Emanuel Geibel
Klassisches Liederbuch
Emanuel Geibel

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An Virgilius.

        Schon von Thracien her weht es wie Lenz und sanft
Auf beruhigtem Meer schwellen die Segel an,
Nicht mehr starren die Aun, brausen die Wasser hin,
    Angeschwollen vom Winterschnee.

Ihres Itys gedenk, baut sich die Schwalbe jetzt
Kläglich zwitschernd das Nest, sie, des Cecroperstamms
Unauslöschliche Schmach, weil sie des Königes
    Wilde Lüste zu wild gerächtProkne wurde zur Schwalbe verwandelt, weil sie ihrem Gemahle, dem König Tereus, der mit ihrer Schwester gebuhlt, den eignen Sohn Itys zum Mahle vorgesetzt hatte..

Am zartgrünenden Hang singen die Hirten dort
Bei den Lämmern ihr Lied in der Schalmeien Ton,
Jenem Gotte zur Lust, welcher Arkadiens
    Schattengipfel und Herden liebt.

Durst auch, teurer Virgil, brachte der Frühling mit;
Aber willst du bei mir echten Calenersaft
Schlürfen, sonst nur ein Gast adliger Jünglinge,
    Liefre Narden für Wein zum Fest.

Schon ein schmales Gefäß zaubert den Krug heran,
Der im Keller mir noch ruht beim Sulpicius;
Junger Hoffnungen Schwall birgt er im Schoß und spült
    Auch die bitterste Sorg' hinweg.

Kann dich solch ein Gelag reizen, so komm und laß
Nicht dein Scherflein daheim; wahrlich, du sollst mir nicht
Unbesteuert vom Rausch meiner Pokale glühn,
    Wie an fürstlicher Gönner Tisch.

Laß denn jeden Verzug, laß die Geschäfte heut,
Und des Grabes gedenk, flicht in des Lebens Ernst
Froh, solang' es vergönnt, Scherze des Augenblicks!
    Süß ist Torheit am rechten Ort.


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