Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Bürgerin im künftigen Deutschland

Wenn man dem, was der Krieg in Opfer und Arbeit, in Tränen und Verzweiflung, in Stolz und Jubel in den deutschen Frauen reifen ließ, einen weitesten, allgemeinsten Namen geben will, so findet sich kein besserer als das Wort: Bürgerin. Die deutschen Frauen – alle von ihnen – wurden in diesen verzehrenden und stählenden Monaten in höherem Sinne Bürgerinnen. Der Krieg, der dem Tode der Männer eine Bestimmung gab, erhöhte zugleich alle Liebe, Sorge und Freudigkeit des Frauenlebens zum Opfer für den Staat. Und diese Verschmelzung heißester persönlicher Gefühle mit ihrem erhabenen Anlaß wurde der innerste Anfang einer Offenbarung, die nun alle Beziehungen, Pflichten und Zwecke des Frauenlebens neu durchleuchtete: der Offenbarung unseres Einsseins mit Allen und dem Ganzen, dem wir körperlich und seelisch eingeboren sind. Unser Leben ein Teil, eine Zelle – unsere Leistungen in Fülle und Versagen zugleich Kraft und Schwäche eines Ganzen – unsere Pflicht, mit jedem Wort und jeder Tat dieses Ganze stützen und stärken – und alle, die mit uns den heiligen und verantwortlichen Namen des Bürgers führen, uns verbunden wie Auge und Hand eines Leibes.

»O gib Gott, daß ich Erde und Heimat werde,
Für die er dient im heiligen Hüteramt.«

Erde und Heimat zu werden, ein Stück der gemeinsamen Kraft und Liebe, das ist der unbewußtere oder bewußtere Wille der Frauen, an denen diese Zeit ihr Werk getan hat.

Die Erfüllung aber dieses Willens führt aus der Welt des stummen heißen Gefühls hinaus in die der Tatsachen, der wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit. Und je echter, wahrhaftiger und glühender der Wille, um so größer die Pflicht, klar und nüchtern die Tatsachen zu sehen, die für die Mitgestaltung der Frau am künftigen Deutschland die unverrückbare Grundlage bieten.

Und das ist die Grundlage: die zukünftige innere Entwicklung Deutschlands wird stärker noch als die bisherige unter dem Zeichen der höchsten Anspannung aller wirtschaftlichen Leistungen stehen. Wir werden Mühe haben, den Spielraum, den der Krieg uns in der Welt sichern soll, mit unserer Volkskraft nun auch wirklich auszufüllen. Es wird – darüber sind sich wohl gewerbliche und Handelskreise, darüber ist man sich in den Bureaus und Fabriken einig – es wird eines ungeheuren Aufgebots aller Kräfte bedürfen, um – wie der Krieg auch ausgehen möge – das künftige Deutschland aufzubauen. Wir wissen bestimmt, wir wissen es schon aus der Umgestaltung der Frauentätigkeit während des Krieges, daß zu dieser Arbeitsleistung bei dem Wegfall so vieler männlicher Kräfte durch Kriegstod, Verwundungen, aber auch durch das Ausbleiben ausländischer Arbeitskräfte die Frauen stärker als bisher mit angespannt werden müssen. Und dem steht nun das andere gegenüber, daß die Mutterschaftsleistung der Frau an nationaler Bedeutung und Wichtigkeit in eben dem Maße steigt, als der Krieg uns die geschichtliche Notwendigkeit einer Stärkung der germanischen Volkskraft in der Welt offenbart hat. Und wenn wir dabei immer wieder betonen, daß es nicht nur auf die Masse, sondern auf die Qualität der Menschen ankommt, die wir für die Weltaufgabe Deutschlands einzusetzen haben, so wächst mit der physischen die geistige Verantwortung der deutschen Mutter. Wir sehen also die Frauenprobleme, mit denen wir es bis jetzt schon zu tun hatten, keineswegs einfacher und leichter werden, sondern sich verschärfen und erschweren. Die Kernfrage des Frauenschicksals – die doppelte Inanspruchnahme der Frau im nationalen Leben durch Arbeit und durch Mutterschaft, sie wird nicht nur problematischer, sondern zugleich in ihrer Bedeutung für die ganze Volksentwicklung noch gewichtiger werden, als vorher. Alle Lösungen werden schwerer.

Die Verantwortung vor der Gesamtheit, unter der die einzelne Frau ihr individuelles Lebensschicksal gestaltet, wächst ebenso, wie die Verantwortung der Gesamtheit gegenüber den Tausenden von Einzelschicksalen. » Tua res agitur« steht über beiden. Und eines wird, wenn die künftige Schwierigkeit dieser Fragen auf uns eindringt, geradezu zum Zukunftsgebet: daß die »Frauenfrage« des künftigen Deutschland nicht wie die des vergangenen ein Spielball theoretischer Einseitigkeiten sein, sondern in dem Geist gleichmäßiger Gerechtigkeit ihren verschiedenen Seiten gegenüber erfaßt und gelöst werden möchte.

Denn wie war es bisher? Auf der einen Seite trafen Rassenhygieniker mit den männlichen Konkurrenten in der Ablehnung der weiblichen Berufstätigkeit zusammen. Die aufrichtige Einseitigkeit der ersten und die Berufspolitik der zweiten reichte gerade, um der berufstätigen Frau Ausbildung, Vorwärtskommen, Berufsfreudigkeit hier und da zu hemmen, – daß sie den wirtschaftlichen Mächten, die zur weiblichen Berufsarbeit drängen, einen positiven Schutz der Mutter abgerungen hätte, kann nicht behauptet werden. Andrerseits: die Volkswirtschaft nimmt, fühllos und unerschüttert durch wohlmeinende und übelwollende Kämpfer gegen die Frauenarbeit, die Kräfte, wo sie sie findet. Und wird es in Zukunft in der unentrinnbaren Härte des internationalen Wettbewerbs noch mehr tun – tun müssen. Beweis der Gefahren, die drohen: die folgenden Sätze aus der Arbeitgeberzeitung:

»Wo es feststeht, daß eine Frau einen Posten ausfüllen kann, ohne daß sie körperlichen und geistigen Schaden erleidet, und ohne daß sonstige soziale oder wirtschaftliche Schädigungen entstehen, da darf man gewiß nicht fordern, daß nun bloß aus prinzipiellen Gründen die Männerarbeit bevorzugt wird. Das wäre weder privatwirtschaftlich noch volkswirtschaftlich gerechtfertigt. Wer mit einer billigen Arbeitskraft auskommen kann, dem soll man nicht zumuten, daß er aus Gründen, die immerhin höchst theoretischer Natur sind, seine Produktion verteuert. Die nationale Volkswirtschaft aber hat ebensowenig einen Vorteil davon, wenn eine leichte, durch Frauenarbeit gleich gut, wenn nicht viel besser zu besorgende Tätigkeit den Männern übertragen wird, bloß weil sie Männer sind! Wir werden nach dem Krieg noch manchen heftigen Kampf auf dem Weltmarkt auszufechten haben, und es wird uns hierbei nicht schaden, wenn wir unsere Herstellungskosten in verständiger Weise einschränken. Das aber kann zweifellos durch eine rationelle Verwendung der Frauenarbeit sehr gut geschehen … Die sozialistische Behauptung nämlich, daß die Frau, wenn sie für eine bestimmte Leistung nicht den gleichen Lohn bezieht wie der Mann, zu geringen Lohn erhält, wird in den allermeisten Fällen dahin umzudeuten sein, daß nicht die Frau zu wenig, sondern der Mann relativ zu viel erhält, wenn seine Arbeitskraft mit der betreffenden leichten Handhabung ausgefüllt wird.«

Nachdem im ersten Kriegsjahr die Verwendbarkeit der Frauen ihre Grenze an ihrer mangelhaften beruflichen Schulung hatte, brachte, unter dem Druck der Not, das zweite eine ganz ungeahnte Entfaltung der weiblichen Kriegsvertretung. Die Bewährung der Frauen aber auch in körperlich und qualitativ schwierigeren Arbeiten kann zum Danaergeschenk für die Zukunft werden – wie die zitierten ungeschminkten Ausführungen zeigen. Eingekeilt zwischen die Interessenpolitik des Unternehmers, der die Frauenarbeit jetzt erst ganz entdeckt hat, des Kollegen, der sie – mit Recht oder mit Unrecht – bekämpft, zwischen die Theorie des Hygienikers und Bevölkerungspolitikers, der ihre Schädlichkeiten bedauert, und das privatwirtschaftliche Bedürfnis, das nach dem Kriege noch mehr Frauen als vorher zum Erwerb treibt, hat die weibliche Erwerbstätigkeit im künftigen Deutschland wenig Aussicht auf harmonische Lösungen.

Wenn nicht die Frauen selbst fähig werden, diese Lösungen im Geist nationaler Verantwortlichkeit zu suchen – hinausgewachsen über die Indolenz des bloßen Hinnehmens, aber ebenso frei von den Einseitigkeiten des Geschlechtsegoismus. Das heißt: als Bürgerinnen. Weil das Kernproblem der Frauenfrage, die volle Eingliederung der Frau in die physische und kulturelle Volksleistung, in Zukunft noch gewichtiger und schwerer vor uns steht, darum müssen wir wünschen, daß die Frauen selbst mehr Bürgerinnen werden, d. h. daß sie ihr eigenes soziales Schicksal in seinen Bedingungen zu erfassen vermögen, und daß sie äußerlich mehr die Möglichkeit haben, auf die Gestaltung ihres Schicksals durch Gesetzgebung und Verwaltung einzuwirken. Immer in neuer Form steht durch die Entwicklung der Frauenbewegung hindurch die Forderung der Selbsthilfe vor uns. Und heute beim Ausblick in das zukünftige Deutschland ist es wichtiger als je, daß die Frauen selbst, die Mütter und die berufstätigen Frauen, den Beitrag ihrer Erfahrung und Auffassung, ihres Willens und ihrer menschlichen und mütterlichen Lebensideale, an die Lösung des Problems setzen, das nie so groß war, wie es jetzt werden wird. Die Frauen müssen es selbst finden, wie man durch Schutz und Freiheit gleichzeitig zu einer vollen Verwertung der Frauenkraft für unser Volkstum kommt. Jede Betrachtungsweise, die von außen her an dieses Problem herangebracht wird, wird notwendig einseitig sein. Da aber, wo alle Seiten künftiger Frauenfragen zugleich erlebt und erfahren werden, bei den Frauen selbst, da allein können auch die rechten Lösungen geahnt und gesucht werden.

In dieser Arbeit an der Gestaltung des eigenen Schicksals unter neu und tiefer empfundener nationaler Verantwortung werden die Frauen aber zugleich ein inneres Gut, einen seelischen Sonderbesitz zur Geltung bringen: die besondere Fühlung ihrer Natur für das Recht des Lebens. Das Hauptproblem, das ihnen im künftigen Deutschland aufgegeben ist, die Anforderungen der Arbeit in Einklang zu setzen mit den Aufgaben mütterlicher Pflege des wachsenden Lebens, es läßt sich nur lösen in dem Maße, als es ihnen gelingt, neben Organisation und Technik den Menschen in sein Recht einzusetzen. Wir Frauen dürfen nicht das Urteil darüber verloren haben, daß die zarte Achtung auch des schlichtesten, auch des unscheinbarsten Lebens, die sorgsame Verwertung auch der geringsten Kraft, daß das alles der Hort aller Kultur überhaupt ist und daß die Geringschätzung des Menschen den Zerfall aller Sittlichkeit und aller Zivilisation bedeutet. Und wenn wir alle gewußt haben, daß in diesem Kriege kostbarste Kräfte geopfert werden mußten für die Behauptung von Deutschlands geschichtlicher Sendung, so wissen wir doch zugleich, daß die Zukunft dieses Opfer nur wert ist wenn sie unter einem ganz anderen Zeichen steht: Menschenökonomie. Pflege und Förderung aller Anlagen und Begabungen, Hingabe an alle werdenden Kräfte, Schutz aller keimenden Leistung. Das besondere Frauenproblem, wie sich Arbeitsleistung und Mutterschaftsleistung der Frau auseinander setzen, wird nur in dem Maße von der Gesamtheit verstanden werden, als sie sich von den Rechnungen des Krieges mit Tausenden von Menschenleben wieder entfernen lernt und wieder anfängt, frauenhaft des Einzelnen zu gedenken.

Wenn die Frauen der Stärkung dieses Geistes dienen wollen, können sie es nur durch Arbeit. Denn es ist sein Wesen, sich nicht in Programmen und großen Worten deutlich machen zu können, sondern die praktische Hingabe zu fordern, durch das Werk hindurch zu reden. Eintreten in die vielgestaltige soziale Einzelarbeit und an vielen tausend Stellen zugleich das Bekenntnis der Tat ablegen für den Gedanken, daß der Mensch der Maßstab aller Dinge ist. Aus der Praxis heraus nur kann diese weiblich-mütterliche Betrachtungsweise in Gesellschaft und Staat eine Macht werden, aus der Praxis heraus muß sie es werden, indem sie die Einzelerfahrung zur organisatorischen Form zu erheben vermag, aus den Forderungen des Lebens heraus an tausend Stellen die Organisation, das System erstehen läßt. In dem Maße, als die Gemeinschaftsaufgaben im künftigen Deutschland wachsen, wird die Vermittlung zwischen System und Leben wichtiger werden: Hier ist der Platz der Frauen.

Dazu bedürfen sie noch der Fortsetzung der sozialen Kriegsschulung. Die Kriegsfürsorge hat es uns bewiesen: Man kann die weiblichen Werte der zarten Berücksichtigung, des feinfühligen Eingehens auf die Bedürfnisse des einzelnen Menschen sicher ebensogut und besser zur Geltung bringen mit einer geordneten Geschäftsordnung und einer guten Buchführung und Kartothek, wie auf der Grundlage der holden Unordnung, die in den Anfängen derartiger Frauenarbeit oft zu herrschen pflegte. Man kann die Organisation im Großen, die wir angesichts der gewaltigen Ziffern der Kriegsfürsorge nötig hatten, durchführen, ohne daß das Geringste von der Wärme und von der Persönlichkeit des Tuns verloren geht, die nun einmal das Wesen der Arbeit der Frau im sozialen Leben sein wird. Im Gegenteil, im festen Rahmen der Disziplin und Ordnung ist alle Beweglichkeit des Einzelnen, die ruhige Entfaltung seiner Kraft der Hilfe und des Trostes sehr viel besser gewährleistet, als da, wo dilettantische Unordnung als Quelle von Streit und schlechter Laune herrscht. Und diese persönliche Kraft mit der Organisation im großen, diese Fähigkeit der Arbeit von Mensch zu Mensch mit dem System zu verbinden, wird das Geheimnis der Bürgerin des künftigen Deutschland sein. Wir brauchen nicht zu fürchten, daß die Frauen Bureaukraten und Systemmenschen werden und unfähig für das, was sie gerade hier zu leisten haben. Wir haben in dieser Zeit erfahren, was die systematische Arbeit und was die Organisation wert ist. Aber stärker als das war die andere Erfahrung, daß es etwas gibt, das größer und heiliger und fruchtbarer ist, nämlich der Geist, den wir in diese Arbeit hineinlegen, die Macht der Stimmung, die uns trägt. Und diese Erfahrung wird das sein, was wir als bestes Gut in eine erweiterte Mittätigkeit der Frau im öffentlichen Leben mit hinausnehmen. Wir müssen instand gesetzt werden, in solcher erweiterter Mitarbeit den festen Grund zu gewinnen, von dem aus wir nun die Fragen, die uns insbesondere angehen, mit sicherer Hand lösen können. Ich glaube, daß mit dieser Entwicklung der Frau zu ihrem eigenen Bürgerbewußtsein, zu ihrem eigenen sozialen Ideal, der Gedanke an Schärfe verlieren wird, daß es sich bei all diesen Bestrebungen der Frauen auf Mitwirkung im Staate handelt um einen Machtkampf mit den Männern. Wenn etwas notwendig sein wird für die Kraft und Freudigkeit des künftigen Deutschland, so ist es, das wissen wir alle, die Vermeidung aller überflüssigen Kämpfe und Gegensätze. Zu den allerüberflüssigsten Gegensätzen der Welt gehört dieser Kampf, den eine besondere geschichtliche Situation zwischen den Geschlechtern entfacht hat. Von allen Parteiungen und Zerspaltungen, die unser Volk trennen, sollte sich im Grunde nichts leichter überwinden lassen. Im Deutschland der Zukunft, in dem die Schätzung des Einzellebens, das weibliche Prinzip, neben dem männlichen der Selbstbehauptung nach außen in seine volle Kraft eingesetzt werden muß, wird Raum und Möglichkeit sein für ein Miteinanderarbeiten der verschieden gerichteten sozialen und nationalen Kräfte von Mann und Frau. Die Kriegsarbeit, die getragen ist von der großen Stimmung der Gemeinschaft, hat dieses Miteinander gefestigt und wird eine Grundlage für alles, was weiter kommt. Ein Deutschland, das in der Entfaltung aller Initiativkräfte, die in unserem Volke liegen, seine Gestalt gewinnt, muß all seinen Frauen die Möglichkeit geben, Bürgerin zu sein.

Da erhebt sich allerdings noch eine Frage: Wird nicht unter dem Druck der wirtschaftlichen Leistung, der Familienleistung und der Mitarbeit im sozialen Leben, die Bürde zu schwer? Wird den Frauen, die, selbstverständlich nicht in jedem einzelnen Leben, aber als Gesamtheit, diese dreifache Aufgabe haben, nicht alle Kraft genommen werden für das, dessen Pflege immer ihre besondere Angelegenheit gewesen ist, für die Gestaltung des Seelenlebens aus allen höchsten Gütern von Kunst und Lebensanschauung heraus? Das ist wohl sicher, und so sagen wir uns wohl alle: unsere deutsche Zukunft wird den Menschen, die sich nach einem solchen Leben eines schönen Individualismus sehnen, weniger Raum zu geben haben. Sie wird unter dem Zeichen stehen, das Goethe im Wilhelm Meister mit dem Worte bezeichnet »Die Entsagenden«. Wir werden jener gewaltigen Erhebung, die uns jetzt aus der Zugehörigkeit zu unserer Volksgemeinschaft erwuchs, den Dank dadurch bezahlen müssen, daß wir in jedem Augenblick unseres Daseins wissen, daß unser Leben dem Ganzen gehört und den großen Aufgaben des Ganzen dargebracht werden muß. Aber diese Erhebung hat uns selbst auch das gezeigt, daß ein solches der Gesamtheit dargebrachtes Leben nicht innerlich arm zu sein braucht. Nicht aus der Vertiefung in die Schatze der eigenen Seele allein wachsen die Kräfte der Erhebung, sondern auch aus der Zugehörigkeit zur Gesamtheit. Aus dem Bewußtsein dieser Zugehörigkeit gewann unser Leben eine Weite und Größe und Tiefe, wie wir sie vorher nicht ahnten. Eingedenk dieses großen Erlebnisses, das uns Frauen zum ersten Male in ganz vollem Sinne die innere Kraft des Wortes »Vaterland« gezeigt hat, können wir mit voller Ruhe und Tapferkeit in die Zukunft hineingehen, die den Frauen größere Pflichten, schwerere Aufgaben, stärkere Verantwortung nach außen und nach innen hin bringen wird. Seit dem Kriege wissen es Tausende, daß die Einstellung ihres ganzen Daseins unter die Staatspflicht ihrem Leben Quellen der Kraft, des Glückes und der Schönheit erschließt, von denen sie vorher nichts ahnten.

 

Aber dies Bewußtwerden einer weiblichen Sendung im öffentlichen Leben ist nur eine Seite in der Entfaltung weiblichen Bürgertums durch den Krieg. Es ist fast ein Entwicklungsgesetz, daß jedes Reiferwerden der Weiblichkeit zugleich ein Reifer- und Freierwerden des Menschlichen in der Frau ist. Und so hat der Krieg, indem er den Frauen die eigne Kulturkraft in ihrer nationalen Bedeutsamkeit zeigte, – damit eine durch die Frauenbewegung angefangene Erziehung mächtig fördernd – zugleich auch eine andere Seite ihres Staatsbürgertums zum Erstarken gebracht: das Verständnis, das Miterleben der Weltpolitik. Auch hier ist eine Entwicklung fortgesetzt, ja, in gewisser Weise zum Abschluß gebracht, die Jahrzehnte vorher einsetzte. Ihr Thema heißt: Die Frau und die Politik.

Die Frauenbewegung beginnt als wirtschaftliche und als geistige zugleich und entwickelt aus dem Inhalt ihrer geistigen Bedürfnisse und wirtschaftlichen Notwendigkeiten bestimmte Forderungen an Gesetzgebung und Verwaltung, mit denen sie den Schauplatz der Politik betritt. Sie vermittelt den Frauen eine politische Bildung, die gesund und solide ist, sofern sie an den eigenen Lebenskreis anknüpft und seine Fragen als politische sehen lehrt, aber deren Begrenztheit um so einengender wirkt, als vielfach die Frauen selbst der Meinung sind, sich zunächst nur auf die eigenen Ziele einstellen, ihnen alle Gedanken und alle Kräfte widmen zu müssen.

Diese Selbstbeschränkung hatte ihre geistigen und ihre taktischen Gründe. Die taktischen ergeben sich aus der Erwägung, daß die eigenen Ziele zunächst einmal Zusammenfassung aller Kräfte erforderten und daß man sich weder äußerlich noch innerlich, weder praktisch noch geistig zersplittern dürfe durch die Anteilnahme an den allgemeinen politischen Bewegungen und ihren Arbeiten. Das Vereinsgesetz setzte ja überdies bis zum Jahre 1908 dieser Anteilnahme ihre engen Grenzen. Die geistigen Gründe für die Eingeschlossenheit der Frauenbewegung in ihren eigenen Rechtskampf sind verschiedener Art. Einerseits schuf das Gefühl der Rechtlosigkeit, unter der die Frauen leiden, eine gewisse Bitterkeit, die in dem Titel eines Frauenromans der neunziger Jahre zum Ausdruck kommt: »Die Frauen haben kein Vaterland.« Andrerseits standen die Frauen diesem Staat, der sie nicht als Bürgerinnen anerkennen wollte, auch mit der Überzeugung gegenüber, daß er wesentlich Ausdruck männlichen Geistes sei, in seinen Einrichtungen und Problemen den Frauen wesensfremd und ungemäß. Die Frauen fühlten sich in gewisser Weise als Trägerinnen neuer politischer Prinzipien, deren Zeit erst gekommen sein würde, wenn sie selbst einen wirklichen Einfluß gewonnen hätten. Befangen in dem Gegensatz ihrer Stellung, übersahen sie das Gemeinsame, gebunden an das große, mühsame Werk der Eroberung neuer Wirkenskreise, blieb ihnen alles, was nicht unmittelbar diese Arbeit berührte, zunächst ein wesenloseres Draußen. Es kommt hinzu, daß die praktische Arbeit der Frauenbewegung auf sozialem Gebiet einsetzte, daß sich hier und in der Vertretung der Berufsinteressen die ersten politischen Maßstäbe der Frauen bildeten. Und alle diese Gedanken, Stimmungen, Grundsätze umspannend gibt den Ausschlag die Tatsache, daß die Frauenbewegung ihren Kampf im Zeichen gewisser allgemeiner Kulturideen führte – Freiheit, Selbstverantwortung, Gerechtigkeit an Stelle von Gewalt, zivilisatorische statt der politischen Kräfte usw. –, die an sich nicht zu voller Erfassung des politischen Lebens und seiner Triebkräfte führen konnten.

Es war ein bedeutsamer Schritt in der Entwicklung weiblichen Staatsbürgertums, als die Frauen sich außerhalb der Frauenbewegung an der Arbeit der politischen Parteien beteiligten. Der erste handgreifliche Beweis dafür, daß die staatsbürgerliche Entwicklung der Frauen nicht nur eine höhere und allgemeinere Form weiblicher Interessenvertretung, sondern ein tatsächliches Wachstum des Bürgertums in den Frauen war. Zum erstenmal kam hier zum Ausdruck, daß die Frauen in ihrem Rechtskampf nicht nur eigenen Vorteil oder die Beseitigung formaler Ungleichheiten suchten, daß es sich ihnen nicht nur um eine künftige Geltendmachung eigener Interessen im Staat, sondern um die Anteilnahme am Staat in der Gesamtheit seiner Lebensäußerungen handelte, daß sie ihre künftige Rolle im Staat nicht als ewige Frauenrechtlerinnen suchen, sondern auch in der Vertretung solcher allgemeinen politischen Ziele, denen jede besondere Beziehung zu einem oder dem anderen Geschlecht abgestreift ist. Erst angesichts solcher Ziele aber kann man von einem Staatsbürgertum tatsächlich reden, erst angesichts ihrer – in der selbstlosen Reinheit und Wärme, mit der sie ersehnt und erstrebt werden – wird ein höheres Recht auf verantwortliche Mitarbeit im Staat erworben. Erst die Frauen, die noch für die allem Geschlechtsinteresse entzogenen Staatsfragen ihre Kraft einsetzen möchten, sind Staatsbürger im höchsten Sinne geworden.

Nun gibt es allerdings wenige Fragen der inneren Politik, die nicht mit der Frauenbewegung an irgendeiner Stelle und in irgendeiner Form verknüpft sind. Allgemeinste politische Ideen ebenso wie unpersönliche Gebiete der Staatswirtschaft – etwa Handels- oder Verkehrspolitik – haben ihre besonderen Beziehungen, sei es zum tatsächlichen Frauenleben, etwa seinen wirtschaftlichen Bedingungen, oder zum Rechtskampf der Frauen. Und für viele von der Frauenbewegung politisch erzogene Frauen wird diese Beziehung die eigentliche Zündschnur ihres Interesses sein.

Hier liegt eine starke Verwandtschaft der Frauenbewegung mit der Arbeiterbewegung. Auch die politische Erziehung des Arbeiters vollzog sich an Fragen der inneren Politik, solchen Fragen, die aus der eigenen Lage hervorgingen oder sie doch berührten. Auch für die Arbeiterschaft entstanden hier die Maßstäbe, die Betrachtungsweise, die Ideale. Maßstäbe und Ideale, gewiß, die über den bloßen Klassenegoismus in ihrer Bedeutung und Tragweite hinausreichten, aber doch als Werkzeuge des eigenen Aufstieges und Deutungen der eigenen Lage ihren lebendigsten und verständlichsten Sinn gewonnen hatten.

Zugleich bedeutete dieser Schritt das äußere Zeichen des Hinauswachsens der Frauen aus dieser abstrakt-ethischen Betrachtungsweise, die am Staat nur insofern Interesse hat, als seinen Fragen in engerem Sinne ethische Bedeutung zukommt, und der der Stoff des realen Staatslebens, Handel, Gewerbe, Finanzen, Verkehr usw. usw. neben den ethisch durchwachseneren Bildungs- und sozialen Fragen gleichgültig oder doch gleichgültiger erscheint. Erst von dem Augenblick an, da das politische Bewußtsein der Frauen mehr wurde als Frauenrechtskampf, soziale Gesinnung und sentimentale Demokratie, vollzieht sich der Übergang zur Staatsbürgerin im vollen Sinne des Wortes.

Oder doch noch nicht im vollen Sinne?

Denn mit diesem Übergang ist immerhin eines noch nicht gegeben: das Hineinwachsen in die Weltpolitik. Für die Stellung der Frauen – es sei hier von den durch die Frauenbewegung erzogenen die Rede – zur Weltpolitik nun spielt die Natur dieser Lehrjahre ihre ganz besondere Rolle.

Die gedankliche Weite der Grundsätze, von denen die Frauenbewegung ausging, und die Begrenzung ihrer praktischen Interessen auf das eigene Geschlecht schuf nun ihr (wie der Arbeiterbewegung) eine besondere Beziehung zur Welt: die einer Solidarität über die Grenzen des eigenen Staates hinaus. Einer Solidarität, die sich aus der Gemeinsamkeit des ideellen Kerns und der Ähnlichkeit der praktischen Ziele und Wege aufbaute. Die Frauenbewegung der verschiedenen Staaten fühlte ihre Verwandtschaft so wie etwa Katholiken und Protestanten, Darwinisten und Kantianer sich einander zugehörig fühlen, wo auch immer sie staatszugehörig sein mögen; aber ihre Vertretungen konnten auch voneinander und durcheinander praktisch lernen, und jede in ihrem Lande erfuhr eine gewisse tatsächliche Stärkung durch die Erfolge in jedem anderen. Die Betrachtung einer Forderung, die irgendwo in der Welt verwirklicht ist, rückt natürlich für alle anderen Länder sofort in ein anderes Licht. Aus dieser Tatsache entwickelt sich ein berechtigtes Zusammengehörigkeitsbewußtsein – berechtigt, weil in ganz realen Gewinnen von und durch einander begründet.

Diese Verknüpfung der ideellen und praktischen Fraueninteressen aller Länder gab den ersten »Leitfaden«, der über die eigenen Grenzen in die Welt hinausführte. Hinter der Frauenbewegung jedes Landes stand der Welthorizont – nicht als eine Stimmung, sondern als eine Tatsache. Solange und je mehr die Frauenbewegung im eigensten Gedankenkreis befangen blieb, war ihr diese internationale Solidarität von Bedeutung. Keine Frage, daß sie überschätzt wurde. Rein sachlich – denn man kann voneinander lernen, aber nur sehr mittelbar. Jeder internationale Kongreß zeigte dem Tieferschauenden die Schwierigkeit mehr als oberflächliche Besprechungen der wirklich einschneidenden Frauenprobleme (sie sind national zu verschiedenartig). Überschätzt aber auch ideell – der Beweis ist für Arbeiterschaft ebenso wie für Frauenbewegung: der Krieg mit seinen seelischen Begleiterscheinungen.

Dieser vielzitierte »Internationalismus der Frauenbewegung« war (ebenso wie die Frauenrechtelei für das Verständnis der inneren Politik) zugleich eine Förderung und eine Hemmung weltpolitischer Schulung. Eine Förderung, indem er die Verhältnisse im Ausland sehen und verständnisvoll erfassen lehrte, eine Hemmung, indem er die Versuchung mit sich brachte, die nationalen Gegensätze zu übersehen, überhaupt den Blick für das Wesen des Welt machtkampfes zu blenden.

Das ist es, was die Frauen, die diese geistige Entwicklung durchgemacht haben, im Weltkriege lernen mußten: das unüberwindlich starke, unverwischbar tatsächliche Wesen dieses Weltmachtkampfes. Die eisernen Mauern, die heute feindliche Völker voneinander trennen, sie sind unsichtbar dagewesen, sie ruhten unter der Schwelle, die unser Fuß ahnungslos überschritt, und die Kriegserklärung ließ sie nur emporsteigen aus ihrer verborgenen in die leibhafte Wirklichkeit. Und unsere freundlichen Gefühle, unsere gemeinsamen Ideale, die Ähnlichkeiten unserer Interessen konnten sie nicht vernichten und aus der Welt schaffen.

Das mußten viele Frauen verstehen lernen. Emporgewachsen an den Aufgaben der inneren Politik, die alle von dem festgefügten Ring der Volksgemeinschaft umschlossen und dadurch in den Geist dieser Verbundenheit getaucht sind, mußten die Frauen sich erst in die weltpolitische Atmosphäre hineinfinden, in der die Staaten als Burgen der Macht einander gegenüberstehen und Selbstbehauptung die unausweichliche Pflicht aller ist. Treitschke sagt, daß der Krieg die Fortsetzung der Politik sei. Viele Frauen haben aus dieser Fortsetzung erst den Anfang, aus dem Krieg erst das Wesen des deutschen Weltmachtkampfes verstehen gelernt.

Trotz alles Geredes unserer Feinde über den deutschen »Imperialismus« – die deutsche Gesamtbildung war nichts weniger als weltpolitisch eingestellt. Die politischen Kräfte des deutschen Volkes waren seit 1870/71 sehr ausschließlich den inneren Fragen zugewandt (man sehe nur, einen wie kleinen Raum in den Parteiprogrammen die Fragen der äußeren Politik einnehmen!). Der gebildete Deutsche ist überhaupt in beklagenswertem Grade unpolitisch; Weltpolitik war durchaus nicht in einem irgendwie überragenden Maße allgemeines Interesse. Das alles hielt auch die weltpolitische Bildung der Frauen zurück – abgesehen von den Gründen, die in dem Weg ihrer politischen Entwicklung an sich lagen. Es fehlte an Wissen ebenso wie an Temperament, an selbstverständlich gewordener Fühlung für den großen Schauplatz. Wie sehr großen Schichten unseres Volkes, so war es auch den Frauen weder intellektuell gegenwärtig, noch irgendwie zu einem Wesensbestandteil ihres politischen Gefühls geworden, wie sehr die Bedingungen unserer nationalen Existenz schon draußen in der Welt liegen, wie sehr die Schicksalsfragen der Völker weltpolitische Natur angenommen haben. Wie viele – oder wie wenige Menschen gibt es überhaupt, die dies ganz empfinden, die Geschichte so sehen, als Weltgeschichte in einem ganz anderen Sinn, als man dies Wort bisher faßte. Bisher sahen viele nur ein Nebeneinander nationaler Lebensschicksale, die normalerweise jedes für sich ablaufen und nur im Störungsfall miteinander zu tun bekommen. Wer versteht, daß die Geschichte heute, mindestens für die Großmächte, keine Monographien mehr schreibt, sondern nur noch das Drama eines Ringens aller um Weltgeltung? Und doch muß eben dies Verständnis Bildungsbesitz werden, und wir müssen den Frauen dazu helfen.

Der Krieg hat vor das ganze Volk den Welthorizont einfach hingestellt und dem Verständnis überlassen, sich in den mächtigen Räumen zurechtzufinden. Was hat diese Männergeneration, hin- und hergeworfen zwischen Balkan und Flandern, für Tatsachen kombinieren müssen, um den Sinn des eigenen Tuns zu erfassen! Wie haben die Frauen aus jeder Einzelfrage der Kriegswirtschaft politische Einsichten schöpfen können, die ihnen keine Zeitung und keine Staatsbürgerkunde so eindringlich nahegebracht hätte!

Aber trotzdem die Welt draußen Tausenden von Frauen durch den Krieg nähergerückt und vertrauter geworden ist – als Nahrungsspielraum des gewaltigen Leibes Deutschland und als Arbeitsfeld seiner geistigen Kräfte – kann man sich nicht so ohne weiteres darauf verlassen, daß diese Lehre von selbst weiterlebt. Sie wird erhalten und gepflegt werden müssen. Und das wird ein letztes Kapitel in der staatsbürgerlichen Entwicklung der Frau sein. Erst die es durchgemacht haben, verdienen den Namen der Bürgerin. Für Mann und Frau zeigt sich die volle Kraft des politischen Bewußtseins erst in der Anteilnahme an der äußeren Politik, denn hier erst handelt, strebt, kämpft der Staat als ganze große Einheit aus der Gesamtfülle seines Lebens. Hier erst streift die Politik ihre Beziehung zu diesem oder jenem Einzelinteresse grundsätzlich ab, wo der Staat als ein geschlossener Gesamtwille in die Welt tritt. Wer das in tiefster Seele mitzuerleben vermag, wem das zum Schicksal wird – der erst ist Bürger.

Ob der Frau hierfür jenes Stück Entwicklung nützen kann, das sie in Beziehung gesetzt hat mit dem Streben der Geschlechtsgenossinnen in der Welt draußen? Ich glaube wohl. Denn Weltpolitik ist – wir vergessen es jetzt leicht – ja doch die Kunst, Freunde in der Welt zu haben, die Kunst des Anknüpfens, des fruchtbaren Austausches, die schöpferische Kunst, die eigene Leistung der Welt wertvoll zu machen und von der Kraft der anderen zu gewinnen. Das alles aber lebt nicht nur vom nationalen Machtwillen, sondern immer auch von dem Bewußtsein einer internationalen Interessengemeinschaft der Völker, die, im Güteraustausch wurzelnd, doch weit über ihn hinausreicht. Daß sie im Frieden wieder entstehen muß, ist eine Binsenwahrheit; fast überflüssig, sie auszusprechen. Vielleicht hilft die ungesuchte, durch die Geschichte selbst geschaffene Verbundenheit der Frauenbewegung in den verschiedenen Ländern hier mitbauen, nachdem die wenigen deutschen Frauen, die es noch nicht wußten, durch den Krieg begriffen haben, daß diese Verbundenheit ihre unverwischbaren Grenzen in unserer Zugehörigkeit zum eigenen Vaterland hat.

Um so deutlichere Grenzen, je reifer in der Frau die Bürgerin ist.

 


 << zurück