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III. Kapitel

Im Arbeitszimmer war das Mondlicht bereits bis zu ihrem Gesicht geglitten. Noch mehr Erinnerungen kamen ihr, – aus den ersten Tagen in diesem alten Hause.

Im ersten Winter hatte sich Summerhay bei einer Parforcejagd verletzt. Heute, nach zwei Jahren, war die Erinnerung an die Zeiten, da sie ihn gepflegt hatte, seltsam angenehm. Um seine Genesung zu beschleunigen, waren sie in die Pyrenäen gereist. Argèles im März, Mandelblüten gegen einen tiefblauen Himmel, – wundervolle vierzehn Tage. In London, auf ihrer Rückreise, war dann die erste peinliche Begegnung erfolgt. Als sie eines Abends das Theater verließen, vernahm Gyp hinter sich eine Frauenstimme: »Da ist ja Bryan! Ich habe dich seit einer Ewigkeit nicht gesehen!« Und seine Antwort kam gedehnt, abwehrend: »Guten Tag, Diana!«

»Wo steckst du denn immer? Warum besuchst du uns nicht?«

»Auf dem Land. Ich werde nächstens einmal kommen. Adieu.«

Ein hochgewachsenes Mädchen, rothaarig, mit einer wundervollen weißen Haut und braunen – ja, braunen Augen! … Gyp bemerkte, wie diese Augen sie voll brennender Neugierde von oben bis unten betrachteten. Bryan nahm ihren Arm. »Komm, wir wollen einen Wagen nehmen.«

Sobald sie aus dem Gedränge waren, drückte Gyp seine Hand und fragte:

»Wer war das?«

»Eine Kusine, Diana Leyton.«

»Kennst du sie sehr gut?«

»O ja, früher.«

»Und magst du sie sehr gern?«

»Freilich!«

Er blickte ihr ins Gesicht; hinter seinem Ernst sprudelte Lachen auf. Aber bis zum heutigen Tage war die Gestalt des schlanken Mädchens mit der blühendweißen Haut, den glühenden braunen Augen, dem flammendroten Haar für Gyp keine ganz angenehme Erinnerung. Von jenem Abend ab gaben sie jeden Versuch auf, ihr Zusammenleben zu verbergen, gingen überall hin, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob sie Bekannte treffen würden. Nichts ist leichter, als die Gesellschaft zu ignorieren, wenn andere Dinge das Herz erfüllen. Außerdem waren sie ja selten in London. Doch verlor Gyp niemals das Gefühl, daß ein Zustand, der ihr ideal erschien, für ihn vielleicht nicht ideal war. Er sollte in Gesellschaft gehen, mit Leuten zusammenkommen. Er durfte nicht von gesellschaftlichen Pflichten und Vergnügungen abgeschnitten sein und eines Tages empfinden, daß dies ihre Schuld sei. Auch war es für ihn ermüdend, jeden Tag nach London zu fahren; sie überredete ihn, im Gerichtsviertel Zimmer zu nehmen, wöchentlich dreimal dort zu übernachten. Trotz seiner Bitten kam sie niemals dorthin, lebte immer in der Bury-Straße, wenn sie nach London reiste. Sie wollte nicht, daß er das Gefühl habe, sie hänge sich an ihn. Sie wollte für ihn nichts Selbstverständliches werden, damit er sich stets nach ihr sehne, wenn er fern war. Niemals fragte sie ihn, wohin er ging, wen er sah. Bisweilen freilich fragte sie sich, ob er sie noch ebenso liebe wie früher. Eine Liebe, gleich der ihren, leidenschaftlich, anbetend, nach Aufopferung und völliger Hingabe verlangend, heimlich aber auch seine vollkommene Liebe begehrend – denn wie vermöchte eine stolze Frau ohne Gegenliebe zu lieben? –, eine solche Liebe sehnt sich stets nach einer vollkommeneren Vereinigung, die in dieser Welt, wo alles wechselt und in ewiger Bewegung ist, unmöglich ist. Dennoch dachte sie nicht daran, gegen die Herrschaft dieser Liebe anzukämpfen. Sie machte keine Vorbehalte, hatte, gleich ihrem Vater, alles auf eine Karte gesetzt.

Das Mondlicht fiel auf den alten Schreibtisch und auf eine Vase voll Tulpen, verlieh den Blumen eine Farbe, die fast keine irdische Farbe mehr zu nennen war, als stammten sie aus einer Welt jenseits des menschlichen Bewußtseins. Die Strahlen spielten auf einer Büste des alten Voltaire, der aus den hohlen Augen zu lächeln schien. Gyp drehte die Büste ein wenig, damit das Mondlicht auf die andere Wange falle, ein Brief wurde zwischen ihr und dem Eichenholz des Schreibtisches sichtbar. Sie zog ihn hervor.

»Lieber Bryan«,

las sie, »Ich muß es Dir sagen, Du wirfst Dich wirklich weg …«

Sie schob den Brief wieder unter die Büste, erhob sich; sie fühlte die Versuchung, den Brief ganz zu lesen, zu sehen, von wem er stammte. Doch nein! Man liest keine fremden Briefe. Dann, plötzlich, fiel ihr die ganze Bedeutsamkeit dieser wenigen Worte auf: »Lieber Bryan, ich muß es Dir sagen – Du wirfst Dich wirklich weg!« Eine Frauenschrift war es, – doch weder die seiner Mutter noch seiner Schwestern – deren Handschriften kannte sie. Wer wagte zu sagen, daß er sich wegwerfe? Eine intime Korrespondenz, von der sie nichts wußte – weil er ihr nichts davon gesagt hatte. Er wirft sich weg – wodurch? Durch sein Zusammenleben mit ihr? War das wirklich der Fall? Sie suchte in ihren Erinnerungen. In den letzten Weihnachtsferien, in jenen klaren, frischen, wundervollen Tagen in Florenz, war er so fröhlich gewesen. Nun war es Mai! Seither gab es für sie kaum eine Erinnerung mehr an seine alte, ansteckende Fröhlichkeit. »Ich muß es Dir sagen – Du wirfst Dich wirklich weg!« Jäher Haß flammte in ihr auf gegen die unbekannte Frau, die dies sagte. Ihre Ohren glühten. Sie hätte gerne den Brief in Fetzen zerrissen, die Büste schien ihn aber zu beschützen, sie zu verhöhnen. Sie wandte sich ab, dachte: ich will ihm entgegengehen, kann hier nicht warten.

Sie durchschritt den mondhellen Garten, ging langsam auf der weißen Straße dem Bahnhof zu. Eine zauberhafte, taulose Nacht! Sie betrat den kleinen Pfad durch den Buchenhain. Die Mondstrahlen waren zwischen die Buchen geglitten, überspannen Äste und Blätter mit silbrig feinem Reif, warfen ein gespenstisches Grau über das Schattenmuster der Wipfel. Kein Blatt regte sich, kein lebendes Wesen. Sie dachte: hier werde ich mit ihm zurückgehen. Dann wartete sie an der Ecke, wo er vorüberkommen mußte. Der Zug lief ein. Ein Auto sauste vorüber, dann ein Radfahrer, nun kam ein Fußgänger, der dahinstürmte und zu laufen begann. Sie erkannte ihn, rief seinen Namen, trat in den Hain zurück. Er hielt im Laufen inne, stürzte auf sie zu.

Sie setzten sich auf eine große Baumwurzel, sie lehnte sich an ihn und fragte: »Hast du einen schweren Tag gehabt?«

»Ja, ich hatte ganz spät noch eine Besprechung, dann kam der alte Leyton und lud mich zum Essen ein.«

Gyp hatte das Gefühl, als ob sich unter ihren Füßen der Boden bewegte.

»Die Leytons am Eaton Square? War es ein großes Diner?«

»Nein, nur die Alten und Bertie und Diana.«

»Diana? Das ist das Mädchen, das wir beim Theater trafen?«

»Wann denn? Ah, richtig! … Was du für ein Gedächtnis hast, Gyp!«

»Ja, für Dinge, die mich interessieren.«

»Weshalb hat sie dich interessiert?«

Gyp hob den Blick. »Ist sie klug?«

»Man könnte sie so nennen.«

»Und in dich verliebt?«

»Großer Gott, warum denn?«

»Ist das so unwahrscheinlich? Ich bin es doch auch.«

Er küßte sie. Und die Augen schließend, dachte Gyp: Wenn er es nur nicht tut, um einer Antwort auszuweichen! Dann schwiegen beide einige Minuten.

»Sag mir die Wahrheit, Bryan. Hast du nie das Gefühl, daß du dich meinetwegen wegwirfst?«

Sie merkte, daß er zusammenfuhr, doch blieb sein Gesicht ruhig und offen, seine Stimme heiter, neckend. »Eigentlich nicht. Bist du nicht komisch, Liebste?«

»Versprich mir, daß du es mir sagen wirst, wenn du meiner überdrüssig bist.«

»Gut; erwarte aber nicht, daß ich in diesem Leben mein Versprechen erfülle.«

»Ich bin dessen nicht so sicher.«

»Aber ich.«


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