Emanuel Geibel
Klassisches Liederbuch
Emanuel Geibel

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Sappho von Mitylene auf Lesbos.

Ode an die Aphrodite.

        Die du thronst auf Blumen, o schaumgeborne
Tochter Zeus', listsinnende, hör mich rufen,
Nicht in Schmach und bitterer Qual, o Göttin,
    Laß mich erliegen!

Sondern huldvoll neige dich mir, wenn jemals
Du mein Flehn willfährigen Ohrs vernommen,
Wenn du je, zur Hilfe bereit, des Vaters
    Halle verlassen.

Raschen Flugs auf goldenem Wagen zog dich
Durch die Luft dein Taubengespann und abwärts
Floß von ihm der Fittiche Schatten dunkelnd
    Über den Erdgrund.

So dem Blitz gleich, stiegst du herab und fragtest,
Sel'ge, mit unsterblichem Antlitz lächelnd:
»Welch ein Gram verzehrt dir das Herz, warum doch
    Riefst du mich, Sappho?

Was beklemmt mit sehnlicher Pein so stürmisch
Dir die Brust? Wen soll ich ins Netz dir schmeicheln:
Welchem Liebling schmelzen den Sinn: Wer wagt es,
    Deiner zu spotten?

Flieht er: wohl, so soll er dich bald verfolgen,
Wehrt er stolz der Gabe, so soll er geben,
Liebt er nicht: bald soll er für dich entbrennen,
    Selbst ein Verschmähter.«

Komm denn, komm auch heute, den Gram zu lösen!
Was so heiß mein Busen ersehnt, o laß es
Mich empfahn, Holdselige, sei du selbst mir
    Bundesgenossin!

Liebeslied.

      Hochbeglückt wie selige Götter deucht mir,
Wem dir tief ins Auge zu schaun und lauschend
An dem Wohllaut deines Gesprächs zu hangen
    Täglich vergönnt ist,

Und am Sehnsucht weckenden Reiz des Mundes;
Doch mir schrickt im Busen das Herz zusammen,
Wenn du nahst, beklommen versagt die Stimme
    Jeglichen Laut mir.

Ach, der wortlos Starrenden rinnt urplötzlich
Durch die Glieder fliegende Glut; verworren
Flirrt es mir vor Augen, und dumpf betäubend
    Klingt es im Ohr mir. –


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