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Der beleidigte Löwe.

Der Tag und die folgende Nacht waren unsäglich peinlich für Raphaela. Sie durchmaß alle Wege und Pfade des Parkes und des Waldes; sie meinte auf Schritt und Tritt der Wiederkehrenden begegnen zu müssen; sie suchte sich zu überreden, es sei nur ein grausamer Scherz gewesen. Des Nachts noch stand sie vom Schlafe auf und ging in Liviens Zimmer hinüber, um nachzusehen, ob sie denn wirklich nicht dort sei? Wie, wenn sie bereits zurückgekehrt wäre?

Dann versuchte sie, ihr zu zürnen. Sie schalt sie bei sich selber undankbar und herzlos. Sie rief ihren ganzen Stolz zu Hülfe und ließ diesen exklusiven, ungerechten Richter sprechen über die arme Entwichene. »Sie hat sich unterfangen, eine Fürstenkrone von sich zu weisen, die Bettlerin, die Freund- und Heimlose! So mag sie es denn nun kosten, das bittere Brod der Verlassenheit! Sie gab sich als eine Heilige, sie heuchelte Freiheit von aller Leidenschaft und Schauder vor den verliebten Thorheiten des Weibes. – Und hinterher begehrt sie des Sternenkranzes weder im Himmel noch auf Erden, mag weder Aebtissin sein, noch auch die Gemahlin eines Fürsten. – Irdische Liebe gilt ihr mehr, überdies eine Liebe, die gebrandmarkt ist durch Heimlichkeit. Denn die Liebe kann nicht rein sein, die man nicht eingestehen darf!«

Und noch höher stieg ihre Erbitterung gegen die Entwichene, als sie des Morgens ihren Vater sah. Der Arzt hatte ihr gesagt, der Fürst habe eine sehr schlechte Nacht gehabt. Raphaela erschrak bei seinem Anblicke.

Der Mann, von dem sie vor wenigen Tagen noch gesagt hatte: ist mein Vater nicht ein allerliebster kleiner Dandy? war plötzlich ein Greis geworden, erschöpft, völlig reif für den Sarg. Er sprach ohne Worte, blos durch Zeichen.

Raphaela ließ den Fürsten auch nicht einen Augenblick allein. Sie war in jeder Weise bemüht, ihn auf andere Gedanken zu bringen; sie sprach von ihrer nahen Vermählung, sie suchte ihn glauben zu machen, daß sie mit Alienor ganz unaussprechlich glücklich sein werde; sie verrieth lebhafte Neugierde, das feenhaft schöne Fürstenschloß zu Nornenstein zu sehen. Sie stellte sich eitel über die Maßen und heuchelte Hochmuth und Stolz. Sie fing den heiteren Sonnenstrahl in ihrem Gesichte auf, um den Widerschein in das Antlitz des Kranken rückstrahlen zu machen.

Nach dem Diner, bei welchem der Fürst von den Speisen kaum gekostet hatte, blieb sie, ihrer Gewohnheit gemäß, an seiner Seite, bis er entschlummerte und wachte dann über seine Mittagsruhe. Wenn er unruhig wurde, legte sie betend die Hände über seine Brust. Der Fürst ergriff auch heute wieder die Hand der Betenden und ein wonniges Lächeln flog über sein Gesicht. Dann blickte er auf, seine Miene wurde traurig und er sprach: »Du bist hier, Raphaela?«

»Ich allein bin bei Dir!«

Raphaela fing nachgerade an, Livien zu hassen. Am Nachmittage nach deren Entweichung kam sie im Park an jenen Rosenstrauch, von welchem sie Beide die weißen Rosen zum Haarschmuck gepflückt hatten, die sie dann in der Gruft im alten Schlosse niederlegten; sie riß alle Knospen von dem Strauche, zerpflückte sie und warf sie fort in den Sand am Wege.

Von der Fahrstraße tönte die Weise des Posthorns herüber. Die Fuhrwerke, die des Weges kamen, beeilten sich, dem rasch fahrenden Postwagen Raum zu geben. Herr Dumka ging eben von der Post-Expedition, wo er die an den Fürsten angelangten Briefschaften selbst übernommen hatte, nach dem Schlosse zurück. Raphaela ermangelte nicht, den guten Alten freundlich zu grüßen. Dabei unterlief auch allerdings etwas weniges Egoismus: sie wollte gesehen sein, für den Fall, als die Post auch an sie einen Brief gebracht haben sollte. Von wem sie wohl ein Schreiben erwarten mochte? Je nun, wenn von sonst Niemandem, so doch von Alienor; es wäre ja nur natürlich, daß der Bräutigam, nachdem er so plötzlich verreist war, seiner Braut unverzüglich Mittheilungen machte, was ihn so dringend von ihrer Seite gerufen habe, daß er seinem Bedauern darüber Ausdruck gäbe, von ihr ferngehalten zu sein und den Freudentag anzeigte, an welchem er wieder zu ihr zurückkehren werde.

Herr Dumka errieth ihren Gedankengang: er überblickte die Adressen der Briefschaften und zeigte dann durch eine verneinende Handbewegung an, daß für sie nichts eingegangen sei. Raphaela fuhr sonach in der interessanten Arbeit fort, die Peripherie der Rotunde, mit welcher der Teich in der Mitte des Parkes eingefaßt war, genau nach Schritten zu messen, um dann zu berechnen, wie oft sie den Ring umschreiten müßte, um einen Weg wie von hier bis Budapest gemacht zu haben. Indessen hatte sie den Kreis kaum noch einmal zur Hälfte durchmessen, als sie Herrn Dumka in wilder Hast, ohne Hut die Freitreppe des Palais herabstürmen sah; er kam auf sie zu, jedoch nicht den gebahnten Weg um die Rotunde entlang, sondern quer über den sorgsam gepflegten Rasen, durch Blumenbeete und Rabatten.

»Gnädige Prinzessin! Kommen Sie rasch, um Himmelswillen! der Fürst liegt im Sterben!«

»Barmherziger Gott!« schrie Raphaela entsetzt auf; und dann hängte sie sich ohne weiteres an Herrn Dumka's Arm und eilte gleichfalls quer über Rasen und Rabatten nach dem Schlosse. Als sie in ihres Vaters Zimmer trat, fand sie bereits den Arzt bei ihm. Der Fürst lag in seinem Armstuhle; sein kurzer, stoßweiser Athem zeigte, daß er an heftigem Herzkrampfe litt. Die Augenlider waren schmerzhaft niedergepreßt, auf der Stirne perlte kalter Schweiß. Die Lippen öffneten sich zuweilen jappend, als ob er aufschreien wollte. Raphaela knieete vor ihm nieder. »Mein Vater! Was ist Dir zugestoßen?«

Der Arzt gab anstatt des Fürsten die Antwort. »Se. Excellenz hat einen Brief erhalten, der ihn so tief erregte. Als ich eintrat, hielt er das Schreiben zerknüllt in der Faust; jetzt liegt es dort zu seinen Füßen.«

Raphaela hob das zerknitterte Blatt vom Boden auf. An dem Wappen im Siegel erkannte sie sofort, von wem der Brief komme. Es zeigte den wilden Mann mit dem Kranze von Eichenlaub und der Unterschrift: » In fortitudine virtus« (In der Stärke liegt die Tugend), Wappen und Wahlspruch der Nornensteins.

Der Brief war von des Fürsten Oktavians Hand. Raphaela las: »Mein Fürst! Rücksichten der höheren Staatsraison zwingen mich, meine, auf eine eheliche Verbindung meines Sohnes Alienor Prinz v. Nornenstein mit Prinzessin Raphaela v. Etelvar gerichtete Absicht zu ändern. Nicht meine Hochachtung für Ihr erlauchtes Haus und Ihre bewunderungswürdige Prinzessin hat sich geändert, sondern die europäischen Konstellationen sind andere geworden: sie machen es mir zur unabweislichen Pflicht, meine persönlichen Sympathien dem kategorischen Zwange der Politik unterzuordnen – das Glück muß der »Mission« weichen. Ich raube meinem Sohne in der That ein hohes Glück, indem ich ihn mit einer hohen Mission bekleide – der Verlust ist ausschließlich auf meiner Seite, der Gewinn nur auf Seite der heiligen Sache. Das allein ist es, was uns vor Ihnen entschuldigen wird. Genehmigen Sie, mein Fürst, u. s. w. –«

Als Raphaela das Schreiben gelesen hatte, warf sie sich ihrem Vater an die Brust und schloß seine Rechte in ihre Hände. »Gelobt sei Gott, daß es also gekommen ist, mein Vater! Es ist mir kein Leid, es ist mir Freude! Kein Bote hätte uns bessere Kunde bringen können aus aller Welt. Eine Sklavenkette, eine Fessel ist mir von den Händen gefallen, – ich weiß es Demjenigen Dank, der sie gelöst hat. Sieh mich an! Ich lache, ich bin glücklich. Härme Dich nicht deshalb – Gottes Vorsehung hat es ja gethan. Und sie hat mich damit vor einer bösen Zukunft bewahrt. Nun darf ich wieder ganz Dir angehören, darf wieder liebevoll um Dich sorgen, darf bei Dir bleiben! Wie glückselig macht mich das! Nun will ich Dich niemals mehr, auch nicht für einen Tag verlassen. Wirf allen Harm von Dir! Wir wollen zusammen reisen, nach den Inseln des Südens, in den Schatten ewig grünenden Laubes, unter den Schirm eines ewig blauen Himmels und unsere Seelen werden heiter sein, wie der heitere Himmel. Wie mag Dich denn nur ein Nichts so tief erregen! Ist denn das ein Verlust? – Wir werden hinfort mit zwei Strohmännern spielen!«

Es war ihr gelungen. Das Wort machte den Kranken lachen. Und dieses Uebel ist so sonderbar. Es bricht los auf eine böse Nachricht, und ein gelungener Scherz vermag es sofort wieder zu mildern. Der Fürst richtete sich empor, nahm das Haupt seines Kindes zwischen seine beiden Hände und sah dem Mädchen lange und tief ins Auge. Dann seufzte er voll Bitterkeit auf.

»Und solchen Schatz weisen sie von sich! Aus Rücksichten der höheren Staatsraison! Wir stehen ihnen nicht hoch genug; – was sind sie denn aber doch, und was sind wir –?«

Der Fürst vergaß ob dieser Frage, daß er leidend war. Seine Gestalt richtete sich hoch auf, seine Stimme gewann Klang und Macht.

»Worauf beruht denn ihr Stolz mir gegenüber? Die Reihe meiner Ahnen zählt Bane und Palatine, deren Thaten die Geschichte verewigt hat, während von den Thaten der Nornensteins nur die Chronique scandaleuse zu erzählen weiß. Sind wir Barbaren gewesen, so haben wir doch unser Vaterland geliebt, während sie als Deutsche mit jedem Feinde Deutschlands sich verbündeten und um selber kleine Könige sein zu können, immer und immer der Größe ihres eigenen Vaterlandes im Wege standen. Wir haben in Friedenszeiten Schulen und Bibliotheken und Museen gegründet, während Jene von Nornenstein noch durch ihren Burgkaplan ihren Namen fertigen ließen. Wir haben Jahrhunderte hindurch Kirche und Glauben geschirmt mit Gut und Blut, während sie nichts Besseres zu thun wußten, als nach Rom zu pilgern, um dem Papst den Pantoffel zu küssen. Uns war der Altar stets ein Heiligthum, ihnen eine Feueresse, auf der sie gesprengte Fesseln neu zusammenschweißten. Wir schützten das Volk mit dem Schwerte, wir schirmten es durch Gesetze, wir theilten mit ihm unsere Vorrechte und unsere Habe, während sie ihren Unterthanen immer nur als Tyrannen fühlbar waren. Verräther gab es in unserem Geschlechte niemals, der Helden und Blutzeugen aber unzählige; sie zettelten noch gegen jeden Herrscher, dem sie jemals Treue gelobt, Verschwörungen an. Und wenn unser Stammbaum keine Namen von Fürstinnen weist, so meldet er doch auch nichts von geadelten Ballerinen, wie der ihrige.«

»Vater! Um Gotteswillen, beruhige Dich doch!«

»Ich will und ich werde mich nicht beruhigen! Sie sollen mich endlich einmal kennen lernen. Wer sich an Stolz mit mir messen will, muß besser sein denn ich, in Allem und Jedem. Sie sollen erfahren, wer ich bin! O, ich werde mich nicht auf den Inseln der Südsee verbergen. Ich will hintreten an sie, Brust an Brust – dann mag sich 's zeigen, wer der Stärkere ist! Ich ging mit ihnen, um eine Wehr zu sein gegen ihre weltenstürmenden Projekte. Nunmehr wähnten sie die Zeit gekommen, das Bollwerk aus dem Wege zu räumen. Sie reden von europäischen Konstellationen. – Wohlan denn, ihre Hoffart soll zum Gelächter Europas werden!«

*


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