Emanuel Geibel
Klassisches Liederbuch
Emanuel Geibel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

An Venus.

            Rufst du, Venus, nach langer Rast
Mich aufs neue zum Kampf? Schon', ich beschwöre dich!
    Ach, nicht bin ich derselbe mehr,
Den einst Cinaras Reiz lieblich beherrscht; es beugt,
    Wilde Mutter des holden Sohns,
Dieser Nacken, von zehn Lustren verhärtet, sich
    Schwer nur unter dein sanftes Joch;
Geh, wohin dich das Flehn schmeichelnder Jugend ruft!
    Als willkommneren Gast fürwahr
Trägt dein Flügelgespann purpurner Schwäne dich
    Heut in Maximus Paulus' Haus,
Wenn ein zärtliches Herz du zu entflammen sinnst.
    Denn von edlem Geschlecht und schön
Und nie stumm für das Recht zagender Schützlinge,
    Früh auch jeglicher Kunst vertraut,
Wird er deines Paniers würdiger Streiter sein.
    Und wenn einst er, den reicheren
Gaben andrer zum Hohn, Sieger im Kampfe blieb,
    Weiht zum Dank er ein Marmorbild
Unter Zederngebälk dir am Albanersee.
    Dort in köstlichem Weihrauchsduft
Schwelgst du dann und vernimmst gerne den Festgesang,
    Drein zu phrygischem Flötenschall
Hell die Leier und Pans ländliches Rohr erklingt.
    Dort, Hochheilige, feiern dich
Zweimal täglich im Reihn Mädchen und Jünglinge,
    Die mit schimmerndem Fuß den Grund
Im dreifältigen Takt stampfen der Salier.
Mir frommt Knaben- und Frauenreiz,
Frommt erwiderter Glut lieblicher Wahn nicht mehr,
    Noch geselliger Becherkampf
Oder frisch um das Haupt duftender Blumenschmuck.
    Doch warum, Ligurin, warum
Stiehlt die Träne sich mir heimlich die Wang' herab?
    Was verwirrt den beredten Mund,
Daß er wider Gebühr mitten im Worte stockt?
    Ach, im nächtlichen Traum, wie oft
Halt' ich schon dich im Arm, oder du fliehst vor mir,
    Und durchs grasige Feld des Mars,
Durch die Wasser des Stroms, Harter, verfolg' ich dich.

 << zurück weiter >>