Ferdinand Gregorovius
Gedichte
Ferdinand Gregorovius

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Der Turm Astura.

              Fern in Latium, wo den Wellen
Seine sagenvollen hellen
Zinnen Circe's Cap enthebt,
Steht Asturas Turm und schwebt
Wie ein bleiches Heldenbildniß
Ob des Meers azurner Wildniß;
Schürt der Abend seine Gluten,
Flammt er auf im Schauerlichte,
Einsam warnend in den Fluten,
Schönster Leuchtturm der Geschichte.

An des Meers sandöder Düne
Steht vergessen die Ruine
Gleich der Gralburg hier und ruht
In sirenenstimm'ger Flut;
Wild umkreisen sie mit falben
Flügeln schrille Wasserschwalben;
Konradin! zu gellen scheinen
Wind und Vogel, und zu tragen
Auf den Schwingen dieses einen
Wehgeschreis angstheis'res Klagen.

Die romanzenvollen Lüfte,
Wellensang und Waldesdüfte
Schläfern ein gemach mein Herz,
Selbst zum Träumer wird hier Schmerz,
Und ein Heimweh macht mich weinen,
Läßt Erinnerung erscheinen
Mir im Turm der Ghibellinen
Geister hier in dieser Stunde,
Wie dem Dante sie erschienen
Und gezeigt die Heldenwunde.

Die da sterbend rangen nieder
Romas giftgeschwoll'ne Hyder,
Friedrich, Manfred, Konradin,
Aber, Pfaffentum, entfliehn
Nimmer konnten deinen Schlingen
Und so schlangenstarken Ringen,
O wie strahlen sie im Lichte,
Ihres Tods verklärter Milde
Heller nun durch die Geschichte,
Ein Laokoon-Gebilde.

Riesenkraft hast du entfaltet,
Manfred, sterbend noch gespaltet
Mit des Schwertes letztem Streich
Petri Felsen, Roland gleich;
Und gefaßt in ernstem Schweigen
Sah den Konradin man steigen
Aufs Schaffot; des Blutes Wellen
Sog die Erde gierig nieder,
Und aus tausend Rachequellen
Gab Sicilia sie wieder;

Deutschland wieder, als bestritten
Jenen Drachen die Hussiten,
Und von Wittenberg der Schwan
Hat durchbraust den Vatican
Und zerrupft Sanct-Petri Taube.
Doch das Reich – es liegt im Staube!
Mit des Purpurs Fetzen schmückten
Dreißig mal sich, die zerbrachen
Friedrich's Krone, und zerstückten
Dreißig mal den Stuhl von Aachen.

Abgeschirrt vom Siegeswagen
Sind die Rosse, die getragen
In dem Völkerlauf voran
Die jahrhundertlange Bahn
Dich, Europas Scepterführer,
Deutschland dich, der Welt Regierer;
Neuem Anjou nun den Bügel
Hältst du, dem verwog'nen Steurer,
Gibst der Weltgeschichte Zügel
Tatenlos dem Abenteurer.

Wie die Vögelschwärme reisen
Immerzu in wüsten Kreisen
Schrill und wild zu Häupten dir,
Also meine Klagen hier,
Turm Astura, lass' ich steigen,
Heimatlose Seufzerreigen,
Deutsches Grenzmal, wo vom Herzen
Sich Germania der süßen
Schwester riß mit tiefen Schmerzen,
Die noch späte Enkel büßen.

Denn Geschwister sind sie beide,
Gleich an Ruhm und gleich an Leide.
Aehnelt, Deutschland, dein Gesicht
Auch der schönern Schwester nicht,
Lorbern kränzen es nicht minder.
Der Geschichte Waisenkinder
Müßt die Sehnsucht ihr verhehlen,
Die euch ewig hält gebunden
Eure gleich zerriss'nen Seelen,
Die mitsammen nur gesunden.

Aber einst den Haß zu sühnen
Steigt herab die Apenninen
Waffenlos Germania frei
Durch die freie Lombardei
Zu der Römerfahrt hernieder.
Dann umarmen wird sie wieder
Heiß Italia, am Busen
Ruh'n sie sich, verschmerzter Zeiten
Froh gedenk – Europas Musen,
Werden sie die Welt durchschreiten;

Führerinnen dann der Heere
Wieder, freier Völkerchöre,
Die zum Tempel der Cultur
Festlich folgen ihrer Spur,
Wenn den Dom des Friedens gründen
Völker, und in Rom entzünden
Nord und Süd Versöhnungsflammen,
Und verbrennen jener alten
Zwietracht Waffen dann mitsammen,
Die die Menschheit einst gespalten.

Sind es Träume, die ich dichte,
Ist es Zukunft der Geschichte
Und des Geistes Frühlingsweh'n,
Den ich schaudernd fühle geh'n
Auf des Ostens Dämmerungen?
Sieh', ein Haupt vom Geist durchdrungen
Ward die Erde schon, Gedanken
Läßt sie, flügellose, gleiten,
Blitzen gleich, an tausend schwanken
Ketten durch den Raum der Zeiten.

Aber die Gedankengassen,
Diese geisterschnellen Straßen,
Die sich schlingen um die Welt,
Despotie hat sie bestellt.
Auf gebahnten Pfaden streben
Mord und Haß durchs Erdenleben:
Aber wandern in der Irre,
Durch die ungebahnte Trübe,
Allzuspät muß durch die wirre
Wildniß erst die Menschenliebe.

Und des Geistes Ritter schweifen
In der Wüste wir und streifen
Nach der Menschheit heil'gem Gral,
Wie der Pilger Parcival;
Aber könnt' ich ihn ereilen,
Wollt' ich wandern tausend Meilen
In der Wildniß ohne Trauer,
Bis ich könnte sehen steigen,
Dom der Menschheit, deine Mauer,
Und mein Haupt anbetend neigen.


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