Ferdinand Gregorovius
Gedichte
Ferdinand Gregorovius

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Ninfa.

                      Ninfa, versunkene Stadt, lenzgrüne Gruft,
Behausung für die Kinder nun der Luft,
Die dich in Epheuschleier ganz verhüllen,
Mit Blumenwäldern deine Trümmer füllen,
Und Blätterharfen halten aufgespannt,
Drauf Lieder spielt des Windes Meisterhand
In Tönen wunderbar: könnt' ich dich malen,
Wie dich der Abend malt in Purpurstralen,
Verhaucht er sein phantastisch Glutenbild
Auf deine Türme schauerlich und wild!

Pontinische Haiden hier, wo dunkle Seen
Mit wellenlosen Fluten dampfend stehn,
Und Moore brodeln schwarz und rostig rot,
Wie Kessel, darin ekle Hexen Tod
Giftmischend brau'n und Pest und faule Fieber.
Kaum streift ein Vogel an dem Pfuhl vorüber,
Und kaum erschallt ein Ton. Hier warf der Tag,
Daß nichts fortan ihr mehr entquellen mag,
Verzweifelnd seine Urne in den Sumpf.
Hier wittern die Jahrhunderte so dumpf
Wie Stunden leeren Schlafs; der Zeit nur richten
Sie Pyramiden auf ans Moderschichten.

Nun wieder Wälder hoch und wipfelprächtig,
Gedankenstill, von Schatten mitternächtig,
So tief, so ernst, als wandelten allein
Erinnyen in ihrem Purpurschein.
Es drückt in heißer Liebewut Entflammen
Bacchantischer Epheu wild den Forst zusammen,
Und Winde häufen Blätter dürre, bleiche
Als Bahre für des holden Sommers Leiche,
Die durch den Wald am Blumenhaar sie schleifen,
Und klagend dann im tiefsten Sumpf ersäufen.

Sieh' moosige Türme, die gen Himmel glühn
Und Mauern, die vom Ginster lachend blühn,
Und Kirchen, die in Rankendämmerungen
Der epheuarmige Tod so fest umschlungen!
Dies ist Ninfa! einst eine Stadt voll Glanz,
Verlassen nun und leer, ein welker Kranz,
Den einst das thatenvolle Leben wand,
Und dann die Zeit wegwarf aus ihrer Hand.

Feind war der Lenz, der sie im Sturm verheert;
Ja, Blumen haben diese Stadt zerstört.
Rings Ranken, die den goldnen Tag verdüstern,
Es rauscht und weht ihr unablässig Flüstern;
Hier ist Prophetenzunge jedes Blatt,
Von Blumenglocken hallt die ganze Stadt.

Verfallene Kirchen, geisterstill und grün,
Durch deren Hallen Winde pilgernd ziehn!
Der Epheu kriecht um blasse Heil'ge schon
Und deckt ihr Angesicht mit leisem Hohn,
Blickt es erzürnt noch auf des Nimbus Glanze
Den Blumen zu und ihrem frohen Tanze;
Denn in des Dufts mänadenhaften Schleiern,
Sieht es die ketzerischen Rosen feiern
Den Dienst im Tempel, draus der Mönch entflohn.

Noch ragt am Kreuz auf morschem Leidenstron
Das hohe Bild empor vom Gottessohn.
Es schweben auch, dem Herrn zu jeder Seite,
Die Schacher noch, sein trauriges Geleite,
Wie graue Habichte, die an die Wand
Der Jäger schlug, die Flügel ausgespannt.
Der Dornbusch wildert um die faulen Stämme,
Dran hangen Flechten, Venushaar und Schwämme.
Die Kreuze neigen sich – sie sinken linde,
Sie werden fallen bei dem nächsten Winde.

O Christentum, wirst du vergehn gleich allen
Religionen, die vor dir gefallen
Und nur im Marmor und im Namen fort
Noch dauern sowie im entseelten Wort,
Gedächtniß nur? der längst vergangnen Zeit
Zerstörter Palast, ein entfärbtes Kleid,
Darein sich Denken nimmer hüllt? Und bleichen
Im Staub dereinst die altehrwürd'gen Zeichen,
Vor denen einst im gläubigen Gebet
Die Menschheit sich ein himmlisch Heil erfleht?
Ja, werden sie dann sein verschollne Sagen,
Wie jene Götter aus der Vorwelt Tagen,
Nur Forscher reizend auf des Wissens Spur,
Nichts mehr als Isis und Osiris nur?

Wird einst aus des Sanct-Peters hohen Mauern
Der Dornstrauch wehn, der bleiche Grashalm trauern?
Und werden ragen sie dereinst aus Moder,
So düster wie Ruinen Balbecks, oder
Die Burg des Palatin und Zions Trümmer,
Wenn einst bei eines Fackellichtes Schimmer
Neugierig dort der Fremdling steigt umher
In Hallen still und schauerlich und leer,
Und staunt, wie auch des Priestertumes Macht
Bedeckt die zweite Katakombennacht,
Und lauscht, wie es dort wankt durch's Labyrint?
Um riesige Pilaster pfeift der Wind,
Die graue Eule flattert ein und aus,
Und singt ihr Nachtlied in der Päpste Haus.
Ja, deckt das alles einst in tiefer Ruh,
Wie Ninfa hier, der grüne Epheu zu?

Wer gibt mir Antwort? Tiefstes Schweigen!
Hier sind nur Halme, die sich nickend neigen;
Hier rauscht allein, Vergessenheit, dein Strom;
Hier wölbt Natur des Schweigens schönen Dom.
Der Wandrer wird, wie hier erschreckt er weilt,
Von der geheimnißvollen Nacht ereilt
Indessen Stimmen, die bald nahn, bald fliehn,
In ihren Bann geheimnisvoll ihn ziehn.

Die Epheugeister.

Wir sind Parzen dieser Erde;
An der Weltgeschichte Herde
Spinnen, Menschheit, wir dein Los.
Kannst du zählen, die versanken
In die dunkeln Epheuranken,
Völkerstädte, klein und groß?

In des Sandmeers bleichem Schimmer,
Siehst du, um Karthagos Trümmer
Unsre Trauerfahnen wehn,
Und viel holde Geister winden
Der Erinnerung grüne Binden
Um das herrliche Athen.

Könnten wir die Sehnsucht stillen,
Tief in Blätter es verhüllen
Auch das zweite hohe Rom!
Daß ein Frühling drüber rankte
Daß als Wrack es weiter schwankte
Auf des Zeitenmeeres Strom!

Könnten wir wie Ninfa's Zinnen,
Wie die Türme hier umspinnen,
Wie dies Grab den Erdenball!
Was ist er im Flug der Zeiten?
In des Raums Unendlichkeiten
Nur ein Epheublatt im All!

———
Der Mond geht auf – sein süßes Licht umwebt
Schon Norbas grauen Fels, auf dem er schwebt.
Nichts hör' ich jetzt, als nur das stille Nagen
Des Nachtgewürms, im Sumpf des Huhnes Klagen;
Wie schwermutsvoll die Binse rauscht und weht,
Wenn träumend durch das Schilf der Nachtwind geht!
Der Feuerwurm mit irr unstätem Schein
Fliegt auf und ab; er scheint ein Geist zu sein,
Der noch Gedankenblitze scheu und wild
Durch's Dunkel streut des Wahns, der ihn umhüllt.

Es zuckt die Feuerfliege auf und nieder
Um's Angesicht der grauen Schächerbrüder,
Des Windes Marionetten, die dort schweben
Und in dem Mondeslicht unheimlich beben.
Sie regen sich, du glaubst, als ob in düstern
Verworrnen Tönen du sie hörtest flüstern.

Der erste Schächer.

Eulenschrei und Mondesstral,
Meteore wüst und fahl,
Und der Winde Geisterchor
Rütteln mich vom Schlaf empor.

Wie sieht aus die Erde, seit
Ich verträumt so lange Zeit?
Kirchentrümmer rings umher . . .
Ist das Christenreich nicht mehr?
In dem sommernden Gewilder
Die versunk'nen Götzenbilder –
Und ich selbst von Epheuranken
Rings umschwebt, die um mich schwanken,
Diese Kreuze neben mir,
Auch der Christ bemoost wie wir,
In den menschenöden Gassen
Schon vergessen und verlassen?

Bei der Sterne falbem Schimmer,
In dem Buche dieser Trümmer
Kann hohnlachend ich es lesen,
Was da kommt, und was gewesen.
Konnte Er das Heil gewähren?
Machtlos blieben seine Lehren;
Lucifer beherrscht die Welt;
Der Meduse Viper hält
Noch ihr häßlich Haupt umschlungen.
Hat der Mensch auch viel bezwungen,
Schafft ihm dennoch Götzen neu
Priesterlist und Tyrannei.

Soll die Erde ich betrauern?
Ihrer Torheit Felsen dauern
Länger als Cyclopenmauern.
Häng' ich hier noch tausend Jahr,
Bleibt der Mensch doch, was er war,
Solch ein Tropf, wie an dem Tag,
Da zum Weib die Schlange sprach.

Abels Blut strömt fort auf Erden;
Ja, zum Kain ewig werden
Muß, was in dem Staub erzeugt,
Nackt dem Mutterschoß entsteigt.
Wurm des Augenblicks, voll Gier
Nagt's der Erde Rinden hier.

Und der Herr treibt seine Welt,
Drauf er so am Faden hält
Puppen, die mit Hochgefühlen
Ihres Seins Vernichtung spielen.
Ihrer Thaten laut Gepränge,
Der Begierden wüste Menge,
Ihre Götter, ihre Kraft,
Ihre ganze Wissenschaft
Sind so abgeschmackt und klein,
Daß die Welt nur wert, zu sein
Der Geschöpfe Rabenstein.

Ich, der alte Christverächter,
Stimme ein in's Hohngelächter
Dieser Eule. – Komm', o Wind,
Wieg' in Schlaf mich ein geschwind,
Gleich dem rost'gen Wetterhahne;
Denn es führt in ihrer Fahne
Diese Menschheit ewig wol
Mich, den Schächer, ihr Symbol.

Der zweite Schächer.

Geister rufen durch die Nacht –
Aus dem Schlaf bin ich erwacht. –
Auch der Furie grimmer Sohn
Sprach vom Kreuz herab voll Hohn
Flüche, die mir nimmer rauben
An das Ideal den Glauben.
Naht sich schon die große Stunde,
Wo ich ruh' im Epheugrunde,
Wenn vom morschen Holz der Pein
Mich die Liebe wird befrei'n,
Wenn den todten Seraph hier,
Der noch duldet neben mir,
Aus dem Schlummer, der ihn deckt,
Einst der neue Geist erweckt?

Horch! Ein Bröckeln durch die Welt
Hört man, Wahn um Wahn zerfällt;
Von dem Turm der Priesterfabel,
Von dem alt' und neuen Babel
Hat die Hand der mächt'gen Zeit
Steine rings herabgestreut.

Hell und heller wird die Erde
Von den Flammen, die am Herde
Des Gedankens schaffend sprühn;
Ihre Feuerkreise ziehn
Weiter, bis das eine Licht
Alle Finsterniß durchbricht.

Ja, die Sühnung wird vollendet
Und Vergebung mir gespendet.
Frieden wird die Menschheit haben,
Wenn den Schächer sie begraben.
Dann versinket morsch und alt
Unsrer Kreuze Mißgestalt;
Ja, dann deckt zu ew'ger Ruh
Uns der Epheu endlich zu.

Morgen wird's, der Glühwurm blaßt,
Und mein leises Ohr erfaßt
Schon die Cherubim dort oben,
Die den Herrn im Liede loben.

Stimme in der Luft.

Was sind jene Sphären all,
Die da rollen Ball um Ball
Seit Aeonen Schöpfungsjahren?
Sonnenstäubchen oder Schaum
Einer Welle nur im Raum.
Ob sie sind, ob nie sie waren,
Das Allwesen merkt es kaum.

Einer Wolke gleich voll Duft
In der azurblauen Luft,
Ist die Welt im Weltenrunde.
Ihr unmeßbares Geschick,
All ihr Weh und all ihr Glück
Ist die Blume der Secunde,
Und der Hauch vom Augenblick.

Die Geschichte ist ja nur
Inschrift oder flücht'ge Spur
Eines Tons aus Ewigkeiten,
Von dem Geist, ihr unbekannt;
Schleier, welchen seine Hand
Webend um die Welt läßt gleiten,
Ihr zerfasernd Prachtgewand.

Andere Stimme.

Was die flücht'ge Stunde schafft,
Lebt vom All und seiner Kraft,
Wird vom Ewigen umschlossen,
Ist sein blühend Bild und Wort.
Und die Gottheit lebt noch fort
Selbst im Tropfen, der zerflossen,
In der Rose, die verdorrt.

Durch des Wissens hohes Tor
Erdengeist, schwing' dich empor
In die schrankenlosen Weiten!
Wenn zertrümmert ist der Lug,
Der verknechtende Betrug,
Tilgst du in beglückten Zeiten
Auch des Kain Bruderfluch.

Wenn ein Stralenhimmel scheint
Ueber Völker, die vereint
Sich mit Palmen froh bekränzen;
Dann vom Haß verfinstert nicht
Wird ihr herrlich Angesicht –
Nein! die Erde muß erglänzen
Von der Liebe, die ihr Licht!

Rom, 1863.


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