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Ein Tanz über dem Vulkan.

Als Leon in Paris angekommen war, ließ er sich vor Allem seine amtliche Mission angelegen sein. Er fand bereits einen ganzen Pack Depeschen vor, die zu ihrer Dechiffrirung alle des geheimen Schlüssels harrten, den er mit sich führte. Die Briefschaften bekräftigten durchwegs die Anschauungen, denen er auch mündlich Ausdruck verliehen hatte und welche allesammt darauf hinausliefen, daß die Monarchie Oesterreich-Ungarn ernstlich den Frieden wolle, im Falle eines Krieges neutral bleiben werde und auch nicht zum Kriege rüste. Gleichwohl konnte er allenthalben die Bemerkung machen, daß man ihn mit Mienen anhörte, die ziemlich unverhohlen die Ueberzeugung aussprachen: er sei der gewisse Jemand, den ein Anderer auf den Holzweg zu führen für gut befunden habe.

Im Ministerium des Aeußeren war ein Herr bedienstet, der gleich von der ersten Stunde ab mit Leon sehr intime Freundschaft schloß. Der Mann hieß Vicomte de Brancardier. Er war eine Celebrität von ebenso unbestimmter amtlicher Stellung wie Leon selber auch, eine quecksilberne elastische Gestalt, stets heiter und guter Dinge, unter allen Umständen ein guter Freund, leicht zu begeistern und sehr erregbar, dabei leichtgläubig und leichtsinnig bis zum Exzeß. Nebenbei bemerkt: es hieß, sein spezielles amtliches Ressort sei: das Auswärtige Amt über ungarische Angelegenheiten und Verhältnisse auf dem Laufenden zu erhalten, ähnlich wie es Leute gab, welche zu analogem Zwecke Dänemark, die skandinavischen Reiche, oder Rumänien, Serbien, u. s. w. studirten: allerdings ohne Karte.

Als die Herren zum ersten Male einander vorgestellt wurden, und Herr von Brancardier hörte, Leon sei » Hongrois«, beeilte er sich, diesen auf das herzlichste zu begrüßen und schüttelte ihm die Hand.

Der sehr geehrte Kollege ging sofort zur höheren Politik über.

»Welchen Unterschied finden Sie denn zwischen den Eindrücken, welche Wien, Berlin und Paris machen? Wohlgemerkt, ich will nicht ein Kapitel aus Bädeker hören, sondern ich möchte wissen, welchen Eindruck Ihnen die Stimmung der Bevölkerung in jeder einzelnen dieser Städte gemacht hat. Der Fremde, dem sie sämmtlich neu sind, hat in dieser Beziehung das unbefangenste Urtheil. Wie denkt man über die Eventualität eines Krieges?«

»Nun, ich habe im Allgemeinen Folgendes beobachtet: der Wiener meint: ›Wir kriegen jedenfalls Schläge, mit wem immer wir in's Raufen gerathen‹; und das sagen die Leute lustig und heitern Gemüthes. Der Pariser schwört: ›Wir schlagen jeden Feind nieder, wenn wir einmal anfangen‹; und das betheuert er mit verbitterter Begeisterung. Der Berliner spricht gar nichts vom Kriege, er schweigt, und zwar mit außerordentlichem Phlegma.«

»Nun, und die Ungarn?«

»Die haben zwei weltberühmte Generale. Der Eine baut eine Eisenbahn und der Andere gräbt einen Schifffahrtskanal. Die übrigen Leute aber helfen den Zweien.«

Der Vicomte de Brancardier schüttelte ungläubig den Kopf, klopfte Leon auf die Achsel und sagte: » Mon ami. ›Die Sprache ist dem Menschen dazu gegeben, seine Gedanken zu verbergen‹ – sagt Talleyrand.«

»Wer ist das?« fragte Leon mit unschuldigem Gesichte.

Sein Freund maß ihn mit einem eigenthümlichen Seitenblicke vom Wirbel bis zur Zehe und sagte: »Ein Schneider im Palais Royal.«

»Morgen lasse ich mir einen Frack bei ihm machen.«

Der Vicomte tänzelte mit elastischen Schritten um Leon herum und sprach dabei in unterweisendem Tone mit Protektormiene: » Mon cher ami, ich will Sie noch mit einem historischen Datum bereichern. Zur Zeit der ersten französischen Revolution erstattete einer der Generale der Republik den Bericht, die Armee leide Mangel an allen Bedürfnissen und in Folge dessen sei die Stimmung unter den Leuten eine bedenkliche. Man möge ihm Brod und Geld und Beschuhung schicken. Darauf antwortete ihm einer der Machthaber: ›Brod und Geld und Schuhwerk können wir Ihnen nicht schicken; dafür schicken wir Ihnen aber zehntausend Exemplare der Marseillaise. Vertheilen Sie dieselben unter die Mannschaft und dann sehen Sie zu, daß Sie Ihre Schlachten gewinnen!‹ – Zu diesem Manne hätten Sie aber nicht gehen dürfen, um sich das Maß nehmen zu lassen, denn der pflegte die Leute um einen Kopf kürzer machen zu lassen. Sein Name war Robespierre. Sie haben gleichfalls einen so berühmten Tondichter, wie unser Rouget de L'Isle war; es ist das Euer bekannter Rákóczy, der jenen bekannten Marsch à la Berlioz geschrieben hat. Diesen Rákóczy müsset Ihr bitten, daß er Euch noch einen solchen Marsch schreibe, und wenn es sich einmal darum handelt, Eure Leute in Harnisch und Begeisterung zu versetzen, so lasset denselben durch einen ungarischen Robespierre vertheilen.«

»Leider haben wir aber keinen Robespierre; wir haben nur einen ›schwarzen Peter‹.«

» Farceur va! Sie persifliren mich ja in einem fort! Und ich werde es erst jetzt gewahr! N'en parlons plus. Lassen wir die Politik, wir verstehen Keiner was davon. Wir gehen heute zusammen in die Closerie des Lilas; ich lasse mein Tilbury warten und wenn etwa in der Nacht irgendwo eine Emeute losbricht, fahren wir hin. Es wäre zu reizend, wenn Einer oder der Andere von uns bei einer solchen Gelegenheit angeschossen würde!«

» Farceur va!« gab Leon zurück. »Diese Flinten sind ja gar nicht scharf geladen.«

*

Einmal kurz nach Mitternacht sollte den Gästen der Closerie des Lilas in der That der längst erwartete Hochgenuß zu Theil werden, daß die Nachricht von Aufruhr und Rebellion sie von den Tischen aufschreckte. Das Gerücht war diesmal großartig: »Halb Paris steht in Flammen!«

Der Vicomte de Brancardier und Leon eilten aus den taghell erleuchteten Räumen hinaus in's Freie. Der Anblick, der sich ihnen bot, war ein überraschender. Am südlichen Horizont flammte mächtiger, blutrother Feuerschein auf, wie glühende Morgenröthe anzusehen, so daß sich die Conturen der dunklen Häusermassen und Schornsteine und Thürme scharf von dem lohenden Hintergrunde abhoben. »Nun, mon ami!« sagte der Vicomte zu Leon, »das ist doch wohl etwas mehr als Komödie –?« »Gewiß. Das ist eine Illumination.« »Kommen Sie mit mir?« »Wie denn nicht!« Damit sprangen die Herren auf das Tilbury. Der Vicomte nahm selber das Leitseil zur Hand, ließ Leon neben sich setzen und jagte in der Richtung nach dem Feuerscheine hin.

Ganz Paris war bereits auf den Beinen. Die Pompiers rasselten unter schmetternden Trompetenstößen mit ihren Löschrequisiten durch die Straßen; Ulanen und Kürassiere sprengten in geschlossenen Phalangen, die blanke Waffe in der Faust, daher; Miethwagen und Karossen jagten in endlosen Reihen mit einander um die Wette; in den Coupés sah man zumeist Damen in improvisirten Toiletten. Die Neugierde kennt keine Furcht. Das Getümmel war betäubend. »Der Mont Parnaß brennt!« – »Die Aufrührer haben in der Rue des Gobelins Feuer gelegt!« »In der Rue Mouffetard hat man Barrikaden errichtet und ist handgemein geworden!«

Das Tilbury des Vicomte nahm die Richtung nach der Rue Mouffetard. Als sie in die lange, gerade Straße einfuhren, sahen sie dieselbe in ihrer ganzen Ausdehnung vom Feuerscheine beleuchtet vor sich. »Nun, was sagen Sie dazu? Unsere Revolutionäre inauguriren den Aufruhr in echt russischer Weise: sie stecken einen halben Stadttheil in Brand.«

»Ich sage dazu, daß dieser Brand mindestens einen halben Tagemarsch von Paris entfernt ist.«

»Was nicht gar! Da müßte ja ein Vulkan ausgebrochen sein, wenn das Feuer mit solcher Kraft bis hierher leuchtet.«

»Weshalb denn nicht? Wir tanzen ja doch auf einem Vulkane.«

Als sie – jeden Augenblick in Gefahr, Wagen und Hals zu brechen – den langen Weg durch die Straße Mouffetard zur Hälfte zurückgelegt hatten, merkten sie plötzlich, daß sich die Menge der Fuhrwerke und Menschen vor ihnen staute. »Das Feuer ist außerhalb der Fortifikationslinie,« scholl es ihnen entgegen. Berittene Gensdarmen zogen die Straße herauf und riefen den Leuten in den Wagen zu, sich doch nicht umsonst zu echauffriren. Das Feuer sei in Fontainebleau; tausend Acre Wald seien in Brand gerathen. – Ein prachtvolles Spektakel, aber siebzehn Kilometer weit von Paris. Natürlich hat nicht Jedermann Lust, sieben Stunden lang auf dem Wagen zu sitzen, um anstatt eines Pariser Straßenkrawalls einen Waldbrand in Fontainebleau zu sehen; man schickte sich also an, den Rückweg zu gewinnen. Das war nicht anders zu bewerkstelligen, als indem man in eine der Seitengassen der Rue Mouffetard einlenkte; der Hochfluth von Fuhrwerken aller Art, welche ununterbrochen die Straße herabwogte, entgegenfahren zu wollen, wäre ein tollkühner Versuch gewesen.

»Also doch nichts weiter als eine Illumination!« murmelte der Vicomte. »Diesmal haben Sie Recht behalten.« Und dann machte er sich an das Kunststück, sich mit seinem Tilbury irgendwie aus dem Gewirre herauszuschlängeln und die Rue Croulbarbe zu erreichen, durch welche ein Entkommen allenfalls möglich schien. Es brauchte keinen geringen Aufwand an Meisterschaft und Gewandtheit, sich in einer Schlangenlinie zwischen all' den entgegenkommenden und seitwärts andrängenden und von rückwärts daherstürmenden Gefährten unversehrt hindurchzuwinden.

Als sie auf diese Weise eben an einem eleganten Landauer mit heiler Haut vorbeigekommen waren, erblickte Leon eine Dame, die ganz allein in dem weißgepolsterten Coupé saß oder lag; sie hatte einen Rosabaschlik über den Kopf gezogen; die Spitzengarnitur desselben fiel bis an die Augenbrauen in das Gesicht herein; die Gestalt war in eine gestreifte Beduine gehüllt. Die Dame war hübsch und jung. Als Leon nach ihr hinsah, grüßte sie mit einem Kopfnicken, welches durch ein vertrauliches Lächeln versüßt war.

»Sieh doch, die Dame grüßt Dich; kennst Du sie?« sagte Leon zu seinem Freunde.

»Ach was da, ich habe gerade Zeit, nach schönen Weibern auszuschauen, wenn ich Acht haben muß, daß nicht etwa ein Bauernkarren mit meinem Tilbury eine Mesalliance schließe.«

Leon blickte noch einmal nach dem dahinrollenden Wagen zurück und sah, wie die unbekannte Dame mit dem Taschentuche, welches sie in der Hand hielt, direkt ihm zuwinkte.

» Tiens! Die Dame grüßt mich. Das Gesicht kommt mir auch in der That bekannt vor.«

»Wird wohl irgend eine Fürstin aus dem Quartier Bréda sein. Bei denen ist das Zunicken und Winken Mode ... Haho ...!«

»Sie führt aber ein Wappen am Wagenschlage.«

»Das ist ebenfalls geliehen zu haben. Oho ...!«

Leon fand es gleichwohl geziemend, den Hut zu lüften; die Dame nahm den Gegengruß mit herablassender Anerkennung auf und zog sodann den Spitzenschleier über das Gesicht. Auf dem ganzen Heimwege zerbrach sich Leon den Kopf darüber, wo er denn dieses Gesicht bereits gesehen habe? Hätte er auch das Haar sehen können, so wäre er wohl sofort im Klaren gewesen!

Des andern Tags empfing Leon eine Einladungskarte mit Wappen und Goldrand zur übermorgigen Soirée bei » Mr. le prince et Mdme. la princesse de Nornenstein Pracz

Die Einladung kam ihm durchaus nicht überraschend. Er wußte, daß Alienors Hochzeit mit Prinzessin Raphaela ungefähr für diese Zeit festgesetzt war. Daß sie die Honigwochen in Paris zubringen würden, war vorauszusehen, und es erschien nur natürlich, daß sie ihn in Folge ihrer alten Bekanntschaft, ja selbst in Folge seiner amtlichen Stellung, dem Kreise ihrer Gäste einzufügen wünschten.

Am bestimmten Tage stellte er sich im Hotel des Prinzen ein. Alienor machte ein fürstliches Haus. Leon hatte geraume Zeit zu harren, bis in der langen Reihe von Equipagen sein Wagen an die Tour kam, ins Vestibul einzufahren. In den Sälen fand er die Spitzen der damaligen vornehmen Welt von Paris versammelt. Angesehene Diplomaten, mit Ordensbändern im Knopfloche, und diamantgeschmückte Damen, Schönheit und Bedeutung im glänzenden Vereine. Leon wurde bei seinem Eintritte von Alienor empfangen. Der Hausherr war gegen den Gast außerordentlich liebenswürdig: er führte ihn Arm in Arm durch die Säle, um ihn seiner Gemahlin vorzustellen. Umflossen von dem Glanze ihrer eigenen Schönheit und von allem Pomp der Mode, empfing ihn die Dame des Hauses. Leon erkannte in ihr seine Unbekannte von vorgestern Abend: Alienors Gemahlin: Pompeja.

Die ungewohnte Beleuchtung durch den Feuerschein und die fremdartige Verhüllung mochten wohl der Grund gewesen sein, daß er sie damals nicht erkannt hatte: ferner – oder eigentlich insbesondere – wohl auch der Umstand, daß er eben jetzt an nichts weniger gedacht hätte, als Pompeja in Paris zu finden; daß er sie als Prinzessin von Nornenstein wiedersehen werde, das hätte er vollends unter die Märchen gezählt. Pompeja entging die Ueberraschung Leons nicht, so sehr er sich auch Mühe gab, dieselbe zu verbergen, und es amüsirte sie nicht wenig, ihn so fast betreten zu sehen.

»Uns führte rein der Zufall zusammen,« sprach Pompeja. »Wenn wir einander nicht vorgestern bei dem Brande par hasard begegneten, so erfuhr ich am Ende gar nichts davon, daß Sie hier in Paris sind.«

Leon machte es Spaß, daß Pompeja in Anwesenheit ihres Gatten so liebenswürdig zu lügen wußte. Sie will keine Kenntniß davon gehabt haben, daß Leon in Paris sei, während sie von der Depesche, die er hierher zu überbringen hatte, eine ganze Geschichte zu erzählen gewußt hätte. – Er log auch seinerseits dreist noch ein Stück dazu.

»Ich wüßte wahrhaftig selber kaum zu sagen, wie ich hierher gerathen bin; denn eigentlich war ich einer Finanzoperation wegen nach Brüssel entsendet. Allein – alte Liebe rostet nicht; man bringt es eben nicht fertig, Paris zu meiden.«

Beide logen, als ob sie es gedruckt vor sich hätten. Das ging aber nur so lange, als Alienor dabei stand. Sowie ihn seine Hausherrnpflicht abberufen hatte, schlug Pompeja sofort einen andern Ton an.

»Nun sagen Sie mir aber doch um Alles in der Welt, wie mochten Sie denn nur so lange zögern, von mir Notiz zu nehmen? Es ist doch bar unmöglich, daß Ihnen unsere Anwesenheit unbekannt geblieben sein sollte! Es ist nicht möglich, daß Alienors und Ihre Wege sich gegenseitig bisher noch nicht gekreuzt haben sollten! Wir machen hier Krieg, Sie aber Frieden.«

»Den Prinzen habe ich hier allerdings schon einmal gesehen, aber ich wußte nicht, daß er mit seiner Gemahlin hier ist.«

»Und hätten Sie es gewußt, so würden Sie doch alles Andere eher gedacht haben, als daß diese seine Gemahlin ich bin. Es ist allerdings sehr rasch gegangen. Und ich bin Ihnen, wie Sie sich ja wohl entsinnen, dafür vielen Dank schuldig.«

»Oh Prinzessin, eine solche Bagatelle ist keines Dankes werth.«

Pompeja lachte herzlich über die Malice, mit welcher Leon ihren Mann – implicite – eine Bagatelle nannte. Pompeja empfing Leon gleichwohl mit ungezwungener Herzlichkeit und zeichnete ihn in unverkennbarer Weise durch ihre Gewogenheit aus. Sie stellte ihn den Herren und Damen vor und flüsterte ihm von Jedem und Jeder einzelnen sub rosa zu, mit welcher und welchem der Uebrigen sie nach einem gemeinsamen Gestirne blickten. Leon erkannte schließlich, daß hier alle Anwesenden hübsch Paar und Paar zu einander gehörten: er allein war ein Irrstern, der seine Sonne erst noch finden mußte. Und Liebesintriguanten sind sehr gute Bundesgenossen. Unter ihnen besteht die wahre belle alliance, die niemals verräth. Jeder kennt das Geheimniß des Andern und ist entschlossen, es zu behüten. Der Bund der Carbonari, die Verbrüderung der Freimaurer können nicht stärker sein.

»Es war eben von Ihnen die Rede, da Sie eintraten,« sprach Pompeja, als Jedermann sie hören konnte. »Herr Marquis de Colas behauptete, Ihre Regierung werde Sie heute oder morgen zurückberufen. Es wäre das ein großer Gewinn für uns!«

Ein inniger Händedruck sagte ihm, daß unter den letzteren Worten das Gegentheil zu verstehen sei.

»Für mich dagegen wäre es ein zweifacher Verlust. Uebrigens bin ich dem Herrn Marquis verbunden für die große Aufmerksamkeit, die er mir zuwendet.«

»Ich denke, es wäre Ihnen selber nicht unlieb, wenn Sie nach Wien zurückgehen könnten.«

»Wo ich jetzt im Sommer nicht einmal einen Bekannten träfe.«

»Einen würden Sie doch finden. Es ist nicht denkbar, daß Sie nicht wissen sollten, daß Fürst Etelvary zur Zeit in Wien ist; und daß er sammt seiner Familie daselbst verweilt und längere Zeit zu bleiben gedenkt, das wird aus dem Motive seines Aufenthaltes erklärlich. Mein Vater hat mir darüber geschrieben, von ihm weiß ich Alles. Der Fürst tritt mit einer Energie, der man sich nach seiner bisherigen Gemüthsruhe von ihm gar niemals versehen hätte, gegen uns auf und setzt all seinen Einfluß daran, der Strömung Hindernisse entgegenzustellen, welche zu unserem Ziele führt. Er ist Tag für Tag in den Kreisen der Diplomatie zu finden und da er unsere Pläne am genauesten kennt, so ist auch er es, der mit dem meisten Erfolge auf die Vereitelung derselben hinarbeitet. Sein Vermögen, sein Einfluß, seine Verbindungen, seine ausgebreitete Bekanntschaft sind Mittel, durch welche er uns unzählige Schwierigkeiten bereitet. Auch Sie sind eines seiner Werkzeuge, obgleich Sie vielleicht selber keine Ahnung davon haben. Und was knüpft Sie an die Politik des Fürsten? Ist es auch naturgemäß, daß Sie zu seiner Partei stehen und nicht zu uns? Waren Ihre Landsleute nicht stets aufrichtige Bewunderer der französischen Nation? Sind Sie derselben nicht von früher her Dank schuldig? Hat nicht jeder Magyare in seiner Jugend für sie geschwärmt? Ist denn Ungarns Jugend mit einem Male alt geworden?«

»Prinzessin, wir lieben die Franzosen noch zur Stunde; nur der Begriff der Liebe ist bei uns verschieden. Der Eine möchte sie in Frieden glücklich und frei sehen, eben weil er sie liebt; der Andere möchte sie auf dem Schlachtfelde ruhmvoll, daheim unterdrückt sehen, gleichfalls weil er sie liebt. Hassen aber wollen wir fortan Niemanden mehr. Der Nationalitätenhaß ist eine Krankheit: sein Verschwinden ist Heilung.«

»Ah ha ha! Wie ernst Sie diese Phrasen herzubeten wissen! Ich bitte, wir haben ja hier keine Galerie; wozu also dieser getragene Styl? Die großen Uhrwerke werden doch durch so winzige Hebel bewegt. Das hohe politische Ideal, welches Ihre Ueberzeugung bildet, trägt blondes Haar und hat dazu schwarze Augen.«

»Bei meiner Treue, Prinzessin, so kühne Träume sind mir so ferne, wie das künftige Jahrhundert.«

»Falsch! Es zieht Sie nach ihr hin. Sie langweilen sich hier, wo sich doch Alles unterhält. Sie bleiben unbewegt mitten im Strudel der Aufregung. Dieses Weib aber wird Sie unglücklich machen! Ein edles Herz zerreißen, zu Tode quälen, das ist ein Spiel, wie es ihrem Stolze, dem Stolze einer Göttin gefällt; ein Herz zu beglücken aber, dazu ist nicht ›Mensch‹, nicht ›Weib‹ genug in ihr ...«

»Mein Glück ist ja ein so winziges Atom, daß ihre Hand es weder heben, noch fallen lassen kann.«

»Das Sie ihr aber gleichwohl in die Hand geben können. Wie tief haben Sie nicht ein großes Staatsgeheimniß zu bewahren gewußt – so lange ich Ihnen nicht gesagt hatte, daß Raphaela's Heirath wahrscheinlich vereitelt werden würde, wenn Sie mir dasselbe mittheilen wollten. Sowie Sie ihrer schönen Augen gedachten, gaben Sie mir Ihr Geheimniß preis.«

»Wenn ich mich recht erinnere, Prinzeß, so war der Verlauf nicht ganz genau so. Ich besitze ein kleines Notizbuch, darin stehen einige Worte ...«

»Ah, und Sie bewahren dieselben noch auf? Sie haben sie nicht weggelöscht von dem Pergamentblatt? Sie erinnern sich ihrer? – Aber Sie haben mich in jenem Augenblicke gleichfalls getäuscht. Oder huldigen Sie vielleicht der Ansicht, Diplomaten und Frauen zu betrügen sei keine Sünde, geschweige denn Beide zumal –? Sehen Sie, ich bin gegen Sie aufrichtig bis zur Tollkühnheit. Ich verhehle Ihnen nicht, daß mein Gegner nicht der »Mann von Eisen«, der Reichskanzler, sondern ein »Weib von Eis« ist. Wenn ich mich mit Politik befasse, so geschieht es nur, um gegen sie zu kämpfen. Wir wollen doch sehen, wo Ihnen bessere Freunde leben: hüben oder drüben? Hat Sie von Wien aus schon Jemand wissen lassen, daß Sie binnen Kurzem abberufen werden sollen?«

»Nein, Prinzeß.«

»Nun denn ich sage es Ihnen, ich habe es in Erfahrung gebracht. Die Abberufung läßt eine zweifache Erklärung zu. Entweder sie bedeutet, daß die ganze politische Richtung, welche Sie hier vertreten, sammt ihren Trägern gefallen ist. Und dann hat Ihre Carrière ihr Ende erreicht; Sie mögen sich in ihr Dorf zurückziehen und Ihren Kohl bauen, eine Rolle zu spielen giebt es für Sie fortan nimmermehr. Oder aber Ihre Abberufung bedeutet, daß man es der Thätigkeit genug sein lassen wolle, die Sie hier entfalten und Sie nun wieder einmal daheim sehen möchte. Sie waren allzu eifrig in der Erfüllung der Aufgabe, welche Sie auf sich genommen haben; dafür pflegt man die Leute zu bestrafen, – man verleugnet sie. Man giebt dem Betreffenden einen Orden und der gute Mann bildet sich ein, er sei ausgezeichnet worden; man gönnt ihm ein verbindliches Wort, von einem Lächeln begleitet, und er ist fest überzeugt, man sei verliebt in ihn. Und nun flattert er so lange um die Kerzenflamme herum, bis er sich die Flügel versengt. Wenn ich ein Mann wäre, ich wüßte wohl, was ich thäte.«

»Was würden Sie thun, Prinzessin?«

»Ich bin nur eine Frau; ich weiß nur, was eine Frau dem Manne in diesem Falle sagen würde: ›Geh' nicht zurück!‹?«

Bei diesem Worte umklammerte ihre Hand jene Leons.

Sie faßte den Mann an seiner schwächsten Seite: bei seinem gekränkten Selbstgefühl. Das ist die Stelle, an welcher wir nicht bewehrt sind. Und nun erst, wenn Jemand an unserer Seite sitzt, der uns in so glühenden Worten anfleht, zu bleiben, der uns den Augenblick in einem Athem so unendlich verbittert und wieder so unendlich versüßt. Pompeja war an diesem Abende bezaubernd schön; aus dem einen Auge leuchteten die Gestirne des Himmels, in dem andern brannte das Feuer der Hölle. Das silberblonde Haar floß lose in reichen Wogen über die Schultern herab, obgleich eine gute Anzahl desselben in Zöpfen am Kopfe festgesteckt war. Leon mußte es fühlen, wie ihn diese dünnen Seidenfäden einzeln umstrickten und fester und immer fester banden.

Es war etwa um Mitternacht. Der Schnellzug von Marseille mußte bereits angekommen sein. Pompeja flüsterte davon, daß die reichste Quelle der Liebe die Rache sei. Die Glocke des Portiers kündigte neuen Besuch an. Ein vielversprechender Händedruck unterbrach das leise Gespräch. Der Kammerdiener meldete den Namen des Neuangekommenen. »Der Vicomte von Brancardier.«

Pompeja eilte dem Eintretenden entgegen. »Ah, Sie suchen Ihre Frau bei mir, nicht wahr? Sie hat mir versprochen, nach dem Theater hierher zu kommen.«

»Nicht doch, Princesse. Es ist nicht meine Art und Weise, meine eigene Frau zu suchen. Und wenn sie versprochen hat, hierher zu kommen, so ist sie sicherlich anderswohin gegangen. – Ich suche Monsieur Napoleon de Zarkany.«

»Der ist allerdings zufällig hier. Aber wie kommen Sie auf den Einfall, Monsieur Zarkany eben bei mir zu suchen?«

»Ich weiß wohl, Princesse, daß das die höchste Indiscretion ist, die jemals in Paris begangen wurde; man hat mich auch bereits in acht Häusern zur Thür hinausgeworfen, als ich mit der Frage eintrat. ›Was haben Sie denn Monsieur de Zarkany bei uns zu suchen?‹ sagten die Leute. Wenn Sie mich ebenfalls hinauswerfen lassen, Princesse, so wird das heute mein neunter Fall sein. Indessen, wir leben in einer außergewöhnlichen Zeit, und es sollte mich nicht mehr Wunder nehmen, selbst wenn wir ab und zu einmal zu Fenster bei einander aus- und eingingen; die abnorme Situation entschuldigt eben jede Unart. Im auswärtigen Amte und auf der österreichischen Botschaft sind wichtige Depeschen eingegangen, darunter ein chiffrirter Brief mit der Adresse des Herrn v. Zarkany ... Mein Freund Leon hat im Amte den Auftrag hinterlassen, wenn des Nachts ein dringender Brief an ihn käme und er nicht zu finden wäre, so solle man das Schreiben sofort öffnen und dechiffriren. So geschah es denn auch heute. Allein es wollte keiner von allen Chiffern-Schlüsseln passen; der Brief ist in einer ganz eigenthümlichen Geheimschrift abgefaßt, welche unsere Weisen nicht zu entziffern vermögen. So wurde mir denn der Auftrag zu Theil: ›Nehmen Sie den Brief und suchen Sie Herrn von Zarkany auf, wo Sie ihn finden. Dringen Sie ›par ordres du Roi‹ in jedes Haus ein, wo er zu verkehren pflegt; eine solche Depesche kann nicht bis morgen Früh liegen bleiben. Die Lage schwankt auf der Schneide eines Messers, zwölf Stunden sind heute eine Ewigkeit.‹ Das ist der Grund, der mich nöthigte, eine so eigenthümliche Mission zu übernehmen.«

Pompeja lächelte. Sie dachte daran, daß der Vicomte jedenfalls noch zwei andere wichtige Gründe hatte, so eifrig die Häuser seiner Bekannten zu durchstöbern. Der eine war der, daß er in der That auf seine Frau eifersüchtig war und gegen Zarkany Verdacht hegte, seit dieser beim schwarzen Peter von den Schlägen mit dem Seidentuche die Primeurs bekommen hatte (als ob das seidene Tuch und die Sprache ohne Worte – der Frau nicht dazu gegeben wären, um ihre Gedanken damit zu verbergen). Der andere Grund aber war der, daß der Vicomte auch Alienor's guter Freund war. Höchst wahrscheinlich hatte dieser ihn gebeten, ein wenig zu spioniren. – Er war aber zu spät gekommen.

Er hatte also Leon endlich gefunden. Zarkany fand nicht Worte genug, um dem Vicomte seinen Dank für diesen großen Beweis von Freundschaft nach Gebühr auszudrücken. Die ganze Gesellschaft versammelte sich um Leon im Salon. Viele hatten noch nie eine Chiffredepesche gesehen. Eine Eigenthümlichkeit dieser Briefe ist unter andern die, daß sie in Druckbuchstaben geschrieben sind, damit die Handschrift nicht etwa den Absender verrathe. Meistens wählt man deutsche Frakturschrift zu diesem Behufe. Leon legte den Brief, den er bereits geöffnet überkommen hatte, vor sich hin und schickte sich an, denselben zu entziffern. Nach einer Weile begann er an Bart und Schnurrbart zu nagen. Die Dechiffrirung wollte in keiner Weise gelingen.

»Zu dieser Schrift finde ich keinen Schlüssel!«

»Das wäre noch das Schönste bei der Geschichte, wenn Sie selber die Depesche auch nicht lesen könnten!«

Leon nahm alle seine Schriftkunde zu Hülfe. Er suchte aus seinem Notizbuche alle Devisen hervor, nach denen man zu verschiedenen Zeiten mit ihm korrespondirt hatte; aber keine löste das Geheimniß der vor ihm liegenden Schrift.

Er durchblätterte seine Notizen nochmals nach rückwärts und stieß zuletzt auf ein Blatt, an welches ein Epheublättchen festgeklebt war; darunter stand eine Devise ausgeschrieben. Diese Worte hatte er vor langer Zeit einmal einem armen, herzensguten Mädchen gegeben und hatte sie gebeten, wenn sie dereinst in arger Bedrängniß sein sollte, so daß sie nothgedrungen an ihn schreiben müsse, so möge sie ihren Brief in Geheimschrift an der Hand dieser Devise abfassen, damit niemals einem unberufenen Auge das Geheimniß offenbar werde, welches in zweier Herzen Obhut lag.

Livia!

Ein leiser Schauer überlief ihn. Sein Herz schlug hoch auf. Sollte das Schreiben von ihr kommen? Er versuchte die Devise auf die räthselhaften Zeilen anzuwenden. Wer seine Gesichtszüge beobachtete, sah von da ab mit Erstaunen die Veränderung, welche in denselben stufenweise vor sich ging, sowie er die Worte einzeln entzifferte. Er erbleichte ... seine Augen hingen starr an dem beschriebenen Blatte ... seine Lippen bebten ... seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Er hatte gelesen, wie Raphaela ihrem Vater Livien zur Gattin warb ... daß der Fürst sie liebe ... wie Raphaela bereits die Zustimmung der Verwandtschaft zu dieser Verbindung gewonnen habe. Für einen Augenblick verzog das krampfhafte Lächeln bitterer Freude seine Lippen. Und als dann Livia weiterschrieb: »Ich will keinen Gemahl, kein glanzvolles Leben, ich begehre nicht Rang und Stellung in der Welt, ich bleibe Dir treu« – da vermochte er Minuten lang nicht zu sehen vor Thränen, die ihm im Auge standen. Und zum Schlusse preßte er die Lippen auf einander; sein Gesicht wurde fahl wie Blei, auf seiner Stirne perlten schwere Tropfen kalten Schweißes. All' das konnte Jedermann deutlich sehen, der ihn beobachtete. Er las: wie es für Livien keinen anderen Ausweg gegeben, als zu flüchten, sich zu verbergen draußen in der weiten, unwirklichen Welt –! Das Schreiben hatte ihm das Herz zermalmt und jeden Nerv seines Lebens gesättigt mit bitterem Weh. Was war ihm jetzt Paris mit allen seinen schönen Frauen, was Europa mit allen seinen Kaisern!

»Nun, mein Herr? Was geht vor in der Welt?« fragte die bezaubernde Fee.

»Nichts, Prinzessin. Es ist eine Privatangelegenheit. Ich werde heimberufen.«

»Habe ich es Ihnen nicht gesagt?« flüsterte die schöne Circe leise. »Und was gedenken Sie zu thun?« »Ich reise.« »Ah!« »Und zwar noch diese Nacht.«

»Wirklich? Noch diese Nacht?« fragte Pompeja und hinter den geöffneten Rosenlippen blinkten die herrlichen Zahnreihen zornig aufeinander gepreßt hervor.

Leons Stimme war plötzlich so heiser geworden, daß seine Antwort völlig unverständlich blieb. Es war wohl nur Zerstreuung, daß er sich heim Abschiede der französischen Gesellschaft ungarisch empfahl.

Pompeja trat vor ihn hin und sprach mit einem Gesichtsausdrucke, in welchem Enttäuschung, Hohn und Wuth vereinigt waren, ein Wort, welches nur sie Beide verstehen konnten: » So sind also Sie der Eisenkakadu geworden – «

»Jawohl, Madame.« Damit eilte er fort aus diesem Hause. In dem Momente, als sein Wagen zu einem Thore des Hotels hinausrollte, donnerte zu dem anderen jener des Fürsten Oktavian herein.

Als Fürst Oktavian Nornenstein, dem anmeldenden Kammerdiener auf dem Fuße folgend, in Reisekleidern in Pompeja's Salon eintrat, flog ihm seine theure Schwiegertochter mit einem Ausrufe der Freude an den Hals und bedeckte sein Gesicht mit Küssen, die Fürst Oktavian gewissenhaft zurückgab. Er fand eine respektable, vornehme Gesellschaft beisammen und konnte sich alsbald überzeugen, daß hier Jedermann sein Pärchen habe: nur Pompeja war allein. Die junge Schwiegertochter war dem Papa gegenüber die Liebenswürdigkeit selbst. Wie reizend ließ ihr nicht das naive Schmollen, als sie erzählte, Alienor sei eben heute verreist, was Papa sicherlich nicht gewußt habe; nun müsse er aber auch bleiben, bis Alienor von seiner Reise zurückkomme. Und dann war von gar nichts weiter mehr die Rede, als von Alienor. Politik, Diplomatie vermochte der Fürst, der doch aus fernen Landen kam, gar nicht aufs Tapet zu bringen: man plapperte ihm immer nur von dem Glücke des ehelichen Lebens, bis er schließlich überzeugt war: sein Sohn habe – zwar eine Mesalliance geschlossen, aber doch wenigstens – ein musterhaft getreues Weibchen genommen.

*

Des andern Tages früh Morgens eilte der Vicomte de Brancardier zu seinem Chef.

Er fand einen fremden Herrn daselbst; doch er hatte jederzeit freien Eintritt in das Kabinet des Staatsmannes und beachtete den Fremden kaum, mit dem dieser eben sprach.

»Die erwartete Wendung ist eingetreten,« sprach er halbleise zu seinem Chef.

»Wie so?«

»Monsieur Zarkany empfing in jener Depesche seine plötzliche Abberufung.«

»Das beweist noch nichts für den Eintritt der Wendung. Möglicherweise ist nur von einer Orts- oder Personenveränderung die Rede.«

»Seine Mienen verriethen Alles. Man konnte seinen vollendeten Sturz in seinem Gesichte lesen. Er wurde erdfahl, wie Einer, der sein eigenes Todesurtheil liest.«

»Das kann auch als Instruktion in dem Schreiben gestanden haben, daß er beim Lesen vor Zeugen erbleichen solle.«

»Seine Lippen bebten, seine Augenbrauen zogen sich zusammen.«

»Ach, mein Herr, die Diplomaten sind vollendete Komödianten. Seine Kniee schwankten, seine Zähne klapperten – ich kenne das; kann Alles in seiner Instruktion gestanden haben. Hat er am Ende nicht auch gar geweint?«

»In der That, seine Augen füllten sich mit Thränen.«

»Nun, sagt' ich's nicht? Das Alles beweist mir nichts. Ich habe derlei bereits mehr als einmal gesehen.«

»Er ist sofort noch in der Nacht abgereist.«

»Beweist auch noch immer nichts.«

»Aber er ließ ein Rendezvous mit einer der schönsten Frauen von Paris im Stiche.«

»Ah?! Nun dann will ich es ihm glauben, daß er gefallen ist. – Erlauben die Herren, daß ich Sie einander vorstelle:

»Vicomte de Brancardier.« – » Le Duc de Nornenstein.«

Es war in der That die höchste Zeit gewesen. Der Vicomte war nahe daran, die schönste Frau von Paris mit Namen zu nennen.

*

Was dann weiter in der großen Welt vor sich ging, hat die Chronik Tag für Tag verzeichnet. Am 9. Juli erklärte der französische Kriegsminister vor den Kammern, die Armee sei schlagfertig. Am 10. ging an den Botschafter nach Wildbad Gastein ein Courier mit bestimmten Instruktionen ab. Am 11. erfloß die Ordre, bei Metz ein Lager zusammenzuziehen. Am 12. erklärte der Minister der Auswärtigen Angelegenheiten vor dem Corps législatif, die Ehre der Nation sei angegriffen. Am 13. hielt eine große Masse von Arbeitern in Paris ein Meeting – im Interesse des Friedens und beschloß, an die Regierung zu petitioniren, dieselbe möge keinen Krieg beginnen. Die betreffende Deputation wurde nicht empfangen. »Der Friede ist die Revolution« hieß es an maßgebender Stelle. Am 14. ließ der König von Preußen dem französischen Gesandten bedeuten: »Er habe ihm weiter nichts mehr zu sagen.« Am 15. wurde dem Könige der Krieg erklärt. Am 16. votirte der Legislative den Credit für den Feldzug und die Mobilmachung der Armee mit zweihundertvierundvierzig Stimmen gegen »eine.«

Für eine einzige Woche der Ereignisse in der That genug.

*


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