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Herbst 1916
Die Versammlung im Sitzungssaal des preußischen Abgeordnetenhauses, durch welche unter dem Vorsitz des Herrn Geheimen Regierungsrats Prof. Dr. Wolf die Gesellschaft für Bevölkerungspolitik begründet wurde, war, was man »gut aufgezogen« nennt. Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, traten die großen Herren des Parlaments und der Wissenschaft nacheinander hervor und sagten uns ihre Gedanken über den Geburtenrückgang und die erforderlichen »Maßnahmen«. Aus Begrüßungstelegrammen klangen andere glänzende Namen über uns hin. Die Frauen durften das Glück der Prinzessin im Tasso genießen: »Ich freue mich, wenn kluge Männer reden, daß ich verstehen kann, wie sie es meinen.« Sie durften zuhören, wie die Sachverständigen über die mangelhafte hauswirtschaftliche Bildung der Frau, über das Stillen und andere Geheimnisse der Wochenstube ihre Meinungen austauschten. Es gibt ein englisches Sprichwort, das uns unter ähnlichen Umständen schon manchmal getröstet hat. Es heißt: » One must be thankful for small mercies«. Also wir waren dankbar, daß wir dasitzen und lauschen durften. Am Schluß einer langen Reihe von Rednern war es sogar einer von uns vergönnt, in fünf Minuten den »Frauenstandpunkt« darzulegen.
Es waren sehr viele Frauen im Saal. Vielleicht mehr als Männer. Ob sie alle nicht allerlei wußten, was nicht gesagt wurde? Ob die lange Reihe der Redner, von denen naturgemäß mancher nur wiederholen konnte, was der andere schon gesagt hatte, wirklich auch für sie das Problem erschöpfte? Wenn ich aus allem schließe, was in unserem Kreis zu diesen Fragen schon gesagt ist – nein! Es gibt, wenn zu irgendeiner Frage, so zu dieser, in der Tat einen Frauenstandpunkt. Und ich glaube, daß zu jedem einzelnen Gedanken, der ausgesprochen wurde, und zu der Art, in der er ausgesprochen wurde, sich bei vielen Zuhörerinnen das Frauengefühl gemeldet hat.
Es protestiert nämlich schon ein wenig gegen das Wort » Bevölkerungspolitik«. Es liegt etwas Unfruchtbares, Hoffnungsloses – etwas Totes und Maschinelles in dem Wort. Man will das Elementare, das Leben selbst zum Gegenstand politischer Maßnahmen machen, durch gesellschaftliche Einrichtungen von außen her »erzielen«, im sozialen Laboratorium experimentell herstellen. Man wird das Gefühl nicht los, daß darin irgendeine Umkehrung von Mittel und Zweck, von dem Verhältnis der schöpferischen Kraft zu ihren Lebensformen steckt. Der Mensch wird zu ausschließlich als Werkzeug für eine Gesamtheitsaufgabe angesehen, und man täuscht sich über die tatsächliche lebendige Macht dieses Zweckbewußtseins in ihm selbst und über dessen Erziehbarkeit. Die Größe der Nation, eine freie Blüte ihres elementaren Lebens, wird – natürlich immer erst in dem Augenblick, wo dieses Elementare anfängt, schwächer aufzutreten – zum Inhalt einer Pflicht, zum Ziel politischer Bemühungen gemacht. Noch mehr tritt das hervor, wenn, wie das jetzt naheliegt, die Stärkung der Wehrkraft als Zweck der Kindererzeugung in den Vordergrund gestellt wird. Jede, auch die opferbereiteste, heldenhafteste Mutter, muß sich innerlich dagegen auflehnen, daß sie für das Schlachtfeld gebären soll. Jede weiß, daß sie opfern muß, wenn die Not es fordert, jede wird stolz sein auf den Beitrag, den sie selbst zur Selbstbehauptung ihres Landes gestellt hat, aber keine wird darin den Inbegriff ihrer mütterlichen Leistung sehen, daß sie Soldaten ins Leben stellt. Jede empfindet, daß dieser Mensch, dies Leben um seiner selbst willen wert ist, dazusein, kostbar durch sich selbst, und weil es zum Reich und Werk der lebendigen Seelen mit seinem Ich und seiner Kraft hinzutritt. Nur, wo dieses ursprüngliche, durch keine äußeren Zwecksetzungen erkältete Gefühl für das Leben da ist, das reine Glück über das Kind, jenes Glück aus dem das Wort vom »Kindersegen« stammt –, da ist der kraftvolle Wille zur Mutterschaft. Es ist ein gefährlicher Weg, dies Gefühl zu beirren, indem man sagt: wir brauchen viele Kinder zu diesem oder jenem Zweck, und sei er noch so erhaben. In keiner gesunden Mutter wird der Wunsch, Kinder zu haben, durch eine Auseinandersetzung darüber gesteigert, daß zur Kriegführung Friedrichs des Großen weniger Menschen gehörten als zu der Wilhelms II.
Das war ein Punkt, an dem die Frauen gefühlsmäßig der Bevölkerungspolitik – der Erfassung der Bevölkerungsfrage als einer »politischen« – anders gegenüberstehen als die Nationalökonomen, Politiker und Feldherren.
Aber es sind noch andere da.
Die Bevölkerungspolitik fängt da an, als eine Hilfe der Gesellschaft, wo der Wille des einzelnen zum Kinde vor sozialen und wirtschaftlichen Hemmungen steht. Die Bevölkerungspolitik kann diesen Willen nicht schaffen, aber sie kann ihn vom wirtschaftlichen Druck befreien, ihm zu seiner Erfüllung helfen. Diese Grenzen muß sie anerkennen. Sie kommt auf eine schiefe Ebene, wenn sie über diese Hilfe hinaus äußere Motive für den Fortpflanzungswillen einsetzt, wie z. B. das höchst widerwärtige Mittel der »Mutterschaftsprämie«. Man hält sich damit an die Gewinnsucht und stärkt den Gedanken, daß die Mühe, ein Kind zu gebären und aufzuziehen, sich »bezahlt« machen soll. Aber aller Wille zum Nachwuchs beruht darauf, daß das Kind höher geschätzt wird, als alle die Mühe, die es macht. Alle Mutterleistung ist Idealismus, Wille zu einer Hingabe, die ihren Lohn in sich trägt. Das Wesen der Muttersorge ist, daß sie sich nicht bezahlt macht. Und so hohe »Prämien« kann kein Staat seinen Müttern zahlen, daß sie, unter dem Lohngesichtspunkt angesehen, eine Entschädigung darstellen.
Man sage nicht, daß diese Betrachtung irgendeine übertriebene Grundsätzlichkeit an die Stelle des »Praktischen« setzt. Gerade wenn es sich nicht um eine Einzelmaßnahme, die unschädlich bleiben mag, sondern wie Herr Geh. Rat Wolf sagte, um ein ganzes System von bevölkerungspolitischen Bemühungen handelt, muß die Grenze innegehalten werden, von der ab nicht mehr der vorhandene Familienwille befreit, sondern der nicht vorhandene durch andere Motive ersetzt werden soll. Jede bevölkerungspolitische Maßnahme ist verfehlt und gefährlich, die dahin führt, daß der Kern des ganzen Problems verdeckt wird: dieser Kern liegt in der Aufgabe, in der aufsteigenden Kultur die Natur ungeschwächt zu erhalten.
Die Volksvermehrung beruht heute noch zum großen Teil auf der Betätigung eines hemmungslosen Trieblebens: der Grund der Fruchtbarkeit elendester Volksschichten. Gerhart Hauptmann hat in den »Webern« ein Lied aufbewahrt, das die Degeneration einer elendesten Menschenklasse mit den Worten verspottet: »Die Leineweber haben alle Jahr ein Kind«. Diese Volksvermehrung ohne den Willen und die Verantwortung schränkt sich in dem Maße ein, als die Arbeiterschaft aufsteigt. Und das ist gut, denn sie wollen wir nicht. Vor allem auch nicht vom Standpunkt der erniedrigten und mißhandelten Frau aus. Und nun ist die Frage: wird es möglich sein, diese an sich gesunde Verfeinerung freizuhalten von bloßen Bequemlichkeits- und Genußrücksichten, das Übergreifen der vielbesprochenen »Rationalisierung des Geschlechtslebens« in die Sphäre der bloßen Lebenserleichterung zu verhüten?
Hier muß nun gesagt werden, daß das Beispiel, das in dieser Hinsicht von den höheren Ständen ausgeht, ohne Zweifel verwüstend gewirkt hat. Es wäre Sache dieses Beispiels gewesen, den von unten zur Kultur aufsteigenden Volksschichten die Tradition der kinderreichen »guten Familie« darzubieten! Statt dessen haben wir gerade in den höheren Ständen eine Durchsetzung der Anschauungen mit – sagen wir einmal: dem Junggesellenstandpunkt, deren Tragweite schwer groß genug eingeschätzt wird. Es wurde in dieser Versammlung von einem Kampf gegen die pornographische Literatur gesprochen. Ob diese Erzeugnisse so gefährlich sind, wie die in der ganzen Literatur verbreitete ironische Auffassung des bürgerlichen Familienlebens, bei dem die Frau unelegant, die Wohnung unruhig, der Tisch ohne Raffinement, das ganze Leben ohne lebemännische Reize und der Mann der arme blamierte und hereingefallene Teufel ist? Hinter der ironischen Bemitleidung des Familienvaters – ist es nicht bezeichnend, daß die Mutter, der eigentlich doch die unbequemere Rolle zuteil wird, immer nur glücklich gepriesen wird? – steckt dann als noch ernstere Tatsache die allgemeinere Beurteilung des »Vorlebens«. Wenn den Frauen in den Reden jener Tagung etwas befremdend war, so ist es das absolute Verstummen aller Redner vor dem zweifellosen Zusammenhang zwischen der grundsätzlichen Konzession gegenüber jedem vorehelichen Geschlechtsverkehr mit dem mangelnden Verantwortungsgefühl in der Ehe. Es wurde viel von der Erziehung der Mädchen für Hauswirtschaft und Mutterberuf, aber es wurde kein einziges Wort von der Erziehung der jungen Männer für die Vaterschaft gesprochen. Im Gegenteil, man fand sich mit dem Satz ab, daß man hier vor »brutalen Tatsachen« stehe, gegen die mit »ethischen Idealen« nichts auszurichten sei. Es mag sein, daß die Wirklichkeit dieser Auffassung recht gibt, aber dann soll man sich ruhig eingestehen, daß man darauf verzichtet, die entscheidenden Kräfte zur »Erhaltung und Mehrung unserer Volkskraft« heben zu wollen.
Ob es aber nicht doch denkbar wäre, daß eine Versammlung von jungen Menschen über diese Frage weniger »abgeklärt« und »lebenserfahren« geurteilt hätte?