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Winter 14/15
In dem Kampf um die Seelen, dem Kampf um die moralische Vernichtung des Gegners, der den der Waffen begleitet, haben unsere Feinde, vom Standpunkt der Kriegsmoral angesehen, einen Vorteil über uns: den Vorteil der größeren Unbildung. Wir könnten solche plumpen Erfindungen, solche handgreiflichen Entstellungen über unsere Gegner weder ausdenken noch verbreiten, wie die es sind, die von englischen oder französischen »Intellektuellen« über Deutschland in die Welt gesetzt werden. Wir kennen das Ausland, fremde Kultur, fremde Geschichte besser, als man uns kennt. Jeder ernstzunehmende deutsche Gelehrte müßte sich schämen, wenn er z. B. über englische oder französische Geschichte, Kultur und Politik Dinge aussagte, die der Phrase von der »deutschen Barbarei« entsprächen. Und die Maßgebenden unter den deutschen Lesern würden es besser wissen und so etwas höchstens als eine Entgleisung der Kriegserregung entschuldigen, aber doch nicht annehmen und glauben. Es gibt Ausnahmen von dieser Regel, leider! aber es steht doch fest, daß man Engländern, Franzosen, Amerikanern ungleich mehr über Deutschland vorlügen kann als umgekehrt und daß es für uns sehr schwer ist, diese Entstellungen richtigzurücken, weil unsere Berichtigungen mit jedem Schritt durch die viel zu dünne Decke der Kenntnisse über Deutschland in den Sumpf hoffnungsloser Verständnislosigkeit durchbrechen.
Die Vorstellung, die französische und englische Intellektuelle am systematischsten verbreitet und im eigenen Lande sowie auch in einem Teil des neutralen Auslandes am unausrottbarsten zu befestigen vermochten, ist die vom Gegensatz des geistigen und militärischen Deutschland, von der Unterjochung des »deutschen Gedankens« durch den »preußischen Militarismus«. Englische und französische Gelehrte versuchen zu beweisen, daß »der deutsche Gedanke mit den Überlieferungen eines Leibniz, Kant und Goethe gebrochen, sich dem preußischen Militarismus solidarisch, tributpflichtig und unterworfen erklärte und daß er, von diesem angetrieben, die Weltherrschaft beanspruche« (Erklärung der französischen Universitäten). Dieser Beweis wird mit einer Mischung von Schlauheit und Unwissenheit geführt, die fast etwas Humoristisches hat. Der Zweck ist klar: man will den Krieg zu einem Eroberungskrieg des deutschen Militarismus stempeln; man will sich – indem man die deutsche Kultur totsagt – Raum schaffen für die Lüge über die deutschen Barbaren. Man will die Dankbarkeit los sein für die Leistungen deutschen Geistes, um das eigene Gewissen reinzuwaschen von der Kultursünde der Verbrüderung mit Slawen und Japanern. Man will sich selbst den Ruhm des Verständnisses für die deutsche Kultur bewahren, indem man mit heuchlerischer Trauer bejammert, daß es dahin mit ihr gekommen sei. Auf diesem Wege verstieg man sich bis zu der Behauptung, daß es geradezu ein Glück für die deutsche Kultur sein würde, wenn wir besiegt würden. England wird das geistige Deutschland aus den Klammern des militärischen befreien und seiner Bestimmung zurückgeben.
Das Widerlegen dieser Versuche hat wenig Sinn. Wer Deutschland ausreichend kennt, um unsere Widerlegungen zu verstehen, der hat sie auch eigentlich nicht nötig. Aber wenn man ein Buch liest, wie das der Oxforder Fakultät für moderne Geschichte » Why we are at war«, so werfen dessen enge und selbstgerechte Betrachtungen immerhin für uns selbst die Frage nach den Zusammenhängen zwischen dem militärischen und geistigen Deutschland auf, eine Frage, der nachzugehen zugleich bedeutet, in das Geheimnis der innersten Kraft unseres Volkes in diesem Kriege einzudringen.
Es ist sehr bezeichnend, daß die Erklärung der französischen Universitäten die Entwicklungslinie des geistigen Deutschland bei Leibniz, Goethe und Kant abbricht – d. h. vor der Zeit, als das politische Deutschland entstand. Zwischen Leibniz und Goethe war Friedrich der Große, auf den das Wort »preußischer Militarismus« so durchaus – und doch in dem von unseren Feinden geprägten Sinn des Gegensatzes zum Geistigen so gar nicht paßt. Und auf Kant folgt Fichte, der aus dem Weltbürgertum des 18. Jahrhunderts das deutsche Staatsbürgertum des 19. Jahrhunderts in sich gebar, der den Nationalstaat als ein höchstes sittliches Gut dem Gedankensystem der idealistischen Philosophie einfügte und erkannte, daß Bestehen und Wachstum deutscher Kultur schlechthin abhängig sei von der machtvollen Entwicklung eines deutschen Staates.
Seitdem ist das geistige Deutschland nicht mehr ganz und gar umfaßt durch die Namen Leibniz, Goethe und Kant. Die Freiheitskriege hatten ihren einzigartigen Charakter in der Beseelung einer staatspolitischen Notwendigkeit durch das Bewußtsein höchster geistiger und sittlicher Ziele. Damals gab das geistige Deutschland der Aufgabe des militärischen ihre tiefste innere Bedeutung, spornte dadurch die Gebildeten und trug in den Siegeswillen das edelste geistige Feuer. Und umgekehrt wuchs dem schönen Individualismus oder der geschichtslosen Idealität eine neue Kraft zu: der politische Wille und die Fähigkeit politischer Gestaltung. Seitdem beruht Deutschland – nach Gneisenaus Wort – auf dem dreifachen Primat der Wissenschaft, der Konstitution und der Waffen.
Die Feinde versuchen das Ineinanderwachsen der geistigen, politischen und militärischen Entwicklung als den Triumph des militärischen über das geistige Deutschland, das Erliegen der deutschen Kultur unter dem Militarismus zu kennzeichnen. Ihre Gewährsmänner für diese Meinung sind Treitschke, Bernhardi und Nietzsche. Wobei es ihnen nichts ausmacht (oder sie nicht wissen), daß Treitschkes »Politik« keineswegs mehr das Evangelium des modernen Deutschland ist (wie das Buch der Oxforder Professoren behauptet), daß Bernhardi anscheinend im Auslande heute besser gekannt und wichtiger genommen wird als bei uns und daß man Nietzsche gar nicht krasser mißverstehen kann, als wenn man ihn als den hinstellt, in dem sich die Kultur dem Militarismus und das geistige Deutschland sich dem Götzenbild eines allmächtigen Staates opferte. (Nietzsche, der darüber jammert, daß in Deutschland die Politik und das Staatsinteresse allen Ernst für wirklich geistige Dinge verschlinge!)
Wie ist es in Wahrheit heute um das Verhältnis des geistigen zum militärischen Deutschland bestellt?
Eins ist von Grund auf verändert: zum geistigen Deutschland gehören heute nicht nur Leibniz und Kant, sondern Helmholtz, Krupp und Zeppelin, Bismarck und Marx. Das geistige Deutschland besteht heute nicht in ein paar einzelnen Philosophen und Dichtern, es besteht in der großen Organisation seiner Wissenschaft und seines Bildungswesens, in den Tausenden und aber Tausenden von Menschen, die auf der Grundlage einer ins Große sich dehnenden wirtschaftlichen Entwicklung ein geistig freieres, vielseitigeres Leben führen wollen und können, in den Millionen seiner Qualitätsarbeiter jeder Art. Das alles ist das »geistige Deutschland« – in diesem ganzen, großen Körper, nicht nur in einzelnen, sind die Wachstumskräfte lebendig, die an der deutschen Kultur der Gegenwart schaffen.
Aus diesem geistigen Deutschland quillt der Wille zur Weltmacht und Weltpolitik, nicht aus dem militaristischen Eroberungswahn, mit dem manche englischen Zeitungen ihre kindischen Karikaturen des deutschen Kaisers ausstatten. Das geistige Deutschland: das ist das Vermögen, wachsende Menschenkräfte zu großen Leistungen, zu geistigen und wirtschaftlichen Eroberungen zusammenzufassen; das geistige Deutschland ist das Bewußtsein, das uns alle erfüllt von diesem Werden des neudeutschen Menschen auf breiterem Boden, in größeren Horizonten, mit weiter ausgreifender Tatkraft nach innen und außen. Das Lebensgefühl in allen deutschen Kulturschöpfungen und -strebungen der letzten Jahrzehnte, das Lebensgefühl aller geistig regen deutschen Menschen war beflügelt von unserem Erstarken an Menschen, Leistungen, Welteinfluß.
Dieses neue geistige Deutschland hat das Heer als Diener seines Willens, zum Schutz seiner Entfaltung nötig gehabt und geschaffen. So ist der Zusammenhang, nicht umgekehrt. Die Einheit unseres Volkes angesichts der Kriegserklärung, die große bleibende Gemeinschaft der Gesinnung, des Willens und der Hingabe innerhalb und außerhalb unserer Grenzen ist Beweis dafür, daß der deutsche Geist nicht als Sklave des Militarismus mit gelähmten Schwingen durch diese Zeit geschleift wird, sondern daß er sie mit seinen innersten, ursprünglichsten Kräften erfüllt und trägt.
Aber diese Einheit des Augenblickes ist uns auch Bürgschaft wachsender zukünftiger Vereinheitlichung. Es liegen Mißverständnisse, Entfremdungen zwischen dem geistigen und dem militärischen Deutschland in der Vergangenheit, und wir wollen sie nicht verleugnen. Sie reichen bis an die Schwelle der gegenwärtigen Ereignisse. Sie spiegelten zum Teil die natürlichen Folgen langer Friedenszeit, in denen der Zivilbevölkerung der Maßstab für militärische Notwendigkeiten verlorengeht und der Geist der Armee nicht aus dem letzten Ernst ihrer Bestimmung schöpfen kann. Aber zu diesen unvermeidlichen Erscheinungen langen Friedens kamen die vermeidbaren Entfremdungen dadurch, daß das Heer in mancher Hinsicht Schutz und Hort überlebter Traditionen, eines altgewordenen politischen Geistes war – daß es an der vollen Fühlung gerade für die lebendigen Kräfte fehlte, die das erstarkende junge Deutschland treiben und tragen. Man hat sich zu solchen Unzeitgemäßheiten bekannt, indem man zu Beginn des Krieges ihre Symptome hier und da entschlossen beseitigte: den Ausschluß sozialdemokratischer Arbeiter von Militärwerkstätten, das Verbot sozialdemokratischer Zeitungen im Heer usw.
Das werden und können nicht nur Zugeständnisse des schwungvollen Augenblicks oder Mittel kluger Stimmungsmache sein und bleiben, sondern es sind die provisorischen Beweise dafür, daß die Zusammengehörigkeit von Heer und Volk, Heeresgeist und Volksgeist auch an maßgebenden Stellen der Armee in neuer Weise zum Bewußtsein gekommen ist. Wenn die Tausende von Vertretern des »geistigen Deutschland« aus allen Schichten aus dem Felde zurückkehren und die Politik des Friedens neu aufnehmen werden, so werden – wenn anders die Friedensarbeit der Kriegsleistung wert sein soll – die letzten Spuren eines grundsätzlichen oder gewohnheitsmäßigen gegenseitigen Mißtrauens beseitigt sein. Dem Zusammenschluß des geistigen und militärischen Deutschland vor dem Feind wird eine bessere und bewußtere Durchdringung der kulturellen und sittlichen Leistungsform des Militarismus mit den freiwachsenden Werten deutscher Kultur folgen. Eine Verschmelzung von Disziplin und Eigenkraft, von Ordnungssinn und Selbständigkeit, von stummer selbstverständlicher Hingabe an das Ganze und Schätzung alles individuellen Lebendigseins, von Gehorsam und Menschenwürde.