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Im Kampf um die Kraft


Vaterlandsliebe und Völkerhaß

Neujahr 1915

In Heinrich v. Kleists Katechismus der Deutschen, jenem düster kraftvollen Dokument leidenschaftlicher Vaterlandsliebe aus der Zeit der Fremdherrschaft, steht folgendes Zwiegespräch:

»Frage: Sage mir, mein Sohn, wohin kommt der, welcher liebt? In den Himmel oder in die Hölle?

Antwort: In den Himmel.

Frage: Und der, welcher haßt?

Antwort: In die Hölle.

Frage: Aber derjenige, welcher weder liebt noch haßt: wohin kommt der?

Antwort: Welcher weder liebt noch haßt?

Frage: Ja! – Hast du die schöne Fabel vergessen?

Antwort: Nein, mein Vater.

Frage: Nun? Wohin kommt der?

Antwort: Der kommt in die siebente, tiefste und unterste Hölle.«

Es ist gut, dieses gefühlsstarke und gefühlssichere Bekenntnis über die Vaterlandsliebe einmal in unsere Zeit hineinzustellen. Gut aus zwei Gründen: weil viele Menschen, vielleicht besonders viele Frauen, heute durch den Sturm widersprechender, ineinander wogender leidenschaftlicher allgemeiner Gefühle in seelische Not kommen, und weil, diese Not zu vermehren, von Presse, Vorträgen und sonstigen Ergüssen eine Suggestion ausgeht, die vielen schon das eigene Innere getrübt und verwirrt hat – die Suggestion eines trüben zügellosen Völkerhasses, der um so abstoßender ist, je mehr er aus zweiter Hand, ein Erzeugnis platter Hetzerei ist.

Das Stück aus Kleists Katechismus rückt die Dinge an ihre richtige Stelle. Liebe und Haß gehören zusammen. Wo das Zugehörigkeitsgefühl zum eigenen Volk ein so ursprüngliches, natürliches Gefühl ist wie die Liebe zu Vater und Mutter, da hat es seine natürliche Gegenseite in der feindlichen Gesinnung gegen die, die es bedrohen. Man mag einen schöneren Namen dafür finden als »Haß«, wenn man will. Aber sicher ist, daß wir dem Sterben Tausender von unseren Volksgenossen, der Bedrohung unserer Kultur und unserer Entwicklung, der Verwüstung deutscher Landstriche, den lebenslangen Leiden der Verstümmelten, den Schmerzen der Hinterbliebenen nicht zusehen können ohne Gefühle der Empörung gegen die Urheber. Je mehr wir eins zu werden vermögen mit unserem Volk, um so mehr fühlen wir auch seine Feindschaft als unsere. Wir sind Glieder des lebendigen Deutschland, nicht Pagoden einer abstrakten Menschheitsidee. Es wäre unsinnig, ja grauenhaft und unmenschlich, könnten wir deutschen Frauen durch die Ereignisse dieser Zeit hindurchgehen, ohne daß wir ein Teil des Siegeswillens würden, der zugleich der Wille zur Überwindung unserer Angreifer ist – könnten wir den Feinden Deutschlands gegenüberstehen mit der matten, lauen Objektivität der Neutralen. Wir thronen nicht als verklärte Engel irgendwo über der Geschichte – wir sind mit unserem kämpfenden Volk Partei und fühlen als Partei – in Liebe und Feindschaft.

 

Das alles ist selbstverständlich. Aber es ist ein großer Unterschied zwischen Feindschaft und Feindschaft. Und was wir heute davon sehen, das ist zum Teil etwas ganz anderes als das elementare Mitleiden und Mitgetroffenwerden, das empörte Mitaufstehen des Gefühls gegen die unserem Volke geschlagenen Wunden; das ist das Herunterziehen großer Völkergegensätze und der Empfindungen, in denen sie Fleisch und Blut geworden sind, in die Sphäre einer trüben, kleinlichen Privatleidenschaft, in die Luft der platten Gehässigkeiten.

Das kommt zum Teil durch jene Propaganda des Hasses, die Platz gegriffen hat, und gegen die sich selbst unser Regierungsblatt – die Norddeutsche Allgemeine Zeitung – schon einmal zu wenden mit Recht für nötig hielt. Es ist schon ein fragwürdiges Unternehmen, die Vaterlands liebe zu predigen. Sie ist von selbst da, und was erst durch solche Predigt hervorgerufen wird, kann schon kein ganz reines, echtes und gesundes Gefühl mehr sein. Aber noch viel bedenklicher ist es, den Haß zu predigen. Das heißt, für das Zustandekommen der allgemeinen Gesinnung auch alle die herbeirufen, die zu einer wahren Vaterlandsliebe gar nicht fähig sind und sie nie praktisch geübt haben. In einem Witzblatt wurde neulich diese Sorte Leute treffend gekennzeichnet: »Na, Herr Schulze, was machen Sie denn jetzt so den ganzen Tag?« – »Ich hasse England.« Herr Schulze tut positiv nichts, um seinem Vaterland durch die Zeit der Not hindurchzuhelfen, er hat positiv keinen Anteil an dem großen Gemeinsinn der anderen, vielleicht gehört er sogar zu denen, die in diesen Tagen eifrig in die eigenen Scheuern sammeln. Aber er rechnet es sich zum desto größeren Verdienst um das Vaterland an, wenn er mit breiter Genugtuung »haßt«. Welche Formen dieser Haß annimmt, der nicht durch Liebe geweiht, durch das Bewußtsein des Schicksalhaften in einer solchen gewaltigen Auseinandersetzung der Völker hindurchgegangen ist, davon hat uns eine ganze »Schmutz- und Schundliteratur« Beweise gegeben, die unseren Soldaten im Felde das Blut der Scham und Empörung in die Stirn getrieben haben.

Diese Auswüchse – die übrigens in England als Reklamemittel für die Rekrutenwerbungen noch schlimmer sind – entstanden aber, oder sie bekamen wenigstens die Möglichkeit zu wuchern und sich auszubreiten dadurch, daß man in den gebildeten Schichten hie und da allzu rückhaltlos die vaterländische Gesinnungstüchtigkeit in der Zügellosigkeit des Hasses gesucht hat. Die große, von der Geschichte geschaffene Gegnerschaft von Völkern, die für ihre wachsende Kraft nebeneinander keinen Raum finden, ist etwas anderes wie eine persönliche Feindschaft mit all ihren trüben, unsauberen Triumphen und Niederlagen. Wir fühlen diese Gegnerschaft mit, weil wir Teil unserer Nation sind und zu ihr stehen durch Not und Kampf hindurch. Aber wir sollten sie nicht so fühlen wie selbstsüchtige Menschen die Bedrohung egoistischer Interessen. Wir sollten dem Stück Geschichte, das wir erleben, nicht seine Größe nehmen, indem wir die Gegner in einem Ton und durch Mittel verkleinern, als wenn zwei konkurrierende Zigarettenfirmen einander herabsetzen. Die Feindschaft der Völker, die miteinander um Dasein und Entwicklung ringen, ist etwas von Grund aus anderes als eine Summe von lauter kleinen persönlichen Feindseligkeiten einzelner Menschen. Die Gefühle der tiefen Bitterkeit und heißen Empörung, die uns als Glieder unseres von Feinden umstellten Vaterlandes erfüllen, sollten die Würde und das große Maß ihres Ursprungs bewahren: ihres Ursprungs aus der Liebe zu dem Staat, mit dem unsere Kräfte im Tiefsten verwachsen sind.


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