Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorahnung


Frauenbewegung und Nationalbewußtsein

 

Ein teures Vaterland – die Wiege von allem Großen und Guten, das in der Welt ist.

Caroline von Humboldt

 

Frühjahr 1913

Daß die professionellen Gegner unter allen anderen Lastern der Frauenbewegung auch ihre antinationale, undeutsche Art und Gesinnung behaupten, ist nicht weiter verwunderlich. Und nicht deswegen lohnt es sich, über die innere Beziehung der Frauenbewegung zu nationalen Empfindungen, Tendenzen, Aufgaben einmal nachzudenken. Es ist vielmehr an sich ein lockender Weg, diesen Beziehungen nachzugehen – weil es uns zu mancher Klarheit über das Wesen unserer eigenen Sache und ihre Verbindung mit dem Ganzen führt.

Denn, so unberechtigt der Vorwurf in der üblichen Form – eben als Vorwurf – ist: wir werden doch zugeben, daß in der Frauenbewegung etwas steckt, das über die Grenzen, die spezifisch nationale Kulturinhalte umschließen, hinaus weist. Diese Eigenschaft – einen internationalen Charakter – besitzt die Frauenbewegung in ihren doppelten Triebkräften: den geistigen und den wirtschaftlichen.

Es gehört zum Wesen bestimmter geistiger Bewegungen, nicht an nationale Grenzen gebunden zu sein. Der Kosmopolitismus – die »Weltfrömmigkeit«, mit Goethe zu sprechen – liegt in ihnen. Nicht als ein Mangel, sondern als eine Kraft. Man denke an das größte Beispiel: das Christentum. Oder an andere: die Aufklärung, den politischen Liberalismus, die soziale Idee. Man kann sogar vielleicht sagen: es gibt nichts Geistiges, das nicht in gewisser Weise übernational wäre. So sehr es im Ursprung von spezifisch nationalen Kräften getränkt sein mag – wie man denn Kant und Fichte immer als deutsche Geister erkennen wird – seine Gültigkeit und Bedeutsamkeit geht immer über die nationale Grenze hinaus.

Die geistigen Grundlagen der Frauenbewegung liegen in »vornationaler« Zeit, in der Zeit des »Weltbürgertums«. Die geistigen Grundlagen für die ganze Kultur des 19. Jahrhunderts, die Welt Goethes, Schillers, Humboldts, die Welt Kants und Fichtes, umspannten den Menschen schlechthin. Fichte hat einen langen Gedankengang durchmachen müssen, bis er sich gestattete, Deutschland seine parteiische Liebe zuzuwenden. Noch 1805 hielt er Europa für das Vaterland »des wahrhaft gebildeten christlichen Europäers«, und zwar jeweils den europäischen Staat, der den Rechtsgedanken am vollkommensten vertritt. Und mit überlegener Geringschätzung spricht der Philosoph, vom Standpunkt seines erhabenen ubi bene ibi patria, von den »Erdgeborenen, welche in der Erdscholle, dem Flusse, dem Berge, ihr Vaterland erkennen«. Dem sonnenverwandten Geist ist das Land heimatlich, »wo Licht ist und Recht«.

Aber das alles ist bekannt – auch als Stimmung Schillers und Goethes. Weshalb hier daran erinnert wird, hat einen doppelten Grund. Um uns klar zu machen, daß in einer über nationale Begrenztheit hinaus sich schwingenden geistigen Bewegung auch ein besonderer Adel und eine besondere Größe liegt. Daß wahrlich nicht allein in der bewußten Hinwendung auf die Nation Wert und Schwungkraft des geistigen Lebens zum Ausdruck kommt. Dann aber, um zu verstehen, wie in den Grundgedanken der Frauenbewegung ein übernationales Element steckt. Denn die treibenden und klärenden Ideen der Bewegung kommen ja doch von hier her, in ihnen liegt nun einmal die Expansionskraft über nationale Grenzen hinaus, sie sind verbrüdernd – oder verschwesternd – im ganzen Umkreis der Völker, die an der Kultur des 19. Jahrhunderts teilhaben. Und wir können doch nicht wünschen und wollen, daß das anders sei.

International – oder sagen wir unmißverständlicher: gemeinsame Wesenseigentümlichkeit aller modernen Völker – ist ferner der wirtschaftliche und soziale Charakter der Frauenbewegung, ihre Grundlage in der Frauen frage. Die Frauenfrage ist wie die Arbeiterfrage »international« oder richtiger »gemeinnational«. Selbstverständlich aber wurde damit auch der Weg der Frauenbewegung in den verschiedenen Ländern ähnlich. Der deutschen Frauenbewegung daraus einen Vorwurf machen, daß sie so ähnlich verläuft wie die im Ausland, ist ungefähr so töricht, als wollte man es für unnational erklären, Eisenbahnen, Trams und Telephon zu haben, weil das Ausland diese Einrichtungen auch hat. Aber es gibt ja Leute, die schon fast so patriotisch geworden sind.

Und doch, eben hier: in dem Vergleich mit der Arbeiterfrage, bekommt der Vorwurf des Internationalismus, der gegen die Frauenbewegung erhoben wird, seine eigentliche Schärfe. Der Internationalismus der Frauenbewegung und der Internationalismus der Sozialdemokratie, das ist die kompromittierende Analogie. Da ist es nun zunächst vielleicht nicht überflüssig, daran zu erinnern, daß der »Internationalismus der Sozialdemokratie« als Phrase ihrer Gegner auch etwas ganz anderes ist als seinem tatsächlichen Sinn nach. »Die Nationalität in ihrer höchsten Form ist ein ideales Gut. Sie bedeutet in höchster Instanz die Menschheitskultur in einer besonderen, höchst eigentümlichen und nur einmal vorkommenden individuellen Ausstrahlung. Sie bedeutet eine Bereicherung der Menschheit durch eine besondere Form ihrer Erscheinung.« »Jede Kultur ist national. Sie nimmt ihren Anfang im besonderen Volke und bietet in ihren höchsten Formen – und gerade in diesen am meisten – einen entschiedenen Nationalcharakter dar … Jeder Versuch, den nationalen Gedanken zu schwächen, muß, wenn er Erfolg hat, den Reichtum des Menschengeschlechts vermindern …« Das steht nicht in einer alldeutschen Zeitung, sondern in den Sozialistischen Monatsheften.

»Wir leben und kämpfen auf diesem Boden, um dieses unser Vaterland, unser Heimatland, so zu gestalten, daß es eine Freude ist, in demselben zu leben, auch für den letzten unter uns. Und deshalb werden wir jeden Versuch, von diesem Vaterland ein Stück Boden wegzureißen, mit allen uns zu Gebote stehenden Kräften bis zum letzten Atemzuge zurückweisen.« Das ist nicht zu Kaisers Geburtstag in einem Kriegerverein, sondern im Deutschen Reichstag von Bebel gesagt.

Wer den Internationalismus der Sozialdemokratie heute noch als »Vaterlandslosigkeit« definiert, hält sich an eine überholte Entwicklungsphase. Einmal, in dem Gründungsjahrzehnt, stand die rote Internationale im Zeichen jenes Satzes aus dem kommunistischen Manifest: »Die Arbeiter haben kein Vaterland.« Aber das ist vorüber. Und dabei erinnern wir uns daran, daß auf dem Gebiet der Frauenbewegung dieser Satz nachgebildet ist. Der Titel eines Romans von Ilse Frapan heißt: »Wir Frauen haben kein Vaterland.« Das war die bittere Übertreibung der Tatsache, daß das Vaterland sich den Frauen so vielfach versagte. Aber es war eine einzelne Stimme. Niemals ist die Frauenbewegung in dem gleichen Sinne international gewesen wie die Arbeiterbewegung: d. h. niemals hatte ihr internationaler Zusammenschluß den Sinn, daß die Gemeinsamkeit der Geschlechtsinteressen grundsätzlich über die der Nation gesetzt wird. Der Frauenweltbund ist keine Kampforganisation und keine Instanz für die Frauenbewegung der einzelnen Länder. Er ist eine Gemeinschaft zum Austausch von Erfahrungen und zur Verkörperung einer Idee: daß der geistige Gehalt der Frauenbewegung die Nationen überspannt, daß ihm ein allgemeines Prinzip innewohnt, das zwar bestimmter nationaler Ausprägung fähig ist, aber doch seinem Wesen in jeder völkischen Form treu bleibt.

Dies letzte ist aber vor allem wichtig. Nur oberflächliche Kenntnis oder volle Unkenntnis der Frauenbewegung kann behaupten, die deutsche Frauenbewegung ermangele des spezifisch nationalen Gepräges. Wer das sagt, beweist damit nur seine Unfähigkeit, diese nationalen Züge wiederzuerkennen und herauszufühlen, wo sie da sind. Und sie sind unverkennbar, ja, sie müssen jedem auch nur einigermaßen aufmerksamen Beobachter als das absolut Entscheidende in die Augen springen. Eine Bewegung, die wie die unsere doch nicht nur große schematische wirtschaftliche und politische Forderungen, sondern ein Kulturideal aufstellt, ist schon dadurch in ihrer Verkörperung an den nationalen Charakter gebunden. Soweit die Frauenbewegung sich in leibhafter Gestalt, in weiblichen Typen neuer Art und Kraft ausdrücken will (und das ist ja doch ihr eigentliches Ziel), ist sie notwendig national, baut sie sich auf vom Blut und Leben des eigenen Volkes. »Ein teures Vaterland – die Wiege von allem Großen und Guten, was in der Welt ist,« das Wort der Caroline von Humboldt, das diesen Gedankenreihen als Motto dient, soll an dieser Stelle ihnen auch eingefügt werden. Ihren theoretischen Ideen, ihren wirtschaftlichen Grundlagen nach ist die Frauenbewegung international. Ihr Leben, ihre Form persönlicher Kultur empfängt sie nur in innigster Fühlung mit nationaler Art und Geistigkeit. Darum kann man sagen: je mehr die Theorie im Vordergrund steht oder die materialistische Begründung, um so unnationaler ist die Bewegung, und umgekehrt: je weniger Fühlung sie im geschichtlichen, konkreten Leben ihrer eigenen Nation hat, um so doktrinärer, schematischer, langweiliger und eintöniger wird sie sein.

Diese Fühlung aber stellt sich nicht her durch patriotische Etiketten und Beteuerungen. Sie hat solche ausdrücklichen Bekenntnisse vielmehr überhaupt nicht nötig – nach dem Wort, daß das Moralische sich immer von selbst versteht. Die deutsche Frauenbewegung ist deutsch: sie ist von Frauen begründet, die ganz erfüllt waren von spezifisch deutschem Wesen und deutscher Bildung, die Kraft und Wert ihres Lebens im Anschluß an die deutsche Geisteskultur fanden. Gerade Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt waren so typisch deutsch, – charakteristische Vertreterinnen einer bestimmten Generation in der deutschen Entwicklung: mit den Ideen, dem Ethos, der Schwungkraft dieser Zeit. Sie wären gar nicht denkbar auf anderem Boden. Und so jede andere: je stärker und reicher sie als Mensch, als Persönlichkeit ist, um so bestimmter wird sie auch in sich nationale Art ausdrücken. Daneben gibt es natürlich die farblosen, menschlich dürftigen und darum oft starr doktrinären Menschen, in denen die persönliche Physiognomie ebenso charakterlos und flach ist wie die nationale. Aber es wäre ungerecht, zu sagen, daß es in der Frauenbewegung besonders viele von ihnen gäbe.

Man wird sogar entschieden behaupten dürfen, daß auch im Gesamtcharakter, nicht nur in dem ihrer einzelnen Vertreter, die Frauenbewegung in Deutschland die Züge nationalen Wesens trägt.

Zunächst ist es eine vom kulturgeschichtlichen Standpunkte aus ganz unbegreifliche Behauptung, zu sagen, daß das Bedürfnis der Unterordnung unter den Mann eine charakteristische Eigenschaft gerade der deutschen Frau sei, wie in den alldeutschen Angriffen auf die Frauenbewegung immer behauptet wird. Das Gegenteil liegt so durchaus am Tage, daß es beinahe überflüssig ist, darauf hinzuweisen. Wie wäre z. B. erklärlich, daß die Frauenbewegung ihre eigentlichen Erfolge und ihre kraftvolle Entwicklung gerade in den germanisch-angelsächsischen Ländern gehabt hat, wenn sie nicht mit dem Volkstum dieser Länder fester verknüpft wäre, in ihm stärkere Wurzeln treiben könnte als etwa in romanischem Wesen und romanischer Kultur? Aber auch wenn wir hinter diese soziale Gesamterscheinung zurückgehen auf die seelisch-persönlichen Züge, die sich in ihr summieren, finden wir eine Bestätigung für die Behauptung, daß der eigentliche Impuls der Frauenbewegung germanischem Volkstum nicht nur nicht fremd, sondern in besonderem Sinne eigentümlich ist. Ist es doch ein Wesenszug germanischer Kultur und germanischen Volkstums von jeher gewesen, daß die Beziehungen der Geschlechter weniger durch das rein sexuelle Empfinden als durch persönlichere, geistigere, mehr im Gemüt wurzelnde Momente bestimmt wurden. Wenn es dem Tacitus auffällt, daß die Deutschen den Frauen etwas Heiliges und Ahnungsvolles zuschreiben, so bedeutet das doch im Grunde eine dem Römer erstaunliche Wertung der geistigen Persönlichkeit der Frau, unabhängig von ihrer Bedeutung als Gattungs- und Geschlechtswesen. Die Möglichkeit zu einer reinen Kameradschaft ist mit dieser unsinnlicheren, aber darum keineswegs flacheren und unpersönlicheren Gemeinschaft der Geschlechter gegeben. Man braucht nur etwa den wundervollen Brief von William Penn an seine Gattin zu lesen, als er sich und seiner Gemeinde in den Vereinigten Staaten eine neue Heimat sucht, um zu empfinden, wie diese rein geistige und im Gemütsleben begründete Gemeinschaft etwas spezifisch Germanisches ist. Auch daran aber mag erinnert werden, wie gerade die germanische Sage und Volksdichtung voll ist von Zügen, die das Persönlichkeitsbewußtsein der Frau spiegeln, ein Bewußtsein, durch das ihre Hingabe ein freiwilliges Geschenk, im höchsten Sinne sittlicher und geistiger Freiheit, wird, und nicht ein bloßes Erliegen an einen Naturtrieb. Der Brunhildengestalt der deutschen und nordischen Sage läßt sich aus romanischem Volkstum heraus nichts an die Seite stellen. Wie man also sagen kann, daß das Bedürfnis zur sexuellen Unterordnung etwas im besonderen Sinne Deutsches sei, ist nicht wohl ersichtlich. Auch diejenigen Gestalten deutschen Frauentums, die uns die unbedingte Hingabe in der Liebe verkörpern und auf die immer hingewiesen wird, sind ja doch entweder nur Typen kindlich-mädchenhafter Abhängigkeit, oder sie verkörpern eine Treue und Aufopferung, die aus geistig sittlichem Persönlichkeitskern heraus als ein freies Geschenk gewährt wird und etwas vollkommen anderes ist als eine im Sexuellen wurzelnde grundsätzliche Unterwürfigkeit.

Die größere Freiheit und unbefangenen Bewegung der jungen Mädchen germanisch-angelsächsischer Kultur zeigt ja auch, daß hier die Frau einen stärkeren Schutz in dem geringeren Gewicht rein sexueller Momente genießt. Es ist charakteristisch, daß in Portugal die ersten Studentinnen, die die Universitäten bezogen, von ihren Brüdern oder Vätern begleitet werden mußten, weil man sie nicht schutzlos der Gesellschaft so vieler Männer aussetzen mochte. Natürlich hat sich dieser Schutz mit der Zeit als vollkommen überflüssig erwiesen, aber es ist für den nationalen Boden, den in diesen Ländern jede freiere Entwicklung der Frauen vorfand, bezeichnend, daß solche Sitten den Aufstieg der Frauen zu größerer Bewegungsfreiheit noch ein beträchtliches Stück begleiteten.

Auch insofern trägt die Frauenbewegung als Gesamterscheinung den Stempel ihres Volkstums, als sich in den angelsächsisch-germanischen Ländern ihre Organisation weit konsequenter, straffer und einheitlicher entwickelt hat. Die Kräfte ihres Volkstypus sind ihr da zugute gekommen. In den romanischen Ländern sehen wir entweder die Bewegung auf einzelne hervorragende Trägerinnen beschränkt, oder sie bedarf des Elans irgendeiner anderen nationalen oder sozialen Erregung, um in die Höhe getragen zu werden. In Italien etwa sind es einerseits die politischen Einheitskämpfe, mit denen die Frauenbewegung erstarkt, oder es ist der Sozialismus, der sie mitreißt und ihr über eine eigene Lebenskraft hinaus Stetigkeit und geschichtliche Kraft gibt. Meist kann man aber sehen, wie mit einer solchen Welle nationaler oder sozialer Erregung die Frauenbewegung nur vorübergehend erstarkt, um dann wieder ebenso schnell in ziemliche Bedeutungslosigkeit herabzusinken. Es fehlt die organisatorische Kraft, die ihr einen festen, dauernden Unterbau schafft, es fehlt aber allerdings auch – wie vorhin schon gezeigt wurde – an der Intensität der persönlichen Impulse selbst, die aus dem weniger sexuell gefärbten Geschlechtsbewußtsein der Frauen nordischer Völker stärker und selbständiger Hervorgehen als aus dem romanischen Frauentypus.

Es ist kein Widerspruch zu dieser Darstellung, daß manche Erfolge der Frauenbewegung den romanischen Ländern schneller zuteil geworden sind. Man hat dort, gerade vielleicht weil man in der Frauenbewegung nicht die Gefährlichkeit und Tragweite einer Massenbewegung empfand, der einzelnen ritterlicher und bereitwilliger die Tore geöffnet. Die französischen, ja die spanischen und portugiesischen Universitäten sind den Frauen eher aufgetan als die deutschen. Es hat keines Kampfes und keiner Kampforganisation bedurft, um hier vieles durchzusetzen, was in Deutschland erst viel später oder noch nicht erreicht ist. Man kann vielleicht sogar sagen, daß diesem zum Teil härteren Kampf die vorhin erwähnte Tatsache einer mehr auf geistig persönliche Werte gestützten Beziehung der Geschlechter nicht nur nicht widerspricht, sondern daß sie sogar mit ihr zusammenhängt. Der Kampf wird von vornherein erbitterter, die Spannung ist von vornherein größer, wo die Frau mit dem stärkeren, begründeteren und sichereren Selbstgefühl auftritt. Die Errungenschaften sind hier vielleicht mühsamer, aber dann vielleicht auch bedeutungsvoller und gefestigter.

Jedenfalls also ist nichts törichter und falscher, als behaupten zu wollen, daß es eine deutsche Haltung gewesen wäre, wenn die Frauen der wirtschaftlichen und sozialen Krisis, die das Industriezeitalter ihnen gebracht hat, weniger selbstbewußt, freiheitlich und auf Selbstbehauptung bedacht gegenüber gestanden hätten.

Man kann sogar noch weitergehen und sagen, daß überall, wo in der deutschen Kultur ein Frauenideal auftritt, das nach der einen Seite ins Übermenschliche sublimiert und nach der anderen in eine untermenschliche Unpersönlichkeit herabgedrückt wird, es sich um romanische Wirkungen auf die deutsche Kultur handelt. Man braucht nur an den Einfluß Rousseaus in der deutschen Mädchenbildung zu denken, wie hier mit einem fremden Einschlag das Frauenideal entstand, das Nachgiebigkeit und Unterwürfigkeit mit Verstellung und List, der einzigen Waffe des Schwachen, wie Rousseau zugesteht, vereinigte. Man braucht auch nur an den mittelalterlichen erotischen Frauenkultus zu denken, der zweifellos nicht der Ausdruck einer rein deutschen Gefühlsweise war. Und wenn im 19. Jahrhundert die deutschen Frauen selbst den Kampf mit diesem süßlichen, abhängigen Bildungsideal aufnahmen, so kämpften sie damit nicht nur für ihre Persönlichkeit, sondern sie kämpften auf einem Gebiete, das sie anging, für eine Wiederherstellung deutschen Wesens gegenüber allzu bereitwillig aufgenommenen fremden Einflüssen.

 

Der Vorwurf nationaler Gleichgültigkeit oder mangelnden nationalen Verantwortungsgefühls wird aber gegen die Frauenbewegung noch in anderem Sinne erhoben: mit Bezug auf die Wirkung nach innen. Als eine egoistische Klassenbewegung gieße sie, wie es im Aufruf der Gegner heißt, Öl ins Feuer der Kämpfe, die unser Volk zerstören. Sie teile die verderbliche Eigenschaft jeder Interessengruppe, sich selbst über das Ganze zu setzen, und wirke darum in der nationalen Kultur nicht aufbauend, sondern niederreißend, für die Einheit und den Zusammenhang nicht befestigend, sondern zersprengend. Und es sei den Frauen vollkommen gleichgültig, was dem Ganzen verloren gehe, wenn nur sie sich – wie und mit was für Mitteln auch immer – vorwärts brächten.

Und ferner: die Frauen übersähen, daß ein stärkerer Einfluß, der von ihnen durch Beruf und öffentliche Rechte auf den Staat ausginge, das Wesen des Staates verhängnisvoll verändern, ihn schwächen, »feminisieren« müßte. Die Rücksichtslosigkeit in der Machtentfaltung nach außen und innen, die großartige Objektivität seiner Einrichtungen würde durch eine weichliche Humanität entnervt, durch eine gefühlsmäßige Unsachlichkeit und Subjektivität beunruhigt werden. Der Staat sei nur gesund und stark als Ausdruck männlicher Initiative. Die Frauen wollten ihn – eine Delila-Tat im großen – im eigenen Interesse dieser Kraft berauben usw. usw.

Was ist darauf zu sagen? Gewiß – die Frauenbewegung ist der Kampf einer Partei, einer Schicht im Ganzen, die sich zur Geltung bringen will. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß sie zerstört, statt aufzubauen. Die Gesundheit der Nation beruht auf der gesunden Kraftentfaltung aller ihrer Gruppen. Wenn einer einzelnen Schicht diese Entfaltung versagt ist, so dient ihr Kampf darum der Gesundheit des Ganzen; er muß sein, auch um des ganzen Volkes willen. Was er an schädlicher Schärfe und Feindseligkeit, an überflüssiger Verbitterung und Übertreibung mit sich bringt, ist vor allem auf das Konto der Widerstrebenden und Hemmenden zu setzen. Für uns heißt es im letzten Sinne geschichtlicher Notwendigkeit: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Wenn dieser Notwendigkeit zu folgen für uns Gegensatz und Kampf mit anderen Schichten bedeutet, so ist das nicht Wunsch und Wille der Frauenbewegung, sondern derer, die sich der Umwandlung des Frauenlebens gegenüber blind – sagen wir ruhig: »stellen«.

Der andere Grund des Widerstreitens nationaler und feministischer Interessen wird noch öfter angeführt. Er ist darum nicht stichhaltiger. Denn zweierlei Voraussetzungen sind dabei falsch. Erstens die, daß die Frauen der nationalen Machtentfaltung als einem ihnen wesensfremden Interesse kühl und gleichgültig, ja ablehnend gegenüberstehen würden. Die Geschichte gibt für eine solche Haltung der Frauen keine Beweise. Die in diesem Jahr so lebendige Erinnerung an die Freiheitskriege ist dafür eine kräftige Bestätigung: haben nicht damals die Frauen eher ein noch unbedingteres Nationalgefühl bewiesen? Die grausige Notwendigkeit des Blutvergießens, wenn es sich um vaterländische Ehre und Selbsterhaltung handelt, hat sie niemals geschreckt. Die Frauen jener märkischen Stadt, die 1813 die Männer einfach hinausjagten, die dem Ruf der Sturmglocke zum Landsturm nicht folgten, sind da symptomatisch. Aber andererseits ist es einseitig, in dem heutigen Staat nur diese Machtaufgaben zu sehen. Der moderne Staat hat neben dieser Funktion ein ganzes Gebiet fundamental anderer: schützender, pflegerischer, kultureller, sozialer in seine Tätigkeit einbezogen. Aufgaben, die man mit demselben Recht »weibliche« nennen kann, mit dem man sonst vom »männlichen« Staat spricht. Dadurch ist eine innere Beziehung zwischen Weiblichkeit und Staat geschaffen, die überhaupt die neu erwachte Anteilnahme der Frauen am öffentlichen Leben zum Teil erst erklärt. Diese Anteilnahme ist etwas ganz Natürliches und Organisches, etwas ganz »Weibliches« – denn der Staat ist den Frauen als Frauen in dem Maße innerlich nähergekommen, lebendiger und verständlicher geworden, als er die Aufgaben der »Menschenökonomie«, der Pflege und Erhaltung des Lebens durch Volkshygiene, Jugendpflege, Arbeitsschutz usw. usw. in sein Bereich gezogen hat. Und in eben dem Maße sind ihm die Frauen als Bürgerinnen notwendig und wertvoll.

Was wir aber im Sinne des nationalen Charakters der Frauenbewegung wünschen müssen, ist, daß sich die praktische Anteilnahme der Frauen am Staat mehr auf dieser Beziehung als auf dem Gedanken bloßer egoistischer Interessen- und Rechtsvertretung aufbaut. »Ein Volk sind die, die eine gemeinsame Not empfinden« – das Wort Richard Wagners soll uns in diesem Zusammenhang bedeuten, daß die Frauen nicht schon dadurch zum Volk, zur Nation gehören, daß sie ihre eigene Not empfinden, ihre eigenen Bedürfnisse vertreten und Forderungen formulieren, sondern daß sie erst in dem Maße ein lebendiger und organischer Teil des Ganzen sind, als über Geschlechtsinteressen hinweg das Gemeinsame von ihnen miterlebt wird. Darum ist das Nationalbewußtsein, d. h. das verantwortliche Mitleben im Leben der Nation, das Mittragen ihrer Probleme und Schwierigkeiten, das Mithoffen in ihrem Aufstieg und das Mitfeiern ihrer Siege und Erfolge, einfach Bedingung einer gesunden Frauenbewegung. Bürgerrechtsforderungen ohne ein warmes, aus Geschichte und Tradition genährtes Zugehörigkeitsgefühl zur Nation, ohne ein ganz spontanes, ursprüngliches Vaterlandsbewußtsein, ein frauenrechtlerisches Programm ohne die Fähigkeit, von dem patriotischen Verbundensein mit dem Ganzen einmal bis in die Tiefe der Seele hinein ergriffen und erschüttert zu sein, – das wäre nur ein klingendes Erz und eine tönende Schelle.


 << zurück weiter >>