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40. Familie: Pflanzenmähder ( Phytotomidae)

Schon Molina, der erste Naturbeschreiber Chiles, erwähnt eines in hohem Grade merkwürdigen südamerikanischen Vogels und berichtet über die Lebensweise sonderbare Dinge. »Der Pflanzenmähder«, sagt er, »nährt sich von Kräutern, hat aber die böse Eigenschaft, sie nicht eher zu fressen, als bis er den Stengel dicht an der Wurzel abgesägt hat. Oft schneidet er Pflanzen bloß zum Zeitvertreibe ab, ohne ein Blatt davon zu fressen. Die Einwohner befehden ihn daher ohne Unterlaß und geben den Knaben, welche seine Eier ausnehmen, eine gute Belohnung. Da ihm diese Nachstellung bekannt ist, baut er sein Nest in die dichtesten Bäume und an schattige, wenig besuchte Orte. Ungeachtet dieser Vorsicht hat er sich sehr vermindert, und von dem Eifer, mit welchem ihn die Einwohner auszurotten suchen, darf man schließen, daß er sich nicht mehr erhalten wird, falls seine Nachkommenschaft nicht unterlassen sollte, ihren bösen Namen zu bethätigen.« Lange Zeit hielt man die von dem Vogel verübten Uebelthaten für eine Fabel, wie solche Fremden erzählt und von diesen geglaubt zu werden pflegen; neuere Beobachtungen aber haben ergeben, daß wenigstens etwas an der Sache ist. Kittlitz, d'Orbigny, Boeck und Landbeck sind es, welche Molina in gewisser Hinsicht rechtfertigen.

Die Pflanzenmähder, welche als Vertreter einer besonderen Familie ( Phytotomidae) aufgefaßt werden, ähneln einzelnen Papageifinken, mehr aber noch gewissen Fruchtvögeln, unterscheiden sich aber von den einen wie von den anderen durch wesentliche Merkmale, insbesondere durch den Bau ihres Schnabels. Dieser ist kurz, stark, ebenso breit wie hoch, gegen die Spitze hin allmählich zusammengedrückt, auf der Firste gewölbt, an den Schneiderändern eingezogen und vor denselben mit deutlicher Zahnkerbe, in der vorderen Hälfte aber mit feinen Sägezähnen ausgerüstet, der an der Wurzel wulstig vortretende, breite Unterkiefer vorn ebenfalls gezähnelt, der kräftige, langzehige, vorn getäfelte Fuß mit starken Nägeln bewehrt, der Flügel, in welchem die dritte und vierte Schwinge die längsten sind, abgerundet, der Schwanz breit und zugerundet, das Gefieder endlich dicht und weich.

 

Molina beschrieb die Rarita oder Rara der Chilesen ( Phytotoma Rara, silens und Bloxhami) und benannte sie nach ihrem Geschreie. Ihre Länge beträgt siebzehn, die Breite neunundzwanzig, die Fittiglänge neun, die Schwanzlänge sechs Centimeter. Die Oberseite ist dunkel olivengrün, jede Feder mit schwärzlichem Schaftstriche und breitem, gelblichgrünem Rande geziert, die Unterseite gelbgrün mit dunkleren Strichen längs der Federschäfte, die Stirne rostroth, der Kopf dunkler, mit schwarzen Schaftstreifen; Kehle und Bauch sind gelb, die Oberbrust und die Schwanzfedern von unten angesehen bis zum dunkeln Enddrittel rostroth, die Schwingen dunkelgrau, fast schwarz, licht gerandet, mit zwei weißen, durch die Enden der Deckfedern gebildeten Binden, die Schwanzfedern auf der Außenfahne und am Ende dunkel, auf der Innenfahne rostroth. Beim Weibchen sind alle Farben blasser und graulicher. Schnabel und Füße sind schwarzgrau, die Iris ist hoch karminroth.

siehe Bildunterschrift

Pflanzenmähder ( Phytotoma Rara) 2/3 natürl. Größe.

»Wir haben den Pflanzenmähder« sagt d'Orbigny, »auf dem östlichen Abhange der bolivianischen Andes oft gefunden, immer in trockenen, öden Gegenden des gemäßigten Gürtels, auf Hügeln und Ebenen, niemals aber in den heißen, feuchten und buschreichen Thälern, in welche er nicht herabzusteigen scheint. Man kann sagen, daß er im Getreidegürtel lebt; denn wir haben ihn niemals weder über noch unter dieser Grenze gesehen. Er hält sich immer in der Nähe der bewohnten und bebauten Gegenden aus und ist sehr gemein. Man sieht ihn während des ganzen Jahres allein, in Paaren oder in kleinen Gesellschaften unter Papageifinken, mit denen er die Weinberge und Gärten durchstreift und die Pflanzungen verwüstet, indem er die Schößlinge abschneidet, die Früchte anbeißt etc., und zwar geschieht dies ohne alle Scheu; denn bis jetzt hat man noch gutwillig sich von diesem Schmarotzer plündern lassen, ohne nach Mitteln zu suchen, ihn zu vertreiben. Seine Gewohnheiten sind die der oben genannten Finken. Der Flug ist kurz und niedrig, niemals ausgedehnt. Auf den Boden haben wir ihn nie herabkommen sehen. Sein oft wiederholter Ruf ist unangenehm. Er klingt wie das knirschende Geräusch einer Säge.«

Kittlitz und Boeck vervollständigen diese Angaben. »Die Weinbeeren begannen jetzt reif zu werden«, sagt der erstere, »und in den Gärten zeigten sich zahlreiche Vögel, denen jene zur Nahrung dienen. In einem dieser Gärten, welcher ziemlich verwildert schien, erhielt ich bald hinter einander nicht weniger als sechs Stück von einem Vogel, der nur zu der damals noch für fabelhaft gehaltenen Gattung der Pflanzenmähder gehören konnte. Der Magen enthielt bei allen Weinbeeren und Reste von grünen Blättern; auch war die Schnabelsäge grün gefärbt. Ich sah diesen Vogel nie am Boden, sondern meist in den Wipfeln ziemlich hoher Obstbäume. Seine Trägheit und Sorglosigkeit ist groß. Von zwei neben einander sitzenden schoß ich den einen; der andere blieb ruhig sitzen, bis er ebenfalls daran kam.« Boeck hebt ebenfalls die Schädlichkeit des Pflanzenmähders hervor. »Sein gezähnter Schnabel«, sagt er, »ist ein furchtbares Werkzeug zur Vernichtung der jungen Schößlinge, denen er äußerst verderblich wird, und dies um so mehr, da er besonders morgens und abends in der Dämmerung seinem Raube nachstellt. Dieser besteht vorzüglich in jungen Pflanzen, welche er dicht am Boden abmäht, und von deren Safte sein Schnabel oft grün gefärbt ist. Kein Wunder, daß er gehaßt, gefürchtet und verfolgt wird. Landbeck vertilgt, was er vor sein Rohr bekommt; denn manche zarte Pflanze des Gartens ist schon von dem Pflanzenmähder vernichtet worden. Am Tage sitzt dieser häufig auf den Spitzen der Sträucher und Bäume, auf Pfählen der Umzäunung und ist nicht schwer anzuschleichen und zu erlegen. Auf dem Boden drückt und verbirgt er sich gern in die Furchen. Wären diese Thiere so scharenweise vorhanden wie andere Finken: es käme keine einzige Gemüsepflanze in der Provinz davon. Seine Nahrung zwingt ihn, in der Nähe von bebauten Plätzen sich aufzuhalten. Im Winter streicht er weg, wohin, weiß ich noch nicht.«

Gay urtheilt milder als die genannten Forscher. »Diese Vögel«, sagt er, »richten in den Gärten einigen Unfug an, sind jedoch bei weitem nicht so schlimm, als sie verschrieen werden. Auf dem Lande wird man kaum von einem irgendwie erheblichen, durch sie verursachten Schaden reden hören.«

Ueber das Brutgeschäft des Pflanzenmähders schweigen die neueren Beobachter; Molina aber erwähnt beiläufig, daß die Eier auf weißem Grunde roth getüpfelt sind.


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