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Heimatdienst


Die Frau am Pfluge

Herbst 1915

Dreschmaschinensang schwillt durch die Luft, steigend und fallend auf den Wellen des Septemberwindes, aber ununterbrochen wie die Melodie der heiteren Beständigkeit dieser Tage. Die Erde ruht unter unbeschreiblicher Durchsichtigkeit wie in sanfter Erschöpfung. Junge Saat unter duftendem Frühlingsregen, bange Reife in dunkelblauen Sommertagen, rauschende Mahd bei schwerem Gewitterhimmel – das alles ging vorüber. Und nun spielen lockerer Wind, dünne, helle Luft, eine zärtliche Sonne über ihrer nackten Brust. Der Himmel ist hoch und leicht, der Horizont sehnsüchtig weit, Tannen und Heidekraut sind bis ins Herz durchsonnt, Spinnenfäden blitzen wie leibgewordene Strahlen.

Heimat – – – Heimat!

Plötzlich stehen sie vor dem feiertäglich lichten Blau: der braune Ackergaul, der Pflug und die Frau. Wo die Stoppeln in ruhigem Fluß hinter die Wölbung des Bodens hinabrinnen, sind sie aufgetaucht. In festen Linien und starken Farben, nah und beredt, schwere vorwurfsvolle Wirklichkeit in dem sanften silbrigen Spätsommertraum.

Der Gaul bewegt den großen braunen Kopf rhythmisch, seine Mähne glänzt in der Sonne, wenn sie an dem tief und müde sich senkenden Hals über das abgenutzte Zaumzeug herabfällt. Die Stoppeln knacken unter seinen Hufen, die dumpf den Frieden der ruhenden Erde wecken. Die blaue Schürze der Frau weht im Wind, ihr Gesicht verbirgt die weiße Sonnenhaube, der verwitterte Rock schlägt gegen die rauhen Strümpfe und die staubfarbenen formlosen Schuhe. Sie schreitet mit den großen Schritten des Pflügers, deren Weite der Fall der schweren Hufe vor ihr bestimmt, hält die Leine straff in braunen Händen, schreitet mühsam mit ausgezerrten Bewegungen, immer hart über das Maß ihres Frauenkörpers hinaus. Die Pflugschar blitzt, grobe Stricke springen und straffen sich, lockere Schollen fallen, eine Staubwolke zieht in ihrer Spur.

Und wie die Drei, stumm und treu, pflichtvoll und einsam Streifen um Streifen des hellen harten Feldes in dunkle Scholle verwandeln, ist es, als ob etwas aufspringt von dieser träumerischen Erde, sich schüttelt, die Augen weit öffnet, als ob eine zornige Faust diese ganze lichte Heiterkeit wie einen losen Schleier über golden glänzendem Feld und samtenem Wald wegreißt, zusammenballt, hinschleudert – Trug und Traum, fort damit!

Ferne grausame Gegenwart durchschlägt den stillen Ring dieser Sonnenstunde, stürzt brausend herein, erfüllt und überflutet alles.

Ja – irgendwo da draußen bersten die Granaten über den blonden stillen Söhnen dieses Landes. Irgendwo da draußen ist der stumme schwerfällige Mann, der sonst diesem Braunen das Geschirr anlegte, Wächter und Waffe geworden, Schild und Wall, Sturm und Tod. Die Heimat – das war für ihn dieser Acker und das Haus hinter den Tannen, die tägliche einfache Forderung alles dessen, was sein war und seiner bedurfte: Tier und Baum, Beet und Feld; das war Arbeit und Schlaf, wohltätige Ruhe am Sonntag, Kinderjauchzen und die sorgende Frau. Heimat – das ist heute eine erhabene heilige Macht, göttlich fern und göttlich nah, die sein armes Schicksal gefordert hat für ihr notwendigeres größeres Sein. Und deren Ruf ihn doch traf wie der Ruf seines reifen Feldes und seiner hungernden Tiere: zwingende Beschwörung seiner tiefsten, eigensten Treue.

Jetzt – indem sie einen Stein hinüber zum Rain schleudert – hebt die Frau das Gesicht. Ein verschwiegenes Gesicht, unberedt und einfach. Man könnte keinen anderen Ausdruck darauf finden als die Aufmerksamkeit der Arbeit. Ihre Seele ist bei der Bahn des Eisens in der braunen Erde, bei dem schweren Schritt des Pferdes, das sie treibt und zügelt, bei dem Nahen, das sein muß, dem ihre verbrauchten Glieder gehört haben, solange sie denken kann. Die stumme Forderung der Erde und ihre Pflicht, die greifen fest ineinander. Sie hat kein eigenes Recht neben dieser Scholle, die ihre Saat empfangen muß. Nicht diese ganz ungekannte Verlassenheit in ihr, nicht das dumpfe Staunen vor den fremden unfaßbaren Mächten, die jäh in ihr Leben griffen, nicht das naturbeschränkte Maß ihrer weiblichen Kraft hat etwas zu sagen vor diesem einfachen täglichen Gebot, dem sie folgt, wenn sie das Pferd aus dem Stall zieht, weil es Zeit ist, zu pflügen.

 

In der fernen glänzenden Hauptstadt, wo sie alles wissen und alles übersehen, wird errechnet und in die Akten eingetragen, daß im Kriegsjahr 1914 ein größerer Teil der deutschen Erntefläche bebaut gewesen ist als im Jahr des Friedens, das vorausging. Davon weiß die Frau am Pfluge nichts. Aber die Heimat, die über ihr und dem Mann an der Front aus langer, schlichter Vertrautheit in die Höhe wuchs zu harter Majestät, hebt das stumme Werk ihrer Treue mit hinauf in eine unvergängliche Geschichte der Größe und Herrlichkeit.


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