Ferdinand Gregorovius
Gedichte
Ferdinand Gregorovius

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Im Kloster zu Venzolasca.

Transfiguration.

            Zu einem schattendunkeln Wald
Hat mich der Irrweg hinverschlagen,
Die Sonne ging zu Rüste bald,
Da sah ich Klostermauern ragen.

Der Epheu schlug um's graue Tor
Den wonnesamsten Ehrenbogen,
Ein alter Oelbaum stund davor,
War auf die Klosterwacht gezogen.

Der that mir hold mit stillem Ast
Wol in den Kreuzgang winken,
Als wär' er Pförtner der den Gast
Zum Beten ladet oder Trinken.

Todt ist der Mönch, der hier gehaust,
Und hier gekeltert hat die Traube,
Und mit den Brüdern hat geschmaust
In blütenduft'ger Gartenlaube.

Die Rebe schreibt mit leiser Hand
Inschriften liebesam zu lesen
Mit grünen Lettern an die Wand,
Weß Ordens der Convent gewesen.

Der Crucifixus – wunderbar! –
Ein Christus schien's pfingsthimmeltrunken,
Vom Marterholz gefallen war
G'rad in das Rebenlaub gesunken.

Und eine Rebe sah ich da
Des Herren Füße fest umschließen,
Das war die blonde Magdala,
Mit ihrem Kuß, dem sündig süßen.

Johannes auch als Rose lag
Dem Herrn zu Haupt auf seinen Knieen,
Und sah verzückt empor und sprach
Zur Trauerweide, zu Marien:

»O ring' die Hände nicht in Not!
Was kann's auf Erden Bessres geben,
Als einen heißbeweinten Tod,
Nach einem jungen Liebeleben?«

Die blonde Rebe lispelnd rief:
»Ergossen hab' ich meine Schmerzen,
Die Lust die mir im Busen schlief,
Ergossen voll aus vollem Herzen.«

Still dacht' ich dem Mysterium nach,
Dem Christentum das worden trübe;
Die Rose sah mich an und sprach:
»O Mensch! am Anfang war die Liebe!


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