Emanuel Geibel
Klassisches Liederbuch
Emanuel Geibel

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An Kalliope.

                Nun steig herab vom Himmel, Kalliope,
Und laß zum Ton der Flöte, Gebieterin,
    Ein großes Lied hellstimmig schallen,
Oder begleit es auf Phöbus' Leier.

Vernahmt ihr's? Oder täuscht mich ein holder Wahn?
Mir ist, ich hör's, wie schweifenden Fußes sie
    Herwallt im Götterhain, melodisch
Von den Gewässern umrauscht und Lüften.

Mich deckten auf Apuliens Geierberg,
Wo einst als Kind ich, ferne dem Vaterhaus,
    Vom Spiele müd' in Schlaf gesunken,
Himmlische Tauben mit jungem Laub zu.

Ein Wunder deucht' es allen, soviel umher
Im hohen Klippennest Acherontias,
    Soviel im üpp'gen Tal Forentums
Wohnen und an den Bantiner Waldhöhn,

Wie sicher ich vor Bären und Natternbrut,
Geborgen unter heiligem Lorbeerreis
    Und Myrten schlief, ein sorglos Knäblein,
Gnädig behütet von euch, ihr Musen.

Denn euer bin ich, euer, umwehe mich
Sabinums Bergluft oder der Schattenhain
    Pränestes, winke Tiburs Hang mir
Oder der plätschernde Golf von Bajä.

Nicht hat mich, eurer Quellen und Tänze Freund,
Philippis rückwärts flutende Schlacht versehrt,
    Nicht jenes Unglücksbaums Herabsturz,
Noch im Sizilischen Meer das Felsriff.

Seid ihr mit mir, so darf ich mich frohgemut
Im Schiff dem wild aufbrausenden Bosporus
    Vertraun und durch den heißen Flugsand
An der assyrischen Küste pilgern,

Den Briten darf ich, welcher den Fremdling würgt,
Getrost den Roßblut schlürfenden Kantaber
    Aufsuchen und am Szythenstrome
Ruhig dem Pfeil des Gelonen trotzen.

Ihr lasset Cäsarn, wenn der Erhabene
Sein müdes Haupt im Schoße der Städte barg
    Und Stille sucht nach Kampf und Mühsal,
In den pierischen Grotten ausruhn.

Friedsel'gen Rat erteilet ihr Holden ihm
Und freut euch eures Rates. Doch wissen wir,
    Wie mit des Donners Keil die Rotte
Frevler Titanen er einst zerschmettert,

Zeus, der den Erdball, der die Gewässer lenkt,
Gesetz den Städten gibt und dem Schattenreich,
    Und Götter gleichwie Staubgeborne
Einzig beherrscht mit gerechtem Zepter.

Wohl kam ein Graun ihm, als mit gewalt'gem Arm
Tollkühn die Riesenjugend den Sturm begann
    Und jenes Paar anhub, den wald'gen
Pelion auf den Olymp zu wälzen.

Doch was vermochte Typhons und Mimas' Kraft,
Was alle Drohgebärde Porphyrions,
    Was selbst Enceladus, der kühne
Schleudrer entwurzelter Eichenstämme,

Als ihnen Pallas' tönender Götterschild
Entgegenblitzt'? als hier sich Vulkan erhub,
    Dort Junos Gottheit und des goldnen
Nimmer versagenden Bogens Meister,

Er, dem vom klaren Taue Kastalias
Die Locke trieft, der Lyciens Myrtenflur
    Und seines Eilands Hain umwaltet,
Delos' und Pataras Gott, Apollo?

Kraft ohne Rat stürzt unter der eignen Wucht,
Kraft, wenn sie Maß hält, führen die Götter selbst
    Zum Ziele, doch verhaßt ist ihnen
Übergewaltiger Stärke Frevel.

Mein Wort bezeug' euch Gyas, der Gäa Sohn,
Der hundertarm'ge, jener Orion auch,
    Der, frech Dianas Reiz begehrend,
Unter den Pfeilen erlag der Jungfrau.

Schwer deckt die Erd' ihr eigenes Greulgeschlecht,
Die Brut bejammernd, die zu des Orkus Nacht
    Der Blitz gestürzt; noch nicht durchfraß ihr
Zehrendes Feuer die Last des Ätna.

Der Geier läßt, zum Rächer der Schuld bestellt,
Von deiner Brust nicht, lüsterner Tityos,
    Und Ketten, dreimal hundert, drücken
Ewig, Pirithous, dich, den Buhler.


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