Ferdinand Gregorovius
Gedichte
Ferdinand Gregorovius

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Klagegesang der Kinder Juda in Rom.

        Bitter waren wol die Leiden
Uns'rer Väter, die gefangen
Ihre Harfen aufgehangen
An des Euphrat Trauerweiden:
Aber wir am Tiberstrom,
Eingezwängt in dumpfe Gitter,
Hingen auf die Klagezither,
Kinder Juda wir in Rom.

Enkel Jener, die vom Lande
Kanaan die Römer führten,
Die ob Zion triumphirten
Daß sie sanken tief in Schande.
Waisen Salem's bauen wir
Endlos fort von Glied zu Gliede
Uns'res Jammers Pyramide
Auf dem Römerschutte hier.

Schon zweitausend Jahre trauern
Wir am Fluß, deß gelbe Wellen
Wüst und wild vorüberschwellen
An den öden Ghettomauern;
Mit der Väter Klagemuth
Leiden wir die Leidgeeinten,
Weinen wir wie jene weinten,
Ewig in dieselbe Flut.

Ach! in Kammern, sonnenlosen,
Die das Elend nicht umfassen,
Thürmte uns in engen Gassen
Pharao ein and'res Gosen,
Und es kommen unsere Noth
Zu verhöhnen, zu begaffen
Finst're Mönche, stolze Pfaffen,
In den Blicken Haß und Tod.

Wie der Engel, der vorüber
Wandelnd schreibt die Würgezeichen
An die Häuser, wo erbleichen
Soll das Volk, wankt hier das Fieber,
Und der Plagen volle Zahl,
Angst und Frohn zu allen Stunden
Und die Schande, die verbunden
Mit der hungerbleichen Qual.

Draußen lärmt das Festgepränge
In dem Corso dicht ergossen,
Und es rollen die Carrossen
Durch der Masken bunt Gedränge;
Festlich schmückt sich jedes Haus
Mit der goldgewirkten Seide,
Von Balkonen streut die Freude
Volle Blumenlenze aus.

Dann der Rosen ach! von Saron
Denken wir, wie sie verglühten,
Wie gefallen sind die Blüten
Von dem Mandelstab des Aaron!
Tochter Zions, schmuckberaubt,
Magd von Rom, wie mußt du neigen
In das thränenvolle Schweigen,
In die Asche nun dein Haupt!

Und nun sitzen wir im Schweiße
Uns'res Angesichts die Tage
Vor den Thüren, uns're Plage
Mehren wir mit saurem Fleiße;
Fetz und Flicken, was zerfällt,
Sammeln wir an allen Enden:
Denn uns wirft mit eklen Händen
Nur den Abfall zu die Welt.

Ach! wir denken bei den Flicken
Salomo's: zu Fetzen werden
Muß die Herrlichkeit auf Erden,
Wie die Lumpen hier zerstücken.
O wie sind, die dich geschmückt,
Tochter Zions, deine Spangen
Und dein Feierkleid zergangen,
Und in Fetzen so zerstückt!

Und so seufzen wir und nähen
Auf dem Römerschutt die Flittern,
Und wir denken, so zersplittern
Mußte Rom auch und vergehen;
Aber wir zu seinem Hohn
Klammern fest noch wie die grünen
Epheuranken an Ruinen –
Denn Ruine ist es schon.

Nicht mehr kränken uns am Bogen
Titus' dort die Marmorbilder,
Tempelleuchter, Tisch und Schilder,
Und des Jordan heil'ge Wogen;
Mußten doch in Wust und Graus,
Deine Götter, Rom, erbleichen;
Doch Jehovah's heil'ge Zeichen
Löschte kein Jahrtausend aus.

Gras umweht die Trümmerreste
Dort von Jovis Tempelhallen,
Und in Staub ist sie gefallen
Der Cäsaren hohe Veste;
Aber hier trotz Zeit und Tod
Dauern noch zu deiner Ehre
Ungebrochen die Altäre,
Herr der Zeiten, Zebaoth!

An des Tiberstromes Welle
Bauten wir mit stillem Weinen
Aermlich nur aus rohen Steinen,
Deines Tempels eine Zelle,
Und mit Zeichen ihre Wand
Schmückten wir, um zu gedenken,
Wenn wir drauf die Blicke lenken,
Wie dein Haus so herrlich stand.

Und wir sammeln uns zum Bunde
Abraham's als treue Brüder
Vor der heil'gen Lade wieder,
In der sabbathstillen Stunde,
Und das siebenfache Licht
Auf der siebenfachen Leuchte
Stellen wir, das unerbleichte,
Vor Eloah's Angesicht.

Und dann singen wir mit Zungen
Uns'rer Väter zu den Harfen,
In Accorden, jammerscharfen,
Psalmen David's unverklungen:
Bis die Thräne nimmt den Lauf,
Und sich lösen uns vom Herzen
Die jahrtausend alten Schmerzen
In Messiashoffnung auf.


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