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Winter 1914/15
Es hat jemand mit Bezug auf die Leistungen des Heeres gesagt, daß die Geschichte dieses Krieges niemals geschrieben werden würde, weil die, die sie erleben, sie nicht schreiben können, und die, die sie schreiben können, sie nicht erlebt haben. Es gilt etwas Ähnliches für die gesamte Kriegsleistung im Innern. So wie die Generalstabsberichte einmal längst nicht alles enthalten werden, was an Kraft und Leistung eingesetzt wurde, ebenso wird einmal auch nur ein geringer Teil dessen in den Akten zu finden sein, was tatsächlich in dieser Zeit gearbeitet worden ist. Und niemand wird sich wahrscheinlich einmal die Mühe geben, aus Tausenden und Millionen von Einzelheiten das Bild zusammenzustellen, das die Kriegsleistung unseres Volkes im Innern darstellt.
Dieses Gefühl hat man jedesmal, wenn man zufällig irgendein Stück Kriegsarbeit, sei es durch einen Bericht, sei es leibhaftig vor Augen bekommt. Wieviel wird getan, über das die Nachrichten an keiner Stelle gesammelt und gewußt werden! Und was insbesondere die Kriegsarbeit der Frauen anbetrifft, so können wir schon jetzt ganz fest davon überzeugt sein, daß sie heute und in Zukunft bedeutend unterschätzt werden wird. Die Frauen selbst, die arbeiten, finden keine Zeit, Berichte zu schreiben und Akten zu sammeln. Vieles von dem, was jetzt geschieht, wird der Krieg mit hinwegnehmen, so wie er die Tapferkeit und Todesverachtung von Tausenden von einzelnen Soldaten in dem großem Strom aufnehmen wird, in dem die Leistungen des einzelnen verschwinden und nur die Kraft der Gesamtheit übrig bleibt.
Niemand von denen, die heute an irgendeiner Stelle in Deutschland stehen und ihre Pflicht tun, wird das bedauern. Wenn wir in unserem Heer die großartige Anonymität aller Leistungen, der gesamten Kriegsführung, der Pläne, der Organisation aufs höchste bewundern, so werden auch die Arbeiter im Innern, von denen ja so viel weniger verlangt wird, zufrieden sein, wenn nur ihr Stückchen Arbeit zu einer solchen großen Gesamtleistung beiträgt. Aber freilich in gewisser Hinsicht werden die Frauen doch dafür sorgen müssen, daß man um ihre Leistungen in dieser Zeit weiß: weil in noch ganz anderem Sinne als für die Männer diese Leistungen die Stichproben auf alles das sind, was die Frauenbewegung gewollt und erreicht hat, und weil für unsere künftige Entwicklung alles darauf ankommt, in welchem Grade die Gesamtheit davon durchdrungen ist, daß die Frauen diese Stichprobe bestanden haben.
Der stärkste Beweis dafür, daß die ganze soziale Frauenarbeit im Kriege aus lebendigen selbständigen Kräften hervorging, ist die Tatsache, daß sie auch ohne Führung sich an allen Orten den Forderungen des Augenblicks entsprechend selbständig entwickelt und gestaltet hat.
In einen Tag drängen sich die Eindrücke tatkräftiger Mitarbeit der Frauen in der Aufklärung über die Volksernährung von den verschiedensten Städten und Landesteilen Deutschlands. Zwar ist schon im November vom Bund Deutscher Frauenvereine eine Anregung zur Begründung von Hausfrauenausschüssen für die Lebensmittelfrage in einzelnen Städten ausgegangen. Aber soviel oder sowenig diese Anregung auch als Veranlassung zur Aufnahme der Arbeit gewirkt haben mag, die eigentliche Ausfüllung eines bloßen Rahmens und Schemas, die Befolgung eines Rates setzt doch überall selbständige Organisationsfähigkeit und Anpassung an die verschiedenartigen örtlichen Verhältnisse voraus. Daß und wie sich diese Anpassung zeigt, beweist, daß überall Frauen imstande sind, eine sehr große sozialorganisatorische Aufgabe mit Geschick am rechten Ende anzufassen.
Vor mir liegt ein Bericht über die Arbeit des Frauenausschusses der Hamburger Kriegshilfe, liegen Berichte über die Arbeit der Königsberger Frauen, über die Propaganda, die von Weimar aus in der Lebensmittelfrage durch die Frauen über andere thüringische Städte ausgedehnt wird. Man hat in Hamburg einen Frauenausschuß für Lebensmittelverwertung mit sechs Gruppen hergestellt: Propaganda, Presse, Verbreitung der Kochkiste, Feststellung der Lebensmittelpreise, Verkehr mit Produzenten und Behörden. Es haben Versammlungen sowohl in Privathäusern wie auch in kleineren Vereinen und schließlich in größerem Maßstabe vor der Öffentlichkeit stattgefunden, Versammlungen für alle Kategorien von Hausfrauen und Konsumenten, in Mädchenhorten, für Haushaltungslehrerinnen, für Köchinnen.
Aufklärungsversammlungen in ganz großem Maßstabe, nämlich an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen an acht Stellen der Stadt und der Vororte zugleich, haben die Königsberger Frauen veranstaltet. Sie haben auch zugleich eine Kommission von fachkundigen Frauen gebildet, die Wochenspeisezettel und Rezepte herausgibt. Dasselbe ist auch in Posen geschehen.
Die Aufrufe und Flugblätter des Bundes Deutscher Frauenvereine sind in vielen Tausenden von Exemplaren allenthalben verbreitet. Außerdem aber hat man fast überall noch mit viel propagandistischer Erfindungsgabe eine eigene Flugschriftenliteratur geschaffen, die sich in ihrer Art stärker an die örtlichen Verhältnisse anlehnt, als es möglich ist, wenn ein einziges Flugblatt für das ganze Reich benutzt werden soll.
In Berlin hat gleichfalls durch den Nationalen Frauendienst die Arbeit auf dem Gebiete der Volksernährung schon im Spätherbst eingesetzt. Nachdem Hausfrauenaufklärung im kleineren Kreise vorausgegangen war, fand noch im Dezember eine große Versammlung für Köchinnen im Abgeordnetenhause statt, bei der an etwa 1500 Teilnehmerinnen Flugschriften, Merkblätter usw. verteilt wurden. Diese Versammlung hat eine starke propagandistische Wirkung bis weit hinaus in das Reich ausgeübt und ungezählte Anfragen aus allen Landesteilen nach Literatur, Rednerinnen und Beratung nach sich gezogen. Dieses Ergebnis führte von selbst auf den Gedanken, daß die einmalige Aufrüttelung der Frauen wenig Sinn hat, wenn ihr nicht eine dauernde Beratung über die richtigen Verbrauchsmaßnahmen folgt. Und so richtete denn der Nationale Frauendienst Berlin zunächst eine Beratungsstelle ein, die so stark in Anspruch genommen wurde, daß man sehr bald ausführen mußte, woran schon von Anfang an gedacht war: die Ausdehnung dieser Beratungsstellen über die ganze Stadt. Diesem Plan wurde noch weiterer Nachdruck gegeben durch das Ergebnis großer Hausfrauenversammlungen, von denen zehn am 11. Januar und weitere zehn am 22. Januar in Berlin und den Vororten stattfanden. Wenn man ursprünglich daran gedacht hatte, die hauswirtschaftliche Beratung zu verbinden mit den Hilfskommissionen, in denen an Unterstützungsbedürftige Auskunft erteilt wird, so erwies sich doch diese Verbindung als nicht durchführbar und zweckentsprechend. Es ist selbstverständlich, daß in der pflegerischen Behandlung der Unterstützungsbedürftigen hauswirtschaftliche Beratung schon immer ihre Stelle gehabt hatte. Aber andrerseits schien die Tätigkeit der Kommissionen an sich schon vielseitig und ausgedehnt genug, als daß man ihnen eine ganz neue Aufgabe, die noch dazu einem ganz anderen Personenkreis zugewandt war, noch hätte übertragen können. Die Beratungsstellen werden also getrennt von den Kommissionen eröffnet und teils auch von ganz anderen Bevölkerungskreisen aufgesucht. Muß es doch auch ihre Aufgabe sein, vor allem in jenen Kreisen zu vernünftigen Einschränkungen des Verbrauchs anzuregen, in denen viel konsumiert wird.
In Frankfurt a. M. ist schon seit Beginn der Kriegsarbeit überhaupt hauswirtschaftliche Beratung in den Kreis der Aufgaben des Nationalen Frauendienstes aufgenommen. Man hat eine Beratungsstelle für den Gebrauch der Kochkiste schon im August eingerichtet, ja später diese Einrichtung erweitern und vermehren müssen und ist von hier aus selbstverständlich auch zu einer allseitigen und ausgedehnten Aufklärung über den Kriegsdienst in der Küche vorgeschritten.
In Baden haben die Frauen mit Unterstützung des Ministeriums des Innern gleichfalls einen umfassenden, nicht nur auf einzelne Großstädte beschränkten Aufklärungsdienst in die Wege geleitet.
Wenn auch die gesamte hauswirtschaftliche Beratung, die sich an die Frauen wendet, auch von den Frauen in erster Linie wird geleistet werden müssen, so hat sich doch häufig auch die Verbindung der Frauenorganisationen mit anderen großen Vereinen oder Körperschaften, die in irgendeiner Weise in der Volksernährungsfrage kompetent und tätig sind, als zweckmäßig erwiesen. In Berlin ist der Nationale Frauendienst in Verbindung getreten mit dem Ärzteausschuß und der Zentralkommission der Krankenkassen zu einem Kriegsausschuß für Volksernährung. Dieser Ausschuß veranstaltet seinerseits Versammlungen, in denen Ärzte und hauswirtschaftliche Kräfte über das Ernährungsproblem sprechen und an die sich Kochdemonstrationen anschließen. So wird in der Verbreitung der Kriegssparsamkeit zugleich die Volksgesundheit berücksichtigt. Kochkurse in größerem Umfang finden ja seit Kriegsbeginn in verschiedenen Städten für die Frauen der breiten Volksschichten statt. Es ist, als ob auf einmal in der hauswirtschaftlichen Bildung der Frauen nachgeholt werden sollte, was man seit Jahrzehnten versäumt hat. Aber man wird kaum darauf rechnen können, gerade jetzt Hausfrauen in großer Zahl für längere Kurse zu gewinnen, mindestens nicht aus den Schichten, die der Belehrung am dringendsten bedürfen. Vielleicht aber wird es eher möglich sein, für solche kurzen Veranstaltungen Interesse zu wecken, die dann doch mindestens eine bleibende Anregung und Aufbesserung der lückenhaften hauswirtschaftlichen Fähigkeiten sein werden.
Ein anderer Versuch dauernder Beratung der Frauen über Kriegskost ist in großem Maßstab durch den Bund deutscher Frauenvereine gemacht, aber in kleinerem Umfang schon in einzelnen Großstädten vorher in die Wege geleitet: die Veröffentlichung eines regelmäßigen Wochenspeisezettels, der auf solche Gerichte hinweist, die unbeschadet der Kriegslage auf dem Nahrungsmittelmarkt hergestellt werden können, und die Hinzufügung von Rezepten bei solchen Speisen, mit denen die Bevölkerung durch ihre Ernährungssitten weniger vertraut ist. Die Veröffentlichung solcher Speisezettel mit anschließenden Rezepten ist bereits in Königsberg und in Hamburg in Angriff genommen, in München geplant. Der Bund Deutscher Frauenvereine gibt von Februar ab eine hauswirtschaftliche Korrespondenz heraus, die Wochenspeisezettel und Rezepte, den örtlichen Ernährungssitten entsprechend, auch in die Zeitungen der kleineren Städte, die Kreisblätter usw. einführen will. Von den Behörden unterstützt, wird diese Korrespondenz hoffentlich ihren Zweck im großen Umfang erfüllen.
Um die landwirtschaftlichen Frauenkreise über die gegenwärtige wirtschaftliche Lage und ihre Pflichten in weitestem Umfang aufklären zu können, fand ferner in der Woche vom 18. bis 23. Januar ein Kursus statt, der von verschiedenen Frauenorganisationen, die in der Landpflege arbeiten, einberufen worden war und unter dem Protektorat des Landwirtschaftsministers stand. In diesem Kursus wurden unter besonderer Berücksichtigung der ländlichen Verhältnisse solche Frauen, die zur Verbreitung richtiger wirtschaftlicher Aufklärung unter der Landbevölkerung geeignet sind, mit dem nötigen Wissensstoff dafür ausgestattet. Der außerordentlich zahlreiche Besuch dieses Kursus (zirka 400 Teilnehmerinnen) bewies, wie stark das Bedürfnis, sich das Rüstzeug für diesen Aufklärungsdienst zu verschaffen, bei den Frauen selbst war, die innerhalb der ländlichen Bevölkerung sozial arbeiten. Ohne Zweifel wird von dieser Woche aus ein wirksamer Strom praktischer Belehrung speziell zu den Landfrauen hinausgehen, die jetzt so vielfach durch die Abwesenheit ihrer Männer der praktischen sachlichen Beratung entbehren müssen.
Auch da, wo bis jetzt die Aufklärung in den Ernährungsfragen noch nicht in Angriff genommen ist, bietet die bisherige Kriegsfürsorge die zahlreichsten Anknüpfungspunkte dafür. Die Ausgabe von Naturalien, wie sie vielfach bei der Fürsorge für Kriegsunterstützte stattfindet, gibt eine vorzügliche Gelegenheit, den Konsum wenigstens in diesen Schichten zu regulieren. In dieser Weise wird z. B. in Düsseldorf, wo die Bezirksstellen der Kriegshilfe eine umfangreiche Lebensmittelausgabe in der Hand haben, für den Verbrauch solcher Dinge gewirkt, deren Konsum im volkswirtschaftlichen Interesse liegt, z. B. Gemüse.
Das alles sind nur Einzelbeispiele, die aber gerade als solche zeigen, wie sich überall, auch ohne Anregung von außen, die Frauen einer Aufgabe annehmen, die ihnen aus der Zeitlage erwächst, die nur von ihnen gelöst werden kann, die zwar Sache jeder einzelnen Hausfrau, ob organisiert oder unorganisiert, ist, die aber doch geführt, geordnet und verteilt werden muß von denen, die zu organisatorischer Arbeit fähig sind.
Die ganze Frauenbewegung ist in ihrer praktischen Arbeit eigentlich nichts anderes gewesen, als eine ständige Gewöhnung der Frauen an die Organisation. Man hat sie eben darum verurteilt. Man hat es bedauert, daß nun auch die Frauen in das große Schema des Gemeinschaftslebens eingeordnet werden sollten, daß sie die anmutige Willkür und persönliche Eigenart aufgeben oder einschränken sollten, um Glieder eines Ganzen, einer Gemeinschaftsarbeit zu sein. Die jetzige Zeit verlangt, daß die Volksernährung als eine Gesamtheitsaufgabe erfaßt und gelöst wird. Unsere Volkswirtschaft entwickelt sich zur Versorgungs- und Verteilungswirtschaft. Bei beschränkten Verbrauchsmöglichkeiten muß der einzelne sich binden an diejenigen Richtlinien, die ausgegeben werden müssen, damit das Problem des Durchhaltens überhaupt gelöst werden kann. Es kommt alles darauf an, daß die Frauen diese Forderung des Tages verstehen. Es kommt darauf an, eine Organisation des Aufklärungsdienstes zu schaffen, die bis in das letzte Dorf und die weltentlegenste Kleinstadt hineinreicht. Eine Aufgabe mit größten organisatorischen Anforderungen, die doch zugleich ebenso sehr die hauswirtschaftlichen Einzelkenntnisse erfordert, über die eben nur Frauen verfügen können. Diese Verbindung ist symptomatisch für die Ansprüche, die unsere Zeit an die Frauen stellt. Es kann ihnen nicht mehr erspart bleiben, sich in Organisationen einzuleben, in Reih und Glied zu arbeiten, und zwar deshalb nicht, weil sie nur dann ihre ursprünglichen eigentlichen Hausfrauenaufgaben im Kriege lösen können.
Wenn nicht schon eine beträchtliche Zahl von Frauen da wäre, die zu solcher Führung fähig sind, die gar keiner Anweisungen mehr bedürfen, um sie auszuüben, so stände heute die Regierung vor einer ganz unlösbaren Aufgabe. Sie muß sich wohl oder übel der Kräfte bedienen, die sie in den früheren Zeiten oft genug mit Bedenken, ja mit Ablehnung betrachtet hat. Auch in dieser Hinsicht wird der Krieg eine Kulturarbeit, die bisher unter Mißtrauen und Verkennung zu leiden hatte, in ihrem Wert, in ihrer Notwendigkeit und in ihrer organisatorischen Verbindung mit der Gesamtentwicklung zur Geltung bringen.