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XVI. Das Hildebrandslied.

Die weit vollständigere dänische Version s. unter: »Altdänische Volksballaden« Nr. 2 Rapp und Rab der braune.

Hildebrand hatt' ein Schwesterlein,
Ein heidnischer Graf kam, sie zu frei'n.

Und ihren Schatz und ihre Hand
Gewann der Graf aus Heidenland.

Am ersten Tag kam sie zu Landen,
Am zweiten lag sie bereits in Banden.

Tjodbjörg weinte bitterlich:
»Weshalb ließest du binden mich?«

»Deshalb ließ ich dich binden hier,
Weil du nicht als Jungfrau kamst zu mir!«

»Gott und die heilige Sonne zumal
Wissen's, jungfräulich trat ich in den Saal.

Gott weiß es und sein heiliger Schrein:
Als Jungfrau bestieg ich das Lager dein!«

Sie blickte hin und sie blickte her,
Ob nah ihr denn kein Helfer wär'.

Sie blickte zur Wolke, die droben zog,
Und wo ein mächtiger Rabe flog.

Der saß am Fenster des Kerkers hin,
Ihr Trost zu spenden im trüben Sinn.

»Ich will dir geben Kleider so rot,
Wofern du linderst meine Not.«

»Was sollen mir deine Kleider so rot?
Um die nicht mindr' ich deine Not.«

»Ich gebe dir Kleider, grün und braun,
Willst Hildebrand du mein Leid vertraun.«

»Auch nicht um Kleider, grün und braun,
Will ich dem Bruder dein Leid vertraun;

Wohl aber um Leber und Lungen,
Zu nähren meine Jungen.«

»Die sollst du haben, hör' meinen Schwur!
Zu meinem Bruder, o, eile nur!«

Der Rabe flog in die Weiten,
Wohl schneller als Schiffe gleiten.

Dann aus den Wolken senkt' er sich tief,
Ans Fenster der Burg sich setzend, und rief:

»Laß, Hildebrand, nun das Harfen sein;
In Banden schmachtet dein Schwesterlein.

Sie ward geschlagen blutig,
Als hätte sie keinen Bruder!«

Hildebrand auf vom Tische sprang,
Zu Boden der Met, der braune, rann.

Er eilte zornvoll aus dem Schloß,
Und zog hervor sein braunes Roß.

Hildebrand sprach: »Wirst du es wagen,
Mich auf diesem Ritt zu tragen?«

»Gern thu' ich den Willen dir,
Rede nur kein Wort mit mir.«

Pfeilschnell ging's über Meer und Land
Fernhin, da rief Hildebrand:

»Niemals noch in allen Reichen
Sah, mein Roß, ich deinesgleichen.«

Und tiefer sank es und tiefer da,
Doch war der rettende Strand schon nah.

»Willkommen, Hildebrand, Schwager mein,
In meiner Halle koste den Wein!«

»Mit nichten begehr' ich deinen Wein;
Wo ist Tjodbjörg, mein Schwesterlein?«

»Tjodbjörg sitzt im Frauensaal,
Ein Söhnlein gebar sie mir, dem Gemahl.«

»Und wären es zwei und wären es drei,
Seh'n will ich, wo meine Schwester sei!«

»Seit wann denn wär' es Männersitte,
Zur Wochenstube zu lenken die Schritte?«

Doch Hildebrand pocht' an die Saalthür hell:
»Schließ' auf, o Schwester Tjodbjörg, schnell!«

»Wie kann ich die Thür erschließen dir,
Sind doch die Hände gefesselt mir!«

Da braucht' er List und brauchte Gewalt,
Und Schloß und Riegel sprangen alsbald.

Er hieb ihr ab die eisernen Bande,
Daß weit es scholl hin über die Lande.

Da heischte zum Zweikampf er den Grafen,
Den seine Streiche tödlich trafen.

Und gluchsend kam der Rabe gesprungen,
Ein Festmahl ward ihm an Leber und Lungen.

Zum Thinge dann sprang das Roß hinan,
Zertrat und zerriß manchen tapferen Mann.

So fuhr es schnaubend und schäumend umher,
Erschlug wohl hundert Helden und mehr.

Tjodbjörg neigte zum Rosse sich:
»Wirst du es wagen zu tragen mich?«

»Gerne, wie gerne trag' ich dich fort,
Rede nur ja mit mir kein Wort!«

Sie neigte sich tiefer und küßt' es zum Lohn,
Da ward es zum schönsten Königssohn.


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