Ferdinand Gregorovius
Gedichte
Ferdinand Gregorovius

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Marmorata.

        Mit dem kund'gen Meister stand ich
An dem Ufersaum des Tiber,
Wo an weißen Marmorblöcken
Seine Welle rauscht vorüber.

Und der Meister dort beschaute
Sorgsam die Carrara-Steine,
Ob für seine Künstlerwerkstatt
Der und dieser tauglich scheine.

Prüfend sie mit Kennerblicken,
Wie sie glänzen und ertönen,
Ob sie fleckenlos sich ließen
Wandeln in ein Werk des Schönen.

Sprach zu mir der kluge Meister:
Hier im rauhen Block versunken
Schlummert tief manch göttlich Bildniß
Harrend auf des Genius Funken.

Amor ist es, der ihn aufweckt;
Folgen mög' ihm nur der Meister;
Bei dem wählerischen Kaufe
Ihm die rechten Schätze weist er.

Naht er sich dem stummen Marmor,
Klingt es wie aus Memnons Steine,
Sehnt der Stoff sich nach dem Lichte,
Und dem Geist, der ihm sich eine.

Unter'm Meißel quillt das Leben,
Sieh', da fällt die starre Hülle;
Aus dem Blocke springt die Charis,
Venus in der Jugendfülle.

Es entsteigt der Held Achilleus
Hoch und hehr dem Marmorgrabe,
Dort der Satyr und die Nymphe,
Und der flügelfrohe Knabe.

So auch schlummern dir, o Dichter,
In des Busens Nacht Gefühle,
Bis sie auferstehn als Lieder
Bei des Gottes Zauberspiele.

Kaum berührt von seinem Hauche,
Sprengen sie des Todes Banden.
Herz, sind offen deine Gräber,
Sind die Götter dir erstanden?


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