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21. Marschall Stigs Töchter.

Dies Lied soll der Nachklang eines uralten, einst im ganzen Norden verbreiteten Volksgesanges von zwei Königstöchtern sein, die, ihren Eltern geraubt, die Welt durchwandernd, endlich nach Hause gelangten. Hieran knüpfte das Volk das tragische Geschick der Töchter des dänischen Königsmörders.

Der Töchter zwei hatte Marschall Stig;
Geringen Glücks nur erfreuten sie sich.
       – Und sie zogen so weit durch die Welt hin!

Die ältere Schwester nahm der jüngeren Hand,
So zogen sie hin nach Schwedens Land.

König Börge kam heim von fernen Wegen,
Ihm gingen die Töchter Marstigs entgegen.

»Was möget Ihr wohl für Weibsen sein?
Was steht Ihr so spät hier im Abendschein?«

– »Die Töchter Marstigs, stehn wir hier beide,
Seid gnädig uns in unserm Leide!«

– »Hebt euch hindann aus Hof und Hagen!
Euer Vater erschlug mir den fürstlichen Magen!«

– »Verschuldeten wir Königs Eriks Tod?
Die Welt durchwandern wir nun nach Brot.«

Die ältere Schwester nahm der jüngeren Hand,
So zogen sie hin nach Norwegens Land.

König Erik kam eben heim vom Tinge,
Die Töchter Marstigs entgegen ihm gingen.

»Was möget Ihr wohl für Weibsen sein?
Was kommt Ihr zu mir ins Land herein?«

– »Die Tochter Marstigs, stehn wir hier beide,
Sei gnädig uns in unserm Leide!«

– »Könnt Ihr denn backen und könnt Ihr denn brauen?
Was kann man für Arbeit euch anvertrauen?«

– »Wir können nicht backen, wir können nicht brauen.
Doch andere Arbeit mögt Ihr uns vertrauen.

Wir weben in Rohr und in Seide wir spinnen,
So schön wie die Königin samt Dienerinnen.

Wir weben wohl Linnen, wohl Gold wir spinnen,
Doch Freude wir nie unsern Herzen gewinnen,

Niemals, seit wir Vater und Mutter sahn sterben
Und Brot in der Fremde uns mußten erwerben.«

König Erik gab ihnen ein Scharlachgewand
Und führte ins Fraungemach sie an der Hand.

Die ältere Schwester am Webstuhl begann,
Das Gewebe vollführte die jüngere dann.

Sie webten zuerst in gemessener Frist
Die Jungfrau Maria und Jesum Christ.

Im anderen Bilde dann ließen sie schauen
Die Königin Norwegs mit all' ihren Frauen.

Dann Hirsche und Hinde, wie im Walde sie sprangen,
Und webten sich selbst mit den bleichen Wangen.

Sie webten mit Fingern, den emsigen, eiligen,
Die Scharen der Engel des Herrn, die heiligen.

Die ältre der Schwestern nahm dann das Gewebe,
Daß die jüngere der Königin Norwegs es gebe.

Und so sprachen sie unter bitteren Zähren:
»Gott gebe, daß Ihr unsere Mutter wäret!

Denn wäret Ihr Mutter uns beiden,
Ihr würdet uns hegen und kleiden.

Ja, wäret Ihr unsere Schwester,
Erfüllt wär' der Wünsche bester!«

Da macht' ein Gebrest die ältere krank,
Die jüngere pflegte sie sonder Wank.

Die Krankheit die ältere hinweg dann nahm,
Zurück blieb klein Inge in Trauer und Gram.

Herr Erik – den König lob' ich mir schon! –
Klein Inge gab er seinem jüngsten Sohn.
– Sie waren so weit durch die Lande gezogen!


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