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Frühjahr 1915
Es könnte vermessen erscheinen, daß wir heute schon von dem reden wollen, was dieser Krieg uns » lehrt«. Wir stehen ja noch mitten in den Ereignissen, wir erleben ja heute erst den Eintritt einer neuen Periode dieses Krieges. Den Ausgang umhüllt noch ein Dunkel, in das unsere Wünsche und Hoffnungen ihre Bilder einzeichnen. Sind wir schon fähig zu jener Einkehr, die aus den Erlebnissen dieses Jahres Erkenntnisse schöpft für die Gestaltung der Zukunft? Sind wir heute schon imstande, aus dem, was wir in diesen unvergeßlichen Monaten erlebt haben, Grundsätze für irgendein Teilgebiet unseres Kulturlebens abzuleiten? Ist nicht diese Zukunft selbst und sind nicht die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen, mit denen wir zu rechnen haben werden, noch viel zu wenig deutlich, als daß wir jetzt schon Ideale künftiger Arbeit aufstellen könnten? Ist es zu früh für alle vorausschauenden Entwürfe künftiger Pläne?
Wir sagen aus voller Überzeugung: nein. Es ist nicht zu früh. Im Gegenteil. Wir wollen von den Lehren des Krieges jetzt sprechen, jetzt, wo uns alle noch die Eindrücke von der Größe dieser Zeit ganz erfüllen. Wir wollen unsere Maßstäbe für die Zukunft jetzt aufstellen, damit sie nicht einmal kleiner werden als der Geist, der unser Volk in dieser Zeit höchster Anspannung erfüllt. Wir wissen, daß nichts leichter geschieht, als daß der Alltag die Größe und Wucht von Erlebnissen vergessen läßt, die uns die Welt in einem ganz anderen Lichte gezeigt haben, die unseren Willen kraftvoller, unseren Mut kühner machten. Zu schnell verwischt sich ja doch die Eindringlichkeit des Außerordentlichen, wenn erst einmal die alten Bahnen des Lebens uns wieder aufgenommen haben. Was wir aber jetzt alle als eine tiefe Verpflichtung fühlen, das ist, die Zukunft im Geiste dieser großen Gegenwart zu bauen und in jedem Kulturgebiet dauernde Wirkungen der großen Erhebung unseres Volkes festzuhalten. Und darum muß jetzt von der Bedeutung der Kriegserfahrungen für die Pädagogik die Rede sein.
Und so versuchen wir heute, die deutsche Bildungsarbeit der Gegenwart in das Licht der Kriegserfahrungen zu stellen. Wir wollen versuchen, uns an das zu erinnern, was diese deutsche Pädagogik in Besprechungen, Aufsätzen und in der Praxis vor dem Krieg beherrscht hat. Auf ihre theoretischen Grundrichtungen angesehen, war ja die deutsche Pädagogik durch zwei ganz entgegengesetzte Strömungen beherrscht. Was wir Reformpädagogik genannt haben – ich erinnere nur an die Bestrebungen des Bundes für Schulreform –, war eine einheitliche Bewegung, sofern es sich um einzelne Forderungen, besonders die Anwendung der Jugendkunde auf die Praxis des Unterrichts handelte. Aber diese Reformpädagogik war doch von durchaus verschiedenen Gedanken bewegt mit Rücksicht auf das Bildungsideal, das ihr vorgeschwebt hat. Ja es hat vielleicht diese starke Betonung der psychologisch-wissenschaftlichen Grundlage der pädagogischen Praxis die Wirkung gehabt, daß man zeitweise weniger an das gedacht und das erfaßt hat, wozu nun eigentlich der junge Mensch gebildet werden sollte. Es war unter dieser Einstellung der pädagogischen Arbeit auf das psychologische Verstehen etwas verloren gegangen: der Glaube und die Empfindung für die hinreißende Wucht großer Bildungsideale, die den Willen zu Taten und Leistungen spornen, die man auf dem Wege der Experimentalpsychologie sehr schwer vorher kalkulieren kann. Als der Bund für Schulreform bei einer seiner letzten Tagungen sich über das Bildungsideal verständigen wollte, da zeigte sich das Schwanken auf diesem Gebiet sehr deutlich, und dieses Schwanken konnten wir verfolgen durch die ganze pädagogische Literatur hindurch; es trat fast in jeder grundsätzlichen Abhandlung über Erziehung zutage. Da waren auf der einen Seite der Gedanke der Persönlichkeitspädagogik, die Forderung des Individualisierens, die Berücksichtigung der Freiheit, der freien Entwicklung des einzelnen. Auf der anderen Seite der Gedanke der Sozialpolitik, die Erziehung durch die Gemeinschaft und für die Gemeinschaft, die Betonung der Autorität, oder allgemeiner: der Einfügung des Lebens in Form und Gesetz. Diese beiden Gruppen von Bildungsidealen standen einander gegenüber, und es war weder eine klare Unterscheidung ihrer Grenzen noch ein Versuch zur inneren Verbindung beider in einer tieferen theoretischen Einheit da. Sie standen nebeneinander, die pädagogische Praxis bis in die behördlichen Verordnungen hinein mit Schwanken erfüllend.
Was hat nun der Krieg in bezug auf diese beiden Gruppen von Bildungsidealen für uns entschieden? Wenn wir jetzt in pädagogischen Abhandlungen und Büchern von vor dem August 1914 blättern, so ergreift uns ein gewisses Staunen über dieses spitzfindige Suchen nach Zielen, von denen wir damals glaubten, daß es in unserer Macht stände, sie uns zu stellen und über sie zu befinden. Der Krieg hat das eine für uns gebracht, daß er uns die Aufgaben unseres Volkes und damit die Aufgaben der Schule mit der Klarheit und Eindringlichkeit einer gewaltigen, unentrinnbaren Forderung gezeigt hat. Er hat das Notwendige über alle Diskussion hinaus klargestellt. Wo ist es zu suchen? Wir wollen noch einmal denken an das eine große innere Erlebnis dieser ersten Kriegsmonate. Wir haben alle empfunden, stärker, als wir es je für möglich gehalten haben, tiefer, als wir überhaupt wußten, daß diese Erlebnisse reichen können – den Wert der Nation, des Staates für unser Einzelleben. Was uns sonst teuer war, was unser Leben reich und wertvoll gemacht hat, – wir haben erlebt, daß es alles nicht so kostbar ist wie dieses eine, wie das einzige, wofür heute der Preis des Lebens gegeben wird, das Fortbestehen, der Zusammenhalt unseres Staates. Und so sind wir innerlich vorbereitet darauf, daß in der Pädagogik für die kommende Generation, für Knaben und Mädchen, über alle individualistischen Ziele hinaus, über alle subtilen Fragen der Verfeinerung der Einzelseelen hinaus, an die oberste Stelle unseres Bildungsideals das Wort rückt: die Nation, der Staat, die lebendige Gemeinschaft der Kultur, der Arbeit, der Lebensformen, deren Bedeutung für unser aller Leben bis in seine letzten Zweige wir gefühlt haben. Die lebendige Gemeinschaft dieses unseres Volkes ist das höchste Gut, der letzte Zweck für alle Erziehungsarbeit überhaupt. Die Frage nach dem Recht der individualistischen und der sozialen Gedankengänge und Grundsätze unserer Pädagogik haben wir heute nicht mehr zu erörtern, diese Frage ist einfach durch die Tatsachen entschieden. Wir haben unsere ganze Erziehung einzustellen auf den Staatsbürger, auf die Staatsbürgerin. Denn was in den nächsten Jahrzehnten von Deutschland verlangt werden wird, von uns als Volk und als Staat, von uns als Arbeits- und Kulturgemeinschaft, von uns als Selbstbehauptungs- und Verteidigungsmacht in der Welt, von der friedlichen Eroberungskraft unserer nationalen Arbeit, das ist so groß, daß alle Kräfte sich dieser Aufgabe zuwenden, daß ihr alle dienstbar gemacht werden müssen.
So stehen wir vor der Pflicht, viel, viel lebendiger als bis jetzt in der Gesamtheit unseres Volkes das Bewußtsein dieser Gemeinschaftsaufgaben zu machen. Die Schule darf sich nicht damit beruhigen, daß ja jetzt im Kriege diese Staatsgesinnung in unserm deutschen Volke sich in überraschender Weise enthüllt hat. Wir dürfen nicht etwa in einer neuen Auflage des alten Wortes sagen, daß der deutsche Schulmeister die Schlacht von Tannenberg gewonnen habe, wenigstens nicht in dem Sinne, als ob der Schule nichts mehr zu tun bliebe über das hinaus, was sie schon bisher geleistet hat. Trotz aller wundervollen Offenbarungen einer starken Staatsgesinnung: alle, die in der Kriegsfürsorge, in der Kriegsarbeit der Daheimgebliebenen gestanden haben, wissen ja gut genug, daß dieses Aufgehen des Gefühls und der Einsicht im ganzen zwar vorhanden war, aber doch nicht überall in dem Maße, das diese große Zeit verlangt hätte. Wir wissen alle, daß wir uns mehr Disziplin, mehr Organisationsfähigkeit bei den Frauen gewünscht hätten. Wir wissen, auf wie schwankendem Grunde wir unsere ganze Aufklärung über die Volksernährungsfragen bauen mußten, weil das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit des Einzelhaushalts mit der Volkswirtschaft einfach nicht in der genügenden Kraft und Selbstverständlichkeit entwickelt war. Und überdies: es ist nicht gesagt, daß jene gewaltige Einheit der Staatsgesinnung, die unter dem Eindruck der unerhörten Bedrohung von außen im Volke aufwachte, von selbst aushalten wird durch die kommende Zeit des Friedens hindurch. Wir haben die Pflicht, diese Stimmung, das Geschenk einer großen Stunde, umzuwandeln in eine dauerhafte Kraft, von der die Zukunft unseres Volkes gestaltet wird.
Wir haben auf pädagogischem Gebiet alles Schwanken zwischen den beiden Programmen der individualistischen und der sozialen, staatsbürgerlichen Erziehung aufzugeben. Wir haben uns im Bildungsideal der Zukunft zu dem Mut einer großen Einseitigkeit aufzuraffen. Es handelt sich wieder um dasselbe, was vor 100 Jahren Fichte formuliert hat: um die Aufgabe, »alle individuellen Kräfte dem Dienste des Ganzen anzuschließen und zuzuführen«. Wir müssen den Mut zu all den Verzichten haben, die zweifellos in einer solchen Einseitigkeit liegen. Aber wir wissen aus jener Erfahrung der ersten Monate dieses Krieges, daß diese Einstellung auf das Ganze, das Absehen von allen zarten Interessen der eigenen Seele, von den Luxusbedürfnissen unseres Innenlebens, daß das kein Verzicht auf Kraft und Wärme des Lebens zu sein braucht. Im Gegenteil, diese bewußte tatkräftige Hingabe an das Ganze hat unserem Leben eine Weihe und eine Schwungkraft gegeben, wie nichts zuvor es zu tun vermochte. Unsere deutsche Erziehung hat den Staat, hat die Stellung Deutschlands in der Welt, den inneren und äußeren Selbstbehauptungskampf unserer Nation, der uns bevorsteht, in die Mitte all ihrer Programme zu stellen.
Und so vergegenwärtigen wir uns, welche Leistung von uns erwartet werden wird, von dem Deutschland, das nach diesem Krieg den Friedenswettbewerb mit einer von Haß und Neid erfüllten Welt von neuem aufnehmen muß. Unser ganzes Leben, unsere wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Arbeit wird auf Kampf gestellt sein. Darüber dürfen wir uns keinen falschen Hoffnungen hingeben: wir werden es schwer bekommen in der Welt. Man wird uns nur dort unseren Platz gewähren, wo man uns schlechthin nicht entbehren kann. Wir werden noch bewußter als vorher darauf angewiesen sein, die Kräfte zu entwickeln, durch die wir uns anderen Völkern überlegen fühlen, die Kräfte, auf denen der Beitrag unserer Eigenart zur Kultur der Menschheit beruht. Unser deutsches Volks- und Wirtschaftsleben ist, wie schon öfter gesagt wurde, » arbeitsorientiert, nicht » stofforientiert. D.h. Deutschland verfügt nicht oder in geringem Maße über Bodenschätze, durch die es im Weltaustausch der Güter heute den anderen unentbehrlich wird. Das Unentbehrliche, worüber wir verfügen, ist jene Kraft, die schon heute unseren Feinden draußen in all den Lücken ihres eigenen Wirtschaftslebens zum Bewußtsein kommt, die Fähigkeit systematischer Arbeit, die Verbindung von intellektueller Schärfe und praktischem Wagemut, die uns unsere Industrie in so glänzender Weise zeigt. Sie haben wir weiter zu entwickeln. Die deutsche »Organisationsfähigkeit«, die neben Gedankensysteme industrielle Systeme von unnachahmlicher Ineinanderfügung der Produktionsprozesse zu stellen vermochte, sie ist der Rückhalt unserer wirtschaftlichen und geistigen Weltmacht. Von hier aus entsteht der neudeutsche Bildungstypus, der Mensch, der geistige Kraft in praktischen Aufgaben anzulegen versteht. Dieser Typus muß gesteigert werden, auf seine Unentbehrlichkeit in der Welt müssen wir uns in Zukunft verlassen. Wir brauchen einen deutschen Bildungstypus, der im Gegensatz zu dem noch bisher nicht verschwundenen Papier- und Wortmenschentum das Tatmenschentum verkörpert. Hier liegt tatsächlich noch eine Aufgabe. Wir haben es empfunden in dieser Zeit – trotz aller Riesenleistungen, die unsere militärische und wirtschaftliche Verteidigung sicherten –, wie viele Menschen es noch bei uns gibt, die diese Furcht vor der Praxis, dieses Ausweichen vor allem Zugreifen und vor jeder tatkräftigen Inangriffnahme von Aufgaben beherrscht. Wer in der Kriegsfürsorge gearbeitet hat, konnte diesen Typus Menschen kennen lernen, der sich über alles, was praktisch angefaßt werden muß, mit einer »Sitzung« hinweghilft, in der man sich mit dem Gegenstand »beschäftigt«. Das vielen Menschen mangelnde Gefühl für das wirklich Bewegende und Umgestaltende der Tat hängt mit gewissen Mängeln der Bildung zusammen, die erst in den letzten Jahrzehnten allmählich überwunden sind. Willensbildung, Arbeitsunterricht, Einstellung auf die Bewältigung praktischer Aufgaben, Entwicklung des Tatsachensinns, das alles sind moderne Worte in der deutschen Bildung, die vorher doch den Stempel ihres Ursprungs aus dem Gelehrtentum an sich trug, ganz zu schweigen von all den Kennzeichen, die, von ganz wo andersher als aus dem Gelehrtentum stammend, gerade unsere Mädchenbildung mit dem Charakter der Unsachlichkeit und der Untatsächlichkeit gekennzeichnet haben. Wir brauchen als deutschen Bildungstypus, wenn wir das Wort richtig verstehen wollen, den »Unternehmer«, den Menschen, der es wagt, etwas praktisch anzufangen, Verhältnisse zu bezwingen, neue Aufgaben mutig aufzunehmen. Wir müssen noch mehr als bisher den Buchmenschen zu überwinden suchen und jenen Philister, dem es nur um die Sicherheit und den Frieden und das ruhige Geleise seines Lebens zu tun ist, den Typus, den das Witzwort kennzeichnet: »Treu und deutsch und pensionsberechtigt«. Ob dieser Krieg für uns siegreich verläuft, oder ob wir nicht die Erfolge haben, auf die wir alle hoffen: auf alle Fälle wird die deutsche Zukunft mit großen Wiedereroberungen und neuen Eroberungen unseres Handels und unserer Industrie zu tun haben. Deutschland wird mit verminderten Kräften erweiterte praktische und wissenschaftliche Aufgaben zu erfüllen haben. Das gilt auch ganz besonders für das Schicksal unserer künftigen Frauengeneration. Man hat in diesen Wochen sehr viel über die Frage der Kriegerwitwen und ihre Versorgung gesprochen. Man hat viel weniger noch an die Tausende und aber Tausende von Mädchen gedacht, die jetzt heranwachsen und denen bei der Dezimierung einer ganzen Männergeneration der Weg zur Ehe verschlossen ist. Für sie müssen wir eine Verwertung in dem großen Arbeitsorganismus unseres Volkes suchen, die ihren Anlagen und Kräften entspricht; eine Verzettelung in minderwertiger, gedankenlos ergriffener Arbeit wäre frevelhafte Vergeudung. Wir werden es in den kommenden Jahrzehnten nicht leichter haben als vorher. Die Arbeitsorientierung, die Aufrichtung des Arbeitsideals über unserem Leben, jene Einstellung auf den Beruf, von der schon mancher Ästhet und Kulturpsychologe in dieser Zeit gesagt hat, daß sie zu stark und gefährlich würde, sie wird – um diese Tatsache kommen wir nicht herum – noch viel entschiedener von uns verlangt werden.
Die deutsche Bildung steht angesichts dieser Zukunft unseres Staates vor zwei Pflichten: Stärkung der Staatsgesinnung und Erhöhung der Arbeitsqualität durch alle Mittel der Auslese und Schulung.
Für die erste Aufgabe ist das Kriegsjahr selbst mit seinen Erfahrungen der stärkste Rückhalt. Worauf beruht die Kraft, mit der unser deutsches Volk in diesen gewaltigen Kämpfen steht? Ich meine, sie kommt aus der Fähigkeit der Hunderttausende, ja der Millionen, den geschichtlichen Sinn dieses Krieges wirklich zu verstehen, seine Bedeutung ganz zu erfassen. Ich las in diesen Tagen in einer amerikanischen Friedenszeitung ein Gedicht, das beschreibt, wie fünf Seelen, tote Soldaten aus den fünf Heeren, ihr Kriegsbekenntnis ablegen. Der russische Bauer und der Mainzer Weingärtner, der englische Werftarbeiter und der Seidenweber von Lyon, sie alle schließen mit dem Refrain:
»
I gave my life for freedom – This I know;
For those who bade me fight had told me so.«
Wenn diese blinde Gläubigkeit zutreffen mag für den russischen Bauern und für den englischen Söldner, so gilt sie jedenfalls nicht für den deutschen Soldaten. Der ist sicherlich nicht gestorben, weil ihm irgend jemand sagte, es ginge um die Freiheit, sondern er ist gestorben, weil er es selbst kraft der politischen Lebendigkeit unseres Volkes und kraft der deutschen Bildung gewußt hat. Wenn schon jetzt auf diesem bewußten Mitleben, auf dieser Höhe des geistigen Standpunktes unseres ganzen Volkes die große geschlossene einmütige Volksstimmung als wesentliche Kraft dieses Krieges beruht, so wissen wir, daß an dieser politischen Lebendigkeit, an diesem Gefühl der Mitverantwortung jedes einzelnen für die Geschicke des Staates in noch stärkerem Maße die Hoffnungen unserer Zukunft haften. Die Selbstverwaltung und Selbstregierung des Volkes, entstanden in Verbindung mit der mächtigen Anspannung der Volkskraft in den Freiheitskriegen, sie hat sich in diesem Kriege endgültig bewährt. Wir haben in den Leistungen der Städte und Gemeinden, der Vereine und Gewerkschaften, in ungezählten Leistungen aus der freiwilligen Initiative der Volksmasse gesehen, wie stark dies Vermögen der Selbstverwaltung, diese ruhige Kraft zur Organisation in unserem Volke ist. Auf ihr beruht die Zukunft. Und darum heißt das allgemeine Programm für die Erziehungsaufgaben der Zukunft: Stärkung dieses selbstbewußten verantwortungsvollen Staatsbürgertums in jedem einzelnen.
Eine zweite Hauptaufgabe ist die sorgsamste Schulung der praktischen Fähigkeiten. Die Schule erfüllt ihre Bestimmung der Auslese durch differenzierende Bildung bis jetzt unvollkommen – und zwar abgestuft für die breiten Schichten am wenigsten. Hier muß mit dem Mut, den wir aus dem Gelingen anderer gewaltiger Leistungen der inneren und äußeren Kriegsorganisation schöpfen können, Begonnenes kräftig fortgeführt und Neues gewagt werden.
Was hat also nun – konkret gefaßt – zu geschehen?
Zunächst organisatorisch.
Es kann – unsere allgemeinen Voraussetzungen zugegeben – kein Zweifel darüber herrschen, daß alle die Gründe, die jemals für die Einführung der »Einheitsschule« gesprochen haben, im Hinblick auf unsere Zukunft an Gewicht bedeutend gewonnen haben. Auf sorgfältigste Ausnutzung aller guten Anlagen angewiesen, brauchen wir ein Schulsystem, das jeder Begabung den Aufstieg zu höchstmöglicher Leistung erleichtert. Diese Notwendigkeit rückt aber auch als eine moralische heute an höhere Stelle, ja fast über die grundsätzliche Diskussion hinaus: als Dank und Lohn für die Leistung der Millionen, die heute ihr Leben einsetzen, müssen wir alle die Hemmungen, die im Aufbau unserer Schule den Aufstieg der Begabten an Zufälligkeiten des Standes, der Geburt und der Mittel knüpfen, entschlossen wegräumen. Jenem demokratischen Prinzip, das wir damit in unser Schulleben zum Teil neu einführen, muß jedoch ein aristokratisches zur Seite gestellt werden: die strenge Wertung der wirklichen Fähigkeiten. Wir müssen aufräumen mit all den Nachgiebigkeiten und Duldungen, durch die man den hoffnungslos Unbegabten immer noch irgendwie ermöglicht, sich durch ihre standesgemäße Erziehung auf diese oder jene Weise durchzuquälen. Angesichts der strengen unerbittlichen Anforderungen, die heute von allen Seiten an alle gestellt, und der Art, wie sie erfüllt werden, scheinen uns die mannigfachen weichlichen Rücksichten, die letzthin im Schulleben um sich gegriffen haben – ich erinnere an den Extemporale-Erlaß – unzeitgemäß. Wir wollen in unserer jungen Generation den Respekt vor der Kraft und vor der Leistung erziehen. Wir haben ja gar kein Interesse daran, den Schwachen über seine Schwäche sanft zu täuschen und ihm die Kraftproben zu ersparen. Es gibt ein viel besseres Mittel, die Enttäuschungen des nicht »schulbegabten« Kindes zu mildern: das ist die noch vielfach fehlende Wertung praktischer Anlagen. Das Schulsystem muß, ebenso wie die Behandlung des einzelnen Kindes, dafür sorgen, daß seine besonderen Anlagen sich entwickeln können und daß es auf Grund seiner Kräfte da in das Ganze eingeordnet wird, wo es seinen Platz ausfüllen und wirklich etwas leisten kann. Die feinere Differenzierung unseres Schulsystems nach Begabungen, die im höheren Schulwesen in kleinen Anfängen beginnt, muß weiter durchgeführt werden. Das Fachschulwesen – ich denke hier an Knaben und Mädchen – kann, besonders in der Mittelschicht, noch stärkere und sorgsamere Pflege besonders auch in dem Sinn erfahren, daß größere Massen von Kräften dem Fluch der ungelernten Arbeit entzogen und, sofern sie leistungsfähig sind, in qualifizierter Arbeit untergebracht werden können. Es ist richtig, daß es deutsche Ingenieure sind, die die Industrie der Welt in Gang halten. Aber es ist ebenso richtig, was vor einigen Jahren ein sehr einsichtiger englischer Beurteiler (Shadwell) der industriellen Leistungsfähigkeit der verschiedenen Völker in einer vergleichenden Studie über den Rückgang der englischen Industrie im Vergleich zur deutschen gesagt hat: daß der Ausbildung hochkultivierter Kräfte in den Hochschulen und Forschungsinstituten bei uns doch nicht ganz entspricht die Entwicklung des mittleren Fach- und Fortbildungsschulwesens. Wenn diese Kritik schon für das Knabenbildungswesen gilt, so trifft sie in vollem Umfang für die Bildungsgelegenheiten der Mädchen zu. Hier liegen jetzt große Aufgaben. Die Tausende von jungen Mädchen, denen jetzt die Ehe verschlossen ist, müssen – das liegt sowohl im Interesse der Ökonomie der Kräfte im Staats- und Arbeitsleben wie natürlich im persönlichen Interesse der ganzen jungen weiblichen Generation – verwertet, sie dürfen nicht unter dem Wert ihrer Kraft und Leistungsfähigkeit irgendwo verbraucht werden.
Das sind allgemeine organisatorische Forderungen, die durch den Krieg gestützt werden.
Was lehrt der Krieg für die Erziehungspflicht in der Schule – Erziehung im engeren Sinne der sittlichen Bildung des einzelnen Kindes gefaßt? Er hat der Jugend dieser Tage Vorbilder und Maßstäbe geschenkt, von denen man fast sagen kann, daß sie einen Teil der Erziehung selbst übernehmen ohne Zutun des Erziehers. Die junge Generation hat lebendige Helden zu Vorbildern, hat außerordentliche Leistungen als Maß des eigenen Strebens. Alle Kräfte der Zeit helfen ihr zur Anerkennung der Aristokratie der Fähigkeiten und Leistungen. Sie ist bereit zur Ehrfurcht vor dem Können. Und man braucht nicht viele andere »Ehrfurchten« in der Erziehung, wenn das Kind diese eine verstanden hat. Die künftige Erziehung kann im Zeichen des Heroismus stehen, der in dieser Zeit in Tausenden von Beispielen um unsere junge Generation herum lebendig ist. Der Erzieher hat es leicht in dieser Zeit, weil sie den Kindern zwei Dinge auf einmal gezeigt hat, die in dieser Verbindung durch kein denkbares Ereignis in gleicher Eindringlichkeit deutlich werden konnten, nämlich die Bedeutung des überlegenen Führers und die Bedeutung des pflichtbewußten Einzelnen in der Masse. Auf diese beiden großen Beispiele kann die ganze persönliche sittliche Erziehung eingestellt werden, und sie wird klarer und kräftiger sein als in der Zeit der Verhätschelung individualistischer Eitelkeit.
Ich glaube, daß man auch in einer anderen Hinsicht mit schwächlichen Befürchtungen aufräumen kann, die unser ganzes und besonders das Mädchenschulwesen durchdrungen haben, nämlich mit der Furcht vor der » Intellektualisierung«. Was hat man alles argumentiert darüber, daß diese starke Intellektualisierung den Willen lähme und die körperliche Widerstandskraft einschränke, daß sie eine Schwächung der Kräfte und der Lebensenergie sei. Ich glaube, daß das, was gerade von unserer gebildeten Jugend im Kriege draußen geleistet worden ist, alle diese Befürchtungen als vollkommen gegenstandslos erwiesen hat. Wir brauchen uns nicht mehr so zu fürchten vor dem Gehirnmenschen, wie es in den letzten Jahrzehnten Mode geworden. Und wir wollen uns auch vor dem weiblichen Gehirnmenschen nicht mehr fürchten. Denn wir haben es alle erlebt, daß die Kräfte der Hilfsbereitschaft, die aus dem Herzen kommen – die Kräfte, die immer die produktivsten und stärksten sein werden bei Männern und Frauen –, daß diese Kräfte vielfach gehemmt und verzettelt werden dadurch, daß ihnen die Fähigkeit geistiger Disziplin und organisierter Verwertung nicht zur Seite ging. Wir haben erlebt, wie stark unsere ganze Volksleistung darauf gestellt ist, daß der einzelne – ob er an führender Stelle steht oder mitarbeitet – sich auf das Wesen der Organisation versteht. Und diese Fähigkeit der Organisation ist nun einmal doch das Ergebnis der Intellektualisierung des modernen Menschen. Man wird nach diesem Krieg alle die Befürchtungen kaum wieder aufstehen sehen, die in aller intellektuellen Verfeinerung eine Lähmung des Lebenswillens sehen wollten.
Das große Beispiel von Führung und geordneter Massenleistung, das der Krieg gibt, wird auch die Durchführung und Ausbildung der kleinen Ansätze zur Selbstverwaltung erleichtern, die wir in unseren Schulsystemen haben. Die Kinder sind durch den starken allgemeinen Willensaufschwung dieser Zeit erfüllt von dem Wunsch nach Verantwortung und Selbsttätigkeit und andrerseits von dem Willen zum Mittun, zum Sicheinfügen, damit etwas Gemeinsames zustande komme. Hier kann die weitere Durchführung der Selbstverwaltung anknüpfen.
Ich kann alle diese Dinge in dem Rahmen, der hier gegeben ist, natürlich nur thematisch berühren. Thematisch kann ich daher auch nur andeuten, welche Folgerungen sich aus dem Kriege ergeben für unsere Lehrpläne und ihre Stoffauswahl. Wir müssen nach dem Krieg (oder schon jetzt!) eine Revision unserer Lehrpläne vornehmen, die noch viel mutiger, als man bisher mit Überlieferungen zu brechen wagte, alles unter den Gesichtspunkt der Frage stellt, welche Beziehung der Unterrichtsstoff zu dem praktischen Leben haben kann, in das das Kind hinausgehen wird. Der Krieg hat den Schulen die Freiheit gegeben, ihren Unterricht in anderer Weise als sonst, den Rahmen der Stunden und Fächer durchbrechend, in Beziehung mit dem Leben des Tages zu bringen. Diese Freiheit muß im Frieden erhalten bleiben. Denn sie war nicht nur Zugeständnis der außerordentlichen Zeiten und Ereignisse, sondern sie ergab sich aus einem ganz allgemeinen und immer vorhandenen Bedürfnis heraus, das der Krieg nur in eindringlicher und zwingender Form enthüllt hat. Die Auswahl der Stoffe nach der tatsächlichen Lebensbeziehung, die sie zum Kinde haben können, wird wahrscheinlich noch sehr vieles aus unseren Plänen ausmerzen, was sich jetzt noch darin aufhält, und wird vieles Hineinbringen müssen, wovon heute nur in verstreuten Aufsätzen die Rede ist. Ich möchte drei kurze Programmworte für diese Revision der Lehrpläne angeben.
Das erste Wort heißt: » Das größere Deutschland.« In der großen Masse unseres Volkes, ja auch der Gebildeten, waren die Tatsachen noch nicht lebendig, die zum vollen Verständnis des Ineinandergreifens der auswärtigen Interessen befähigt hätten. Es wird ja jene Berliner Portierfrau nicht typisch sein, die, das Extrablatt schwenkend, begeistert sagte: »Lüttich ist gefallen, det ist die Dreckserben aber recht.« Aber geläufig sind die Bahnen weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Denkens erst einem kleinen Kreise in Deutschland. Auf alle Fälle muß diesem Kriege, der uns mit so mächtigen Schlaglichtern die Verflechtung der Völkerinteressen über die Erde hin gezeigt hat, in der Schule die Verkündigung eines Deutschland folgen, dessen wirtschaftliches und politisches Dasein – auch ohne geographische Gebietserweiterung – nicht mehr zwischen Maas und Memel, zwischen Etsch und Belt eingeschlossen ist. Der Jugend müssen die lebendigen Organe, die unser deutsches Volk durch Gewerbe, Handel, Wissenschaft über die Welt streckt, muß das weite Reich unserer deutschen Interessen in der Welt stärker und lebendiger zum Bewußtsein gebracht werden.
Und mit diesem Programmwort »das größere Deutschland« hängt ein anderes zusammen: die Gegenwart. Wir können nicht anders, wir müssen mit historischem Stoff energischer als bisher in der Schule aufräumen, damit wir mehr Platz bekommen für die ungeheure Fülle, die schwierige Vielgestalt dieser Gegenwartsverhältnisse. Von der Unterstufe bis zum Abiturienten muß diese Einstellung auf das Verständnis der Gegenwart noch viel mehr in den Vordergrund rücken wie bisher.
An die Forderung: mehr Gegenwart schließt sich als dritte die stärkere Erweckung des Verständnisses für volkswirtschaftliche Tatsachen und Zusammenhänge. Darüber brauche ich all denen kaum etwas zu sagen, die mit Dutzenden von Vorträgen sich abgemüht haben, die volkswirtschaftlichen Grundbegriffe für die Ernährungsfrage dem breiten Publikum auseinanderzusetzen. Diese ganze Aufklärungsarbeit hat gezeigt, wie auch die, die vom besten Willen beseelt waren, vielfach nicht das geeignete geistige Rüstzeug besaßen, um wirksam mithelfen zu können. Wir müssen auch in der Lehrerbildung eine ganz andere Rolle für die Tatsachen des Wirtschaftslebens verlangen. Und hier möchte ich auch vor einem Trugschluß warnen, der angesichts des Versagens der Hausfrauen im breiten Publikum jetzt von zahlreichen Volksfreunden begangen wird. Man will nämlich dieses Versagen der Hausfrauen ausschließlich auf die Unfähigkeit im Kochen zurückführen. Ich glaube, noch sehr viel stärker als die Frauen im Volk mit der ungenügenden wirtschaftlichen Ausbildung haben verhältnismäßig die Hausfrauen versagt, die sehr gut – vielleicht beinahe zu gut – kochen können, denen aber das fehlt, was mit der bloßen Kochkunst nicht gegeben ist: das Verständnis der Zusammenhänge des Einzelhaushalts mit der Volkswirtschaft. Diese Frage führt ja noch in andere, weitere Zusammenhänge als die Pädagogischen. Es muß aber auch an dieser Stelle sehr stark hervorgehoben werden, daß es wirklich hieße, die ganze Leistung der Frauen in dieser Zeit sehr falsch bewerten und beurteilen und die Quelle ihres Versagens an sehr verkehrter Stelle suchen, wenn wir sie nun zurückschickten an ihren Kochtopf und in ihren Einzelhaushalt und ihnen sagten: die Kriegslehre für euch ist, daß ihr euch hier noch viel mehr einkapselt als vorher. Praktische Beherrschung des Haushalts ist notwendig und selbstverständlich, weil wir praktische Tüchtigkeit in den einfachen Anforderungen des Tageslebens als Grundlage für alles andere brauchen. Aber was diese Zeit im besonderen und eigenen für die Hausfrauen lehrt, ist die Erweiterung ihres Horizontes in das Volkswirtschaftliche hinein.
Mit einer stärkeren Hinwendung auf volkswirtschaftliche Tatsachen würde der gesamte Schulunterricht in vieler Hinsicht von selbst lebensnaher werden. Denn im Wirtschaftlichen ist die Stelle, wo die Stoffe getrennter Unterrichtsfächer ihre gemeinsamen Beziehungen zum praktischen Leben haben. Ich habe im Zusammenhang mit dem Thema: Schule und Ernährung einmal in der »Lehrerin« die Frage aufgeworfen, ob eigentlich im naturgeschichtlichen Unterricht etwas über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Viehwirtschaft gelehrt wird. Vielleicht ist gerade diese Tatsachengruppe »Viehwirtschaft« gut geeignet als Illustration zu dem, was ich sagen will: Die höhere Tochter erfährt etwas von der Kuh in Klasse VII oder VI des Lyzeums, sie erfährt dann etwas von der Milch in der organischen Chemie in Klasse I, von den Futtermitteln unter den »Phanerogamen« in Klasse V, sie erfährt vielleicht etwas von der deutschen Viehwirtschaft in der Wirtschaftsgeographie in Klasse VI oder II unter dem Thema Alpen oder Schleswig-Holstein oder Marsch. Wo ist die Stelle, wo alle diese Einzelheiten zu praktischer Lebenskenntnis zusammenfließen? Natürlich wird der gute Lehrer jedesmal, wenn diese Teilausschnitte eines Tatsachenkomplexes auftauchen, ihre Wirklichkeitsumgebung mit berücksichtigen, soweit es möglich ist. Aber zu den Grundsätzen der Lehrplangestaltung gehört diese Lebenszusammengehörigkeit der nach wissenschaftlichem Schematismus gesonderten Stoffe noch keineswegs.
Methodisch – wenn wir uns nun hinsichtlich der Stoffauswahl mit diesen kurzen Hinweisen begnügen müssen – rückt im neuen Friedensprogramm der Schule der Arbeitsunterricht noch mehr in den Vordergrund. Er muß zwei Dinge hauptsächlich in das Bewußtsein des Kindes bringen: einmal die Achtung vor der Tat und der Leistung gegenüber dem bloßen Wort und dem bloßen Buchstaben, und andererseits das Bewußtsein von der Notwendigkeit, Glied des Ganzen zu werden, eingeordnet zu sein in das große System miteinander wirkender Kräfte. Wir wollen durch den Arbeitsunterricht die stärkere Erziehung zur Sachlichkeit, die wir brauchen, und die Zurückdrängung jener bei uns viel zu großen Verehrung des Wortes und der Rede und der Druckerschwärze; aller der Dinge, die nach Goethes Wort im Lehrbrief des Wilhelm Meister nur »Zeichen« sind. Tatsachensinn und Wesenhaftigkeit soll der Arbeitsunterricht in die junge Generation pflanzen.
Ich komme zum Schluß und habe von zwei großen Bildungsgütern überhaupt noch nicht gesprochen, nämlich von der Betonung des » Nationalen« im engeren Sinn und von der Bedeutung der Weltanschauung für die Schularbeit. Ich glaube, daß über das erste, über das, was wir in den Begriff nationale oder vaterländische Erziehung fassen, heute weniger geredet zu werden braucht als je, weil es sich von selbst versteht. Ein Unterricht, der die Jugend in das lebendige Kultur- und Arbeitsleben des Volkes hineinstellen will, ist von selbst »national«. Man empfiehlt jetzt allenthalben Vermehrung der deutschen Stunden. Ich bin – durch alle Schulgattungen hindurch – nicht für Vermehrung der literarischen Stoffe. Ich würde gerade jetzt eher einer Einschränkung literarischer Fächer in der Schule das Wort reden. Wir brauchen eine meinetwegen einseitige, aber einheitliche Einstellung des Unterrichts auf die Tat und auf die Praxis, um die Gegengewichte zum Buchstabenmenschen hin zu überwinden, die aus der Überlieferung der deutschen Bildung in Deutschland vorhanden sind. Aber – wie gesagt – es ist selbstverständlich, daß die Erziehung der kommenden Zeit gestempelt sein wird durch das Wort »vaterländisch«. Es ist selbstverständlich, daß gerade aus dem Erlebnis dieses Krieges heraus wir auf Schritt und Tritt dazu kommen werden, uns der eigenen und besonderen Kräfte unseres Deutschtums bewußt zu werden. Es wird aber auch richtig sein, sie, entsprechend der Reife der Schüler, ihnen auch positiv zum Bewußtsein zu bringen – z. B. im fremdsprachlichen Unterricht –, zu zeigen, wo in der gemeinsamen Kulturarbeit der Völker das Feld für deutsche Art und Leistung liegt, unsere weltgeschichtliche »Bestimmung«.
Und nun noch ein Wort über das, was, wie bisher, so auch in Zukunft, dem Schulleben seinen geistigen Hintergrund, seine letzte und tiefste Bedeutung gibt: die Weltanschauung. Diese Zeit hat uns stärker, als eine andere es könnte, gezeigt, daß wir einen überweltlichen Hintergrund unseres Lebens brauchen, um die Kraft für die Leistungen des Alltags und für die außerordentlichen einer Größeres fordernden Zeit aufzubringen. Diese Zeit, so stark sie uns auf Bewältigung der Wirklichkeit hinweist, hat doch ebenso stark den Sieg jenes Idealismus bedeutet, der die Welt ansieht im Hinblick auf die geistigen Werte, denen sie Ausdruck sein soll. Aber diese Zeit hat uns auch gelehrt, daß jeder die Kraft dieses Idealismus gefunden hat in der Quelle, die ihm eigene geistige Arbeit oder Überlieferung und Lehre erschlossen hat. Wir haben gesehen, wie die verschiedenen Weltanschauungen, die unser Volk geistig beherrschen, an keiner Stelle versagt haben. Man kann nicht sagen, daß nur diese oder jene die Kraft zu höchsten Opfern gespendet habe. Und wenn wir in die Zukunft hineingehen im Zeichen des Burgfriedens, eines Friedens, der die inneren Kämpfe und Reibungen vermeidet und ausschaltet, um ihnen keine Kraft opfern zu müssen, so gilt das ganz besonders in bezug auf die Duldung alles dessen, was dem andern heilig ist und was ihm als Kraftquelle seiner Arbeit dient. Je fester wir alle in dieser Zeit höchster Anforderungen in unserer eigenen Weltanschauung verwurzelt sind, je besser wir wissen, was dieser geistige Unterbau des persönlichen Lebens uns in Zeiten allerstärkster Ansprüche geleistet hat, – um so ruhiger und um so ehrfürchtiger können wir diese Kräfte überall anerkennen, wo sie sich in anderer Form zeigen als in der, die wir unser eigen nennen. Wenn wir in unsere deutsche Zukunft, die uns so viel aufbauende Arbeit aufgibt, in dem Zeichen einer solchen gegenseitigen Duldung hineingehen, so können wir damit sicher sein, daß wir eine verhängnisvolle Ursache inneren Stimmungsverlustes einschränken. Wir müssen das um so mehr, als wir wissen, daß, wenn auch Weltanschauungen nicht zu trennen brauchen, Interessen nun einmal in dieser Welt der Tatsachen trennen, und daß der Kampf dieser Interessen in keinem Volksleben ganz und gar ausgeschaltet werden kann.
Für alles aber, was wir für die deutsche Zukunft planen – ich möchte es zum Schluß noch einmal sagen – wollen wir die Maßstäbe aus den Erlebnissen der Gegenwart nehmen. Den Maßstab einer Verpflichtung, wie sie größer überhaupt noch niemals in der Geschichte unseres Volkes bestanden hat, einer Verpflichtung angesichts des Todesopfers von Hunderttausenden. Aber auch den Maßstab der Ausführbarkeit. Der Krieg hat gezeigt, daß Dinge ausführbar, ja beinahe leicht waren, über die jeder Mann der Praxis und der sogenannten »gesunden Vernunft« gelächelt hätte, wenn man sie ihm in Friedenszeiten angesonnen hätte. Wir haben Aufgaben der Organisation gelöst, an deren Gelingen wir vorher kaum selbst geglaubt haben. Die Zeit hat die Grenzen dessen, was innerhalb eines kraftvollen Volkes möglich ist, in unser aller Erfahrung ungeheuer erweitert. Darum wollen wir jetzt nicht zaghaft werden in dem, was wir für die Schule zu erreichen und zu erarbeiten haben. Wir messen das, was hier geschehen muß, immer an dem, was in einer großen Zeit auf anderen Gebieten möglich geworden ist. Wir wollen uns alle hüten, aus dieser Zeit in die Alltäglichkeit zurückzugehen ohne das Bewußtsein, daß wir andere Menschen geworden sind. Wir sind so stark aus der Welt, in der wir lebten, herausgerissen, daß wir nach dem Kriege nicht brav und philisterhaft da wieder anfangen können, wo wir gestanden haben. Wir können nicht unverwandelt in das Gleis des Alltags zurückkehren. Wir haben innere und äußere Erfahrungen gemacht, die unsere Anschauungen und Maßstäbe, ja die uns selbst verändert haben. Und wir dürfen nie, wo wir auch in zukünftiger Arbeit stehen und unsere Kräfte einsetzen, vergessen, daß wir diesem großen Erlebnis verpflichtet sind, wenn wir überhaupt aus diesen Riesenopfern die Früchte für die Zukunft gewinnen wollen, die es uns tragen muß.
Wir wollen auch daran denken, daß, so ungewiß das äußere Schicksal unseres Volkes jetzt noch vor uns steht, es eines gibt, was wir unabhängig vom äußeren Verlauf der Dinge in der eigenen Hand haben: die Gestaltung der inneren Kulturkraft unseres Volkes. Unser aller Kräfte zum Durchhalten in den uns noch bevorstehenden Stürmen werden am besten gefestigt und gesteigert, wenn wir unsere Augen beständig einstellen auf das, was wir selbst aus dieser Kriegserfahrung durch unseren Willen und durch unsere Arbeit machen wollen.