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Unsere liebe Frau

Weihnachten 1914

Es ist ein seltsamer Gedanke – voll schmerzlichen Widersinns und zugleich voll rätselhafter Tröstlichkeit und verschwiegener Größe –, daß am Weihnachtstage Millionen Menschen über Not und Blut, über Tod und Feindschaft hinweg ihre Herzen zu den gleichen ewigen Wahrheiten erheben. In Notre Dame de Paris und in St. Paul's erklingen von heiliger Stelle die gleichen Worte wie in deutschen Dorfkirchen oder im Stephans-Dom von Wien, und aus den Lagern und Gräben diesseits und jenseits ziehen die Gedanken zu denselben heiligen und geliebten Bildern. Die gleiche Welt teuerster Erinnerung an gemeinsame ferne Kindheit der Völker öffnet sich über den kämpfenden Heeren und ergießt über sie ihren ewig gleichen, traulich frommen Glanz. Und in ihrem schneidenden Widerspruch, aber zugleich in ihrer tiefen Verbundenheit mit den Schmerzen und Schicksalen, die wir Menschen in diesen Monaten erleben, gewinnen die Gestalten der heiligen Legende in diesem Jahr eine eigene ergreifende Bedeutsamkeit. Wir spüren es tiefer, wie alle heißesten Gefühle, alle innersten Erfahrungen, wie Sehnsucht und Hoffnung der Jahrhunderte sich an diese Gestalten geheftet, an ihnen gebildet, sie geschmückt und verklärt haben.

Bei keiner ist dies Mitschaffen aus allem Menschlichsten heraus in zarteren und rührenderen Spuren erkennbar als bei Maria, der gebenedeiten und schmerzensreichen Gottesmutter. Und wenn wir uns heute aus dem Wissen und Mittragen tausendfachen Frauenleids in jene goldene Welt der Gnade und Seligkeit durch den Tod versenken, wächst um ihr liebliches Haupt ein besonderer wehmütig-stolzer Glanz.

Als die Mutter des Heilands zum ersten Male den zarten Fuß auf den rauhen Boden des frühmittelalterlichen Deutschland setzte, erschien sie dem frischen, stolzen Sinn jungen Germanentums als die glänzende Himmelskönigin. Sowohl im »Heliand« wie in Otfrieds Krist ist sie »adelgebürtig«, der Frauen schönste, »allero Wibo wlitigost« – aller Weiber schmuckste. In der entzückenden Beschreibung Otfrieds von der Verkündigung geht der Engel über Sonnenpfad, Sternenstraße und Wolkenweg in die Pfalz zu der edlen Frau, deren Vorfahren alle Mann für Mann Könige waren und die er den Psalter singend (sie konnte ihn bis zu Ende!) mit teurem Garn kostbaren Tuches Werk wirkend antraf. Er sprach ehrfürchtig zu ihr, wie man zu Frauen soll, und wie insbesondere der Bote zu der Mutter seines Herrn zu sprechen hat.

Die Glorie der Maria als der herrlichsten, begnadetsten Frau, der Himmelskönigin, überstrahlt im frühen Mittelalter durchaus das Bild der schmerzhaften Mutter. Auch die Zisterzienser, die im 12. Jahrhundert sich der Marienverehrung mit neuer besonderer Glut ergaben und sie dem Volke predigten, weihten ihre Kirchen meist ihrer Himmelfahrt und richteten ihre Gebete an die gekrönte Gottesmutter. Erst die Franziskaner, deren zartere Frömmigkeit aus der Vertiefung in Christi Leiden quoll, wurden die eigentlichen Verkünder der schmerzensreichen Mutter. Und während die Zisterzienser der zeptertragenden Patronin mit ihrer himmelhohen Krone ihr Salve Regina zusangen, war es ein Franziskaner – Jacopone de Benediktis, den der Schmerz um den Tod der eigenen Gattin in den Orden geführt hatte – der mit dem unvergänglichen Stabat mater dolorosa den Abgrund ihres Mutterleids ermaß. Gerade der Text des Stabat mater zeigt aber auch, um wieviel leidenschaftlicher fromme Seelen ihren Schmerz fühlten, nachdem die Andacht vieler Jahrhunderte ihre Glorie immer majestätischer hatte erstrahlen lassen. Daß es die Gebenedeite, die adelige strahlende Herrin ist, die dies erdulden muß, das läßt in allen »Marienklagen« ihr Leid bitterer, mitleiderregender, empörender erscheinen. Eine deutsche Übersetzung des Stabat mater aus dem 14. Jahrhundert verweilt erschüttert auf diesem Gegensatz:

Maria stuend in swinden Smerczen
Pey dem Kreucz und waint von Herczen,
Da ir werder Sun an hienng.
Ir geadelte czartte Sele
Ser betruebt in Jamers Quele
Scharff ein sneiduncz Swert durchgieng.

Immer aber, ob als Himmelskönigin oder als Mutter der sieben Schwerter, in der Vorstellung der Mönche wie in der liebevollen Verehrung des Volkes ist sie die Fürbitterin und Mittlerin.

Merkwürdig eigentlich, wie diese Vorstellung glaubhaft werden konnte! Die Bibel erzählt nichts von den Erfolgen der fürbittenden Maria – im Gegenteil, sie läßt jedes Eindringen der Mutter in die göttliche Sendung des Sohnes hart und unerbittlich scheitern. Aber das Volksgefühl schuf sich ihr Bild auch ohne Stütze an der Überlieferung. (Man wird sagen, die Kirche schuf es, aber auch sie schöpfte aus den tiefen Gründen volkstümlichen Empfindens, und ihr Dogma wäre nicht religiös lebendig geworden, wenn es nicht das eigene Gefühl des Gläubigen innig berührt hätte.) Das Volksgefühl verstand die erhabene Strenge nicht, mit der sich der göttliche Held von der irdischen Mutter löst. Mächtiger als alle geistigen Lehren von der Gottmenschheit ist das lebendige Nachfühlen des menschlichen Verhältnisses von Mutter und Sohn. Und je inniger sich die Phantasie mit den heiligen Gestalten beschäftigte, um so mehr gestaltete sie diese Beziehung nach eigenem Gemütsbedürfnis.

Die Gottesmutter blieb dem Menschlichen näher. Mochte die Kirche sie aller Naturgebundenheit noch so weit entrücken, – in dem Wort »Mutter« bleibt nun einmal etwas Menschlich-Trauliches, Irdisch-Warmes, eine natürliche Macht, die sich nicht beiseite schieben läßt. Alle Majestät, die um die mater gloriosa, die Königin der Herrlichkeit erstrahlte, nahm ihr nichts von ihrer Zugänglichkeit, schuf keine Entfernung zwischen ihr und den armen belasteten Menschenkindern, sondern erhöhte nur die Zuversicht und das Vertrauen in ihre Macht als Mittlerin.

»Marja, Kristes Muoter,
Swes du gerst, daz tuoter.
Bit in, Frouwe reine,
Umb die Kristenheit gemeine.«

Swes du gerst, daz tuoter! In ungezählten Marienliedern wird diese zwiefache Hoffnung ausgesprochen: daß der Sohn der Mutter nichts abschlagen kann und daß sie dem armen Sünder holder sein werde als die übrigen Mächte des Himmels. In zahllosen zarten Legenden wird sie beschrieben, wie sie lächelnd aus der ach, so einschüchternden Erhabenheit des heiligen Zirkels heraustritt und dem geplagten Erdensohn eine von den ewigen Gesetzen nicht vorgesehene besondere kleine Erleichterung spendet. Wenn die Mönche von Clairvaux, der schweren Arbeit ungewohnt, unter der heißen Sonne mühselig die Ernte einbrachten, schritt Maria durch ihre Reihen, grüßte und tröstete die fleißigen Männer. Den Kriegsmann, der ins Kloster ging, wegen »schlaffer Sinne« aber von der »pfäffischen Kunst« nicht mehr zu begreifen vermochte als die beiden Worte: » Ave Maria«, brachte sie zu Ehren, indem sie aus seinem Grabe eine Lilie mit dieser Inschrift sprießen ließ. Eines anderen unbrauchbaren und nichtsnutzigen Klerikers, dessen einziges Verdienst in seiner Liebe zu unserer lieben Frau bestand, den sein neu geweihter Bischof wegen Untüchtigkeit vom Amt und Brot jagte, nahm sie sich tatkräftig an, indem sie dem Gestrengen in der Nacht erschien, ihn mit seinem eigenen Hirtenstabe schlagen ließ und zu ihm sprach: »Warum hast du meinem Kaplan, der mir täglich diente, das Einkommen der Kirche genommen, das du ihm nicht verliehen hast?« Sie half auch dem frommen Ritter Herrn Walter von Birbach im Turnier, unbeschadet der Tatsache, daß es eine Todsünde ist, in den Zweikampf zu ziehen.

Am schönsten tritt ihre mütterliche Milde hervor in den vielen Schutzmantellegenden und -bildern.

»Maria, breit' den Mantel aus,
Mach' uns ein' Schirm und Schild daraus,
Laß uns darunter sicher stehn,
Bis alle Feind' vorübergehn.

Dein Mantel ist so schön und weit,
Bedeckt die ganze Christenheit,
Bedeckt die ganze weite Welt,
Ist aller Zuflucht und Gezelt.«

Das Bild hat einen besonderen, in altdeutscher Sitte wurzelnden Sinn. Das »Mantelkind« ist das vor der Ehe geborene Kind, das die Mutter bei der Trauung unter den Mantel nimmt und dadurch anerkennt. Der Mantel der Gottesmutter ist der Trost aller derer, die mit Zaghaftigkeit daran denken, wie sie in den Himmel kommen und unter den dort versammelten unbekannten Respektspersonen aller Zeiten gar nicht wissen werden, wohin. Dann wird Maria ihren Mantel auftun, und siehe, darunter wird man alle wiederfinden, mit denen man auf Erden vereint war. Ihrem mütterlichen Schutz wird so viel vertraut, daß man sich vor Gott selbst bei ihr bergen kann. Ein sogenanntes »Pestbild« aus einem Regensburger Heilsspiegel zeigt Maria, die mit einer schützenden und zugleich verteidigenden Gebärde den Mantel über einem ganzen Nest voll erschreckter Menschenkinder ausspannt, auf die Gott aus den Wolken seine Pfeile schießt.

Es ist ihre Mütterlichkeit, kraft deren sie Barmherzigkeit fordert und erlangt. Der Sünder spricht zu ihr: »Erweise dich als Mutter« – sie wendet sich an den Sohn, deutet auf ihre Brüste und sagt: »Der du an meiner Brust dich nährtest, erbarme dich dieses Mannes.« Christus zeigt dann dem Vater sein Kreuz und seine Wunden: »Auf meine Wunden schau', o Vater.« Und den Schluß dieser »Treppe des Heils« bildet das Wort der Gnade: »Ich habe dich erhört.«

Ihre höchste beschwörende Gewalt erreicht aber diese Fürsprache der Mütterlichkeit erst da, wo sie aus dem Schmerz um den Sohn begründet wird.

Die Verehrung der Mutter mit den sieben Schwertern ist die höchste Verinnerlichung, die der Marienglaube gefunden hat. Diese Verinnerlichung geschah nicht auf dem Wege der theologischen Gedankenbildung, sie kam aus der Glut des menschlichen Gefühls, das die Schmerzen der Mutter inbrünstig nacherlebte. Es war ein schöner, inniger Ausdruck dieses Gefühls, daß die deutsche Kunst in ihren Darstellungen der »seligen Jungfrau vom Mitleid« den Leichnam des Sohnes der Mutter in den Schoß legte. Wie dadurch die Gestalt der Maria rein äußerlich größer und kraftvoller wurde, so wuchs ihre seelische Würde, nicht die göttlich abstrakte, sondern die menschlich-mütterliche. In den »Marienklagen« ergießt sich in ungebrochener irdischer Blutwärme das Mutterleid:

»Dine Wunden tuont mir we,
Dannoch klage ich michels me,
Daz du herzeliebez trut
Wider mich niht maht werden lut.

Owe, Kint, diu Wengel sind
Dir so gar erblichen,
Al diu Kraft, al diu Macht
Ist dir so gar entwichen. – –

Dine Not, diu noetet mich,
Din Bluot, daz roetet mich,
Din Tot, der toetet mich.«

Vor dieser schmerzhaften Mutter, die alle Frauen auffordert, mit ihr zu klagen, betet der Gläubige:

»Maria, durch dieneß Kindeß Bluth,
Deß Schmerzen dir durch dien Hercze wüth
Alse ein tieffe Wageß Flueth,
Mache mir Ffrowe mein Ende gut.

Maria durch dieneß Kindeß Tod,
Daß vor dir hieng mit Blute roth,
Hilf mir, daß ich der Engeln Broth
Mit Rwen (Reue) emphae jn Todeß Noth.«

Sie ist dem Sünder barmherzig, weil sie wie niemand sonst schmerzerfahren ist und weil sie wie niemand sonst die Kostbarkeit des Lebens gefühlt hat, das für die Sünder dahingegeben ist. Und sie hat die Macht der Fürbitte, weil Gott die nicht abweisen kann, die so unaussprechlich um einen anderen gelitten hat. Mochte die dogmatische Begründung ihrer Macht anders sein, mochten die Kirchenlehrer ihr Ehren erklügeln wie die, daß das von ihr geborene Fleisch und Blut dasselbe sei wie das im Heiligen Sakrament gegenwärtige, das Volk verehrte und liebte sie, weil sie eine Mutter war, der um ihren Sohn das Schwert durch die Seele ging.

Ihr Frauentum und ihr Mutterschicksal ist das Gefäß, in das die erfinderische Liebe der Gläubigen immer neue Schätze hineinlegt. Alle Lieblichkeit und Anmut der Madonna im Rosenhag, alle Glorie der »Maria in der Sonne« und alle herzbewegende Traurigkeit der Mutter unter dem Kreuz.


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