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II. Die Stiefmutter.

Der König segelte aus zu frei'n,
Die Schönste des Landes sollt' es sein.

Er führte heim gleich, die er fand,
Und Sigurlaug war sie genannt.

Der Winter fünfe war sie sein
Und schenkte ihm fünf Kindelein.

Da kam ins Land ein Sterben groß,
Und sein Eh'gespons der König verlor.

Er aber segelte wieder aus,
Die Schönste zu führen in sein Haus.

So warb er denn um Frau Svanborg
Und führte heim sie, frei der Sorg.

Da hörte die Mutter im Grabe das Weinen
Von ihren Kindelein, den kleinen.

Und sie gerührt vor allem haben
Im Jenseits die Thränen des jüngsten Knaben.

»Herr, gestatte mir aufzustehn,
Zu meinen weinenden Kindern zu gehn!«

»Sei zugestanden dir dieser Gang,
Doch weile dort nicht allzu lang!«

Am Himmel hoch der Vollmond glitt,
Als Sigurlaug von dannen schritt.

Vom Kirchhof ging sie zum Schloß den Pfad,
Wo Svanborg stand, vor die sie trat.

»Willkommen, Sigurlaug, tritt ein
Und trinke mit uns Bier und Wein!«

»Ich mag nicht trinken deinen Wein,
Es weinen ja meine Kindelein.

Haus und Hof und Feld und Wies'
Für sie auf der Welt zurück ich ließ;

Ich hinterließ den Kindelein
Für Bettchen Kissen und weißen Lein.«

Und sie erhob die linke Hand
Und zeigte der Hölle Qual und Brand.

»Thust wohl du meinen Kindelein,
Vergelt' ich es der Seele dein!

Doch ich muß wieder gehen,
Die Hähne hör' ich schon krähen!«

Und Svanborg ließ Kleider schneiden
Den Kleinen, weich wie Seiden.

Der König lag im Bett und schrie:
»Laß auf der Diele doch liegen sie!«

»Nicht mag es uns ehren und zieren,
Wenn die Kindlein auf Dielen frieren.

Stiefmutter war ich, streng und hart,
Nun bin ich ihnen Mutter zart.

War stief ich ihnen sonst mit Groll,
Nun bin ich Mutter liebevoll!«


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