte den Kopf wider den bemoosten Wurzelstock. Im Dickicht raschelte es. Aus dem Haselgesträuche trat ein Reh mit seinem Kitzlein auf die Lichtung heraus. Das Mutterthier stand auf dem Plane still und sah umher; es spitzte die Ohren und holte mit weitgeöffneten Nüstern Witterung ein. Die kleine hellgesprenkelte Kitze tanzte in übermüthigen Sätzen rings um die Mutter her, schlüpfte ihr unter dem Leibe weg und wieder zurück und sprang nach ihrem Kopfe. Aus den Ruinen des Klosters plätscherte der Quell hervor, der sich, das Bett hüben und drüben mit Vergißmeinnicht gesäumt, bis an den Rand des Plateaus dahinschlängelte und dort ins Thal hinabstürzte. Die helle Fluth zerstiebte im Abfallen in einen feinen Silberregen.

Das Reh schritt an den Rand des Wassers, beugte den Hals hinab und trank. Dann trat es über das Bächlein und lockte das schäkernde Junge mit wimmerndem Rufe nach sich. Leon dachte bei sich selber: ich bin nicht anwesend: dieses Thier sieht mich nicht. Ich streife ferne von hier herum, dort, wo ich jene winzigen, schmalen Fußspuren im Sande gefunden habe, denen ich nun folge Tritt für Tritt.«

Das Reh kam bis an die Stelle heran, wo die Waidtasche im Grase lag. Es beschnüffelte dieselbe, dann lagerte es hart nebendran und säugte sein Junges, während es selber ruhig wiederkäute. In der Tasche war offenbar noch niemals erlegtes Wild gewesen, sonst würde das Thier vor der Witterung geflohen sein.

»Ich bin nicht hier.«

Dann sprang das Reh wieder auf die Beine, beleckte den Hals und die Nüstern der Kitze und schritt gemach an die Linde heran. Es riß von einem Seitentriebe ein Blättchen ab, ein anderes fiel auf Leons Gesicht nieder. Es war, als ob das Thier, welches mit den großen Granataugen starr nach der Stelle blickte, wo Leon lag, daselbst durchaus nichts sähe.

»Ich bin nicht hier.«

Um keinen Preis hätte Leon das Reh erlegen wollen, obschon er dann auch die Kitze hätte fangen können. Welche Freude würde das bei seinen Pathenkindern gegeben haben!

Er fing ihnen statt dessen am Heimwege einen Igel, der sich auf den Rasen heraus verirrt hatte und trug ihn im Taschentuche nach Hause. Gevatter Seregely schüttelte bedenklich den Kopf. »Eine sonderbare Jagd das! Ist den ganzen langen Tag über außen und bringt zuletzt einen Igel heim!«

Er hatte aber auch noch etwas Anderes mitgebracht. Er rief den Gevatter ins Zimmer und sprach zu ihm: »Hör' einmal, Seregely, geh' doch morgen Früh zu dem Löw Hirsch hinüber und sage ihm, ich lasse ihn grüßen und wenn er mir sofort Geld geben könne, so wolle ich ihm in Bausch und Bogen Alles verkaufen, was wir von der heurigen Ernte überhaupt verkäuflich haben werden. Aber sofort müßte der Handel gemacht werden.«

Gevatter Seregely schüttelte nun noch weit bedenklicher den Kopf. »Ei, ei, gnädiger Herr Gevatter, das ist kein gutes Geschäft! Es giebt keine ärgeren Wucherzinsen, als sie der Landwirth bezahlt, der Geld nimmt auf die stehende Ernte.«

»Ich brauche es, mein guter Seregely; ich brauche es unumgänglich nothwendig, und unter solchen Umständen fragt man eben nicht, was das Geld kostet, wenn es nur überhaupt zu haben ist.«

»Aber lieber, guter Herr Gevatter, was wollen Ihnen denn die paar tausend Gulden bedeuten, die wir auf diese Weise herausschlagen können? Sie haben ja doch in allen Winkeln und Ecken Geld liegen wie Spreu.«

»Ich? Geld?« fragte Leon nicht wenig erstaunt.

»Nun ja. Ich weiß, Gott sei Dank, doch auch eine Banknote von einer Weinflaschen-Etiquette zu unterscheiden; mir hat doch meiner Tage noch Niemand alte Loose statt Banknoten angehängt, wie es einmal am Arader Markte einem Walachen passirt ist. Als ich Ihren Reisesack auspackte, fielen mir unter den Schuhen ein Pack Hunderter in die Hand, aus dem Weißzeug flatterten ein paar Tausender hervor und eine tüchtige Handvoll fremder Banknoten, wie ich sie noch gar nie gesehen habe, steckte zwischen den Papieren. Ich habe Alles hübsch zusammengelegt und dort in die Lade des Schreibtisches versperrt. Sie tragen den Schlüssel in der Tasche. Wenn Sie Geld brauchen, haben Sie doch nur einen Schritt zu thun und mögen zulangen.«

Leon war nicht anders zu Muthe, als ob man ihn vor den Kopf geschlagen hätte. Das Geld, welches er damals vom Eisenkakadu bekommen hatte – daran hatte er gar nicht mehr gedacht! Es überlief ihn kalt am ganzen Leibe.

»Gut, Seregely. Du brauchst also nicht zu Löw Hirsch zu gehen. Jetzt aber laß mich allein.«

Und als er dann allein war, begann er wie ein Wild, das in eine Fanggrube gestürzt ist, hastigen Schrittes in dem kleinen Gemache auf und ab zu gehen.

Daran hatte er die ganze Zeit über nicht gedacht, daß ihm eine große Summe Geldes zur Verfügung gestellt worden war, mit deren Hülfe er eine wichtige diplomatische Mission vollführen sollte. Die Hälfte dieses Geldes hatte er bereits ausgegeben, dann aber hatte er seine ganze Aufgabe fallen gelassen und war auf und davon gegangen. Dazu war er allerdings vollkommen berechtigt. Er konnte den hohen Diplomaten ohne Weiteres sagen: »Ich mag nicht mehr Komödie spielen für Euch. Meinethalben mögt Ihr die Welt in Brand stecken, wenn's Euch so gefällt – ich gehe heim und betrachte mir die Weltgeschichte von meinem Krautstrunke aus.« Nur mußte er dann auch das Geld Demjenigen zurückgeben, von dem er es empfangen hatte. Und zwar nicht blos den Rest, sondern auch die Summe, die er ausgegeben hatte. Freilich hätte er den Betrag nach der bekannten Manier verrechnen können: »Hingefahren und hergefahren macht hundert Gulden, gegessen und getrunken macht wieder hundert, Summa Summarum dreihundert Gulden, und Null von Null geht auf.« Allein das war Leons Art und Weise nicht.

Für gestorben gelten – gut, sei es drum! Aber sich überdies einen Grabstein mit der Inschrift setzen lassen: »Hier ruht der Mann, der ungezähltes Geld, welches das Vertrauen in seine Hand legte, verbraucht, aber dafür nicht ausgeführt hat, was ihm übertragen war – nein, das konnte dieser Todte nicht mit sich geschehen lassen, ob es auch viele Andere ruhig über sich ergehen lassen mögen, die zu den Lumpen und Trümmern geworfen werden.

Er wird das Geld zurückgeben, zu Händen Desjenigen, aus dessen Hand er es empfangen, in vollem Betrage, bei Heller und Pfennig, und wenn das letzte Strohdach darauf gehen sollte, das er von den Vätern übernommen! Er legte sich diese Nacht nicht zu Bette; er rechnete. Es war ihm klar: daß er nothwendigerweise nach Wien reisen müsse. Er mußte das Geld dem Eisenkakadu zu eigenen Händen und persönlich wiedergeben, denn die Wohnung des Mannes kannte keine Seele, die erste Quelle aber, aus welcher das Geld geflossen war, wollte er selber nicht kennen.

Unterwegs hatte er zwei Dinge zu besorgen. Er mußte die Angelegenheit mit Löw Hirsch in Ordnung bringen. Und weiter mußte er jene Fußspuren im Sande aufsuchen, die ihn auf den richtigen Weg leiten sollten. Dann freilich – dann hatte er weder Brod noch Obdach mehr.

Gott mit dir, du letzte Zufluchtstätte, du theures Erbe von den Vätern her! Ihr honigtragenden, emsigen Bienenschwärme und du, schirmende Waldeinsamkeit – Gott mit euch! Sie mußte er deshalb dennoch suchen und finden. Der ist kein Mann, der da sagen wollte was aus ihm werden solle, wenn er ein geliebtes Weib nähme, ohne irgend etwas weiter zu besitzen auf dieser Welt, als dieses eine Weib!

Noch vor Tagesanbruch erhob er sich, ging in den Stall hinaus und ließ anspannen. Diesmal war er in der That früher auf den Beinen, als der Gevatter. Als dieser aus dem Hause trat, stand Leon bereits reisefertig vor ihm.

»Wohin, wohin, gnädiger Herr Gevatter?«

»Nach Wien. Ein dringendes Geschäft hat sich mir ergeben.«

»Und ohne Frühstück? Und nicht einmal von der Frau wollen Sie Abschied nehmen? Aber so lange warten Sie doch wenigstens, bis ich die Kinder geweckt habe?«

»Nein. Wecke sie nicht. Ich will sie nicht sehen.«

Dann legte er dem Manne die Hand auf die Schulter, neigte sich zu ihm und flüsterte ihm zu: »Damit die Neuigkeit Dir nicht überraschend komme, magst Du sie von mir selber hören: unterwegs spreche ich bei Löw Hirsch vor und verkaufe ihm die Besitzung.«

Damit sprang er auf den Wagen und fuhr davon. Auch nicht einen Blick warf er mehr zurück. Der arme Seregely aber taumelte in die Stube zurück, wie Einer, der soeben den Todesstoß ins Herz empfangen hat. An den vier Betten, in denen seine Kinder schliefen, sank er in die Kniee und weinte bitterlich.

*


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