Ferdinand Gregorovius
Gedichte
Ferdinand Gregorovius

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Vôcero
eines jungen Mädchens auf den Tod ihrer Gespielin,
welche im Alter von vierzehn Jahren starb.

(Dialekt von Vico.)
(Das Mädchen singt:)
          Heute früh ist meine Gespielin
Mit dem schönsten Staate gezieret,
Denn vielleicht wird sie verlobet,
Vater und Mutter sie verlieret.
Ist sie schon bereit und fertig,
Daß man sie zum Bräutigam führet?

Allbeisammen ist die Pieve,
Und man höret nichts als Klagen;
Traurig läuten alle Glocken,
Kreuz und Fahne wird getragen.
Und wie ist doch deine Feier
So in Trauer umgeschlagen!

Heut' verreiset meine Gespielin,
Reiset nach entfernten Landen,
Meinen Vater will sie besuchen,
Wo sich unsre Vorfahren fanden,
Wo ein Jeder muß verweilen,
Wo man gehet Hand in Handen.

Weil du Land und Luft willst ändern,
Deiner Heimat dich entschlagen,
Ist es gleich noch viel zu frühe,
Sich so jung hinaus zu wagen –
Hör' ein bischen deine Gespielin,
Dir so lieb in früheren Tagen.

Ein klein Briefchen will ich schreiben,
Alsogleich und will es dir geben,
Gar nicht will ich es versiegeln,
Weil ich kann der Hoffnung leben,
Daß du gleich nach deiner Ankunft
Meinem Vater es wirst geben.

Und dann sage ihm auch mündlich
Neuigkeiten von den Seinen,
Daß die Kleine, die am Herde
Er verlassen in bitterm Weinen,
Wol gedeiht und groß ist worden
Und sich aufnimmt, wie sie meinen.

Und daß seine älteste Tochter
Einem Manne wurde zu eigen,
Daß ein Söhnchen sie geboren,
Einen Ast voll Blumenzweigen,
Daß er schon den Babu kennet,
Mit dem Finger ihn kann zeigen.

Daß er seinen Namen führet,
Den ich hoch in Ehren halte,
Und er hat so schöne Glieder
Zierliche und wolgestalte.
Alle die das Kindlein sehen,
Sagen gleich: ganz wie der Alte.

Sage auch dem lieben Onkel,
Daß sein Dorf ist wol geborgen,
Seit er mit so vielen Kosten
Jenen Brunnen ließ besorgen.
Und daß alle an ihn denken,
Wie den Abend so den Morgen.

Wenn wir in die Kirche kommen,
Wenden wir uns zu der Stelle,
Wo wir ihn bestattet haben,
Dort an jener Altarschwelle;
Dann thut gleich das Herz uns wehe,
Und die Tränen fließen helle.

Seht! nun kommt der Herr Curate,
Dich mit Wasser einzuweihen;
Alle stehn mit bloßem Haupte –
Um den Sarg sich andre reihen –
Geh' nun ein zum Himmel, Liebste,
Mit dem Herren dich zu freuen.


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