Sagen aus Niedersachsen
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Der Treueschwur

Noch zu Ende des 18. Jahrhunderts stand in Braunschweig, nahe an der Burgkirche, ein altes Haus, in dessen Gesims ein Sarg geschnitzt war, aus welchem eine weibliche Gestalt dem Bösen mit dem Pferdefuße die Hand reicht. Die Unterschrift hieß:

Kaum hatt ich sie mir gefreyt,
Da hat der Tod sich nicht gescheut
Sie in das kühle Grab zu holen,
Daraus der Satan sie gestohlen.

Das Haus ist eingerissen, aber die Sage von dem rätselhaften Bilde daran hat sich erhalten.

Die hübsche Tochter eines reichen Brauherrn war mit einem jungen Kaufmann aus Bremen verlobt und sie hatten beide ein Gelübde getan: Wenn einer die Treue bräche und zuerst stürbe, so sollte der andre ihn aus dem Grabe wecken können, wenn er ihn daran mahne. Darauf ist der Bräutigam in die Welt gezogen, Schätze zu sammeln, und weil er über die Zeit ausgeblieben ist, auch der Vater der Braut oftmals gesagt hat, daß er seine Tochter keinem andern als nur einem Genossen seines Gewerbes in die Ehe geben wollte, so hat sie endlich dem strengen Willen des Vaters sich ergeben und dessen Werkgenossen und Gehilfen in Verzweiflung sich antrauen lassen. Aber schon nach etlichen Monaten ist sie gestorben. Wie nun der Bräutigam wiedergekommen ist und gehört hat, daß seine Braut gestorben sei, hat er den alten Totengräber mit Gelde verleitet, heimlich bei Nacht das Grab aufzuschaufeln und den Sarg zu öffnen, darin das Mägdlein, bleich aber lieblich anzuschauen, mit einem Kranz um die Scheitel gelegen hat. Auf die Mahnung an ihr Gelübde ist sie erwacht, hat den Geliebten erkannt und fest in ihre Arme geschlossen, daß der Gräber darüber von Schrecken bewußtlos zu Boden gefallen ist. Wie er sich wieder hat erholt gehabt, ist der Sarg leer, die beiden verschwunden gewesen, und hat nachdem niemand sagen können, was aus ihnen geworden.

Das Volk sagte, der böse Feind habe die Tote aus dem Grab geholt, und der Mann ließ die Geschichte an seinem Hause abbilden.

 


 


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