Ferdinand Gregorovius
Gedichte
Ferdinand Gregorovius

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Vôcero
auf den Tod der Chilina von Carcheto d'Orezza.

(Die Mutter singt:)
          Ach! sie sagten schon das Ave,
Und ich lag hier an der Bahre;
Schon gekommen sind die Frauen,
Dich zu sehn den Kranz im Haare –
O Chilina, Mutterwonne,
Meine schöne, demantklare.

Weißer warst du denn der Bergschnee,
Mehr denn Reis warst du erlesen;
Ach! dein Leib ist auf der Tola,
Doch dein Geist im Herrn genesen.
O Chilina, Mutterwonne,
Bist so eilig mir gewesen.

O mein Hahn du in den Nächten,
Meine Taube du am Morgen,
Nimmer wirst du heut' erwachen,
Meine Lust du und mein Sorgen.
Ach! Chilina, deine Augen
Haben all' ihr Licht verborgen.

Niemals schickt' sie mich zum Brunnen,
Niemals ließ sie Holz mich spalten,
Denn es hat mich meine Tochter
Einer Herrin gleich gehalten.
Ach! der Tod hat ihr die Flügel
Nun mit einem Mal entfalten.

Wo ist blieben meine Schönhand,
Die Schmalfingerlein die raschen,
Wenn die Fäden sie geknüpft hat
Und die Knoten und die Maschen.
Ach, der Dieb der Fußzehschleicher
Mußte sie so plötzlich haschen.

Ach! was willst du doch Chilina
In so bösem Ort verschwinden!
Nimmer geht dort auf die Sonne,
Feuer kann man da nicht zünden.
O Chilina, Mutterwonne,
Nirgend mehr werd' ich dich finden.

Du wirst nicht mehr in die Messe,
Zu dem Ave nicht mehr gehen,
O Chilina, Mutterwonne,
Nimmermehr werd' ich dich sehen.
Ach! das will mir nicht gefallen,
Daß ich soll verlassen stehen.

(Ein Mädchen tritt in die Todtenkammer und singt:)
Nun steh auf, steh auf, Chilina,
Weil dein Pferdchen ist bereitet,
Und wir wollen nach Carcheto,
Wo die Hochzeitsglocke läutet;
Denn du bist schon aufgeboten,
Und der Brautzug dich geleitet.

Du bewegst dich nicht, du sagst nichts,
O Chilì willst keinen sehen –
Deine Händchen sind gebunden,
Deine Füßchen sind gebunden –
Schwestern, lösen wir die Binden,
Weil sie gern will mit uns gehen.

(Eine Frau fällt ein:)
Stille, still o Madalena,
Denn ich will sie etwas fragen!
Eh' vielleicht als ihrer Mutter
Wird sie mir die Antwort sagen,
Weil zu Haupt ihr doch die Mutter
Also weint und schluchzt in Klagen . . .

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