Emanuel Geibel
Klassisches Liederbuch
Emanuel Geibel

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An Manlius Torquatus.

        Ringsum taute der Schnee; schon grünt im Gefilde der Rasen,
    Grünt an den Bäumen das Laub;
Wechselnd verjüngt sich die Flur und beruhigt am hohen Gestade
    Wandeln die Ströme dahin.
Mit den Nymphen versucht und den Zwillingsschwestern die nackte
    Grazie schüchtern den Tanz.
Hoff' Unsterbliches nie! So mahnt dich das Jahr und die Stunde,
    Die den Genuß dir entführt.
Tauwind löset den Frost, in den Frühling drängt sich der Sommer,
    Um zu enteilen, sobald
Reich an Früchten der Herbst sein Horn ausschüttet' und eh' du's
    Denkst, ist der Winter zurück.
Wohl am Himmel erneut sich der Mond stets, wann er dahinschwand,
    Wir, zu den Vätern einmal,
Zum Äneas entrückt, zu dem prächtigen Tullus und Ancus,
    Sind nur Schatten und Staub.
Wer kann sagen, daß ihm zu dem heute Bescherten ein Morgen
    Gnädig der Gott noch verleiht?
Nichts ist sicher bewahrt vor lachenden Erben, als was du
    Heiter der Stunde gewährst.
Bist du geschieden einmal und hat dir rühmlichen Spruch erst
    Minos, der Richter, gefällt:
Führt kein Adel dich mehr, kein Zauber der Rede, Torquatus,
    Kein Sühnopfer zurück.
Artemis selber entreißt den geliebten Hippolytus nimmer
    Drunten der stygischen Nacht,
Ach, und es sprengt selbst Theseus' Kraft die letheischen Fesseln
    Seines Pirithous nie.

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