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6. Familie: Stelzen ( Motacillidae)

Stelzen

Die Stelzen ( Motacillidae) kennzeichnen sich durch äußerst schlank gebauten Leib, dünnen, geraden, gestreckt pfriemenförmigen, auf der Firste kantigen, vor der Spitze des Oberkiefers mit seichtem Ausschnitte versehenen Schnabel, mittellange Flügel, in denen die dritte Schwinge die längste ist, die Armschwingen aber kaum kürzer als die Handschwingen sind, langen, schmalfederigen, ausnahmsweise gegabelten Schwanz, ziemlich hohe, schlankläufige und langzehige, mit großen, an der Hinterzehe oft sporenartig verlängerten Krallen bewehrte Füße und buntes, nach dem Geschlechte einigermaßen verschiedenes Gefieder.

Der allgemeinen Auffassung zufolge vereinigt man in dieser Familie zwei Vogelgruppen, welche allerdings manches miteinander gemein haben, in Bau, Färbung und Lebensweise aber doch so wesentlich sich unterscheiden, daß es gerechtfertigt erscheint, die Gesammtheit in zwei Unterfamilien zu zerfallen und jede derselben gesondert zu behandeln.

Die Stelzen im engeren Sinne ( Motacillinae), etwa dreißig Arten, gehören fast ausschließlich der Alten Welt an, verbreiten sich hier aber über alle Gürtel der Breite und Höhe. Wasserreiche Gegenden sind ihre Wohnsitze. Einzelne Arten entfernen sich nur während ihrer Reisen von dem Wasser, andere treiben sich, Nahrung suchend, auch auf trockenen Stellen umher, kehren aber immer wieder zum Wasser zurück. Die nordischen Arten sind Zugvögel, die südlichen Strichvögel, einzelne entschiedene Standvögel. Sie erscheinen im Norden frühzeitig im Jahre und verweilen hier bis in den Spätherbst, wandern jedoch weit nach Süden hinab. Ihre Bewegungen sind zierlich und anmuthig. Sie gehen gewöhnlich schrittweise, bedachtsam, nicken bei jedem Schritte mit dem Kopfe und halten dabei den langen Schwanz wagerecht oder ein wenig erhoben, bewegen ihn aber, ihren wissenschaftlichen Namen bethätigend, beständig auf und nieder. Ihr rascher und geschickter Flug besteht aus großen Bogen, welche dadurch entstehen, daß sie ihre Flügel wechselseitig heftig bewegen und stark zusammenziehen. Ihre Stimme ist nicht gerade klangvoll, ihr Gesang einfach, aber ansprechend. Die Nahrung besteht aus allerhand Kerbthieren oder deren Larven und niederem Wassergethiere. Das Nest, ein schlechter Bau aus feinen Reischen, Würzelchen, Gras- und Strohhalmen, Moos, dürren Blättern und dergleichen, welcher im Innern mit Wolle und ähnlichen weichen Stoffen ausgelegt wird, steht in Höhlen und Vertiefungen, regelmäßig nahe am Wasser; die Eier sind zartschalig und auf lichtem oder graulichem Grunde fein gefleckt.

Die meisten Stelzen wissen durch ihre Anmuth und Zuthunlichkeit auch das roheste Gemüth für sich zu gewinnen, haben deshalb wenig Feinde unter den Menschen, wohl aber viele unter den Raubthieren und außerdem infolge ihres Aufenthaltes mancherlei Gefahren zu bestehen, vermehren sich jedoch stark und gleichen dadurch alle ihren Bestand treffende Verluste glücklich wieder aus. Im Käfige hält man sie selten; wer sie aber zu Zimmergenossen erhebt, wird durch ihre Anmuth und Zierlichkeit in hohem Grade gefesselt.


Verbindungsglieder zwischen Wasserschwätzern und Stelzen sind nach Ansicht einzelner Forscher die Schwalbenstelzen (Enicurus), große, südasiatische Arten der Familie, deren Merkmale in dem verhältnismäßig langen, auf der Firste geraden Schnabel, den kräftigen, hochläufigen Füßen, dem kurzen Flügel, unter dessen Handschwingen die vierte bis sechste die anderen überragen, und dessen Oberarmschwingen sich nicht verlängern, sowie in dem langen, sehr tief gegabelten Schwänze gefunden werden.

siehe Bildunterschrift

Schwalbenstelze ( Enicurus Leschenaulti). ⅔ natürl. Größe.

Durch Bernsteins Forschungen sind wir mit der Lebensweise einer der ausgezeichnetsten Arten bekannt geworden. Die Schwalbenstelze, »Meninting« der Malaien ( Enicurus Leschenaulti und coronatus, Motacilla speciosa), ist auf der Oberseite und den Flügeln, am Vorderhalse und auf der Brust tief sammetschwarz, auf dem Scheitel, woselbst die Federn hollenartig sich verlängern, an der Wurzel der Armschwingen und deren Deckfedern, welche eine breite, im ganzen halbmondförmige Rückenquerbinde bilden, sowie auf dem Unterrücken und dem Unterleibe weiß; die Schwingen sind schwärzlich, die Schwanzfedern, mit Ausnahme der beiden seitlichen reinweißen, schwarz, mit breiter weißer Spitze. Der Schnabel ist schwarz, der Fuß gelb. Die Länge, beträgt sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Centimeter.

»Dieser Vogel«, sagt Bernstein, »ist ausschließlich in den an Quellen und Bächen reichen Gebirgen Javas zu Hause und in den Vorbergen nirgends selten, seine eigentliche Heimat ein Gürtel von fünf- bis zwölfhundert Meter unbedingter Höhe. Hier wird man ihn beinahe an jedem Bache antreffen. Vom Wasser entfernt er sich nie weit, verirrt sich aber, indem er dem Laufe der Bäche auswärts folgt, nicht selten tief in die Urwälder, so daß man alsdann verwundert ist, ihm an Orten zu begegnen, wo man ihn niemals erwartet hätte. Einmal, aber später nie wieder, traf ich ihn an einer Quelle auf dem dreitausend Meter hohen Pangerango.

»In seiner Liebe zum Wasser ähnelt unser Vogel der Gebirgsstelze, während die Färbung seines Gefieders den Europäer auf Java an seine heimatliche Bachstelze erinnert. Er trägt im Laufen den Schwanz wagerecht; bei Erregung aber oder beim Anblick eines verdächtigen Gegenstandes richtet er die weißen Scheitelfedern auf und hebt und senkt den Schwanz in eigenthümlicher Weise. Während des Aufhebens, welches mit einem schnellen Rucke geschieht, sind die Schwanzfedern zusammengelegt; sobald der Vogel den Schwanz aber erhoben hat, breitet er ihn fächerförmig aus und senkt ihn langsam wieder, worauf er ihn alsbald von neuem aufschnellt, Seine Lockstimme klingt bachstelzenähnlich ›Ziwitt ziwitt‹, in Angst und Noth dagegen oder auch wenn er entzückt ist, läßt er ein rauhes ›Rhäät‹ hören. Er ist ein lieber, harmloser Vogel, welcher den Menschen oft bis auf wenige Schritte an sich herankommen läßt und dann entweder eiligst eine Strecke geradeaus läuft oder in bachstelzenähnlichem Fluge ein Stückchen wegfliegt. Seine Nahrung besteht in Kerbthieren und Würmern, welche er, an den Ufern der Bäche hinlaufend, zwischen den Steinen, Pflanzen etc. sucht, ja, nicht selten bis ins Wasser hinein verfolgt.

»Das Nest steht ohne Ausnahme auf dem Boden, entweder in unmittelbarer Nähe des Wassers oder doch in nur sehr geringer Entfernung von demselben, ist aber auch dann, wenn man durch den Vogel selbst auf die Nähe desselben aufmerksam gemacht wurde, nicht leicht zu finden. Womöglich, wird eine natürliche Vertiefung zur Anlage benutzt, und so findet man es entweder in einer Spalte, zwischen Moos, hinter Grasschollen oder einem Steine, unter einem umgefallenen Baume, immer gut versteckt. Findet der Vogel solch eine natürliche Vertiefung des Erdbodens, so füllt er sie zunächst mit trockenem Moose soweit aus, daß dadurch ein halbkugelförmiger Napf entsteht, dessen Grund er alsdann mit trockenen Blättern ausfüttert. Hierzu gebraucht er mit besonderer Vorliebe solche, welche durch die Feuchtigkeit so weit mürbe gemacht worden sind, daß nur noch das weiche Gerippe der Blattnerven übrig geblieben ist. Solche trockene Blätter sind weich und biegsam und bilden mithin eine zweckmäßige Unterlage für die Eier. Letztere, von denen ich nie mehr als zwei in einem Neste fand, sind länglich gestaltet, am stumpfen Ende kurz abgerundet, am entgegengesetzten spitz zulaufend. Ihre Grundfarbe ist ein unreines, mattes, ins Gelbliche oder Grünliche spielendes Weiß; die Zeichnung besteht aus zahlreichen kleinen, bald mehr ins Gelbe, bald mehr ins Rothe ziehenden lichtbraunen Flecken, deren Ränder nicht scharf von der Grundfarbe abgegrenzt sind, sondern in dieselbe übergehen, so daß sie wie verbleicht oder verwaschen aussehen. Gegen das stumpfe Ende hin bilden sie einen Kranz. Die Alten sind um ihre Brut sehr besorgt und verrathen sie dem Menschen durch ein lang gedehntes, sanft flötendes ›Wüühd‹, dem, wenn man dem Neste sehr nahe gekommen ist, noch ein hastig ausgestoßenes ›Kä‹ angehängt wird.«


Gewissermaßen das Urbild der Familie ist die Bachstelze, Weiß-, Grau-, Blau-, Haus-, Stein- oder Wasserstelze, Wege-, Wasser-, Quäk- und Wippsterz, Bebe-, Wedel- und Wippschwanz, Klosterfräulein oder Nonne, Ackermännchen etc. ( Motacilla alba, cinerea, cervicalis, septentrionalis, brachyrhynchos, fasciata, gularis und dukhunensis). Ihre Obertheile sind grau, Hinterhals und Nacken sammetschwarz, Kehle, Gurgel und Oberbrust schwarz, Stirn, Zügel, Backen, Halsseiten und die Untertheile weiß, die Schwingen schwärzlich, weißgrau gesäumt, wegen der weiß zugespitzten Deckfedern zweimal licht gebändert, die mittelsten Steuerfedern schwarz, die übrigen weiß. Das Weibchen ähnelt dem Männchen; doch ist sein schwarzer Kehlfleck gewöhnlich nicht so groß. Das Herbstkleid beider Geschlechter unterscheidet sich von der Frühlingstracht hauptsächlich durch die weiße Kehle, welche mit einem hufeisenförmigen, schwarzen Bande eingefaßt ist. Die Jungen sind auf der Oberseite schmutzig aschgrau, auf der Unterseite, mit Ausnahme des dunkeln Kehlbandes, grau oder schmutzigweiß. Das Auge ist dunkelbraun, Schnabel und Füße sind schwarz. Die Länge beträgt zweihundert, die Breite zweihundertundachtzig, die Fittiglänge fünfundachtzig, die Schwanzlänge achtundneunzig Millimeter. In Großbritannien tritt neben der Bachstelze eine Verwandte auf, welche man bald als Art, bald als Abart anspricht. Sie, die Trauerstelze Motacilla lugubris, Yarellii und algira), unterscheidet sich bloß dadurch, daß im Frühlingskleide auch Mantel, Bürzel und Schultern schwarz sind. Wir betrachten sie als Abart.

Die Stelze bewohnt ganz Europa, auch Island, West- und Mittelasien sowie Grönland, und wandert im Winter bis ins Innere Afrikas, obwohl sie einzeln schon in Südeuropa, sogar in Deutschland, Herberge nimmt. Bei uns zu Lande erscheint sie bereits zu Anfang des März, bei günstiger Witterung oft schon in den letzten Tagen des Februar und verläßt uns erst im Oktober, zuweilen noch später wieder. Sie meidet den Hochwald und das Gebirge über der Holzgrenze, haust sonst aber buchstäblich allerorten, befreundet sich mit dem Menschen, siedelt sich gern in der Nähe seiner Wohnung an, nimmt mit Urbarmachung des Bodens an Menge zu, bequemt sich allen Verhältnissen an und ist daher auch in großen Städten eine regelmäßige Erscheinung.

siehe Bildunterschrift

Bachstelze ( Motacilla alba). 3/5 natürl. Größe.

Beweglich, unruhig und munter im höchsten Grade, ist sie vom frühen Morgen bis zum späten Abend ununterbrochen in Thätigkeit. Nur wenn sie singt, sitzt sie wirklich unbeweglich, aufgerichtet und den Schwanz hängend, auf einer und derselben Stelle; sonst läuft sie beständig hin und her, und wenn nicht, bewegt sie wenigstens den Schwanz. Sie geht rasch und geschickt. schrittweise, hält dabei den Leib und den Schwanz wagerecht und zieht den Hals etwas ein, fliegt leicht und schnell, in langen, steigenden und fallenden Bogen, welche zusammengesetzt eine weite Schlangenlinie bilden, meist niedrig und in kurzen Strecken über dem Wasser oder dem Boden, oft aber auch in einem Zuge weit dahin, stürzt sich, wenn sie sich niedersetzen will, jählings herunter und breitet erst kurz über dem Boden den Schwanz aus, um die Wucht des Falles zu mildern. Ihr Lockton ist ein deutliches »Ziwih«, welches zuweilen in »Zisis« oder »Ziuwis« verlängert wird, der Laut der Zärtlichkeit ein leises »Quiriri«, der Gesang, welcher im Sitzen, im Laufen oder Fliegen vorgetragen und sehr oft wiederholt wird, zwar einfach, aber doch nicht unangenehm. Sie liebt die Gesellschaft ihresgleichen, aber auch mit ihren Gesellschaftern sich zu necken, spielend umherzujagen und selbst ernster zu raufen. Anderen Vögeln gegenüber zeigt sie wenig Zuneigung, eher Feindseligkeit, bindet oft mit Finken, Ammern und Lerchen an, und befehdet Raubvögel. »Wenn die Stelzen einen solchen erblicken«, sagt mein Vater, »verfolgen sie ihn lange mit starkem Geschreie, warnen dadurch alle anderen Vögel und nöthigen auf solche Weise manchen Sperber, von seiner Jagd abzustehen. Ich habe hierbei oft ihren Muth und ihre Gewandtheit bewundert und bin fest überzeugt, daß ihnen nur die schnellsten Edelfalken etwas anhaben können. Wenn ein Schwarm dieser Vögel einen Raubvogel in die Flucht geschlagen hat, dann ertönt ein lautes Freudengeschrei, und mit diesem zerstreuen sie sich wieder. Auch gegen den Uhu sind sie feindselig; sie fliegen auf der Krähenhütte um ihn herum und schreien stark; doch zerstreuen sie sich bald, weil der Uhu nicht auffliegt.«

Kerbthiere aller Art, deren Larven und Puppen sucht die Bachstelze an den Ufern der Gewässer, vom Schlamme, von Steinen, Miststätten, Hausdächern und anderen Plätzen ab, stürzt sich blitzschnell auf die erspähte Beute und ergreift sie mit unfehlbarer Sicherheit. Dem Ackermann folgt sie und liest hinter ihm die zu Tage gebrachten Kerfe auf; bei den Viehherden stellt sie sich regelmäßig ein, bei Schafhürden verweilt sie oft tagelang. »Wenn sie an Bächen oder sonstwo auf der Erde herumläuft, richtet sie ihre Augen nach allen Seiten. Kommt ein Kerbthier vorbeigestrichen, dann fliegt sie sogleich in die Höhe, verfolgt es und schnappt es fast immer weg«.

Bald nach Ankunft im Frühjahre erwählt sich jedes Paar sein Gebiet, niemals ohne Kampf und Streit mit anderen derselben Art; denn jedes unbeweibte Männchen sucht dem gepaarten die Gattin abspenstig zu machen. Beide Nebenbuhler fliegen mit starkem Geschreie hinter einander her, fassen zeitweilig festen Fuß auf dem Boden, stellen sich kampfgerüstet einander gegenüber und fahren nun wie erboste Hähne ingrimmig auf einander los. Einer der Zweikämpfer muß weichen; dann sucht der Sieger seine Freude über den Besitz »des neu erkämpften Weibes« an den Tag zu legen. In ungemein zierlicher und anmuthiger Weise umgeht er das Weibchen, breitet abwechselnd die Flügel und den Schwanz und bewegt erstere wiederholt in eigenthümlich zitternder Weise. Auf dieses Liebesspiel folgt regelmäßig die Paarung. Das Nest steht an den allerverschiedensten Plätzen: in Felsritzen, Mauerspalten, Erdlöchern, unter Baumgewürzel, auf Dachbalken, in Hausgiebeln, Holzklaftern, Reisighaufen, Baumhöhlungen, auf Weidenköpfen, sogar in Booten etc. Grobe Würzelchen, Reiser, Grasstengel, dürre Blätter, Moos, Holzstückchen, Grasstöcke, Strohhalme etc. bilden den Unterbau, zartere Halme, lange Grasblätter und seine Würzelchen die zweite Lage, Wollklümpchen, Kälber- und Pferdehaare, Werch- und Flachsfasern, Fichtenflechten und andere weiche Stoffe die innere Ausfütterung. Das Gelege der ersten Brut besteht aus sechs bis acht, das der zweiten aus vier bis sechs, neunzehn Millimeter langen, funfzehn Millimeter dicken Eiern, welche auf grau- oder bläulichweißem Grunde mit dunkel- oder hellaschgrauen, deutlichen oder verwaschenen Punkten und Strichelchen dicht, aber fein gezeichnet sind. Das Weibchen brütet allein; beide Eltern aber nehmen an der Erziehung der Jungen theil, verlassen sie nie und reisen sogar mit Fahrzeugen, auf denen sie ihr Nest erbaueten, weit durch das Land oder hin und her. Das erste Gelege ist im April, das zweite im Juni vollzählig. Die Jungen wachsen rasch heran und werden dann von den Eltern verlassen; die der ersten Brut vereinigen sich jedoch später mit ihren nachgeborenen Geschwistern und den Alten zu Gesellschaften, welche nunmehr bis zur Abreise in mehr oder weniger innigem Verbande leben. Im Herbste ziehen die Familien allabendlich den Rohrteichen zu und suchen hier zwischen Schwalben und Staaren ein Plätzchen zum Schlafen. Später vereinigen sich alle Familien der Umgegend zu mehr oder minder zahlreichen Schwärmen, welche an Stromufern bis zu tausenden anwachsen können. Diese so gesellten Heere brechen gemeinschaftlich zur Wanderung auf, streichen während des Tages von einer Viehtrift oder einem frisch gepflügten Acker zum anderen, immer in der Reiserichtung weiter, bis die Dunkelheit einbricht, erheben sich sodann und fliegen unter lautem Rufen südwestlich dahin.

 

Zierlicher und anmuthiger noch als die Bachstelze ist die Gebirgsstelze, Wald-, Winter-, Frühlings-, Wasser- und Gilbstelze, Sticherling und Irlin ( Motacilla sulfurea, boarula und melanopes, Calobates sulfurea), des längeren Schwanzes halber auch wohl als Vertreter einer Untersippe ( Calobates) angesehen, ein reizender Vogel. Beim Männchen ist im Frühjahre die Oberseite aschgrau, die Unterseite schwefelgelb, die Kehle schwarz, von dem Grau der Oberseite durch einen weißen Streifen geschieden; ein anderer gleichfarbiger Streifen zieht sich über das Auge, zwei lichtgraue, wenig bemerkbare Binden laufen über die Flügel. Im Herbste sind die Farben matter, und die Kehlfedern weißlich. Sehr alte Weibchen ähneln den Männchen; das Schwarz ihrer Kehle ist aber unrein und das Gelb der Unterseite matt; jüngere zeigen nur einen weißen oder schwarzgrauen Kehlflecken. Die Jungen sind auf der Oberseite schmutzig aschgrau, auf der Unterseite gelbgrau; die Kehle ist grauweiß, mit schwarzgrauen Punkten eingefaßt. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel schwarz, der Fuß hornfarben. Die Länge beträgt zweihundertundzehn, die Breite zweihundertfünfundfunfzig, die Fittiglänge fünfundachtzig, die Schwanzlänge einhundertundfünf Millimeter.

Das Verbreitungsgebiet der Gebirgsstelze umfaßt ganz Europa von Südschweden an, den größten Theil Asiens und einige Gebirge Nord-, Ost- und Westafrikas, insbesondere den Atlas, das Hochland Abessiniens und die Hochländer der Westküste. Im nördlichen Europa gehört sie zu den Seltenheiten; von Mitteldeutschland nach Süden hin findet sie sich fast überall im Gebirge, bei uns zu Lande schon an jedem klaren Bache der Vorberge, einzeln selbst an solchen der Ebene, im Süden erst im höheren Gebirge. Auf den Kanarischen Inseln ist sie gemein. »Um die Lachen, zu denen der Bach des Thales unter der sommerlichen Glut zusammengeschrumpft ist«, schildert Bolle, »über feinen Kiessand, trippelt hurtig ein Pärchen der Gebirgsstelze. Wir erkennen sie wieder, die freundliche Nachbarin der Forelle. Als wir Knaben waren und den Harzwald oder die Gebirge Schlesiens durchwanderten, haben wir sie zuerst kennen gelernt. Sie flog damals von einem moosigen Steine zum anderen, und die Tanne spiegelte sich in dem schnell fließenden Gewässer, über das sie dahinstrich. Nun ist es die Palme, welche ihr Bild hineinwirft. Hier auf den Inseln erscheint sie freilich auch am zahlreichsten längs der Bäche, bedarf aber durchaus nicht immer des lebendig fließenden Elementes: eine einfache Cisterne oder ein Bewässerungsteich reicht hin, sie an die Nähe des Hauses oder Gartens zu fesseln, dem diese angehören. Selbst bei fast stets bedeckten Wasserbehältern liebt sie es, sich anzusiedeln, unstreitig durch die in der Luft verbreitete größere Kühlung und das häufigere Erscheinen von geflügelten Kerfen angelockt. Sie scheut daher auch die Nähe des Menschen durchaus nicht; im Gegentheile, keinen anderen Vogel sieht man hier häufiger auf den Dächern der Ortschaften, als die Gebirgsstelze.« Jerdon sagt, daß sie in Indien Wintergast ist, gegen Ende des September erscheint und bis zur ersten Woche des Mai im Lande verweilt, besonders häufig aber im Norden der Halbinsel auftritt.

Man kann kaum einen netteren Vogel sehen, als die zierliche, anmuthige Gebirgsstelze. Sie geht gleichsam geschürzt längs dem Wasser dahin oder an seichten Stellen in dasselbe hinein, hütet sich sorgfältig, irgend einen Theil ihres Leibes zu beschmutzen und wiegt sich beim Gehen wie eine Tänzerin. »Sie läuft«, sagt mein Vater, »mit der größten Schnelligkeit nicht nur an den Ufern, sondern auch in seichten Wässern, wenn es ihr nicht bis an die Fersen geht, in Schleusen, auf den Dächern und auf nassen Wiesen herum, wobei sie den Körper und Schwanz wagerecht, letzteren oft auch etwas aufrecht hält, um ihn sorgfältig vor Nässe zu bewahren. Sitzt sie aber auf einem Baume, Wasserbette, Steine oder sonst aus einem erhöhten Gegenstände, so richtet sie ihren Leib hoch auf und läßt ihren Schwanz schief herabhängen. Ihr Flug ist ziemlich schnell und leicht, absatzweise bogig, er geht oft lange Strecken in einem fort. Ich erinnere mich, daß sie Viertel- oder halbe Wegstunden weit in einem Zuge an einem Bache hinflog, ohne sich niederzulassen. Sie thut dies besonders im Winter, weil sie in der rauhen Jahreszeit ihre Nahrung in einem größeren Gebiete zusammensuchen muß. In der warmen Jahreszeit fliegt sie, wenn sie aufgescheucht wird, selten weit. Sie ist sehr zutraulich, nistet bei den Häusern, oft in ihren Mauern, und läßt einen Menschen, welcher sich nicht um sie bekümmert, nahe an sich vorübergehen, ohne zu entfliehen. Bemerkt sie aber, daß man ihr nachstellt, wird sie so scheu, daß sie sich durchaus nicht schußgerecht ankommen läßt, wenn sie nicht hinterschlichen wird. Ihr Lockton, den sie hauptsächlich im Fluge, seltener aber im Sitzen hören läßt, hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem der Bachstelze, so daß man beide Arten genau kennen muß, wenn man sie genügend unterscheiden will. Er klingt fast wie ›Ziwih‹ es ist aber unmöglich, ihn mit Buchstaben genau zu bezeichnen.«

Auch die Gebirgsstelze brütet zeitig im Frühjahre, das erste Mal schon im April, das zweite Mal spätestens im Juli. Bei der Paarung setzt sich das Männchen auf einen Zweig oder eine Dachfirste, hoch oder tief, auf ein Wehr oder einen Stein etc. und gibt einen trillerartigen Ton von sich, welcher fast wie »Törrli« klingt und besonders in den ersten Morgenstunden gehört wird. Fliegt es auf, dann flattert es mit den Flügeln, setzt sich aber bald wieder nieder. Es hat gewisse Plätze, gewisse Bäume, Häuser und Wehre, auf denen es im März und im Anfang des April alle Morgen sitzt und seine einfachen Töne hören läßt. Im Frühjahre vernimmt man auch, jedoch selten, einen recht angenehmen Gesang, welcher mit dem der Bachstelze einige Aehnlichkeit hat, aber hübscher ist. Das Nest steht in Felsen-, Mauer- und Erdlöchern, unter überhängenden Ufern, in Mühlbetten, im Gewurzel etc., regelmäßig nahe am Wasser, richtet sich hinsichtlich seiner Größe nach dem Standorte und ist dementsprechend bald größer, bald kleiner, aber auch bald dichter, bald lockerer, bald mehr, bald weniger gut gebaut. Die äußere Lage besteht aus Würzelchen, Reisern, dürren Blättern, Erdmoose und dergleichen, die zweite Lage aus denselben, aber feiner gewählten Stoffen, die innere Ausfütterung aus zarten Würzelchen, Borsten, Pferdehaaren und Wolle. Die vier bis sechs Eier sind achtzehn Millimeter lang und dreizehn Millimeter dick, auf grauschmutzigem oder bläulichweißem Grunde mit gelben oder aschgrauen Flecken und Strichelchen gezeichnet, gewässert und geadert. Das Weibchen brütet allein; doch kommt es ausnahmsweise vor, daß das Männchen es ablöst. Der Bruteifer der Mutter ist so groß, daß es sich mit der Hand ergreifen läßt. Die Jungen werden von beiden Eltern reichlich mit Nahrung versehen, sehr geliebt und nach dem Ausfliegen noch eine Zeit lang geführt und geleitet.

Gefangene Gebirgsstelzen übertreffen alle Verwandten an Anmuth und Lieblichkeit, zieren jedes größere Gebauer im höchsten Grade und dauern bei einigermaßen entsprechender Pflege recht gut aus.

 

Vom Nordosten Europas her hat sich eine der schönsten, wenn nicht die schönste aller Stelzen, die Sporenstelze, wie wir sie nennen wollen ( Motacilla citreola, citrinella und aureocapilla, Budytes citreola), wiederholt nach Westeuropa und so auch nach Deutschland verflogen. Sie ist merklich kleiner, namentlich kürzer, als die Gebirgsstelze; ihre Länge beträgt achtzehn, die Fittiglänge neun, die Schwanzlänge acht Centimeter. Kopf und ganze Unterseite, ausschließlich der weißen Unterschwanzdecken, sind lebhaft citrongelb, Nacken und Vorderrücken schwarz, allmählich in das Schiefergraue der übrigen Oberseite übergehend, die oberen Schwanzdecken braunschwarz, wie der Rücken schwach gelblichgrün angeflogen, die Schwingen dunkel graubraun, außen schmal, die Armschwingendecken außen und die größten oberen Flügeldecken am Ende breit weißlich gerandet, wodurch ein deutlicher weißer Flügelfleck entsteht, die acht mittelsten Schwanzfedern braunschwarz, die beiden äußersten weiß mit breitem schwarzen Innenrande. Das Auge ist tief braun, der Schnabel schwarz, der Fuß bräunlichschwarz. Das Weibchen unterscheidet sich durch das lichtere Gelb der Unterseite, den grünlichen Hinterkopf und die aschgraue Oberseite.

Die Sporenstelze ist ein Kind der Tundra, lebt in Europa aber nur in dem nordöstlichsten Winkel, im unteren Petschoragebiete. Von hier aus erstreckt sich ihr Verbreitungsgebiet durch ganz Nordasien, soweit die Tundra reicht; den Winter scheint sie in dem südlichen Steppengebiete Asiens zu verbringen; doch fehlen hierüber Beobachtungen. Auf ihrem Brutgebiete erscheint sie mit den Schafstelzen in der zweiten Hälfte des April und verweilt bis zu Ende des August im Lande. In Ostasien soll sie in großen Scharen wandern; in Westsibirien begegneten wir nur kleinen Flügen, welche auf der Reise begriffen waren, später aber in der Tundra der Samojedenhalbinsel vielen brütenden Paaren. Diese bewohnen ganz bestimmte Oertlichkeiteu der Tundra: auf moorig-schlammigem Grunde wachsende, bis zur Undurchdringlichkeit verfilzte Wollweidendickichte, zwischen denen Wassergräben verlaufen oder Wasserbecken und ebenso von üppig aufschießenden Gräsern übergrünte Stellen sich befinden. Hier wird man den schönen Vogel nie vermissen, während man sonst tagelang die Tundra durchwandern kann, ohne einem einzigen Paare zu begegnen.

siehe Bildunterschrift

Sporenstelze, Schafstelze ( Motacilla citreola und flava) und Wiesenpieper ( Anthus pratensis). ½ natürl. Größe.

Wie in Gestalt und Färbung, ist die Sporenstelze auch im Sein und Wesen ein Mittelglied zwischen Gebirgs- und Schafstelze, steht der letzteren aber näher als der ersteren. Sie geht schafstelzenartig und ähnelt dieser, unzweifelhaft ihrer nächsten Verwandten, auch im Fluge mehr als der Gebirgsstelze, da die Bogen, welche sie beschreibt, ziemlich flach zu sein pflegen. Gern bäumt sie auf den obersten Strauchspitzen, und das Männchen läßt von hier aus einen kurzen Gesang hören, welcher zwar dem einfachen Liedchen der Schafstelzen ebenfalls ähnelt, sich aber doch durch bestimmte, etwas schärfer klingende Töne und den ganzen Bau der Strophe unterscheidet, ohne daß ich im Stande wäre, dies mit Worten zu versinnlichen. Als nahe Verwandte der Schafstelze erweist sie sich auch durch ihre Verträglichkeit. Auf günstigen Brutstätten wohnt ein Paar dicht neben dem anderen, jedenfalls so nahe neben dem benachbarten, daß das singende Männchen jeden Ton des anderen hören muß; gleichwohl habe ich nie gesehen, daß ihrer zwei miteinander gehadert hätten. Das Nest steht, wie wir durch Dybowski und später durch Seebohm erfuhren, gut versteckt unter deckenden Büscheln vorjährigen Grases oder niedrigen Gebüschen, auch wohl im Moose des vertorften Grundes, in jedem Falle höchst sorgfältig verborgen und durch das während der Brutzeit rasch emporschießende Gras allen Blicken entzogen. Moosstengel, welche mit trockenen Grashalmen vermengt werden, bilden die Außenwandungen, Moosfruchtstiele, Federn und Renthierhaare die innere Auskleidung des dickwandigen und regelmäßigen Baues. Da die Tundra nicht vor den ersten Tagen des Juni schneefrei wird, legt das Weibchen erst um diese Zeit seine fünf, seltener sechs, neunzehn oder zwanzig Millimeter langen, vierzehn Millimeter dicken, auf weißgelbem Grunde mit kleinen rostfarbigen, sehr blassen und undeutlichen Fleckchen gleichförmig bezeichneten Eier, bebrütet sie sodann aber, mit dem Männchen abwechselnd, um so eifriger. Wenn einer der Gatten brütet, hält der andere Wache und warnt bei Gefahr. Auf dieses Zeichen hin verläßt der Brutvogel das Nest zu Fuße, und indem beide fliegen, trachten sie, den Feind abzuführen. Geht die Gefahr glücklich vorüber, so kehren sie, jedoch nicht sogleich und auch dann noch mit großer Vorsicht, zum Neste zurück, um dieses ja nicht zu verrathen. Aus diesem Grunde ist es für den Forscher schwierig, die Brutstätte aufzufinden und gelingt eigentlich nur bei schwachem Regen, während dessen das Weibchen nicht gern die Eier verläßt und dann beinahe unter den Füßen des herannahenden Feindes auffliegt. Gegen Ende des Juli sind die Jungen bereits dem Neste entschlüpft, im Anfange des August die Alten schon in voller Mauser, und unmittelbar darauf, spätestens in den letzten Tagen dieses Monats, verlassen sie die Heimat.

 

Die mehrfach erwähnte Schafstelze, Kuh-, Rinder-, Wiesen- und Triftstelze ( Motacilla flava, verna, chrysogastra, flaveola, neglecta, viridis, bistrigata und melanotis, Budytes flavus, pygmaeus, dubius, fulviventris, schisticeps, melanotis und fasciatus) wird des kurzen Schwanzes und des sporenartigen Nagels der Hinterzehe halber als Vertreterin einer gleichnamigen Untersippe ( Budytes) betrachtet. Ihre Länge beträgt durchschnittlich siebzehn, die Breite fünfundzwanzig, die Fittiglänge acht, die Schwanzlänge sieben Millimeter. Oberkopf, Zügel, Ohrgegend, Nacken und Hinterhals, einen über den Augen fortlaufenden, bis auf die Schläfen reichenden schmalen weißen Strich ausgenommen, sind aschgrau, die übrigen Obertheile olivengrün, die oberen Schwanzdecken dunkler, die Kopf- und Halsseiten sowie die übrigen Untertheile, mit Ausnahme des weißlichen Kinnes, schwefelgelb, die Schwingen braunschwarz, außen schmal, die letzten Armschwingen breiter fahlweiß gesäumt, die größten oberen Deckfedern am Ende ebenso gerandet, so daß eine helle Querbinde entsteht, die Schwanzfedern schwarz, die beiden äußersten weiß, in der Wurzelhälfte der Innenfahne schwarz gerandet. Der Augenring ist braunschwarz, der Schnabel wie die Füße schwarz. Beim Weibchen sind Oberkopf und Oberseiten bräunlich olivengrün, die Bürzelfedern deutlich grün, die der Untertheile blaßgelb, die Kropfseiten durch einige verwaschene, dunkle Flecke gezeichnet, auch ist der Augenstreifen breiter, aber mehr verwaschen und rostfarbig. Bei jungen Vögeln sind die Federn der Oberseite düster braungrau, am Ende verwaschen gelbgrau, die des Kinnes und der Kehle schmutzig weiß, die der übrigen Unterseiten schmutzig rostgelb, die des Kropfes dunkelbraun gefleckt; auch läuft eine Reihe Flecke vom Mundwinkel herab.

Die Schafstelze tritt in verschiedenen ständigen Formen auf, welche von einzelnen Naturforschern als Arten, von anderen nur als Spielarten betrachtet werden. Zwei derselben, die Kappenstelze und die Feldstelze, dürfen wahrscheinlich als selbständige Arten gelten. Bei ersterer ( Motacilla melanocephala), welche in Südosteuropa und Turkestan brütet, sind Oberkopf, Kopfseiten und Hinterhals tief sammetschwarz, bei letzterer ( Motacilla Rayii), welche in Großbritannien, China und auf Formosa als Brutvogel lebt, sind Oberkopf und Kopfseiten gelb wie die Untertheile. Auf die übrigen Arten oder Spielarten will ich nicht eingehen.

Sehen wir von einer Trennung ab, so haben wir Europa, Mittelasien und Nordwestamerika, als Brutgebiet, Südasien, Mittel- und Südafrika als Winterherberge anzunehmen.

Im ganzen Norden sind die Schafstelzen Sommervögel, welche viel später als die Bachstelzen, frühestens im Anfange, meist erst gegen Ende des April und selbst in den ersten Tagen des Mai einwandern und im August, spätestens im September, ihre Winterreise antreten. Während des Zuges gewahrt man sie auch in Gegenden, in denen sie nicht brüten, da jede größere Viehherde sie anzieht und oft während des ganzen Tages festhält. Ihre Brutplätze sind, abgesehen von der Tundra, dem Wohngebiete von Hunderttausenden dieser Sumpffreunde, feuchte Gegenden oder zeitweilig überschwemmte Niederungen. »Da, wo Schafstelzen brüten«, sagt Naumann, »findet man während des Sommers keinen Raps- oder Rübsenacker, kein Erbsen-, Bohnen- oder Wickenstück von einiger Bedeutung, kein Kleefeld, keine frei gelegene, fette Wiese und keine baumleere, grasreiche Sumpfstrecke, wo nicht wenigstens einige dieser Vögel hausen. Einzelne Brüche bewohnen sie in unglaublicher Menge. In den Marschländern, wo sie, außer dem üppigsten Getreide und den fetten Feldfrüchten, Wasser, Sümpfe, Rohr und Wiesen zusammen finden, wo dazwischen auch Vieh weidet, haben sie alles, was sie wünschen mögen, und sind daher dort äußerst gemein.«

Sie sind nicht so anmuthig wie die Gebirgsstelzen, aber unzweifelhaft anmuthiger als die Bachstelzen. Ihre Bewegungen ähneln denen der Bachstelze mehr als denen der Gebirgsstelze. Sie sind gewandt im Laufen, besonders geschickt aber im Fliegen. Wenn sie kurze Räume überfliegen wollen, erscheint ihr Flug fast hüpfend, wogegen sie auf der Wanderung außerordentlich schnell dahinstreichen. Nicht selten erhalten sie sich flatternd oder rüttelnd längere Zeit in der Luft über einer und derselben Stelle, und häufig stürzen sie sich aus bedeutenden Höhen mit angezogenen Flügeln fast senkrecht zum Boden herab. Ihre Lockstimme ist ein pfeifender Laut, welcher wie »Bsiüb« oder wie »Bilib«, sonst aber auch leise wie »Sib sib« klingt; der Warnungston ist ein scharfes »Sri«, der Paarungslant ein gezogenes »Zirr«. Der Gesang ähnelt dem der Bachstelze, ist aber noch ärmer.

So gesellig im allgemeinen, so zanksüchtig zeigen sie sich an ihren Brutplätzen. Hier beginnen sie Streit mit fast allen kleineren Vögeln, welche sie dort gewahr werden. »Ihre Unfriedfertigkeit«, sagt Naumann, »bricht los, sobald ein Fremdling ihrem Bezirke sich nähert. In den Brüchen machte mich ihr Betragen oft auf seltenere kleine Vögel aufmerksam. So verfolgten sie Rohrsänger, am meisten den Seggenrohrsänger, und zwar so heftig, daß sie mir mehrmals die Jagd nach ihm vereitelten. Sobald ein solcher Vogel aus den Seggenkufen herausflog, überfielen ihn gleich mehrere Stelzen wie wüthend, stachen nach ihm und ließen nicht zu, daß er sich in der Nähe setzen durfte. Später waren sie an einander gewöhnt und nisteten in friedlicher Nähe.«

Das Nest steht auf dem Boden, zwischen Gras, Getreide oder Sumpfpflanzen, meist in einer kleinen Vertiefung, zuweilen auch unter Gewurzel. Feine Wurzeln, Halme, Blätter, trockene Grasblätter und grünes Erdmoos bilden ein lockeres, kunstloses Gewebe, Hälmchen, Distelflocken, Wolle, einzelne Pferdehaare und Federn die innere Ausfütterung. Die vier bis sechs zartschaligen Eier sind durchschnittlich achtzehn Millimeter lang, dreizehn Millimeter dick und auf schmutzigweißem oder gelblichem, röthlichem und graulichem Grunde mit gilblichen, grauen oder braungrauen, auch rostfarbenen und violettfarbigen Punkten, Strichelchen und wolkigen Flecken gezeichnet. Das Männchen wirbt brünstig um die Gunst seiner Gattin, indem es sich aufbläht und mit gesträubtem Gefieder und sehr ausgebreitetem, herab gebogenem Schwanze zitternd vor ihr herumflattert. Jedes Pärchen nistet nur einmal im Jahre und zwar zu Ende des Mai oder im Anfange des Juni. Das Weibchen brütet allein und zeitigt die Jungen in dreizehn Tagen. Beide Eltern sind so besorgt um ihre Brut, daß sie dieselbe dem Kundigen durch ihr ängstliches Geschrei und ihre außergewöhnliche Kühnheit verrathen. Die Jungen verbergen sich anfangs geschickt im Grase, werden aber bald ebenso flüchtig wie die Alten. Nunmehr treiben sie sich bis zur Abreise gemeinschaftlich umher; dann tritt eines schönen Herbsttages alt und jung die Winterreise an.

Jetzt sieht oder hört man die Schafstelzen allerorten, durch Viehherden angezogen, auch im Gebirge. Die Reise scheint sehr rasch zurückgelegt zu werden. Nach meinen Beobachtungen erscheinen die Schafstelzen auch in Afrika zu derselben Zeit, welche wir in Deutschland als die ihres Zuges kennen gelernt haben, und ich fand sie hier noch häufig im Anfange des Maimonats, fast an denselben Tagen, an denen ich ihnen später in Norwegen begegnete. Viele überwintern schon in Egypten; die große Mehrzahl aber fliegt bis in das Innere Afrikas. Hier sieht man während der Wintermonate jede Rinder-, Schaf- oder Ziegenherde, ja jedes Kamel, jedes Pferd, jedes Maulthier oder jeden Esel von den niedlichen Vögeln umgeben, und auf den Weideplätzen wimmelt es zuweilen von ihnen. Sie wandern mit den werdenden Rindern in die Steppe hinaus und zu den Tränkplätzen zurück, fliegen neben ihren vierfüßigen Freunden dahin, wo sie nicht laufen können und laufen mit den Rindern um die Wette, wo der Boden dies gestattet. Rasch setzt sich auch wohl eins der Männchen auf einem benachbarten Busche nieder und singt dabei sein einfaches Liedchen; hierauf eilt es wieder dem übrigen Zuge nach, welcher, einem Bienenschwarme vergleichbar, die Herde umschwebt.

Pieper ( Anthinae)

Die Pieper ( Anthinae), welche die zweite Unterfamilie bilden, sind als ein Uebergangsglied von den Sängern zu den Lerchen anzusehen und wurden früher geradezu den letzteren zugezählt. Ihre Kennzeichen sind schlanker Leib, dünner, gerader, an der Wurzel schmaler, pfriemenförmiger Schnabel, mit eingezogenem Rande und einem seichten Einschnitte vor der sehr wenig abwärts gesenkten Spitze des Oberschnabels, schlankläufige Füße mit schwachen Zehen, aber großen Nägeln, deren eine, die hinterste, wie bei den Lerchen sporenartig sich verlängert, mittelmäßig lange Flügel, in denen die dritte und vierte Schwinge die Spitze bilden und die Oberarmfedern eine bedeutende Länge erreichen, mittellanger Schwanz, glatt anliegendes, erd- oder grasfarbiges, nach Geschlecht und Alter kaum, nach der Jahreszeit einigermaßen verschiedenes Gefieder.

Die Unterfamilie, welche ungefähr fünfzig Arten zählt, ist über die ganze Erde verbreitet. Alle Pieper bringen den größten Theil ihres Lebens auf dem Boden zu und lassen sich nur zeitweilig auf Bäumen nieder. Sie sind bewegliche, muntere, hurtige Vögel, welche schrittweise rasch umherlaufen und dabei sanft mit dem Schwanze wippen, wenn es gilt, größere Strecken zu durchmessen, gut, schnell, leicht und bogig, wenn sie die Lust zum Singen in die Höhe treibt, flatternd und schwebend fliegen, eine piepende Lockstimme und einen einfachen, aber angenehmen Gesang vernehmen lassen, Kerbthiere, namentlich Käfer, Motten, Fliegen, Hafte, Schnaken, Blattläuse, auch Spinnen, Würmer und kleine Wasserthierchen, sogar feine Sämereien fressen, sie immer vom Boden ablesen und nur ausnahmsweise einer vorüberfliegenden Beute im Fluge nachjagen. Die Nester werden auf dem Boden angelegt, der Hauptsache nach aus dürren Grashalmen und Graswurzeln, welche mit anderen Pflanzenstoffen locker verbunden und innen mit Wolle und Haaren ausgefüttert werden. Die Eier zeigen auf düsterfarbigem Grunde eine sanfte, verfließende Zeichnung, welche aus Punkten, Flecken und Strichelchen zusammengesetzt ist. Das Weibchen scheint allein zu brüten; beide Geschlechter aber lieben ihre Brut im hohen Grade. Die meisten nisten mehr als einmal im Jahre.


Wohl die bekannteste Art der Familie ist der Wiesenpieper, auch Wiesen-, Piep-, Sumpf-, Wasser-, Stein-, Kraut-, Spieß-, Grillenlerche, Hüster, Pisperling und Gixer genannt ( Anthus pratensis, sepiarius und tristis, Alauda pratensis und sepiaria, Leimoniptera pratensis, Bild S. 216). Die Federn der Oberseite sind olivenbraun, schwach olivengrün überflogen, durch dunkelbraune verwaschene Schaftflecke gezeichnet, die des Bürzels lebhafter und mehr einfarbig, ein Streifen über den Augen, Backen und Untertheile zart rostgelblich, seitlich etwas dunkler und hier, wie auf Kropf und Brust, mit breiten, braunschwarzen Schaftstrichen geziert, ein Strich unter dem Auge und ein bis auf die Halsseiten reichender Bartstreifen schwarz, die Schwingen und Schwanzfedern dunkel olivenbraun, außen olivengelbbräunlich gesäumt, die Enden der Armdecken und größten Flügeldeckfedern heller gerandet, wodurch zwei undeutliche Querbinden entstehen, die äußersten Schwanzfedern außen weiß mit trüben Endtheilen, innen in der Endhälfte schief abgeschnitten weiß, welche Färbung auf der zweiten Feder jederseits auf das Ende der Innenfahne sich beschränkt. Der Augenring ist tiefbraun, der Oberschenkel hornbraun, der untere hellbraun, der Fuß bräunlich. Die Länge beträgt funfzehn, die Breite vierundzwanzig, die Fittiglänge sieben, die Schwanzlänge sechs Centimeter.

 

Im hohen Norden Europas und Asiens, von Lappland an bis Kamschatka und zum Himalaya, und andererseits in Nordafrika vertritt den Wiesenpieper der ihm nah verwandte gleich große Rothkehlchenpieper ( Anthus cervinus, rosaceus, rufogularis, japonicus, ruficollis, rufosuperciliaris, montanellus, thermophilus und Cecilii, Motacilla cervina), welcher sich von jenem dadurch unterscheidet, daß der Augenstreifen, die Kopf- und Halsseiten, Kinn, Kehle und Kropf schön einfarbig rostfleischröthlich, die dunklen Schaftflecke an Bauch und Schenkelseiten kleiner und die beiden Flügelquerbinden heller und deutlicher sind.

Man hat den Wiesenpieper in der ganzen Nordhälfte Europas sowie im größten Theile Nordasiens als Brutvogel gefunden und während des Winters in Südeuropa, Südwestasien und Nordafrika beobachtet. Bei uns erscheint er mit der Schneeschmelze, gewöhnlich schon zu Anfang des März, spätestens um die Mitte des April, und verweilt bis zum November, selbst bis zum December. Er wandert in großen Scharen, nicht selten mit den Feldlerchen, und reist ebensowohl bei Tage wie bei Nacht. Als halber Sumpfvogel bewohnt er in der Heimat wie in der Winterherberge wasserreiche Gegenden, am liebsten feuchte, sumpfige Oertlichkeiten; nur unterwegs sieht man ihn dann und wann auch auf trockenerem Gelände. Die Tundra erscheint in seinen Augen als Paradies.

Er ist äußerst lebhaft und während des ganzen Tages in Bewegung, läuft, soviel als möglich zwischen Gras und Ried versteckt, ungemein hurtig umher, erhebt sich gewandten Fluges in die Luft, stößt seinen Lockton aus und streicht nun rasch geradeaus, einem ähnlichen Orte zu, läßt sich aber selten auf Baumzweigen nieder und hält sich nie lange hier auf. Der Flug geschieht in kurzen Absätzen und erscheint dadurch zuckend oder hüpfend, auch anstrengend, obgleich dies nicht der Fall ist. Der Lockton, ein heiseres, feines »Ißt«, wird oft rasch nach einander ausgestoßeu und klingt dann schwirrend; der Ausdruck der Zärtlichkeit lautet sanft wie »Dwitt« oder »Zeritt«. Der Gesang besteht aus verschiedenen zusammenhängenden Strophen: »Wittge wittge, wittge witt, zick zick, jück jück« und »Türrrrr«, miteinander verbunden, aber etwas verschieden betont, sind die Grundlaute. Das Männchen singt, wie alle Pieper, fast nur im Fluge, indem es vom Boden oder von der Spitze eines niederen Strauches, in schiefer Richtung flatternd sich aufschwingt, ziemlich hoch in die Luft steigt, hier einige Augenblicke schwebend oder rüttelnd verweilt und nun mit hoch gehaltenen Flügeln singend herabschwebt oder mit angezogenen Fittigen schnell herabfällt. Man vernimmt das Lied vom Morgen bis zum Abend und von der Mitte des April bis gegen den Juli hin fast ununterbrochen.

Gegen seinesgleichen zeigt sich der Wiesenpieper höchst gesellig und friedfertig; mit anderen neben ihm wohnenden Vögeln, Schafstelzen, Schilf- und Seggenrohrsängern, Rohrammern und dergleichen, neckt er sich gern herum. In der Brutzeit behauptet jedes Pärchen seinen Stand, und es kommt auch wohl zwischen zwei benachbarten Männchen zu Kampf und Streit; im ganzen aber liebt unser Vogel selbst um diese Zeit geselliges Zusammenleben. Das Nest steht zwischen Seggenschilf, Binsen oder Gras auf dem Boden, meist in einer kleinen Vertiefung, immer so versteckt, daß es schwer zu finden ist. Eine Menge dürrer Stengel, Würzelchen und Halme, zwischen welche zuweilen etwas grünes Erdmoos eingewebt wird, bilden die Außenwandungen; die tiefe, zierlich gebildete Mulde ist mit feinen Halmen und Pferdehaaren ausgelegt. Fünf bis sechs, achtzehn Millimeter lange, vierzehn Millimeter dicke Eier, welche auf graulichweißem oder schmutzigröthlichem Grunde überall dicht mit graubraunen oder gelbbraunen Punkten, Schmitzen oder Kritzeln bezeichnet sind, bilden das Gelege und werden in dreizehn Tagen gezeitigt. Die Jungen verlassen das Nest, noch ehe sie ordentlich fliegen können, verstehen es aber so meisterhaft, zwischen den niedern Pflanzen sich zu verstecken, daß sie doch vor den meisten Feinden gesichert sind. Bei Annäherung eines solchen geberden sich die Alten sehr ängstlich und setzen sich rücksichtslos jeder Gefahr aus. Wenn alles gut geht, ist die erste Brut im Anfange des Mai, die zweite zu Ende des Juli flügge; doch findet man auch bis in den August hinein Junge, welche eben das Nest verlassen haben.

In einem großen Käfige hält sich der Wiesenpieper recht gut, wird sehr zahm und singt ziemlich eifrig. Im Zimmer darf man ihn nicht umherlaufen lassen, weil sich bald Haare, Fäden oder Schmutz an seine Füße hängen und diesen gefährliche Krankheiten zuziehen.

siehe Bildunterschrift

Baumpieper ( Anthus arboreus). 2/3 natürl. Größe.

Der Baumpieper, Holz-, Garten-, Busch-, Weiden- oder Waldpieper, Lein-, Kraut-, Stoppel- oder Schmalvogel, die Baum-, Spieß-, Holz-, Busch- und Spitzlerche ( Anthus arboreus, Alauda trivialis, Motacilla spipola, Pipastes und Dendronanthes arboreus), ähnelt dem Wiesenpieper sehr, ist jedoch etwas größer, sein Schnabel stärker, der Lauf kräftiger und der Nagel der Innenzehe kürzer und gekrümmter. Die Obertheile sind auf gelb braungrauem oder schmutzig ölgrünem Grunde streifenartig dunkler in die Länge gefleckt, Unterrücken und Bürzel fast einfarbig, ein Augenstreifen, die Gurgel, der Kropf, die Brustseiten, die Schenkel und Unterschwanzdeckfedern bleichrostgelb, Kropf, Oberbrust und Seiten schwarz in die Länge gefleckt, die Flügelstreifen und die Säume der Schulterfedern lichter als beim Wiesenpieper. Das Auge ist braun, der Schnabel hornschwarz, der Fuß röthlich hornfarben. Die Länge beträgt einhundertundsiebzig, die Breite zweihundertundneunzig, die Fittiglänge fünfundachtzig, die Schwanzlänge fünfundsechzig Millimeter.

Waldungen Europas und Sibiriens beherbergen den Baumpieper im Sommer, die Steppenwälder Afrikas und die des unteren Himalaya im Winter; baumarme Landstriche besucht er nur während seines Zuges. Blößen im Walde, lichte Gehaue, frische Schläge und andere wenig bewachsene Stellen des Waldes, auch solche, welche alljährlich überschwemmt werden, bilden sein Brutgebiet. In Mitteldeutschland ist er häufig, und sein Bestand nimmt von Jahr zu Jahr, hier und da zum Nachtheile der Heidelerche, erheblich zu. In seinem Wesen erinnert er vielfach an seinen Verwandten, hält sich jedoch nicht so viel am Boden auf wie dieser, flüchtet bei Gefahr vielmehr stets den Bäumen zu und läuft auch, was jener niemals thut, auf den Aesten schrittweise dahin. Minder gesellig als der Wiesenpieper, lebt er meist einsam und bloß im Herbste familienweise, zeigt wenig Anhänglichkeit gegen die Gesellschaft und wird im Frühjahre geradezu ungesellig. Der Lockton ist ein schwer wiederzugebender Laut, welcher ungefähr wie »Srit« klingt, der Ausdruck der Zärtlichkeit ein leises »Sib sib sib«, der Gesang besser als jeder andere Piepergesang, kräftig und lieblich, dem Schlage eines Kanarienvogels nicht unähnlich, ausgezeichnet durch Fülle und Klarheit des Tones, Abwechselung und Mannigfaltigkeit der Weise. Trillerartige, laut pfeifende, schnell aufeinander folgende Strophen, welche sich zu einem lieblichen Ganzen gestalten und gewöhnlich mit einem sanft ersterbenden »Zia zia zia« schließen, setzen ihn zusammen. Das Männchen singt sehr fleißig, setzt sich dazu zunächst auf einen hervorragenden Zweig oder auf die Spitze eines Baumes, steigt sodann in schiefer Richtung flatternd in die Luft empor und schwebt, noch ehe das Lied zu Ende gekommen, sanft wieder auf dieselbe Stelle oder auf den nächsten Baumwipfel nieder und gibt hier die letzten Töne zu hören.

Das Nest, welches, immer sorgfältig verborgen, auf dem Boden, in einer kleinen Grube unter Gebüsch oder tief im Grase und Heidekraute steht, ist schlecht gebaut und nur im Inneren einigermaßen sorgfältig ausgelegt. Die vier bis fünf, zwanzig Millimeter langen, funfzehn Millimeter dicken, in Gestalt, Färbung und Zeichnung vielfach abändernden Eier sind auf röthlichem, graulichem oder bläulichweißem Grunde mit dunkleren Punkten, Strichen, Kritzeln gezeichnet, geadert, gemurmelt und gefleckt. Das Weibchen sitzt sehr fest auf den Eiern; die Jungen werden von beiden Eltern zärtlich geliebt und verlassen das Nest ebenfalls, noch ehe sie flugfähig sind.

Gefangene Baumpieper halten sich leicht, werden überaus zahm und erfreuen durch die Zierlichkeit ihrer Bewegungen nicht minder als durch ihren trefflichen Gesang, welchen sie, auch wenn sie jung dem Neste entnommen wurden, genau ebenso vortragen wie in der Freiheit.

 

Der Wasserpieper, auch Wasser-, Sumpf- oder Moorlerche, Weißler, Gipser, Herdvögelchen genannt ( Anthus aquaticus, montanus, nigriceps, orientales, spinoletta, Coutellii und Blakistoni, Alauda spinoletta und testacea), ist auf der Oberseite dunkel olivengrau, mit vertuschten, schwarzgrauen Längsflecken gezeichnet, auf der Unterseite schmutzig- oder grauweiß, fleischröthlich verwaschen, an den Brustseiten dunkel olivenbraun gefleckt; hinter dem Auge verläuft ein hellgrauer Streifen; über die Flügel ziehen sich zwei lichtgraue Binden; die beiden äußersten Federn des braunschwarzen Schwanzes sind außen, am Ende auch innen weiß, welche Färbung sich bei dem folgenden Paare auf einem Spitzenschaftfleck verringert. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel hornschwarz, an der Spitze des Unterschnabels gelblich, der Fuß dunkelbraun. Die Länge beträgt achtzehn, die Breite dreißig, die Fittiglänge neun, die Schwanzlänge sieben Centimeter.

Das Verbreitungsgebiet des Wasserpiepers erstreckt sich über Mittel- und Südeuropa, West- und Ostasien, bis China; die Winterreise führt ihn nach Kleinasien, Palästina und Nordafrika.

 

In Skandinavien, Dänemark und Großbritannien vertritt ihn der durch etwas dunklere, grünlich olivenbraun überhauchte Oberseite, minder lebhaft fleischröthliche Unterseite und bräunlich getrübten Endfleck der äußeren Schwanzfeder unterschiedene Felspieper, Strand- oder Uferpieper ( Anthus obscurus, rupestris, littoralis, petrosus und immutabilis, Alauda obscura und petrosa, Spipola obscura); in Nordamerika ersetzt ihn der auch auf Helgoland vorgekommene Braunpieper ( Anthus ludovicianus, pennsylvanicus, pipiens, rubens und Reinhardtii, Alauda ludoviciana, pennsylvanica, rubra und rufa), welcher an der dunkel olivenbraunen Ober- und stark gefleckten Unterseite sowie den fast bis an die Wurzel weißen Schwanzfedern kenntlich ist.

siehe Bildunterschrift

Sporen-, Wasser- und Brachpieper ( Anthus Richardi, aquaticus, und campestris). 2/3 natürl. Größe.

Während andere Pieperarten die Ebene entschieden bevorzugen und Berggegenden nur hier und da bewohnen, gehört der Wasserpieper ausschließlich dem Gebirge an. Er bevölkert in namhafter Anzahl den Gürtel des Knieholzes der Alpen, Karpathen, des Schwarzwaldes, Harzes und des Riesengebirges und kommt bloß während seines Zuges in die Ebenen herab. In der Schweiz gehört er zu den gemeinsten Alpenvögeln; das Riesengebirge bewohnt er zu tausenden. Hier erscheint er bereits mit der Schneeschmelze, zunächst in der Nähe der Bauden, und rückt allmählich weiter nach oben, so daß er in der letzten Hälfte des April auf seinen Brutplätzen anlangt. Ganz ähnlich ist es in der Schweiz. »Im Frühlinge«, sagt Tschudi, »sucht der Wasserpieper schon im Laufe des April die schneefreien Stellen der Alpen auf und verläßt sie nicht mehr. Im Sommer, wenn es auf den Höhen allzuheftig stürmt, sammelt er sich scharenweise in mehr geschützten Gründen; im Herbste geht er nach den Sümpfen, Seen und Flüssen der Ebene oder auf die Düngerstätten der Dörfer. Ein kleinerer Theil überwintert auch daselbst, der größere fliegt in losen Scharen nach Italien. Die anderen halten sich an seichten, wasserzügigen Stellen, an den Abzugsgräben der Wiesen und Weinberge auf und übernachten im dürren Laube der Eichenbüsche. Wenn die Kälte steigt, ziehen sie nach den tieferen Reisländern und gewässerten Wiesen.« Einzelne gehen gelegentlich ihrer Wanderung weiter nach Süden, bis Griechenland, Spanien und selbst Egypten. »Der Wasserpieper«, sagt Gloger, dessen Lebensschilderung des Vogels ich nach eingehenden eigenen Beobachtungen als die vorzüglichste erklären muß, »findet sich weit oben auf den rauhen Hochgebirgen, wo schon die Baumwälder aufhören und fast bloß noch Knieholz wächst, oft auch noch höher. Er kommt hier unbedingt überall vor, wo letzteres irgend gedeiht und geht so weit gegen den Schneegürtel aufwärts, bis diese Holzarten gänzlich verschwinden; ja, er steigt in der Schweiz sogar noch weit darüber hinaus, auf ganz unbewachsene Felsen und wasserreiche Alpen, wo kalte Bäche unter den Gletschern und aus den schmelzenden Schneemassen hervorrinnen. Uebrigens wohnt er hier auf den dürrsten, kahlen Berggipfeln wie auf den moorigen, von unzähligen Bächen durchschnittenen Knieholzwäldern, ebenso auf den höchsten, fleckweise begrünten Felsen und an thurmhohen Steinwänden wie an solchen Orten, wo Gestein beinahe ganz, nicht aber das Zwergkiefergesträuch mangelt, ferner an den steilsten Thaleinschnitten und tiefsten Abgründen wie an ganz flachen Stellen der Bergfluren, am liebsten freilich da, wo er alle diese Ortsverhältnisse gemischt findet«. Hier nimmt er seine aus allerlei Kerbthieren, Gewürm und feinen Algen bestehende Nahrung vom Boden auf.

»Er sitzt außer der Fortpflanzungszeit selten, während derselben sehr gern auf verkrüppelten Fichtenbäumchen und Kiefergesträuchen, weniger gern auf Felsstücken und Klippen. Jeder schon sitzende räumt einem anderen, welchen er soeben erst herankommen sieht, stets unweigerlich seinen Platz ein: gewiß ein außerordentlicher Zug von Verträglichkeit und Friedsinn. Bald nach der Brutzeit vereinigt er sich zu Hunderten auf den Bergwiesen, ohne sich jedoch eng aneinander zu halten. Solche Gesellschaften führen dann ihre Jungen vorzüglich des Morgens an die Bäche, an heißen, sonnigen Tagen aber während der brennendsten Mittagshitze auf die dürrsten Rücken. Bis zum Eintritte der strengen Jahreszeit sieht man die Wasserpieper vereinzelt; sie bleiben auch stets ungemein scheu. Bei ihrer Brut dagegen scheinen sie aus Zärtlichkeit für diese ihre sonstige Schüchternheit völlig bei Seite zu setzen: sie fliegen und springen höchst besorgt um ihren Feind herum, schreien nach Kräften heftig ›Spieb spieb‹, in höchster Angst ›Gehlick glick‹, schlagen zugleich den Schwanz hoch auf und nieder und sträuben traurig ihr Gefieder. Sonst rufen sie ›Zgipp zgipp‹. Ihr Gesang, welcher bis zu Ende des Juli vernommen wird, ist recht angenehm, obschon er dem des Baumpiepers nachsteht. Eine seiner Strophen ähnelt dem Schwirren einiger Heimchenarten. Das Lied wird mit stets zunehmend beschleunigtem und zuletzt in äußerst schnellem Gange vorgetragen, während eines rasch aufsteigenden Fluges begonnen, unter behaglichem Schwimmen und schnellem, schiefem Niedersinken mit ruhig ausgebreiteten Flügeln eine Zeitlang fortgesetzt, aber erst im Sitzen auf einer Strauchspitze, einem Steinblocke, Felsen oder auf dem Boden geendigt. Sehr selten, nur wenn trübe Wolken den ganzen Gesichtskreis in trüben Nebel verhüllen, singt der Wasserpieper im Sitzen. Während der ersten Nachmittagsstunden gibt keiner einen Laut von sich.

»Sein Nest legt er viel freier und weniger verborgen an als andere Pieper. Es steht in weiten Felsenspalten, zwischen Steinen, unter hohen Rasenrändern, den großen alten Wurzeln und Aesten der Knieholzsträucher und in anderem alten Gestrüppe, so daß es oberhalb eine natürliche Decke gegen Schnee und Regen hat. Die vier bis sieben, dreiundzwanzig Millimeter langen, sechzehn Millimeter dicken Eier haben auf bläulicher oder schmutzigweißer Grundfarbe in Dunkelbraun, Graubraun, Schwarzbraun und Graulich, meist sehr dicht, die Zeichnung der Piepereier, sehen zum Theil auch manchen Haussperlingseiern täuschend ähnlich.« Im Mittelgebirge legt das Paar bei guter Witterung zweimal, und zwar im Anfange des Mai und zu Ende des Juni, im Hochgebirge nur einmal, und zwar um die Mitte des Mai. Auf den Alpen leiden die Brutvögel, laut Tschudi, oft sehr von der rauhen Frühlingswitterung. »In vielen Jahrgängen bedeckt ein später Schneefall das Nestchen mit den Eiern, vertreibt das brütende Weibchen, tödtet und begräbt es nicht selten oder zwingt es, später neu zu nisten. Auch die nicht flüggen Jungen werden oft von Schnee und Frost getödtet.«

 

Unser Brachpieper, die Brach- und Krautlerche, Brach- oder Feldstelze, der Stoppelvogel, Stöppling und Hüfter ( Anthus campestris, rufus und rufescens, Alauda campestris und mosellana, Agrodroma campestris, Bild S. 253), auch wohl als Vertreter einer besonderen Untersippe ( Agrodroma) geltend, ist oberseits licht gelblichgrau, durch wenig deutliche, dunkle, spärlich stehende Flecke, unterseits trüb gelblichweiß, am Kropfe durch einige dunkle Schaftstriche gezeichnet; über das Auge zieht sich ein lichtgelblicher Streifen; die Flügel sind zweimal gelblichweiß gebändert. Bei den Jungen ist die Oberseite dunkler, jede Feder gelblich gerandet und die Unterseite am Kropfe stark gefleckt. Die Länge beträgt einhundertundachtzig, die Breite zweihundertundachtzig, die Fittiglänge dreiundachtzig, die Schwanzlänge sechsundsechzig Millimeter.

Das Verbreitungsgebiet des Brachpiepers umfaßt, mit Ausnahme der nördlichsten Tundra und Großbritanniens, ganz Europa, Mittel- und Südasien und Nordafrika, einschließlich der Kanaren. Er zieht unfruchtbare, dürre, steinige, wüstenhafte Gegenden allen anderen vor und findet sich deshalb im Süden Europas viel häufiger als im Norden. In Deutschland ist er hier und da nicht selten, in anderen Gauen eine sehr vereinzelte Erscheinung; in fruchtbaren Strichen fehlt er gänzlich. Er geht nur bis Südschweden hinauf, dafür aber um so weiter nach Süden hinab. »Je ebener, kahler und heißer der Boden«, sagt Bolle sehr richtig, »desto zahlreicher tritt er auf. In Canaria gehört er zu den allergewöhnlichsten Erscheinungen; seinen Lockton hört man bis zum Ueberdruß.« In Spanien, Italien und Griechenland ist er ebenso wie bei uns bloß stellenweise verbreitet. Er erscheint, aus seiner Winterherberge zurückkehrend, in Südeuropa etwas früher als in Deutschland, hier um die Mitte des April, und rüstet sich bereits im August, in Südeuropa um zwei Wochen später, wieder zum Wegzuge. Etwa im Mai treffen die Nachzügler ein, und im September sind die letzten verschwunden. Vor dem Wegzuge schart er sich in Gesellschaften und Flüge, welche bei schönem Wetter bei Tage, bei windigem des Nachts ziehen.

In seinen Bewegungen erinnert der Brachpieper ebensosehr an die Lerchen wie an die Bachstelzen. Er läuft in fast wagerechter Haltung, oft mit dem Schwanze wippend, möglichst gedeckt über den Boden dahin, erscheint von Zeit zu Zeit auf einem erhöhten Gegenstande, rastet einige Augenblicke, hält in etwas aufgerichteter Haltung Umschau und setzt sodann seinen Lauf fort, fliegt, die Schwingen abwechselnd rasch bewegend und wieder zusammenfaltend, in stark gebogener Schlangenlinie dahin, schwebt vor dem Niedersetzen gewöhnlich, stürzt sich aber auch mit angezogenen Schwingen fast senkrecht aus hoher Luft herab. Bei uns zu Lande ist er regelmäßig auffallend, im Süden hier und da im Gegentheile wenig scheu, unter allen Umständen aber vorsichtig. An Stimmbegabung steht er anderen Piepern nach. »Dillem« oder »Dlemm« ist der Lockton, »Kritlin, zirlui« und »Ziür« der Ausdruck der Zärtlichkeit, zugleich aber auch der wesentliche Bestandtheil des außerordentlich einfachen, im Klange entfernt an die häufigsten Töne der Feldlerche erinnernden Gesanges. Die Nahrung besteht in allerlei Kleingethier, auch wohl in feinen Sämereien.

Während der Brutzeit behauptet und bewacht jedes Paar eifersüchtig ein ziemlich großes Gebiet. Das Männchen zeigt sich jetzt sehr gern frei, setzt sich auf einen hohen Stein, Felsenabsatz, auf Mauern, Sandhügel etc. oder auf einen Busch, selbst auf die unteren Aeste der Bäume, steigt in schräger Richtung in die Luft empor, beginnt in einer Höhe von dreißig bis funfzig Meter zu zittern und zu schwanken, fliegt unregelmäßig hin und her und stößt dabei sehr häufig wiederholt sein »Zirlui zirlui« aus. Das Nest, ein großer Bau, welcher äußerlich aus Moos, Queggenwnrzeln und dürrem Laube besteht und innen mit Grashalmen und Würzelchen, auch wohl mit einzelnen Haaren ausgelegt wird, steht auf Schlägen, zwischen Gras und Heidekraut, auf Wiesen, in Erdvertiefungen etc. und ist wie alle Piepernester außerordentlich schwer zu finden. Die Erbauer vermeiden es sorgfältig, es irgendwie zu verrathen, treiben sich z. B., sobald sie sich beobachtet sehen, nie in seiner Nähe umher. Das Gelege enthält vier bis sechs, zweiundzwanzig Millimeter lange, funfzehn Millimeter dicke Eier, welche auf trübweißem Grunde über und über, am stumpfen Ende gewöhnlich dichter, mit matt röthlichbraunen Punkten, Strichelchen und kleinen Fleckchen bedeckt sind. Das Weibchen brütet allein, und das Männchen unterhält es inzwischen durch Flugkünste mancherlei Art und fleißiges Singen. Naht man sich langsam dem Neste, so läuft das brütende Weibchen ein ziemliches Stück weg, ehe es sich erhebt, läßt sich jedoch zuweilen auch überraschen und fliegt erst dann ab, wenn man schon unmittelbar vor dem Neste steht. Beide Eltern geberden sich sehr ängstlich, wenn sie für ihre Brut Gefahr fürchten. Nur wenn die Eier geraubt werden, brütet das Paar zweimal im Jahre. Wenn alles gut geht, findet man Ende Mai die Eier und im Juli die flüggen Jungen.

 

Um in Südwestafrika Herberge zu nehmen, durchwandert den Nordrand unseres Vaterlandes ein dem Brachpieper verwandter Vogel, der Sporenpieper ( Anthus Richardi, longipes, macronyx, Corydalla Richardi und infuscata, Bild S. 253), Vertreter einer gleichnamigen Untersippe ( Corydalla). Er ist der größte aller in Deutschland vorkommenden Pieper und an dem sehr langen, fast geraden Nagel der Hinterzehe leicht vom Brachpieper zu unterscheiden. Die Länge beträgt zwanzig, die Breite einunddreißig, die Fittiglänge zehn, die Schwanzlänge acht Centimeter. Die Obertheile sind dunkelbraun, alle Federn, die Mantel- und Schulterfedern am breitesten, rostgelbbräunlich gerandet, Bürzel und obere Schwanzdecken einfarbig rostgelbbraun, Zügel, breiter Augen- und Schläfenstrich rostgelblichweiß, die Ohrgegend und ein vom Mundwinkel herablaufender Bartstreifen braun gefleckt, Kropf und Halsseiten mit dunklen Schaftflecken, die Schenkelseiten mit einzelnen schmalen, dunklen Schaftstrichen gezeichnet, die Schwingen dunkel olivenbraun, die Handschwingen außen sehr schmal, die Armschwingen breit rostgelbbräunlich gerandet, ebenso die Decken der Armschwingen, welche am Ende, wie die größten oberen Flügeldecken, weißliche Ränder tragen und dadurch zwei helle Querbinden über dem Flügel bilden, die Schwanzfedern dunkel olivenbraun, außen schmal rostfahl gesäumt, die äußerste Feder in der Wurzelhälfte der Innenfahne dunkel getrübt, die zweite Feder ebenso an der Spitze gefärbt. Der Augenring ist tiefbraun, der Oberschnabel hornbraun, der untere hellbraun, der Fuß fleischfarben. Junge Vögel unterscheiden sich durch die schärfer hervortretenden helleren Federränder der Oberseite und die ausgeprägtere Fleckung des Kropfes.

Die Heimat des Sporenpiepers ist das Steppengebiet Ostasiens, einschließlich Nordchinas. Von hier aus wandert der Vogel allwinterlich nach Süden und erscheint dann in Südchina und in ganz Indien, namentlich aber im unteren Bengalen, woselbst er in unseren kalten Monaten außerordentlich häufig auftritt, auch massenhaft gefangen und unter dem Namen Ortolan auf dem Markte von Kalkutta verkauft wird. Derselbe Vogel wandert jedoch auch in westlicher Richtung und berührt hierbei vielleicht alljährlich alle zu Deutschland gehörigen Nordseeinseln, Dänemark, Südschweden, Großbritannien, Holland, Westfrankreich, Spanien, Portugal und Nordwestafrika, soll sogar in Holland zurückgeblieben sein und hier auf den Dünen gebrütet haben. Gätke's sorgfältige Beaufsichtigung der kleinen Insel Helgoland, einer viel besuchten Herberge am Wege der Zugvögel, hat uns belehrt, daß die Reisen dieses Piepers viel regelmäßiger geschehen, als bisher angenommen wurde, daß wahrscheinlich alljährlich mehr oder weniger diese in den angegebenen Ländern Europas immerhin selten vermerkten Pieper dieselbe Zugstraße wandeln. Hieraus geht hervor, daß die Angabe über die in Holland brütenden Sporenpieper unzweifelhaft eine irrthümliche ist. Allerdings hat man in Holland und Belgien junge Sporenpieper im Jugendkleide erlegt; junge Vögel aber ziehen nach Gätke's unvergleichlichen Erfahrungen regelmäßig früher als alte und legen die ungeheuere Entfernung von Ostasien bis Westeuropa offenbar in wenigen Tagen zurück.

Hinsichtlich der Lebensweise scheint sich der Sporenpieper wenig von seinen deutschen Verwandten zu unterscheiden. Nach Dybowski's Beobachtungen erscheint er in Ostsibirien im Anfange des Mai oder etwas später, bezieht weite wiesenähnliche Flächen der Steppe, Hochebenen von anderthalbtausend Meter unbedingter Höhe ebenso häufig als tiefere Lagen, tritt überhaupt da, wo er vorkommt, in erheblicher Anzahl auf, so daß er zu den gewöhnlichen Vögeln des Landes zählt. Das Nest steht meist in einer von dem weidenden Vieh ausgetretenen Vertiefung und enthält in der ersten Hälfte des Juni vier bis sechs stark glänzende Eier von dreiundzwanzig Millimeter Länge und siebzehn Millimeter Dicke, welche denen der Bachstelze entfernt ähnlich, auf blaß rosenrothem oder blaß olivenfarbigem Grunde mit einer Menge kleiner, verschieden gestaltiger und verschieden langer, mannigfach unter einander vermengter und durchkreuzter Striche gezeichnet sind. Während das Weibchen brütet, hält das Männchen in einiger Entfernung treue Wacht und warnt bei Gefahr, worauf hin das Weibchen zuerst laufend sich entfernt, dann sich erhebt und, gemeinschaftlich mit jenem fliegend, den Feind durch mißtöniges Geschrei abzuführen versucht. Haben beide einen solchen in eine gewisse Entfernung begleitet, so kehren sie plötzlich wieder um; das Weibchen fliegt zum Boden herab und kehrt zu Fuße zu seinem Neste zurück, weshalb dieses auch nicht leicht gefunden wird. Dem scharfen Auge des Kukuks entgeht es freilich nicht; denn gerade in ihm findet man sehr häufig Eier und Junge dieses Allerweltschmarotzers. In der letzten Hälfte des Juli brütet das Pärchen zum zweiten Male; sodann begibt sich alt und jung auf die Reise.


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